Frankfurt, Oper: MADAMA BUTTERFLY, 13.07.2023
Tragedia giapponese in drei Akten | Musik: Giacomo Puccini | Libretto: Luigi Illica / Giuseppe Giacosa | Uraufführung: 17. Februar 1904 in Mailand, dreiaktige Neufassung am 28. Mai 1904 in Brescia | Aufführungen in Frankfurt: 8.7. | 13.7. | 19.7.2023
Kritik:
REDUCED TO THE MAX - REDUCED TO THE ESSENTIAL
Der Regisseur dieser BUTTERFLY-Produktion in Frankfurt, der junge Amerikaner R.B. Schlather, sagt im aufschlussreichen Gespräch im Programmheft: "Wenn ich ins Theater gehe, will ich Menschen auf der Bühne sehen, die ich wiedererkenne." Er spricht auch von "unguter Art von Kitsch und Sentimentalität", die er als tot empfinde; exotische, deskriptive Settings von Bühne und Kostümen sind nicht sein Ding, das merkt man dieser BUTTERFLY-Produktion sofort an. Johannes Leiacker hat ihm eine sehr schlichte Bühne gebaut, eine weiße, horizontal verschiebbare Wand in Papieroptik mit ausgeschnittenem, kleinem Fenster, eine identische schwarze Wand, die in schicksalsschweren Momenten vorüberzieht, ansonsten Leere total. Das einzige Möbelstück ist ein Stuhl. In dieser Leere klingt etwas "Japan" an. Die Kostüme von Doey Lüthi sind bis auf das der Figur des Bonzen, dem patriarchalen, geistigen Oberhaupt der Gesellschaft, westlich geprägt und frei von jeglicher Japonoiserie. Pinkerton kommt im legeren Freizeit Look daher, hellblaues Hemd. hochgerollte beige Chinohose, Sonnenbrille, Timberlands an den Füssen - schlicht der "All American Boy", leicht snobistisch, aber auch charmant. Butterflys Hochzeitskleid ist in seinem Schnitt und dem knalligen Rot inspiriert vom Kostüm, das Julia Roberts in PRETTY WOMAN trug, eine stimmige Anspielung auf den American Dream, den auch Cio-Cio-San träumt, imitiert sie doch während eines großen Teils des ersten Aktes die Pose der Lady Liberty auf einem Sockel. Zur Liebesszene trägt sie dann ein glitzerndes Abendkleid in Écru, das sie bis zum tragischen Ende nicht mehr ausziehen wird. Eindringlich spinnt nun der Regisseur die tragische Geschichte zweier junger - und leider sehr unreifer - Menschen fort; beide rebellisch (sie gegen die Enge der Gesellschaft aus der sie entkommen möchte, er sein oberflächliches, bindungs- und verantwortungsloses Leben auskostend). Gebannt vefolgt man das Geschehen, das einzig Störende ist die in ihrem schwarzen Rahmen grell weiss leuchtende Wand, die das Auge mit der Zeit sehr ermüdet. Die weiße Wand bietet natürlich reichlich Gelegenheit für stimmungsvolle Schattenwürfe, im Fenster für scherenschnittartige Schattenrisse. Die Figuren werden genau gezeichnet, vom umtriebigen, geschäftigen und leicht sarkastischen Heiratsvermittler Goro (wunderbar gesungen von Michael McCown), zur besorgten und treuen Suzuki (mit überragender Intensität dargestellt von Kelsey Lauritano) und dem das Unheil antizipierenden Konsul Sharpless (eine ganz starke Leistung des Baritons Liviu Holender, welcher diesem Charakter sehr viel Gewicht verleiht). Karolina Bengtsson hat als Pinkertons amerikanische Ehefrau Kate zwar praktisch nichts zu singen, markiert aber in ihrem biederen, hellblauen 60er Jahre Kostüm als Doris-Day-Verschnitt herrliche Bühnenpräsenz. Prägnante Leistungen zeigen auch Andrew Kim als um Cio-Cio-San buhlender Fürst Yamadori, Alfred Reiter als Onkel Bonze und Sakhiwe Mkosana als Kaiserlicher Kommissar sowie der Chor der Oper Frankfurt (besonders die Damen beim Auftritt Butterflys). Stimmungsvoll gerät der berühmte Summchor am Ende des ersten Teils des zweiten Aktes.
