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Hamburg: MADAMA BUTTERFLY, 18.03.2022

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Madama Butterfly

copyright: Bernd Uhlig, mit freundlicher Genehmigung Staatsoper Hamburg

Tragedia giapponese in drei Akten | Musik: Giacomo Puccini | Libretto: Luigi Illica / Giuseppe Giacosa | Uraufführung: 17. Februar 1904 in Mailand, dreiaktige Neufassung am 28. Mai 1904 in Brescia | Aufführungen in Hamburg: 15.3. | 18.3. | 24.3.2022

Kritik:

Ich weiss, man sollte den Begriff "musikalische Sternstunde" nicht exzessiv verwenden, doch gestern Abend kam man in der Staatsoper Hamburg in den Genuss einer solchen. Ermonela Jaho ist wohl DIE Butterfly unserer Tage, was sie an Gesangskultur, Reinheit der Intonation, blühendem Timbre, das glutvoll leuchten, dann wieder in beinahe depressive Innerlichkeit zurückfallen konnte und psychologischer Durchdringung der Geisha in die Waagschale warf, war unfassbar. Ich kann mich auch nicht erinnern, je auf Tonträger eine bessere Cio-Cio San gehört zu haben. Ihr Abdriften in das Paralleluniversum rührte zu Tränen. Die Partner*innen an ihrer Seite trugen ebenfalls entscheidend zu diesem exzeptionellen Opernereignis bei: Pavel Černoch als strahlkräftig und mit exemplarischer Phrasierung gestaltender Pinkerton, voll jugendlichem Übermut in Dovunque al mondo im ersten und mit tragischer Selbsterkenntnis in Addio fiorito asil im dritten Akt. Das lange Liebesduett im ersten Akt wurde durch Ermonela Jahos und Pavel Černochs grandios harmonierenden und sich umschlingenden Stimmen zu einem Fest. Franco Vassallo vermochte als wunderbar warmstimmiger Sharpless ebenso zu begeistern wie Kristina Stanek, die mit sattem, wunderbar eindringlich geführtem Mezzosopran als Suzuki wichtige Akzente setzte. Peter Hoare verlieh dem Heiratsvermittler Goro überzeugendes Profil, ebenso wie Peter Galliard als Principe Yamadori und Alexander Roslavets als strenger Zio Bonzo. Das grandiose Dirigat von Matteo Beltrami und das fantastisch präzise, in allen klanglichen und rhythmischen Schattierungen prunkende Spiel des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg ließen einen die Preziosen von Puccinis orchestral wohl bester Partitur erneut bewundern.

Der Regisseur Vincent Boussard hat diese Inszenierung vor zehn Jahren für Hamburg geschaffen. Äusserlich kommt sie relativ schlicht daher, mit Ausnahme der Kostüme im ersten Akt, wo der Modezar Christian Lacroix für die Kimonos der Familie, der Freundinnen und Cousinen von Cio-Cio San aus dem Vollen schöpfen konnte. Welch eine Pracht an Seidenstoffen, Schnitten, Mustern und Farben! Das Bühnenbild von Vincent Lemaire besteht aus pastellfarbenen Blumentapeten, grossen Türen, die Ausblicke auf die Bucht freigeben können. Dominiert wird die Bühne einzig von einer wie ein Pfahl das Häuschen Butterflys durchbohrenden, geländerlosen Wendeltreppe. Von unten her ermöglicht sie die Auftritte der Besucher, führt oben ins Nichts. Zufluchts- und Hoffnungsort zugleich. Der schwarze Zwischenvorhang zeigt psychedelisch schimmernde Mohnblumen, symbolisiert die Traumwelt, in welche Cio-Cio San sich immer weiter steigert. Selbst das Kind, das sie mit Pinkerton gezeugt hatte, tritt nicht als Wesen aus Fleisch und Blut auf. Es ist ein Objekt, eine Puppe, Cio-Cio San hat einen ganzen Schrank voll von solchen Puppen. Das Phänomen der Scheinschwangerschaften wird vom Regisseur im Programmbuch erwähnt. Natürlich haben die beiden wirklich ein Kind, doch es wird von beiden eben nur als Objekt benutzt. Nach Cio-Cio Sans Suizid stürzt die Puppe ins Zimmer, die Illusion ist tot. Vincent Boussard zeigt den Realitätsverlust Cio-Cio Sans mit eindringlicher Personenführung. Oftmals in embryonaler Stellung liegt Cio-Cio San auf der Lehne des Lederfauteuils, des einzigen Möbelstücks auf der Bühne. Leggins und ein schlichtes Top sind nun ihre Kleidungsstücke, sie hat sich dem westlichen Stil angenähert. Trotzdem besteht da natürlich noch ein gewaltiger Unterschied zur amerikanischen Frau, mit welcher Pinkerton zurückkehrt: Kate Pinkerton ist eine Marilyn-Kopie, platinblond, enges Kostüm, knallrote Pumps. Während des mit gewaltiger Emphase dirigierten Vorspiels zum dritten Akt macht sich Cio-Cio San bereit für die Wiederbegegnung mit Pinkerton, wäscht sich, zieht sich einen Morgenmantel an. Doch er kommt nicht, und so sieht sie nur noch einen Ausweg: Con onor muore. Ermonela Jaho gestaltet diese Szene ganz ohne Theatralik, mit rührender, beinahe entrückter Kraft. Das geht wirklich unter die Haut. Und wenn dann Pavel Černoch Pinkertons erschütternde Butterfly, Butterfly Rufe intoniert, könnte man nur noch schreien vor soviel Ungerechtigkeit des Schicksals, des fehlenden menschlichen Einfühlungsvermögens. Puccini hat hier dramaturgisch wahrlich meisterhaft gearbeitet.

