Berlin: LA TRAVIATA, 06.02.2011
Oper in drei Akten |
Musik: Giuseppe Verdi |
Libretto: Francesco Maria Piave, nach Alexandre Dumas LA DAME AUX CAMÉLIAS |
Uraufführung: 6. März 1853 In Venedig
Kritik:
Spätestens seit ihrer Desdemona in Verdis OTELLO gehört die Sopranistin Anja Harteros zu den absoluten Lieblingen des Berliner Opernpublikums. Gestern Abend nun sang sie die Violetta – und wie. Berührender, bewegender, die Tiefen der Gefühle intensiver auslotend kann man sich eine Interpretation von Verdis TRAVIATA weder vorstellen noch wünschen. Die wunderbar sauber und bruchlos geführte Stimme vom Frau Harteros begeisterte in der mit Koloraturen verzierten Arie des ersten Aktes (wobei sie auf das alternativ notierte hohe Es im Sempre libera verzichtete) ebenso wie im lyrisch gefärbten Duett mit Vater Germont, dem erschütternden Finale des zweiten Aktes und dem mit immenser Wehmut in berückendem Piano gesungenen Addio del passato im letzten Akt. Da verstummte selbst die Hundertschaft der an (eingebildeter) chronischer Tuberkulose leidender, permanent hustender Zuschauer im beinahe 2000 Plätze fassenden, restlos ausverkauften Auditorium und lauschte voller Ergriffenheit Violettas Leiden, dem letzten hoffnungsvollen Aufbäumen vor ihrem tragischen Tod. Am Ende erhielt Anja Harteros vom Publikum eine standing ovation, begleitet von einem unbeschreiblichen Jubel aus Tausenden von Kehlen. Das Berliner Publikum mag ja manchmal (vor allem zu Regisseuren) grausam sein – doch wen es einmal in sein Herz geschlossen hat, wird dafür dann auch voller Dankbarkeit gefeiert. Dass der Abend ein solches Fest würde, hätte man beim Betreten des Hauses nicht erwartet, denn die Enttäuschung vieler BesucherInnen war groß, als man auf dem Besetzungszettel lesen musste, dass der angekündigte Starbariton Simon Keenlyside durch das Ensemblemitglied Markus Brück ersetzt werde. Eine Begründung für diese Umbesetzung wurde nicht genannt. Nicht gerade ein Musterbeispiel für eine transparente Informationspolitik seitens der Verantwortlichen. Doch Markus Brück machte das Fehlen des Stars schnell vergessen durch seine ungemein differenzierte Gestaltung des Giorgio Germont, dieses steifen, sturen Patriarchen mit dem weichen Herzen. Von einfühlsamer Subtilität geprägt sein großes Duett mit Violetta, in dem er zwar seinen Willen (die Lösung der Verbindung Violettas zu seinem Sohn Alfredo zur Rettung der Familienehre) durchsetzte, doch immer mehr Achtung für die Haltung der Kurtisane gewann. Wunderschön fein und überhaupt nicht abgedroschen erklang die berühmte Arie Di Provenza il mar – so simpel sie auch gestrickt sein mag, verfehlt sie doch ihre Wirkung nicht, wenn sie von solch einem intelligenten Sänger einfühlsam gestaltend gesungen wird. Der gutaussehende Pavel Černoch war wunderbar passend besetzt als sein Sohn Alfredo: Er spielte diesen jungen, unerfahrenen, leicht entflammbaren Jüngling, welcher aus der Provinz in die Großstadt kommt, staunend und naiv, leicht unbeholfen und mit bezauberndem Charme. Seine Erregung über die Begegnung mit der schönen Lebedame Violetta machte er auch stimmlich hörbar: Leicht flackernd intonierte er das berühmte Trinklied im ersten Akt, etwas larmoyant erklang die große Arie im zweiten und betörend zart dann das Parigi o cara im dritten Akt. Yves Abel dirigierte das hervorragend spielende Orchester der Deutschen Oper Berlin, gestaltete mit bestechender Intensität die berühmten Vorspiele zum ersten und dritten Akt und wählte die Tempi so, dass den SängerInnen genügend Zeit für die saubere Ausgestaltung ihrer Phrasen blieb und doch die großen Bögen nicht verloren gingen. Die Mezzosopranistin Jana Kurucová vermag mit ihrer warmen Stimme nicht nur in Hosenrollen (kürzlich Cherubino, Jebbel) zu begeistern, sie machte auch in schenkelhohen Lackstiefeln gute Figur als Vamp-Flora. Martina Welschenbach war die mit lieblicher Stimme treu umsorgende Annina.
