St.Gallen: MADAMA BUTTERFLY, 13.05.2010
Oper in drei Akten (je nach gespielter Fassung auch in zwei Akten)
Musik: Giacomo Puccini
Libretto: Luigi Illica / Giuseppe Giacosa
Uraufführung: 17. Februar 1904 in Mailand, dreiaktige Neufassung am 28. Mai 1904 in Brescia, revidiert für Paris 1905
Aufführungen in St.Gallen: 13.05. | 16.05. | 22.05. | 25.05. | 28.05. | 30.05. | 08.06.2010
Kritik:
Eine standing ovation des zu Recht begeisterten Publikums beschloss diese Premiere von Puccinis MADAMA BUTTERFLY, welche St.Gallen als drittes Schweizer Haus (nach Basel und Zürich) in der laufenden Spielzeit herausbrachte. Obwohl auch in St.Gallen die geglättete und heute leider übliche Pariser Fassung gespielt wurde, verzichtete Regisseur Aron Stiehl nicht auf die dem Werk immanenten gesellschaftskritischen Elemente. Pinkerton war der Kaugummi kauende, smarte All American Boy (mit Derek Taylor verfügt das Theater St.Gallen wohl über einen der bestaussehenden Tenöre ... ) und seine spätere Gemahlin Kate war die eiskalte, besitzergreifende, unbeholfene und mit der Situation völlig überforderte Blondine (Michaela Frei spielte das überzeugend). Besonders augenfällig wurde die aussergewöhnlich prägnante Charakterisierungskunst des Regisseurs in der Figur der Suzuki: Zu Beginn war sie die westlich gekleidete Göre (mit Minirock und Leggins), der auch Pinkerton hinterherhechelte, legte dann jedoch auf Geheiss Goros die traditionelle japanische Kleidung an und wurde im zweiten und dritten Akt zur mitfühlenden Leidensgenossin Cio-Cio-Sans. Katja Starke sang und spielte die in dieser Inszenierung so wichtige Rolle mit ausdrucksstarkem, bezwingenden Mezzosopran, und ebensolcher Mimik. Ihr ungläubiges Tornerà ?... und das erschrockene Aufblicken, als Butterfly wie ein Fels in der Brandung zu Un bel dí vedremo ansetzte, sprachen Bände. Angela Fout war diese Butterfly: Zu Beginn unterstrich sie das etwas naive, leicht füllige Mädchen, welches die Auftrittsszene noch etwas zitternd und flackernd bewältigte, doch bereits im grossen Liebesduett nach zögerlicher Annäherung zu innigeren, verliebten Tönen fand. Im zweiten und dritten Akt wuchs sie zur eindrucksvollen Tragödin im besten Sinne, rührte mit ihrem unerschrockenen Glauben an die Liebe und intensiver innerer Kraft die Zuschauer, legte die ergreifende Tragik der Figur in eine dynamisch aufs Feinste abgestufte Linienführung ihres auch zu herrlich aufblühender Strahlkraft fähigen Soprans und bewahrte mit aufrüttelnder Darstellung bis zum tragischen Harakiri Würde. Eine überaus reife Leistung! Der bereits erwähnte Derek Taylor sah nicht nur blendend aus, er gestaltete auch den von seiner amerikanischen (Un-)Klultur geprägten überheblichen Amerikaner sehr glaubwürdig. Obwohl er nicht von Natur aus über eine grosse Tenorstimme verfügt, setzte er diese mit sauberer, ausgeglichen runder Tongebung ein und versuchte sie nicht durch ungebotenes Forcieren aufzublähen. Dies führte auch dank den zügigen Tempi und der ausgefeilten Dynamik, welche Dirigent David Stern und das Sinfonieorchester St.Gallen aus dem Graben beisteuerten, zu einem ungemein transparenten, farbenreichen Klang, jenseits allen Kitsches und aller Schwülstigkeit. So muss Puccini klingen! David Maze gestaltete einen durch und durch menschlichen Sharpless. Er sah ein bisschen aus wie der ehemalige US Präsident Gerald Ford – und wirkte auch so: Bemüht das Richtige zu tun, jedoch erfolglos. Dies trifft jedoch nicht auf den Gesang von David Maze zu: Sein Bariton strömte wunderbar warm und gefühlvoll! In der Rolle des geldgierigen, bereits von westlicher Profitgier infizierten Heiratsvermittlers Goro stach Riccardo Botta hervor, Doris Haudenschild, Wendi Li und Eva-Marie Misinski prägten die Porträts der Tante, der Cousine und der Mutter. Carlos Petruzziello zeigte den abstossenden Charakter des Fürsten Yamadori. Philipp Allenspach (Cio-Cio-Sans und Pinkertons Kind) spielte die Rolle mit umwerfender Natürlichkeit, inklusive Gähnen und Langeweile während der Ariosi seiner Mutter und Konzentration beim aufgezwungenem Spiel mit der Xbox während des Suizids Cio-Cio-Sans. Sie vollzieht ihn, nachdem sie sich das Kruzifix vom Hals gerissen und sich wieder dem Shintoismus zugewendet hat, vor den Augen des eintretenden Pinkerton – eine starke Frau bis zum Schluss, erschütternd dagegen die männliche (Pinkertons) Hilflosigkeit; auch dies jedoch sind Zeugnisse der intensiven Personenführung des Regisseurs. Einzig der wichtige Auftritt des Onkel Bonze (Paulo S. Medeiros) blieb - trotz seines effekthascherischen Herniedersausens vom Bühnenhimmel und des Durchbrechens des Papierdaches – seltsam blass. Überzeugend hingegen die Idee des Regisseurs, dass die „falsche“ Hochzeitsgesellschaft nach diesem Auftritt die traditionellen Kostüme sofort ablegt und sich feige in ihren Alltagskostümen von dannen macht.
