Berlin, Staatsoper: MADAMA BUTTERFLY, 28.04.2016
Tragedia giapponese in drei Akten Musik: Giacomo Puccini Libretto: Luigi Illica / Giuseppe Giacosa Uraufführung: 17. Februar 1904 in Mailand, dreiaktige Neufassung am 28. Mai 1904 in Brescia | Aufführungen in Berlin: 28.4. | 1.5. | 3.5. | 12.5.2016
Kritik:
Auch das darf einmal sein – Lob für die Gestaltung eines Programmheftes. In kurzen, leicht lesbaren (nicht dramaturgisch „verkopften“ ...) Beiträgen und einem notierten Gespräch zwischen Dramaturgin und Regisseur wird viel Wissenswertes und Erhellendes zu Komponist, Werk, Charakteren und historischer Einordnung des Stoffes präsentiert. Den letzten Teil bildet ein überaus interessanter Artikel über den Dirigenten der deutschen Erstaufführung von Puccinis MADAMA BUTTERFLY (am 27. September 1907 in der Berliner Hofoper Unter den Linden), den phänomenalen Leo Blech. In diesem Artikel wird auch der Kritiker der Vossischen Zeitung zitiert, welcher tags darauf schrieb: „Die Aufführung unter Leo Blechs Leitung nahm einen höchst erfreulichen Verlauf, und ihr Glanz hat sicherlich dazu beigetragen, einen spontanen äußeren Erfolg herbeizuführen. An die Dauer diese Erfolges glaube ich nicht, denn die Wirkung des Werkes geht gar zu wenig in die Tiefe.“ Nun, in diesem Punkt hat sich der damalige Kritiker gewaltig getäuscht. Nicht nur gehört MADAMA BUTTERFLY zu den populärsten Werken Puccinis, nein sie ist auch eine der meist aufgeführten Opern weltweit – und das mit Recht. Dies bewies auch die gestrige Aufführung der Staatsoper im Schiller Theater (der Umzug zurück ins Haus Unter den Linden steht im Herbst 2017 bevor), für welche sich das Publikum mit großer Begeisterung (und manch einer Träne der ehrlichen Rührung und Ergriffenheit) bei den ausführenden Künstlerinnen und Künstlern bedankte. Es war dies bereits die 99. Aufführung der Inszenierung von Eike Gramss im stimmig schlichten Bühnenbild und den Kostümen von Peter Sykora (Premiere war vor ziemlich genau 25 Jahren am 27. April 1991). Die Produktion kommt ohne übertrieben bombastische Japonaiserien aus, überzeugt durch Genauigkeit des historisch-szenischen Kontextes. Auf einem Holzpodest wurde das einfache Häuschen Cio-Cio-Sans mit seinen verschiebbaren Wänden aufgebaut. Die Rückwand bilden gemalte Prospekte des Meeres, Projektionen des Sternenhimmels, der Vollmondnacht oder (beim Fluch des Onkel Bonze und am Ende der blutrote Tempel), auf dem Zwischenvorhang ist ein blonder amerikanischer Marineoffizier zu sehen, welcher quasi auf den Schwingen des US-amerikanischen Wappentieres, des Weißkopfseeadlers, zu seiner imperialistischen Exkursion aufbricht.
Die Besetzung des gestrigen Abends ließ keine Wünsche offen: Ermonela Jaho sang eine herausragende und tief berührende Butterfly. Im ersten Bild ganz die 15jährige, naiv-trotzig verliebte junge Geisha, eine Erscheinung von zauberhafter Anmut, die aber eigentlich ganz genau weiss, was sie will – nämlich Frau Pinkerton werden. Ermonela Jaho sang den heiklen Auftritt mit den Freundinnen betörend schön, mit leichtem, zartem Vibrato umflort, wunderbar eingebettet in den Gesang der Freundinnen. Frau Jahos Stimme zeichnete sich durch eine exzellente Pianokultur aus, wunderbar das „rinnegata – e felice“, mit lyrischer Süße im Liebesduett des ersten Aktes, sich auf betörende Art mit der Solovioline verbindend. Unerschütterlich in ihrem Glauben an die große Liebe sang sie im zweiten Akt die Arie Un bel dì vedremo, auch wenn eine kleine Temporückung zu Beginn für ein wenig Verunsicherung zwischen Dirigent und Sängerin sorgte, welche beide aber mit Professionalität schnell kaschieren konnten. Mit Humor wehrte sie die Begehrlichkeiten des Fürsten Yamadori ab, in sturem Selbstbetrug erging sie sich in der „Rotkehlchen“- Szene mit Sharpless. Unter die Haut gehend dann gelang Frau Jaho die Selbsttötungsszene Con onor muore – ihr sauber geführter und fantastisch gut gestützter Sopran kippte auch bei den dramatischen Ausbrüchen der Erkenntnis und der Verzweiflung nie ins Schrille, Plakative, sondern