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Zürich: LA TRAVIATA, 18.04.&20.05.2015

Erstellt von Kaspar Sannemann | | La Traviata

copyright: T+T Fotografie, Tanja Dorendorf, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Francesco Maria Piave, nach Alexandre Dumas LA DAME AUX CAMÉLIAS | Uraufführung: 6. März 1853 In Venedig | Aufführungen in Zürich: 18.4. | 21.4. | 24.4. | 28.4. | 1.5. | 3.5. | 6.5. | 8.5. | 14.5. | 17.5. | 20.5. | 23.5.2015

Kritik:

Die Kurzkritik zur Vorstellung vom 20.5.:

Das Positive mal vorneweg: Die beiden neuen Protagonisten - Aurelia Florian (Violetta) und Matthew Polenzani (Alfredo) - fürchteten sich nicht vor den Spitzentönen und beendeten ihre grossen Arien (Sempre libera, bzw. O mio rimorso) mit sicherer und effektvoller Höhe. Gut so. Ansonsten sehr gepflegtes, wenn auch weitgehend blutleeres und leidenschaftsloses Singen, das Mezzavoce und das Smorzando wurden bis zur Ermüdung schon beinahe manieristisch eingesetzt, die Piani waren zwar wunderschön rein intoniert und tragfähig, viele Stellen jedoch wurden nur zögerlich angegangen, das È strano kam beinahe zum Stillstand. Das reicht nicht, um die Zuhörer zu packen und in die Geschichte hineinzuziehen. Marco Armiliato am Pult machte dies alles erstaunlicherweise mit, die Balance war nie gefährdet. Die Emotionen kochten also auf Sparflamme, von Italianità war wenig zu spüren, das Ganze näherte sich einem unterkühlten Drama des Existentialismus an - und war damit im Einklang mit der Regie. 

„L' Enfer c'est les autres“ - frei nach Sartre sind es in Verdis LA TRAVIATA auch „die Andern“, welche die Liebe zwischen Violetta und Alfredo scheitern lassen: Die Kälte, die Häme, die Missgunst der schicken, vergnügungssüchtigen Demimonde. Regisseur David Hermann und der Ausstatter Christof Hetzer (Bühne und Kostüme) haben versucht, den Stoff in eine nicht näher definierte Gegenwart zu holen, raus aus den Pariser Salons des Second Empire von 1850 und rein in die Lounges der mondän gekleideten High Society der Gegenwart. Das ist durchaus statthaft, denn schon für Verdis Zeit war der Stoff ja ein zeitgemässer. Der Gewinn dieses Vorgehens hielt sich an diesem Abend jedoch in Grenzen, denn die Verlegung bewirkte beim Zuschauer nicht eine verstärkte Anteilnahme oder Empathie. Im Gegenteil: Die lackierte Oberfläche der Schickeria wurde kaum je verlassen, das traurige Schicksal der Ausgestossenen rührte nicht. Dazu kratzte der Regisseur mit zu wenig Konsequenz oder Drastik an der Lackschicht. So blieb es bei einer gefälligen, (Gegenwarts-)stromlinienförmigen Auseinandersetzung mit dem Stoff, die niemandem weh tat, nicht provozierte (im positiven Sinn) und letztendlich kalt liess – und das ist ein Todesurteil für dieses Melodram. Das gilt selbst für den dritten Akt, den Hermann quasi als Kopfgeburt Violettas in einem Armenasyl oder Sterbehospiz spielen lässt: Alfredo und Germont sind von Beginn weg in Nachbarbetten auf der Szene anwesend, erheben sich wie Zombies aus diesen bei ihren Auftritten – doch auch hier gelingt es Hermann nicht, diesen an und für sich interessanten Ansatz mit der notwendigen Konsequenz durchzuführen. Viele gute und spannende Ideen zu einer eigenen Regiehandschrift waren zwar durchaus vorhanden (Aufwertung der Rolle des Baron Douphol durch seinen Auftritt im Schlussakt, Stierkampfszene im zweiten Bild des zweiten Aktes als Konfrontation Violettas und Alfredos), andere wirkten noch unausgegoren und schwer verständlich (Spielerszene im zweiten Bild des zweiten Aktes). Ausgezeichnet gelang hingegen die Charakterisierung der schwierigen Beziehung zwischen Alfredo und seinem Vater Giorgio Germont: Hier fand der Regisseur zu wirklich bewegenden Momenten der szenischen Gestaltung – und es standen ihm dazu auch zwei Interpreten  mit den notwendigen schauspielerischen Qualitäten zur Verfügung: Pavol Breslik als Alfredo und Quinn Kelsey als Giorgio Germont. Breslik war im ersten Akt noch ganz der schlaksige, unerfahrene Jüngling, welcher sich etwas unbeholfen in diese Highsociety wagt, gestaltete seine Gesangslinien mit lyrischer Schönheit ganz aus dem Text heraus, beglückte mit seinen sauberen Piani. Selbstbewusster trat er im zweiten Akt barfuss in Jeans und T-Shirt auf, fläzte sich während seiner Arie aufs Sofa und verzichtete in der Stretta auf Stimmprotzerei (will sagen auf das C). Ich weiss, dass dieses nicht notiert ist – trotzdem fehlt der Arie dadurch der krönende Abschluss. Hier, wie auch im nächsten Bild, hatte Breslik ganz starke Momente: Immer wieder verstand er es, seiner Stimme ausdrucksstarke Farben zu verleihen (io tremo, perchè son io commosso ...), hier ist ein Sänger zu hören, der wirklich auch weiss, was er singt! Quinn Kelsey gab einen grundsoliden und schon fast zu sympathischen Giorgio Germont, sang ihn mit kerniger, hervorragend ansprechender Baritonstimme. Man kann sich auf seine Wiederkehr als Rigoletto in der nächsten Spielzeit freuen.

