Hamburg: LA TRAVIATA, 13.02.2020
Melodramma in drei Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Francesco Maria Piave, nach Alexandre Dumas LA DAME AUX CAMÉLIAS | Uraufführung: 6. März 1853 In Venedig
Kritik:
Selbstverständlich sollte ein Regisseur die Quellen eines Werks genau studieren, so wie es Johannes Erath für seine Inszenierung von Verdis LA TRAVIATA (Premiere war am 17. Februar 2013) getan hatte, indem er den Roman von Alexandre Dumas La Dame aux Camélias genau studierte und sich dabei auch der Unterschiede zwischen dem Roman und dem Libretto von Francesco Maria Piave für Verdis Oper bewusst wurde. Fraglich ist allerdings, ob man diese Unterschiede in beinahe dialektischer Art auf die Bühne bringen sollte. Während bei Dumas Armand (in der Oper Alfredo) aus der Rückblende die tragische Geschichte erzählt, steht bei Verdi Violetta (im Roman Marguerite) eindeutig im Zentrum. Erath wechselt nun die Perspektive hin und her, so dass man als Zuschauer etwas verwirrt ist, sich gar nicht richtig in die Handlung einfindet – und letzendlich auch nicht berührt ist, und dies bei DEM Rührstück des Musiktheaters überhaupt. Noch bevor das das Ende vorwegnehmende Vorspiel beginnt, setzt der Regisseur einen Akkordeon Spieler auf die Bühne, welcher einige brüchige Melodien der Oper auf seinem Instrument spielt. Wenn dann die Musik einsetzt, stürmt Alfredo ans mit Herbstlaub bedeckte Grab Violettas und exhumiert die Leiche (genau wie in der Romanvorlage kam Alfredo also zu spät). Doch in der Oper kommt er zwar auch spät, aber immerhin lebt da Violetta noch, sie planen sogar gemeinsam eine Zukunft (Parigi o cara), bevor Violetta dann in seinen Armen stirbt. In Eraths Inszenierung kommt man nie so ganz mit, was nun wessen Traum und wessen Erzählung ist. Auf der leeren Bühne sind die Protagonisten ständig auf der Drehscheibe unterwegs – und kommen doch nicht vom Fleck. Auch nicht wirklich neu, der Einfall. Zudem verortet Erath das Geschehen auf einen ausrangierten Rummelplatz mit in die Jahre gekommenen Autoscootern, welche mal bedrohlich vom Bühnenhimmel schweben, mal auf der Bühne herumgestossen werden – ein Autoscooter-Ballett. Niedlich, aber wenig zielführend und eine unnötige emotionale Distanz zum Werksinhalt schaffend. Befremdlich auch, dass die Gesellschaft sich in einem Mix aus Abendkleidern diverser Epochen auf diesem Rummelplatz bewegt (Kostüme: Herbert Murauer, Bühne: Annette Kurz, Licht: Olaf Freese).
Gesungen wurde unter der einfühlsamen Leitung von Giampaolo Bisanti ansprechend. Christina Poulitsi sang eine stimmige Violette, ihr schön timbrierter Sopran vermochte durchaus zu gefallen. Liparit Avetisyan verfügte über einen ebenmässig geführten Tenor, der ohne Forieren die Partie meisterte, insgesamt aber unerklärlicherweise blass blieb. Markus Brück überraschte und begeisterte als einziger der Protagonisten mit seiner feinfühligen, wunderschön ausgehorchten Durchdringung als Giorgio Germont. Mit berückenden Piani gestaltete er die Partie. Er erhielt verdientermassen den grössten Applaus des Abends. Die Nebenrollen erhielten leider kein Profil, wirkten verloren auf dieser leeren Bühne.
