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Zürich: MADAMA BUTTERFLY, 10.12.2017

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Madama Butterfly

copyright: T+T Fotografie | Toni Suter, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Tragedia giapponese in drei Akten | Musik: Giacomo Puccini | Libretto: Luigi Illica / Giuseppe Giacosa | Uraufführung: 17. Februar 1904 in Mailand, dreiaktige Neufassung am 28. Mai 1904 in Brescia | Aufführungen in Zürich: 10.12. | 14.12. | 17.12. | 20.12. | 23.12. | 26.12. | 29.12.2017 | 1.1. | 5.1. | 7.1. | 10.1.2017

Kritik:

Etwas Minimalistisches, beinahe Unterkühltes zeichnet den Raum aus, welchen Michael Levine für diese Neuproduktion von Puccinis MADAMA BUTTERFLY entworfen hatte. Auf maximale Emotionen braucht man an diesem Abend dennoch nicht zu verzichten, dank der ausgezeichnet aufspielenden Philharmonia Zürich unter der mitreissenden Leitung von Daniele Rustioni. Die Musikerinnen und Musiker der Philharmonia Zürich und Daniele Rustioni machen deutlich, dass die oft als rührseliger Kitsch verschriene Partitur der BUTTERFLY eben gerade dies nicht ist, sondern eine von Puccini haarscharf ausgeklügelt kalkulierte Komposition, mit welcher er meisterhaft die emotionalen Rezeptorzellen der Hörer zu treffen vermag. Puccini hatte ja stets die Partituren anderer Komponisten genau studiert, hatte Einflüsse quasi aufgesogen und sie dann zu seinem einmaligen Puccini-Sound verarbeitet. Nur schon der Beginn, dieses unruhig anklopfende Fugato, kopiert quasi eins zu eins eine Phrase aus der Ouvertüre zu Smetanas DIE VERKAUFTE BRAUT – das ist bestimmt kein Zufall, sondern genau so bewusst zitiert wie er Kurwenals „Sahst du noch nichts, kein Schiff noch auf der See“ aus Wagners TRISTAN UND ISOLDE an den Beginn des zweiten Aktes stellt, wo Cio-Cio-San seit drei Jahren auf die Rückkehr von Pinkertons Kriegsschiff wartet. Daneben hört man impressionistische Klangfarben und Stimmungen (auch Debussys Partituren hatte Puccini genau untersucht), original japanische Lieder, die amerikanische Nationalhymne u.v.a.m – dies alles wird von der Philharmonia Zürich und Maestro Rustioni in einem rauschhaften Sog hörbar gemacht, die wunderbar herausgearbeiteten Finessen der Instrumentation, die stimmungsvollen Crescendi und Decrescendi erzeugen einen musikalischen Fluss, von dem man sich gerne mitreissen lässt – Filmmusik (30 Jahre vor der Erfindung und dem Siegeszug des Tonfilms!) vom Allerfeinsten.

