Zürich: MADAMA BUTTERFLY, 17.10.2009
Tragedia giapponese in drei Akten
Musik: Giacomo Puccini
Libretto: Luigi Illica / Giuseppe Giacosa
Uraufführung: 17. Februar 1904 in Mailand, dreiaktige Neufassung am 28. Mai 1904 in Brescia
Aufführungen in Zürich:
17.10. | 21.10. | 25.10. | 5.11. | 8.11. | 12.11. | 15.11.| 19.11.09
Kritik:
Viel versprechend beginnt der Abend mit der Projektion eines Animationsfilms, entstanden in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg. Ein stilisierter, von japanischer Tuschzeichnung inspierierter Vogelschwarm, der immer bedrohlicher wirkt, taucht auf dem weissen Zwischenvorhang auf. Vor dem zweiten Akt ist es dann ein einsamer Vogel, welcher sich in einem Dickicht aus Bambus verirrt und während des Zwischenspiels zum dritten Akt bricht der Vogel auseinander, seine Flügel fallen auf einen immer grösser werdenden und schliesslich die gesamte Leinwand bedeckenden Haufen verlorener Federn - lauter enttäuschten Hoffnungen. Diese einfache und doch so stimmige Symbolisierung der Handlung von MADAMA BUTTERFLY findet dann jedoch auf der Bühne keine entsprechende Fortsetzung. Zu gestylt, zu kalt wirkt die ausschliesslich in den japanischen Nationalfarben Weiss-Rot-Schwarz gehaltene Ausstattung Reinhard von der Tannens. Pinkerton hat als Liebesnest nicht ein wackliges Häuschen (dimora frivola) erworben, sondern einen veritablen, sich im Verlauf des Abends skelettierenden Turm (Goro verspricht ihm ja, das Häuschen sei standfest wie ein torre). Der Turm wird dann aber wenig genutzt, die Handlung spielt sich vorwiegend auf der Veranda ab. Und obwohl Butterfly das Geld ausgeht, hat sie sich noch neue, schicke schwarze Möbel kaufen können. Da in Zürich die geglättete Pariser Fassung des Werks von 1906 gespielt wird, fällt der gesellschaftskritische Realismus der von Experten immer stärker favorisierten Urfassung weitgehend weg. Vier mehr dekorativ als als wirklich schlüssig eingesetzte, an die japanische Butoh Tradition erinnernde Tänzer, sollen wohl etwas zusätzliches Lokalkolorit vermitteln. Zudem darf zu Beginn ein muskelbepackter Farbiger Whisky einschenken. Hm. Der grosse Eisblock, welcher als Bar dient, soll wohl die emotionale Kälte des Yankees Pinkerton zeigen, doch wird in der Inszenierung Grischa Asagaroffs auch mit diesem Element dann nicht mehr stringent weitergespielt. So wirkt der erste Akt steif, das lange Liebesduett knistert trotz auch wieder nur dekorativ eingesetzter roter Lampions nicht vor Erotik. Amerikanische Flaggen nehmen zu Beginn des zweiten Aktes den Platz der Lampions ein, verschwinden dann aber auch schnell wieder. Die Blüten, mit denen Butterfly und Suzuki das Haus für die Ankunft Pinkertons schmücken, fallen wie auf ein göttliches Zeichen hin vom Bühnenhimmel, warum auch immer. Das imperialistische Gehabe, der Machismus werden nicht mit der erforderlichen Radikalität gezeigt, es wird in dieser Inszenierung kaum an der lackierten Oberfläche gekratzt. Einzig die Personenführung zu Beginn des zweiten Aktes, die Auseinandersetzung Cio-Cio-Sans mit Suzuki, ihr rabiates Festhalten an der Hoffnung auf Pinkertons Rückkehr, ihre Selbsttäschung sind packend dargestellt; ebenfalls sehr überzeugend ist der Auftritt von Kate inszeniert (mit enormer Bühnenpräsenz: Margaret Chalker).
Die Stars des Abends sitzen im Orchestergraben. Einmal mehr erweist sich das Orchester der Oper Zürich als Spitzenensemble. Der präzis gespielte fugierte Beginn oder die schlichtweg atemberaubende Begleitung des Summchores (ganz hervorragend und lupenrein intoniert vom Chor der Oper Zürich) durch Flöten und Pizzicati der Streicher seien hier als Beispiele genannt. Dirigent Carlo Rizzi stellte zwar weniger die mutige, bis an die Grenzen der Tonalität und darüber hinausweisende Harmonik des Werkes in den Vordergrund - die Dissonanzen wirkten oft etwas gar verschämt hinter zarten Pastellfarben versteckt - doch war seine Interpretation von wunderbar feinem Atem getragen, die Motive wurden dynamisch subtil abgestuft zu herrlichem Erblühen gebracht.