Es war dies die 96. Vorstellung der Inszenierung von Götz Friedrich aus dem Jahre 1999 (von solchen Vorstellungszahlen kann man in Zürich nur träumen, da muss man froh sein, wenn eine erfolgreiche Inszenierung nach sieben Vorstellungen überhaupt je wieder aufgenommen wird). Das Einheitsbühnenbild (Frank Philipp Schlößmann), dieser schwarze Raum mit den fahlen Lichteinfällen durch die Jalousien, welcher parallel zu Violettas Gesundheitszustand immer mehr zerfällt, hat nichts von seiner Stimmigkeit verloren.
Werk:
LA TRAVIATA bildet zusammen mit IL TROVATORE und RIGOLETTO die so genannte Erfolgstrias aus Verdis mittlerer Schaffensperiode. Die drei Opern gehören nicht nur zu den populärsten und meistgespielten Werken Verdis, sondern des gesamten Repertoires. Die TRAVIATA vermochte sich zuerst nicht durchzusetzen. Erst nach einigen kleinen Änderungen (und einer Umbesetzung der korpulenten Sopranistin der Uraufführung) setzte das Werk seinen langsamen Siegeszug an. Indem Verdi und sein Librettist eine ausserhalb der anständigen Gesellschaft stehende Frau (wörtlich bedeutet LA TRAVIATA „Die vom rechten Weg abgekommene“) ins Zentrum einer Oper stellten, betraten sie inhaltlich Neuland, ja die TRAVIATA gilt sogar als Vorläuferin der veristischen Opern des späten 19. Jahrhunderts. Musikalisch ist die gefühlvolle Komposition ganz als Seelendrama der Protagonistin angelegt, die Sympathien Verdis für diese Ausgestossene werden deutlich hörbar. Nur schon das an trauriger Empfindsamkeit kaum zu übertreffende Vorspiel zum dritten Akt lässt keine Zuhörerin, keinen Zuhörer unberührt.
Inhalt:
In ihrem Salon begegnet die Kurtisane Violetta dem jungen, unerfahrenen Alfredo Germont. Diese Begegnung stürzt die kränkelnde Frau in einen Zwiespalt der Gefühle. Einerseits fühlt sie sich zu dem jungen, rücksichtsvollen Mann hingezogen, andererseits will sie ihr genussreiches Leben nicht einfach so aufgeben. Doch die beiden ziehen zusammen. Das wenige Geld ist jedoch bald aufgebraucht, Violetta veräussert ihren Schmuck. Alfredo findet das heraus, ist beschämt und versucht seinerseits Geld zu beschaffen. Während seiner Abwesenheit trifft Alfredos Vater ein und verlangt von Violetta um der Familienehre willen, die Beziehung zu seinem Sohn zu beenden. Schweren Herzens stimmt Violetta zu, auch im Wissen um ihre Krankheit (Tuberkulose). In einem Brief teilt sie Alfredo mit, dass sie sich entschieden habe, zu ihrem alten Leben zurückzukehren. Alfredo lässt sich von seinem Vater nicht zur Rückkehr in den Schoss seiner Familie überreden. Er reist Violetta nach. Auf einem Ball macht er Violetta schwerste Vorwürfe und bezeichnet sie als Hure. Die Gaäste, unter ihnen auch der Vater Germont, sind entsetzt. Violetta wird immer schwächer und kränker. Der alte Germont enthüllt seinem Sohn die Wahrheit über Violettas Verzicht. Alfredo und die sterbende Violetta können sich ein letztes Mal in die Arme schliessen und sich gegenseitig um Verzeihung bitten. Violetta meint, ihre Lebensgeister wieder erwachen zu spüren - sie ehebt sich und stirbt.
Musikalische Höhepunkte:
Libiamo ne' lieti calici, Trinklied Alfredo, Violetta, Akt I
A fors' è lui .... sempre libera, Violetta, Akt I
De miei bollent spiriti, Alfredo, Akt II
Pura siccome un angelo, Violetta – Germont, Akt II
Amami Alfredo, Violetta, Akt II
Di Provenza il mar, Germont, Akt II
Alfredo, Alfredo, die questo core, Violetta, Finale Akt II
Vorspiel Akt III
Addio del passato, Violetta, Akt III