E LUCEVAN LE STELLE
Das stammt natürlich aus TOSCA, doch wenn Butterfly und Pinkerton am Ende des ersten Aktes in einem der schönsten Liebesduette der Opernliteratur die Sterne besingen, welche noch nie so schön geleuchtet hätten, sinken auf dem schwarzen Bühnenhintegrund glitzernde Sterne vom Himmel und im Zuschauersaal leuchten die Spots der Deckenbeleuchtung auf, man fühlt sich mit den beiden Liebenden im Himmel - man spürt hier, dass Oper für R.B. Schlather nicht nur Aktualität, sondern wie er zugibt, immer auch ein bisschen "Camp", also Kitsch und Sentimentalität leicht "over the top" ist. Und ehrlich gesagt, man ist ihm nicht böse. Wenn dann noch zwei Sterne (Stars) wie Corinne Winters als Cio-Cio-San und Rodrigo Porras Garulo als Pinkerton die Liebenden verkörpern, ist das Opernglück vollkommen. Corinne Winters wunderschön rund geführter, schlanker Sopran ist ideal für die Butterfly: Rein, unschuldig, mit herrlicher, unforcierter Emphase aufschwingend, die langen Bögen mit eindringlicher Intensität gestaltend, eine Cio-Cio-San, die tief beeindruckt. Ebenso beeindruckt war ich von Rodrigo Porras Garulo, der seinen Tenor so fantastisch frei und strahlend strömen lassen kann, so schön, dass man für eine der unsympathischsten Tenorrollen der italienischen Oper doch so etwas wie Mitgefühl entwickelt.
Der Klangteppich, auf dem sich die Stimmen der Protagonisten so wunderbar geborgen fühlten, wurde von Pier Giorgio Morandi und dem erstklassig spielenden Frankfurter Opern- und Museumsorchester gewoben. Puccinis so fein und klug gearbeitete Partitur war hier in allerbesten Händen, Transparenz und Ekstase, Innigkeit, Intimität und mitreißender Rausch, eine klangliche Raffinesse der Sonderklasse.
Cio-Cio-San verübt ihren Suizid Offstage, auch Pinkertons erschütternde BUTTERFLY-Rufe verhallen im Off. Am Ende sehen wir nur noch den Knaben Dolore (Jakob Fritschi) auf der leeren Bühne auf dem Stuhl sitzen, die Beine unentwegt schlenkernd, eine Zwangshandlung des nun als Joker aus Batman geschminkten Jungen, ein "Joker", der nie gestochen hat und um dessen Psyche man nun bangen muss. Gänsehaut!
Inhalt:
Der leichtlebige amerikanische Marineoffizier Pinkerton heiratet in Nagasaki die 15jährige Cio-Cio San, genannt Butterfly. Die Warnungen des amerikanischen Konsuls Sharpless schlägt er in den Wind. Die Heiratszeremonie wird durch den Onkel Cio-Cio Sans gestört, welcher das junge Mädchen verflucht, weil sie heimlich zum Christentum konvertierte.
Der Akt schliesst mit einem der längsten und schönsten Liebesduette der Opernliteratur.
Drei Jahre später:
Butterfly hat einen Sohn von Pinkerton. Der selbst hat sich aber nie mehr in Japan blicken lassen, doch Butterfly gibt die Hoffnung nicht auf, dass er sie nach Amerika holen wird. Suzuki zweifelt. Sharpless will Butterfly darauf vorbereiten, dass Pinkeron zwar auf dem Weg nach Japan sei, doch nicht ihretwegen. Ihren Verehrer Yamadori weist Butterfly standhaft ab.
Ein Kanonenschuss verkündet die Ankunft des amerikanischen Kriegsschiffes.
Butterfly hat die ganze Nacht lang vergeblich auf Pinkerton gewartet. Sie zieht sich zurück. Pinkerton erscheint im Garten mit seiner neuen Frau Kate um seinen Sohn nach Amerika zu holen. Butterfly ersticht sich mit dem Dolch, mit dem auch ihr Vater einst Selbstmord begangen hatte.
Werk:
Das Fiasko der Uraufführung von MADAMA BUTTERFLY lag vermutlich in den Rivalitäten der beiden mächtigen Verlagshäuser Italiens (Ricordi und Sonzogno) begründet. Puccini zog die Oper sofort zurück und präsentierte kurz darauf in Brescia ein neue, diesmal äusserst erfolgreiche Fassung. BUTTERFLY gehört zu den meistgespielten Opern der Welt, in den USA ist sie seit Jahrzehnten die Nummer eins. Sie ist die stilistisch geschlossenste Oper des Meisters. Der melodische Einfallsreichtum, die gewagte, auch an die Grenzen der Tonalität stossende, von Melodien japanischer Herkunft inspirierte Harmonik machen aus MADAMA BUTTERFLY weit mehr als das kitschig sentimentale Drama, als welches es oft herablassend bezeichnet wird.
Die Oper hat auch in der Pop Musik (Un bel dì gibt es in unzähligen Versionen), im Film (z.B. FATAL ATTRACTION mit Glenn Close und Michael Douglas) und im Musical (MISS SAIGON) ihre Spuren hinterlassen.
Musikalische Höhepunkte:
Dovunque al mondo, Pinkerton – Sharpless, man hört die amerikanische Nationalhymne
Ancora un passo, Auftritt von Cio-Cio San und ihren Freundinnen, Akt I
Bimba, Bimba, non piangere, Duett Cio-Cio San – Pinkterton, Akt I
Un bel dì, Arie der Cio-Cio San, Akt II
Tutti i fior? Duett Cio-Cio San – Suzuki, Akt II
Coro a bocca chiusa , Summchor, Zwischenspiel zu Akt III
Addio, fiorito asil, Arioso des Pinkterton, Akt III
Con onor muore, Finale Akt III