Im Programmheft war nachzulesen, dass sich die Vorgängerinszenierung der TRAVIATA (1975 unter der Leitung des kürzlich verstorbenen Nello Santi und mit Maria Chiara, Carlo Bini und Hermann Prey) weit über 30 Jahre im Repertoire gehalten hatte. So lange wird die neue Produktion (obwohl dies bereits die 43 Vorstellung war) wohl kaum durchhalten. Der Applaus im beileibe nicht voll besetzten Haus war dann auch durchaus endenwollend.
Werk:
LA TRAVIATA bildet zusammen mit IL TROVATORE und RIGOLETTO die so genannte Erfolgstrias aus Verdis mittlerer Schaffensperiode. Die drei Opern gehören nicht nur zu den populärsten und meistgespielten Werken Verdis, sondern des gesamten Repertoires. Die TRAVIATA vermochte sich zuerst nicht durchzusetzen. Erst nach einigen kleinen Änderungen (und einer Umbesetzung der korpulenten Sopranistin der Uraufführung) setzte das Werk seinen langsamen Siegeszug an. Indem Verdi und sein Librettist eine ausserhalb der anständigen Gesellschaft stehende Frau (wörtlich bedeutet LA TRAVIATA „Die vom rechten Weg abgekommene“) ins Zentrum einer Oper stellten, betraten sie inhaltlich Neuland, ja die TRAVIATA gilt sogar als Vorläuferin der veristischen Opern des späten 19. Jahrhunderts. Musikalisch ist die gefühlvolle Komposition ganz als Seelendrama der Protagonistin angelegt, die Sympathien Verdis für diese Ausgestossene werden deutlich hörbar. Nur schon das an trauriger Empfindsamkeit kaum zu übertreffende Vorspiel zum dritten Akt lässt keine Zuhörerin, keinen Zuhörer unberührt.
Inhalt:
In ihrem Salon begegnet die Kurtisane Violetta dem jungen, unerfahrenen Alfredo Germont. Diese Begegnung stürzt die kränkelnde Frau in einen Zwiespalt der Gefühle. Einerseits fühlt sie sich zu dem jungen, rücksichtsvollen Mann hingezogen, andererseits will sie ihr genussreiches Leben nicht einfach so aufgeben. Doch die beiden ziehen zusammen. Das wenige Geld ist jedoch bald aufgebraucht, Violetta veräussert ihren Schmuck. Alfredo findet das heraus, ist beschämt und versucht seinerseits Geld zu beschaffen. Während seiner Abwesenheit trifft Alfredos Vater ein und verlangt von Violetta um der Familienehre willen, die Beziehung zu seinem Sohn zu beenden. Schweren Herzens stimmt Violetta zu, auch im Wissen um ihre Krankheit (Tuberkulose). In einem Brief teilt sie Alfredo mit, dass sie sich entschieden habe, zu ihrem alten Leben zurückzukehren. Alfredo lässt sich von seinem Vater nicht zur Rückkehr in den Schoss seiner Familie überreden. Er reist Violetta nach. Auf einem Ball macht er Violetta schwerste Vorwürfe und bezeichnet sie als Hure. Die Gaäste, unter ihnen auch der Vater Germont, sind entsetzt. Violetta wird immer schwächer und kränker. Der alte Germont enthüllt seinem Sohn die Wahrheit über Violettas Verzicht. Alfredo und die sterbende Violetta können sich ein letztes Mal in die Arme schliessen und sich gegenseitig um Verzeihung bitten. Violetta meint, ihre Lebensgeister wieder erwachen zu spüren - sie ehebt sich und stirbt.
Musikalische Höhepunkte:
Libiamo ne' lieti calici, Trinklied Alfredo, Violetta, Akt I
A fors' è lui .... sempre libera, Violetta, Akt I
De miei bollent spiriti, Alfredo, Akt II
Pura siccome un angelo, Violetta – Germont, Akt II
Amami Alfredo, Violetta, Akt II
Di Provenza il mar, Germont, Akt II
Alfredo, Alfredo, die questo core, Violetta, Finale Akt II
Vorspiel Akt III
Addio del passato, Violetta, Akt III