Jürgen Kiener (Bühne), Dietlind Konold (Kostüme) und Guido Petzold (verantwortlich für die raffinierte Lichtgestaltung) gelang es vortrefflich, das Aufeinanderprallen der Kulturen sichtbar zu machen. Bereits auf dem Zwischenvorhang sind die Lichter der modernen Grossstadt zu sehen, japanische und westliche Lichtreklamen prägen das Strassenbild, die eigene Identität ist verloren gegangen. Nach der Abreise Pinkertons ist der schmucke japanische Garten, welchen sich Pinkerton aus dem Katalog gekauft hat, verschwunden. Cio-Cio-San lebt in einem zugigen Verschlag, die dünnen Wände zieren Lady Liberty Plakate (Symbol für Freedom and Hope), ein abgewetztes Sofa mit schmuddeliger Stars-and-Stripes Flagge bildet die Inneneinrichtung, die Armut ist offensichtlich. (Welch ein Gegensatz zur lackierten Zürcher Design-Inneneinrichtung ...). Immer wieder jedoch wird der Himmel in unterschiedlichen, visionären Farben sichtbar, keimt Hoffnung auf. Doch schon bald wieder wird er von der tristen Grosstadtkulisse verdrängt. So auch während des wunderbar intonierten Summchors: Cio-Cio-San wähnt sich nochmals in den Armen Pinkertons, die kostümierte Hochzeitsgesellschaft umgibt das Paar. Doch zum Einsetzen des vortrefflich gespielten Intermezzos verschwindet der Traum, Cio-Cio-San wird konfrontiert mit der brutalen Erkenntnis, dass Pinkerton nicht zurückkehren wird. Einer der vielen Momente dieser Produktion, welcher Gänsehaut, Erschauern und echte Rührung hervorzurufen vermag.
Fazit:
Stimmig, intelligent und ergreifend. Eine szenisch und musikalisch wunderbare Produktion!
Werk:
Das Fiasko der Uraufführung von MADAMA BUTTERFLY lag vermutlich in den Rivalitäten der beiden mächtigen Verlagshäuser Italiens (Ricordi und Sonzogno) begründet. Puccini zog die Oper sofort zurück und präsentierte kurz darauf in Brescia ein neue, diesmal äusserst erfolgreiche Fassung. BUTTERFLY gehört zu den meistgespielten Opern der Welt, in den USA ist sie seit Jahrzehnten die Nummer eins. Sie ist die stilistisch geschlossenste Oper des Meisters. Der melodische Einfallsreichtum, die gewagte, auch an die Grenzen der Tonalität stossende, von Melodien japanischer Herkunft inspirierte Harmonik machen aus MADAMA BUTTERFLY weit mehr als das kitschig sentimentale Drama, als welches es oft herablassend bezeichnet wird.
Die Oper hat auch in der Pop Musik (Un bel dì gibt es in unzähligen Versionen), im Film (z.B. FATAL ATTRACTION mit Glenn Close und Michael Douglas) und im Musical (MISS SAIGON) ihre Spuren hinterlassen.
Inhalt:
Der leichtlebige amerikanische Marineoffizier Pinkerton heiratet in Nagasaki die 15jährige Cio-Cio San, genannt Butterfly. Die Warnungen des amerikanischen Konsuls Sharpless schlägt er in den Wind. Die Heiratszeremonie wird durch den Onkel Cio-Cio Sans gestört, welcher das junge Mädchen verflucht, weil sie heimlich zum Christentum konvertierte.
Der Akt schliesst mit einem der längsten und schösten Liebesduette der Opernliteratur.
Drei Jahre später:
Butterfly hat einen Sohn von Pinkerton. Der selbst hat sich aber nie mehr in Japan blicken lassen, doch Butterfly gibt die Hoffnung nicht auf, dass er sie nach Amerika holen wird. Suzuki zweifelt. Sharpless will Butterfly darauf vorbereiten, dass Pinkeron zwar auf dem Weg nach Japan sei, doch nicht ihretwegen. Ihren Verehrer Yamadori weist Butterfly standhaft ab.
Ein Kanonenschuss verkündet die Ankunft des amerikanischen Kriegsschiffes.
Butterfly hat die ganze Nacht lang vergeblich auf Pinkerton gewartet. Sie zieht sich mit dem Kind zurück. Pinkerton erscheint im Garten mit seiner neuen Frau Kate um seinen Sohn nach Amerika zu holen. Butterfly ersticht sich mit dem Dolch, mit dem auch ihr Vater einst Selbstmord begangen hatte.
Musikalische Höhepunkte:
Dovunque al mondo, Pinkerton - Sharpless, man hört die amerikanische Nationalhymne
Ancora un passo, Auftritt von Cio-Cio-San und ihren Freundinnen, Akt I
Bimba, Bimba, non piangere, Duett Cio-Cio -San Pinkterton, Akt I
Un bel dì, Arie der Cio-Cio-San, Akt II
Tutti i fior, Duett Cio-Cio-San Suzuki, Akt II
Coro a bocca chiusa , Summchor, Zwischenspiel zu Akt III
Addio, fiorito asil, Arioso des Pinkterton, Akt III
Con onor muore, Cio-Cio-San, Akt III