Der Regisseur nun, Ted Huffman, nimmt vieles von Puccinis musikalischer Konzeption auf. So lässt er zu Beginn, zu diesem ruhelosen Fugato, Möbelpacker den immens grossen (zu grossen?), weissen und leeren Raum im milchigen Licht des Gazevorhangs mit Pinkertons Importmöbeln füllen – selbst den Labrador (lebende Tiere auf der Opernbühne erzeugen immer Sympathie und Applaus) und ein Gemälde des Yosemite Parks bringt er mit. Ein unsäglicher Eingriff des Imperialisten Pinkerton in die Kultur Japans, genauso wie die traditionelle musikalische Fuge für die abendländische Kultur steht. Stimmungsvoll gestaltet ist das Licht durch Franck Evin: Schattenwürfe auf die kahlen weissen Wände (z.B. die übergrosse Kate Pinkerton im Schlussbild) oder die Morgendämmerung zum Intermezzo im zweiten Akt sorgen für eine atmosphärische Dichte und entlasten auch das Auge, welches durch das ständige Starren auf grell-weisse Wände ab und an etwas ermüdet, zumal die Figuren im riesigen Raum so klein und fast verloren wirken. Auch mit der Charakterzeichnung der Protagonisten kann Huffman überzeugen. Saimir Pirgu stellt den leichtsinnigen, unbeschwerten Pinkerton überaus rollendeckend dar – wirkte gar nicht mal so unsympathisch, einfach nur erschreckend unbedarft und übergriffig. Stimmlich begeistert er mit seinem herrlich timbrierten, leicht und sauber ansprechenden Tenor, mit imponierender Lässigkeit geht er das Dovunque al mondo im ersten Akt an, mit zu später Reue singt er das Addio fiorito asil im zweiten Akt sehr ergreifend. Am differenziertesten gestaltet an diesem Abend der Bariton Brian Mulligan: Ihm gelingt ein exzellentes, eindringliches Porträt des (hier alkoholabhängigen) Konsuls, der das chauvinistische Geschwafel Pinkertons nur mit viel Whisky erträgt und dessen Warnungen der leichtsinnige Pinkerton einfach mal so in den Wind schlägt. Judith Schmid stellt die Cio-Cio-San ergebene, aber in ihrer östlichen Tradition verhaftete Dienerin Suzuki mit einnehmender Zurückhaltung dar, singt ein dunkel leuchtendes Gebet, gestaltet ein balsamisches Blütenduett Tutti i Fior zusammen mit Cio-Cio-San, erzeugt Gänsehaut mit Alla piccina s'è spento il sol, wenn Pinkerton ihr offenbart, dass die fremde Dame im Zimmer (Kate) seine neue amerikanische Frau sei (von der er bereits zum Zeitpunkt der Hochzeit mit Cio-Cio-San im ersten Akt schwadroniert hat). Ganz grandios dann auch das anschliessende Terzett Pinkerton-Suzuki-Sharpless. Ausgezeichnet besetzt sind die kleineren Rollen. Sir John Barbirolli (der zusammen mit Renata Scotto, Carlo Bergonzi und Rolando Panerai quasi DIE Referenzaufnahme von MADAMA BUTTERFLY eingespielt hatte) sagte einmal: „Die entschieden schwierigsten Partien in MADAMA BUTTERFLY sind diejenigen, welche niemand überhaupt wahrnimmt.“ Nun, anlässlich dieser Premiere im Opernhaus Zürich nahm man sie wahr: Martin Zysset ist ein herausragender Heiratsvermittler Goro, mal einer der nicht chargiert und schleimig wirkt, Klasse! Huw Montague Rendall überzeugt mit seiner ebenmässigen Stimmführung als Fürst Yamadori (auch sein Erscheinen wird - ohne den üblichen Pomp - vom Regisseur klug gestaltet, was dem Fürsten eine ganz neue Dimension verleiht). Er singt ebenso stimmschön den Standesbeamten. Auch der kraftvolle und entscheidende Auftritt des Onkel Bonze (Ildo Song) ist wohltuend dezent gehalten, wie vieles an diesem Abend, einem Abend, der die Emotionen weitgehend der Musik überlässt und diese nicht szenisch nochmals verdoppelt.

Und dann ist da natürlich noch die Titelfigur, Cio-Cio-San, die Butterfly, das Hausdebüt von Svetlana Aksenova: Ihre Cio-CioSan in Basel vor acht Jahren wurde damals stürmisch gefeiert, auch ich fand kaum Superlative um ihre Leistung zu beschreiben. Diese Wirkung blieb an der gestrigen Premiere aus. Sicher, sie hat die Stamina um diese überaus umfangreiche und anspruchsvolle Rolle durchzuhalten, verfügt über unglaubliche stimmliche Reserven, fügt sich fantastisch in das bewegungsreduzierte Konzept des Regisseurs ein. Doch das mädchenhafte Leuchten (gemäss Libretto ist Cio-Cio-San 15 Jahre alt) für den ersten Akt fehlt über weite Strecken, die Stimme schwebt nicht mit der geforderten Leichtigkeit über den übermässigen Terzen der Freundinnen (die leider auch etwas schleppten). Der Chor machte diesen leicht verwackelten Auftritt aber mit einem exzellent intonierten Summchor mehr als wett. Im langen Duetto d'amore am Ende des ersten Aktes warten Svetlana Aksenova und Saimir Pirgu als Pinkerton zwar mit beeindruckendem Volumen auf, zerstören aber so die impressionistische Verträumtheit dieser Liebesnacht. Ausgezeichnet gelingt Frau Aksenova dann der zweite Akt, das lange Warten, die unsterbliche Hoffnung, welche sie in der Arie Un bel dì vedremo auszudrücken vermag. Ihr westlich in der Cul-de-Paris Mode aus japanischen Stoffen geschneidertes Kleid ist atemberaubend (Kostüme: Annemarie Woods). Hochklassig auch das Zwiegespräch mit Sharpless, die herablassende Behandlung Yamadoris und natürlich das dramatische, hoch differenziert gestaltete Ende, ein Ende, welches gestisch vom Regisseur nochmals überarbeitet werden müsste, da der Eindruck entstand, diese umgekehrte Medea würde von Pinkerton erdrosselt. Doch ein Gespräch mit dem Regisseur anlässlich der Premierenfeier brachte zum Glück Klarheit: Sie hat doch selbst mit dem Dolch ihres Vaters Hand an sich gelegt. Zuvor hat sie zwar den Dolch gegen das gemeinsame Kind erhoben, auf Pinkertons „Butterfly, Butterfly, Butterfly“ Rufe jedoch inne gehalten, sich dem eintretenden Pinkerton zugewandt, auch diesem mit dem Dolch gedroht, innerhalb der folgenden Umarmung dann aber doch Harakiri begangen. Eine Emanzipation der Frau, die sich gegen sich selbst richtet und eben nicht wie Medea auf rasende Rächerin des chauvinistischen Unrechts macht.