 

Inhalt:

Der leichtlebige amerikanische Marineoffizier Pinkerton heiratet in Nagasaki die 15jährige Cio-Cio San, genannt Butterfly. Die Warnungen des amerikanischen Konsuls Sharpless schlägt er in den Wind. Die Heiratszeremonie wird durch den Onkel Cio-Cio Sans gestört, welcher das junge Mädchen verflucht, weil sie heimlich zum Christentum konvertierte.
Der Akt schliesst mit einem der längsten und schönsten Liebesduette der Opernliteratur.
Drei Jahre später:
Butterfly hat einen Sohn von Pinkerton. Der selbst hat sich aber nie mehr in Japan blicken lassen, doch Butterfly gibt die Hoffnung nicht auf, dass er sie nach Amerika holen wird. Suzuki zweifelt. Sharpless will Butterfly darauf vorbereiten, dass Pinkeron zwar auf dem Weg nach Japan sei, doch nicht ihretwegen. Ihren Verehrer Yamadori weist Butterfly standhaft ab.
Ein Kanonenschuss verkündet die Ankunft des amerikanischen Kriegsschiffes.
Butterfly hat die ganze Nacht lang vergeblich auf Pinkerton gewartet. Sie zieht sich zurück. Pinkerton erscheint im Garten mit seiner neuen Frau Kate um seinen Sohn nach Amerika zu holen. Butterfly ersticht sich mit dem Dolch, mit dem auch ihr Vater einst Selbstmord begangen hatte.

Werk:

Das Fiasko der Uraufführung von MADAMA BUTTERFLY lag vermutlich in den Rivalitäten der beiden mächtigen Verlagshäuser Italiens (Ricordi und Sonzogno) begründet. Puccini zog die Oper sofort zurück und präsentierte kurz darauf in Brescia ein neue, diesmal äusserst erfolgreiche Fassung. BUTTERFLY gehört zu den meistgespielten Opern der Welt, in den USA ist sie seit Jahrzehnten die Nummer eins. Sie ist die stilistisch geschlossenste Oper des Meisters. Der melodische Einfallsreichtum, die gewagte, auch an die Grenzen der Tonalität stossende, von Melodien japanischer Herkunft inspirierte Harmonik machen aus MADAMA BUTTERFLY weit mehr als das kitschig sentimentale Drama, als welches es oft herablassend bezeichnet wird.
Die Oper hat auch in der Pop Musik (Un bel dì gibt es in unzähligen Versionen), im Film (z.B. FATAL ATTRACTION mit Glenn Close und Michael Douglas) und im Musical (MISS SAIGON) ihre Spuren hinterlassen.

Musikalische Höhepunkte:

Dovunque al mondo, Pinkerton – Sharpless, man hört die amerikanische Nationalhymne
Ancora un passo, Auftritt von Cio-Cio San und ihren Freundinnen, Akt I
Bimba, Bimba, non piangere, Duett Cio-Cio San – Pinkterton, Akt I
Un bel dì, Arie der Cio-Cio San, Akt II
Tutti i fior? Duett Cio-Cio San – Suzuki, Akt II
Coro a bocca chiusa , Summchor, Zwischenspiel zu Akt III
Addio, fiorito asil, Arioso des Pinkterton, Akt III
Con onor muore, Finale Akt III

Karten

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