Leider fand die sängerische Ergänzung dazu auf der Bühne über weite Strecken nicht statt. Beiden Protagonisten mangelte es an stimmlicher Geschmeidigkeit. Xiu Wei Sun in der Titelrolle mag eine Arena taugliche Stimme haben, doch das ausgeprägte Vibrato und ihr leicht belegt klingender Sopran lassen auf Verschleisserscheinungen der Stimme schliessen. Ausdrucksstark war zwar ihre Mimik, ihre Entrückung nach Un bel dì vedremo, ihre Verdängungstaktik während der Briefszene - und doch wollte sich echte Anteilnahme an ihrem traurigen Schicksal nicht so recht einstellen. Neil Shicoff verfügt zwar immer noch über eine sichere Höhe, doch sein Pinkerton klang über weite Strecken mehr gequält und forciert als von seiner jungen japanischen Schönheit erotisiert. Lautstärke ist halt nicht gleich Ausdruckskraft. Da er eh nie der begnadetste aller Darsteller war, wirkte seine Gestaltung der Rolle des jungen (hier eher älteren) amerikanischen Offiziers eher unbeholfen. Bezeichnenderweise erhielten die mit wunderbar warmer Stimme gesungene Suzuki von Judith Schmid und der Sharpless von Cheyne Davidson (in seinem Anzug mit Schlapphut ab dem zweiten Akt an Indiana Jones erinnernd - warum?) fast den grössten Applaus. Als windiger Heiratsvermittler Goro überzeugte Andreas Winkler, Kresimir Strazanac fühlte sich sichtlich unwohl als Fürst Yamadori, trotz süssen, dekorativen Kätzchens im Arm. Pavel Daniluk überzeugte stimmlich als Cio-Cio-San verfluchender Onkel Bonze, sein eher für den Wassemann aus Rusalka passendes Outfit wirkte jedoch eher lächerlich als bedrohlich.
Obwohl an dieser Premiere nicht viele Plätze frei blieben, war der Schlussapplaus nicht mehr als kurz und freundlich.
Fazit:
Da gleich drei Häuser in der Deutschschweiz in dieser Saison BUTTERFLY herausbringen, sind Vergleiche unausweichlich: Das Theater Basel (Opernhaus des Jahres) hat im September eine Steilvorlage geliefert, eine musikalisch UND szenisch packende BUTTERFLY auf die Bühne gebracht, die das finanziell besser ausgestattete Zürich bei weitem nicht erreicht.
Im Mai 2010 wird dann noch das Theater St.Gallen nachziehen.
Werk:
Das Fiasko der Uraufführung von MADAMA BUTTERFLY lag vermutlich in den Rivalitäten der beiden mächtigen Verlagshäuser Italiens (Ricordi und Sonzogno) begründet. Puccini zog die Oper sofort zurück und präsentierte kurz darauf in Brescia ein neue, diesmal äusserst erfolgreiche Fassung. BUTTERFLY gehört zu den meistgespielten Opern der Welt, in den USA ist sie seit Jahrzehnten die Nummer eins. Sie ist die stilistisch geschlossenste Oper des Meisters. Der melodische Einfallsreichtum, die gewagte, auch an die Grenzen der Tonalität stossende, von Melodien japanischer Herkunft inspirierte Harmonik machen aus MADAMA BUTTERFLY weit mehr als das kitschig sentimentale Drama, als welches es oft herablassend bezeichnet wird.
Die Oper hat auch in der Pop Musik (Un bel dì gibt es in unzähligen Versionen), im Film (z.B. FATAL ATTRACTION mit Glenn Close und Michael Douglas) und im Musical (MISS SAIGON) ihre Spuren hinterlassen.
Inhalt:
Der leichtlebige amerikanische Marineoffizier Pinkerton heiratet in Nagasaki die 15jährige Cio-Cio San, genannt Butterfly. Die Warnungen des amerikanischen Konsuls Sharpless schlägt er in den Wind. Die Heiratszeremonie wird durch den Onkel Cio-Cio Sans gestört, welcher das junge Mädchen verflucht, weil sie heimlich zum Christentum konvertierte.
Der Akt schliesst mit einem der längsten und schönsten Liebesduette der Opernliteratur.
Drei Jahre später:Butterfly hat einen Sohn von Pinkerton. Der selbst hat sich aber nie mehr in Japan blicken lassen, doch Butterfly gibt die Hoffnung nicht auf, dass er sie nach Amerika holen wird. Suzuki zweifelt. Sharpless will Butterfly darauf vorbereiten, dass Pinkeron zwar auf dem Weg nach Japan sei, doch nicht ihretwegen. Ihren Verehrer Yamadori weist Butterfly standhaft ab.
Ein Kanonenschuss verkündet die Ankunft des amerikanischen Kriegsschiffes.
Butterfly hat die ganze Nacht lang vergeblich auf Pinkerton gewartet. Sie zieht sich zurück. Pinkerton erscheint im Garten mit seiner neuen Frau Kate um seinen Sohn nach Amerika zu holen. Butterfly ersticht sich mit dem Dolch, mit dem auch ihr Vater einst Selbstmord begangen hatte.
Musikalische Höhepunkte:
Dovunque al mondo, Pinkerton – Sharpless, man hört die amerikanische Nationalhymne
Ancora un passo, Auftritt von Cio-Cio San und ihren Freundinnen, Akt I
Bimba, Bimba, non piangere, Duett Cio-Cio San – Pinkterton, Akt I
Un bel dì, Arie der Cio-Cio San, Akt II
Tutti i fior? Duett Cio-Cio San – Suzuki, Akt II
Coro a bocca chiusa , Summchor, Zwischenspiel zu Akt III
Addio, fiorito asil, Arioso des Pinkterton, Akt III
Con onor muore, Finale Akt III