Zürich: LA TRAVIATA, 05.10.2011
Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Francesco Maria Piave, nach Alexandre Dumas LA DAME AUX CAMÉLIAS | Uraufführung: 6. März 1853 In Venedig | Aufführungen in Zürich (Wiederaufnahme). 05.10. | 13.11.2011
Kritik:
Jürgen Flimms Inszenierung aus dem Jahre 1997 mag durch ihre Geradlinigkeit zwar zu gefallen, wirkt aber auch ein bisschen emotionslos und unterkühlt. Dieser Nachteil könnte durch exzellente Sängerdarsteller wettgemacht werden, doch geriet dies an diesem Abend nur der überragenden Eva Mei in der Titelrolle der Violetta. Frau Mei war bereits die Violetta der Premiere vor 14 Jahren. Seither stand sie bei Wiederaufnahmen zum Glück praktisch stets zur Verfügung. Mit der Violetta hat die sympathische Sängerin eine Rolle gefunden, welche hervorragend zu ihren stimmlichen Vorzügen und ihrer Darstellungskunst passt. Im ersten Akt ist sie die bildschöne Kurtisane, welche leichte Anflüge von Melancholie und Krankheit gekonnt negiert und ihre Lebenslust kokett ausspielt. Bestechend sauber ihre ausgefeilten Koloraturen im „Sempre libera“ des ersten Aktes und Gänsehaut erregend, wunderbar fein und mit berührender Intensität gestaltet das „Dite alla giovine“ im zweiten Akt. Mit fahler Stimme und leerem Blick setzt sie da zu ihrem Verzicht auf ihre Liebe an - das ist ganz grosse Kunst und da braucht sie keinen Vergleich mit den grossen Interpretinnen der Violetta zu scheuen, ja sie übertrifft in der Intensität des Ausdrucks gar viele der berühmtesten Violettas deutlich. (Vergleiche kann man auf youtube hören). Ebenso bewegend stellt sie das Verblühen des jungen Lebens im dritten Akt dar: Da ist nichts Aufgesetztes oder vordergründig Effekthascherei dabei, sondern ein langsames, ungemein trauriges Verwelken, unterbrochen von einem kurzen und umso tragischeren Hoffnungsschimmer. Grossartig!
Leider stand ihr kein adäquater Alfredo zur Seite: Neil Shicoff liess sich zwar zu Beginn der Vorstellung als leicht indisponiert ansagen – und einige allzu nasale Töne lassen sich dadurch bestimmt entschuldigen. Doch insgesamt klang seine Stimme so wie immer: Kräftig und durchschlagend sicher in der Höhe, doch arm an Farben, spröde, ohne jegliche Geschmeidigkeit und nur mit wenigen dynamischen Abstufungen. Sein Alfredo war kein leidenschaftlich liebender Jüngling. Eher ein leidender alter Mann, der sich nochmals auf Freiersfüsse begibt, für den die ganze Chose aber eine sicht- und hörbare Qual ist. So macht die Geschichte überhaupt keinen Sinn mehr. Bei allem Respekt vor der Lebensleistung dieses Sängers, welcher in den letzten Jahren doch in Charakterrollen wie dem Eléazar in LA JUIVE oder als PETER GRIMES zu begeistern wusste – den jugendlichen Liebhaber sollte er mit 62 Jahren definitiv nicht mehr zu geben versuchen.
„Nur“ drei Jahre älter als Shicoff war sein Vater an diesem Abend: Juan Pons gab ihn mit der ganzen Autorität des erfahrenen Verdi-Baritons. Polternd und schneidend war sein erster Auftritt, doch bald war er beeindruckt von der Selbstlosigkeit der Violetta. Da fand sein strahlkräftiger, wenn auch etwas eindimensionaler Bariton zu wärmer intonierten Phrasen. Darstellerisch wirkte er sehr streng und etwas gar steif. Die Comprimari dieses Abends gefielen gut: Irène Friedli gab eine lebenslustige Flora. Ihr dunkles, interessantes Timbre bereicherte die Ensembles. Liuba Chuchrova war die besorgte Annina, Davide Fersini, Miroslav Christoff und Cheyne Davidson machten als Bonvivants (d'Obigny, Gaston, Douphol) eine ausgezeichnete Figur. Jedenfalls eine bessere als der manchmal etwas schleppend und unkoordiniert einsetzende Chor. Wunderschön intonierte das Orchesters der Oper Zürich Verdis unsterbliche Musik, wobei besonders die Streicher in den heiklen Vorspielen I und III zu gefallen wussten. Carlo Rizzi führte routiniert und ohne falsche Sentimentalität durch den Abend.