Der Jubel des Premierenpublikums war lang anhaltend und einhellig, die Konzentration der Zuschauerinnen und Zuschauer überaus beeindruckend, was für alle beteiligten Ausführenden spricht.

Inhalt:

Der leichtlebige amerikanische Marineoffizier Pinkerton heiratet in Nagasaki die 15jährige Cio-Cio San, genannt Butterfly. Die Warnungen des amerikanischen Konsuls Sharpless schlägt er in den Wind. Die Heiratszeremonie wird durch den Onkel Cio-Cio Sans gestört, welcher das junge Mädchen verflucht, weil sie heimlich zum Christentum konvertierte.
Der Akt schliesst mit einem der längsten und schönsten Liebesduette der Opernliteratur.
Drei Jahre später:
Butterfly hat einen Sohn von Pinkerton. Der selbst hat sich aber nie mehr in Japan blicken lassen, doch Butterfly gibt die Hoffnung nicht auf, dass er sie nach Amerika holen wird. Suzuki zweifelt. Sharpless will Butterfly darauf vorbereiten, dass Pinkeron zwar auf dem Weg nach Japan sei, doch nicht ihretwegen. Ihren Verehrer Yamadori weist Butterfly standhaft ab.
Ein Kanonenschuss verkündet die Ankunft des amerikanischen Kriegsschiffes.
Butterfly hat die ganze Nacht lang vergeblich auf Pinkerton gewartet. Sie zieht sich zurück. Pinkerton erscheint im Garten mit seiner neuen Frau Kate um seinen Sohn nach Amerika zu holen. Butterfly ersticht sich mit dem Dolch, mit dem auch ihr Vater einst Selbstmord begangen hatte.

Werk:

Das Fiasko der Uraufführung von MADAMA BUTTERFLY lag vermutlich in den Rivalitäten der beiden mächtigen Verlagshäuser Italiens (Ricordi und Sonzogno) begründet. Puccini zog die Oper sofort zurück und präsentierte kurz darauf in Brescia ein neue, diesmal äusserst erfolgreiche Fassung. BUTTERFLY gehört zu den meistgespielten Opern der Welt, in den USA ist sie seit Jahrzehnten die Nummer eins. Sie ist die stilistisch geschlossenste Oper des Meisters. Der melodische Einfallsreichtum, die gewagte, auch an die Grenzen der Tonalität stossende, von Melodien japanischer Herkunft inspirierte Harmonik machen aus MADAMA BUTTERFLY weit mehr als das kitschig sentimentale Drama, als welches es oft herablassend bezeichnet wird.
Die Oper hat auch in der Pop Musik (Un bel dì gibt es in unzähligen Versionen), im Film (z.B. FATAL ATTRACTION mit Glenn Close und Michael Douglas) und im Musical (MISS SAIGON) ihre Spuren hinterlassen.

Musikalische Höhepunkte:

Dovunque al mondo, Pinkerton – Sharpless, man hört die amerikanische Nationalhymne
Ancora un passo, Auftritt von Cio-Cio San und ihren Freundinnen, Akt I
Bimba, Bimba, non piangere, Duett Cio-Cio San – Pinkterton, Akt I
Un bel dì, Arie der Cio-Cio San, Akt II
Tutti i fior? Duett Cio-Cio San – Suzuki, Akt II
Coro a bocca chiusa , Summchor, Zwischenspiel zu Akt III
Addio, fiorito asil, Arioso des Pinkterton, Akt III
Con onor muore, Finale Akt III

Karten

 

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