Die Hölle war für die Direktion des Opernhauses bestimmt auch die Absage des „rising star“ der Opernszene zwei Tage vor der Premiere, Anita Hartig, welche ihr Rollendebüt als Violetta hätte geben sollen. Flugs zauberte man jedoch einen zweiten „rising star“ aus dem Hut, Sonya Yoncheva, welche sämtliche Vorstellungen von LUCIA DI LAMMERMOOR in Zürich abgesagt hatte, da sich ihre Stimme ins schwerere Fach entwickle ... . Wie dem auch sei: Frau Yoncheva ist für das mutige kurzfristige Einspringen zu danken und zu gratulieren. Wenn man auch den euphorischen Kritiken von ihren Auftritten an der Met (Opera's Brightest New Star, A Sensation) nicht vorbehaltlos zustimmen kann, so vermochte sie sich doch angesichts der Umstände in die Herzen des Zürcher Publikums zu singen. In der kurzen zur Verfügung stehenden Probenzeit hat sie sich schnell in die Inszenierung eingefügt, macht in Highheels und Ballerina Hausschuhen gute Figur. Ihre Stimme ist schon ziemlich reif klingend, manchmal auch etwas unterkühlt. Im ersten Akt verfügt sie über die präzisen, messerscharf geschliffenen Koloraturen, die in der Höhe jedoch ab und an leicht bellend klingen. (Auch sie verzichtete in Sempra libera auf das effektvolle, alternative hohe Es.) Wunderschön gelang das Duett mit Giorgio Germont und die berührenden Pianophrasen in Dite alla giovine, tief empfunden und durch Mark und Bein gehend das Amami, Alfredo. Im Schlussakt tritt sie altjüngferlich gekleidet auf, die Haare kurz geschnitten. Sehr berührend und mit warmer Stimmgebung gestaltete sie das Addio del passato, untermalt von esoterischen Lichteffekten (Hoffnungsschimmer) auf der schwarzen Rückwand der Bühne. Wohl der stärkste Moment des Abends passiert, wenn sie ihren Rosenkranz am Ende der Arie einer sterbenden oder toten Leidensgenossin überlässt. Solch bewegende Momente hätte man sich noch vermehrt gewünscht. Doch diesen stand auch das oftmals etwas polternd daherkommende Dirigat von Marco Armiliato im Wege, welcher die ätherischen Passagen von Verdis sentimentaler Oper zu stark ins Diesseits holte.

Die Besetzungsliste weist viele kleinere Rollen auf, die je nach Regisseur mehr oder weniger gewichtig ausfallen. In dieser Zürcher Neuproduktion liessen vor allem Ivana Rusko als Annina, Olivia Vote als Flora und Cheyne Davidson als Douphol aufhorchen.