Werk:
LA TRAVIATA bildet zusammen mit IL TROVATORE und RIGOLETTO die so genannte Erfolgstrias aus Verdis mittlerer Schaffensperiode. Die drei Opern gehören nicht nur zu den populärsten und meistgespielten Werken Verdis, sondern des gesamten Repertoires. Die TRAVIATA vermochte sich zuerst nicht durchzusetzen. Erst nach einigen kleinen Änderungen (und einer Umbesetzung der korpulenten Sopranistin der Uraufführung) setzte das Werk seinen langsamen Siegeszug an. Indem Verdi und sein Librettist eine ausserhalb der anständigen Gesellschaft stehende Frau (wörtlich bedeutet LA TRAVIATA „Die vom rechten Weg abgekommene“) ins Zentrum einer Oper stellten, betraten sie inhaltlich Neuland, ja die TRAVIATA gilt sogar als Vorläuferin der veristischen Opern des späten 19. Jahrhunderts. Musikalisch ist die gefühlvolle Komposition ganz als Seelendrama der Protagonistin angelegt, die Sympathien Verdis für diese Ausgestossene werden deutlich hörbar. Nur schon das an trauriger Empfindsamkeit kaum zu übertreffende Vorspiel zum dritten Akt lässt keine Zuhörerin, keinen Zuhörer unberührt.
Inhalt:
In ihrem Salon begegnet die Kurtisane Violetta dem jungen, unerfahrenen Alfredo Germont. Diese Begegnung stürzt die kränkelnde Frau in einen Zwiespalt der Gefühle. Einerseits fühlt sie sich zu dem jungen, rücksichtsvollen Mann hingezogen, andererseits will sie ihr genussreiches Leben nicht einfach so aufgeben. Doch die beiden ziehen zusammen. Das wenige Geld ist jedoch bald aufgebraucht, Violetta veräussert ihren Schmuck. Alfredo findet das heraus, ist beschämt und versucht seinerseits Geld zu beschaffen. Während seiner Abwesenheit trifft Alfredos Vater ein und verlangt von Violetta um der Familienehre willen, die Beziehung zu seinem Sohn zu beenden. Schweren Herzens stimmt Violetta zu, auch im Wissen um ihre Krankheit (Tuberkulose). In einem Brief teilt sie Alfredo mit, dass sie sich entschieden habe, zu ihrem alten Leben zurückzukehren. Alfredo lässt sich von seinem Vater nicht zur Rückkehr in den Schoss seiner Familie überreden. Er reist Violetta nach. Auf einem Ball macht er Violetta schwerste Vorwürfe und bezeichnet sie als Hure. Die Gaäste, unter ihnen auch der Vater Germont, sind entsetzt. Violetta wird immer schwächer und kränker. Der alte Germont enthüllt seinem Sohn die Wahrheit über Violettas Verzicht. Alfredo und die sterbende Violetta können sich ein letztes Mal in die Arme schliessen und sich gegenseitig um Verzeihung bitten. Violetta meint, ihre Lebensgeister wieder erwachen zu spüren - sie ehebt sich und stirbt.
Musikalische Höhepunkte:
Libiamo ne' lieti calici, Trinklied Alfredo, Violetta, Akt I
A fors' è lui .... sempre libera, Violetta, Akt I
De miei bollent spiriti, Alfredo, Akt II
Pura siccome un angelo, Violetta – Germont, Akt II
Amami Alfredo, Violetta, Akt II
Di Provenza il mar, Germont, Akt II
Alfredo, Alfredo, die questo core, Violetta, Finale Akt II
Vorspiel Akt III
Addio del passato, Violetta, Akt III