blieb stets kontrolliert geführt auf der Gesangslinie. Der junge Leutnant Pinkerton mag nicht die sympathischste Figur der Opernliteratur sein. Doch wenn man das Privileg hat, einem Tenor vom Format Stefano La Collas zuhören zu dürfen, schwinden die moralischen Vorbehalte schnell dahin. Welch glasklares Timbre, welch mühelos strahlende Höhen, welch unerschöpfliche Reserven der dynamischen Steigerungen! Wenn er dann am Ende des ersten Aktes die schmachtend-erotisch aufgeladenen Vieni, vieni –Rufe intoniert, wer möchte ihm da nicht in die Arme sinken? Alfredo Daza war ein sympathischer Sharpless, mit wunderbar bronzenem Timbre im Duett mit Pinkerton Dovunque al mondo und trefflich agierend in der „Rotkehlchen“- Szene und vor Butterflys Sturheit kapitulierend. Katharina Kammerloher überzeugte als besorgte Suzuki. Ihr warmer Mezzosopran harmonierte wunderbar mit dem lyrischen Sopran von Ermonela Jaho im Blumenduett. Tadellos besetzt waren die wichtigen Partien des umtriebigen Heiratsvermittlers Goro (Jürgen Sacher), des Yamadori (Arttu Kataja), des auf eindrückliche, beängstigende Art Butterfly verfluchenden Onkels Bonze (Scott Wilde), des kaiserlichen Kommissars (David Ostrek) und der amerikanischen Gemahlin Pinkertons (Natalia Skrycka als Kate).
Stefano Ranzani leitete die Staatskappelle Berlin. Puccinis farbenreiche Partitur erklang mit fantastisch disponierter Klarheit und Prägnanz. Ranzani schien die Sängerinnen und Sänger auf Händen zu tragen, mit ihnen zu atmen, setzte ritardandi mit genau kalkuliertem Geschmack ein, so dass die Grenze zur Rührseligkeit nur gekonnt gestreift, aber nie überschritten wurde. Traumhaft schön und zart erklang der Summchor (Einstudierung: Frank Flade) am Ende des zweiten Aktes, mit aufpeitschender Dramatik erfüllt das orchestrale Zwischenspiel zur Einleitung des Schlussaktes.
Fazit: Durch szenische und musikalische Stimmigkeit tief ergreifender Opernabend!
Inhalt:
Der leichtlebige amerikanische Marineoffizier Pinkerton heiratet in Nagasaki die 15jährige Cio-Cio San, genannt Butterfly. Die Warnungen des amerikanischen Konsuls Sharpless schlägt er in den Wind. Die Heiratszeremonie wird durch den Onkel Cio-Cio Sans gestört, welcher das junge Mädchen verflucht, weil sie heimlich zum Christentum konvertierte.
Der Akt schliesst mit einem der längsten und schönsten Liebesduette der Opernliteratur.
Drei Jahre später:
Butterfly hat einen Sohn von Pinkerton. Der selbst hat sich aber nie mehr in Japan blicken lassen, doch Butterfly gibt die Hoffnung nicht auf, dass er sie nach Amerika holen wird. Suzuki zweifelt. Sharpless will Butterfly darauf vorbereiten, dass Pinkeron zwar auf dem Weg nach Japan sei, doch nicht ihretwegen. Ihren Verehrer Yamadori weist Butterfly standhaft ab.
Ein Kanonenschuss verkündet die Ankunft des amerikanischen Kriegsschiffes.
Butterfly hat die ganze Nacht lang vergeblich auf Pinkerton gewartet. Sie zieht sich zurück. Pinkerton erscheint im Garten mit seiner neuen Frau Kate um seinen Sohn nach Amerika zu holen. Butterfly ersticht sich mit dem Dolch, mit dem auch ihr Vater einst Selbstmord begangen hatte.
Werk:
Das Fiasko der Uraufführung von MADAMA BUTTERFLY lag vermutlich in den Rivalitäten der beiden mächtigen Verlagshäuser Italiens (Ricordi und Sonzogno) begründet. Puccini zog die Oper sofort zurück und präsentierte kurz darauf in Brescia ein neue, diesmal äusserst erfolgreiche Fassung. BUTTERFLY gehört zu den meistgespielten Opern der Welt, in den USA ist sie seit Jahrzehnten die Nummer eins. Sie ist die stilistisch geschlossenste Oper des Meisters. Der melodische Einfallsreichtum, die gewagte, auch an die Grenzen der Tonalität stossende, von Melodien japanischer Herkunft inspirierte Harmonik machen aus MADAMA BUTTERFLY weit mehr als das kitschig sentimentale Drama, als welches es oft herablassend bezeichnet wird.
Die Oper hat auch in der Pop Musik (Un bel dì gibt es in unzähligen Versionen), im Film (z.B. FATAL ATTRACTION mit Glenn Close und Michael Douglas) und im Musical (MISS SAIGON) ihre Spuren hinterlassen.