Der Applaus des Premierenpublikums war kurz und freundlich, nicht gerade euphorisch - und deutlich zurückhaltender beim Erscheinen des Inszenierungsteams.

Fazit: Zu wenig Tiefgang, zu wenig Emotionalität, zu viel Kälte. Schöne gesangliche Einzelleistungen.

Im Mai werden Ailyn Perez und Matthew Polenzani die Partien von Violetta und Alfredo übernehmen – ich werde an dieser Stelle darüber berichten.

Werk:

LA TRAVIATA bildet zusammen mit IL TROVATORE und RIGOLETTO die so genannte Erfolgstrias aus Verdis mittlerer Schaffensperiode. Die drei Opern gehören nicht nur zu den populärsten und meistgespielten Werken Verdis, sondern des gesamten Repertoires. Die TRAVIATA vermochte sich zuerst nicht durchzusetzen. Erst nach einigen kleinen Änderungen (und einer Umbesetzung der korpulenten Sopranistin der Uraufführung) setzte das Werk seinen langsamen Siegeszug an. Indem Verdi und sein Librettist eine ausserhalb der anständigen Gesellschaft stehende Frau (wörtlich bedeutet LA TRAVIATA „Die vom rechten Weg abgekommene“) ins Zentrum einer Oper stellten, betraten sie inhaltlich Neuland, ja die TRAVIATA gilt sogar als Vorläuferin der veristischen Opern des späten 19. Jahrhunderts. Musikalisch ist die gefühlvolle Komposition ganz als Seelendrama der Protagonistin angelegt, die Sympathien Verdis für diese Ausgestossene werden deutlich hörbar. Nur schon das an trauriger Empfindsamkeit kaum zu übertreffende Vorspiel zum dritten Akt lässt keine Zuhörerin, keinen Zuhörer unberührt.

Inhalt:

In ihrem Salon begegnet die Kurtisane Violetta dem jungen, unerfahrenen Alfredo Germont. Diese Begegnung stürzt die kränkelnde Frau in einen Zwiespalt der Gefühle. Einerseits fühlt sie sich zu dem jungen, rücksichtsvollen Mann hingezogen, andererseits will sie ihr genussreiches Leben nicht einfach so aufgeben. Doch die beiden ziehen zusammen. Das wenige Geld ist jedoch bald aufgebraucht, Violetta veräussert ihren Schmuck. Alfredo findet das heraus, ist beschämt und versucht seinerseits Geld zu beschaffen. Während seiner Abwesenheit trifft Alfredos Vater ein und verlangt von Violetta um der Familienehre willen, die Beziehung zu seinem Sohn zu beenden. Schweren Herzens stimmt Violetta zu, auch im Wissen um ihre Krankheit (Tuberkulose). In einem Brief teilt sie Alfredo mit, dass sie sich entschieden habe, zu ihrem alten Leben zurückzukehren. Alfredo lässt sich von seinem Vater nicht zur Rückkehr in den Schoss seiner Familie überreden. Er reist Violetta nach. Auf einem Ball macht er Violetta schwerste Vorwürfe und bezeichnet sie als Hure. Die Gaäste, unter ihnen auch der Vater Germont, sind entsetzt. Violetta wird immer schwächer und kränker. Der alte Germont enthüllt seinem Sohn die Wahrheit über Violettas Verzicht. Alfredo und die sterbende Violetta können sich ein letztes Mal in die Arme schliessen und sich gegenseitig um Verzeihung bitten. Violetta meint, ihre Lebensgeister wieder erwachen zu spüren - sie ehebt sich und stirbt.

Musikalische Höhepunkte:

Libiamo ne' lieti calici, Trinklied Alfredo, Violetta, Akt I

A fors' è lui .... sempre libera, Violetta, Akt I

De miei bollent spiriti, Alfredo, Akt II

Pura siccome un angelo, Violetta – Germont, Akt II

Amami Alfredo, Violetta, Akt II

Di Provenza il mar, Germont, Akt II

Alfredo, Alfredo, die questo core, Violetta, Finale Akt II

Vorspiel Akt III

Addio del passato, Violetta, Akt III

Karten

 

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