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Wien: DIE FRAU OHNE SCHATTEN, 17.03.2012

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Die Frau ohne Schatten

copyright: Michael Pröhn, mit freundlicher Genehmigung Wiener Staatsoper

Oper in drei Akten | Musik: Richard Strauss | Text: Hugo von Hofmannsthal | Uraufführung: 10. Oktober 1919 in Wien | Aufführungen dieser Wiederaufnahme: 17.3. | 20.3. | 23.3. | 27.3.2012

Kritik: 

Allzu zahlreich sind sie ja nicht, die Uraufführungen der grossen Wiener Staatsoper, welche eine nachhaltige Wirkung erzielten. Neben Strauss’ DIE FRAU OHNE SCHATTEN und der zweiten Fassung von ARIADNE AUF NAXOS ragen noch Schmidts NOTRE DAME und von Einems DER BESUCH DER ALTEN DAME sowie Reimanns MEDEA heraus. Umso enttäuschter war man deshalb über die völlig missglückte Inszenierung von Robert Carsen aus dem Jahr 1999, welche nun nach über zehnjähriger Pause im Haus am Ring in neuer Besetzung wieder aufgenommen wurde. Sie wird weder dem Werk noch dem Ruf des Hauses gerecht.

Sicher, das symbolische Märchen Hugo von Hofmannsthals ist nicht einfach nachzuerzählen. Jeder Versuch, es durch eine aufgezwängte Rahmenhandlung zu erweitern, muss beinahe zwangsläufig scheitern. Durch Carsens Ansatz, das Geschehen im Sinne von Freuds Traumdeutung und Psychoanalyse zu erklären, wird das Werk seiner rätselhaften Wirkung beraubt. In diesem nüchtern-miefigen Ambiente (Ausstattung: Michael Levine) der Zwischenkriegszeit vermag sich das Orientalisch-Märchenhafte nicht zu entfalten. Eine junge Frau (die Kaiserin) liegt also in einem Bett, wird von Professor Freud (Geisterbote, toll gesungen von Wolfgang Bankl) analysiert und einer dubiosen Ärztin betreut (die Amme), welche alle Regungen der neurotischen Patientin gewissenhaft in ihrem Notizblock notiert. Während eineinhalb Akten versucht der Zuschauer zu ergründen, worum es dem Regisseur eigentlich ging, was ein schlimmer Fehler einer Inszenierung ist, da dies extrem von der Musik ablenkt und dem Eintauchen in ein Werk nicht dienlich ist. Erst in der Mitte des zweiten Aktes folgt durch eine kurze Videoeinspielung der Versuch einer Erklärung: Als junges Mädchen hat die Frau ihren Vater (hat er sie einmal missbraucht?) sterben lassen, als sie ihm ein Glas Wasser nicht reichte. Sie ist also irgendwie schuldig geworden und kann dieses Geschehen nicht verarbeiten. Darunter zu leiden hat ihr Gemahl (der Kaiser), welchem sie sich sexuell verweigert und ihm demnach auch kein Kind gebärt. Als sie sich in ihren Träumen der Realität stellt (sie ist eigentlich auch die Färberin, welche ihren Mann so schmählich behandelt), wird sie allmählich durch Mitleid wissend und kann sich mit ihrem Gemahl wieder vereinigen. Ja, wir haben es kapiert: Märchen beinhalten einen grossen Symbolgehalt, lassen sich tiefenpsychologisch deuten. Das muss man uns doch nicht mit dem Hozhammer einprügeln, vor allem wenn es dann doch nicht mit der letzten Radikalität, Plausibilität und Schlüssigkeit gemacht wird. Und die eher peinliche Schlussallegorie (alle Menschen lieben und paaren sich) wollte dann eh nicht mehr in dieses Konzept passen. Über weite Strecken agierten dann leider auch die Sängerinnen und Sänger auf ziemlich verlorenem Posten, eine Interaktion fand in diesen Traumdeutungsbildern kaum statt. Das dämonisch- mephistophelische Wesen der Amme zum Beispiel kam nicht zur Geltung, zu den Männern (Kaiser, Barak) fiel dem Regisseur kaum etwas ein, ihre Rollen erhielten wenig Profil.

Auch was die musikalische Seite anbelangt, kann ich nicht ungeteilt in den Jubel des Publikums und der Wiener Lokalpresse einstimmen. Sicher, das Orchester der Wiener Staatsoper bot unter der Leitung von Franz Welser-Möst eine bezwingende Leistung, neben phantastisch herausgearbeiteten Details und Soli fand das Orchester immer wieder zu begeisternden Aufschwüngen und setzte in den sinfonischen Zwischenspielen atemberaubende Akzente. Doch über weite Strecken wurde das Ganze viel zu laut angegangen (wenigstens von meinem Platz im Parkett aus) und die Sängerinnen und Sänger hatten grösste Mühe, die Orchesterfluten zu übertönen, so zum Beispiel Robert Dean Smith als Kaiser (oft auch akustisch ungünstig weit im Bühnenhintergrund platziert), welcher mit seinem schön timbrierten und sorgfältig phrasierenden, jedoch für das Haus zu kleinstimmigen Tenor nur in den kammermusikalisch begeleiteten Stellen hörbar war. Es ist ihm jedoch hoch anzurechen, dass er sich konsequent weigerte, seine Stimme mit Druck aufzublähen und zu forcieren. Ebenfalls nicht mit den Dimensionen des Hauses und der Lautstärke des Orchesters zurecht kam Birgit Remmert als Amme, welche im Gegensatz zu den Aufführungen in Zürich blass und stimmlich allzu zurückhaltend wirkte. Adrienne Pieczonka sang vor allem ab dem zweiten Akt (Erwachensszene, hier konnte sie auch von ihrer Platzierung weit über dem Bühnenboden profitieren) eine wunderbar differenziert gestaltende Kaiserin. Die Anfangskoloratur geriet ihr aber noch nicht ganz nach Wunsch. Evelyn Herlitzius hatte mit der Lautstärke der Orchesterfluten eh keine Mühe, was allerdings zu einer etwas eindimensionalen, an den Grenzen ihres Volumens singenden Färberin führte. Wolfgang Kochs Darstelllung litt unter der Anlage der Figur durch den Regisseur. Der Bariton sang aber einen beachtlichen Barak, welcher nicht einmal beim „Fürchte dich nicht“ ins Falsett wechseln musste. Er erhielt denn auch den stärksten Applaus.

Hervorragend auch die drei Brüder (Adam Plachetka, Alexandru Moisiuc, Norbert Ernst). Die kleineren Rollen kann man schwerlich beurteilen, da sie allesamt nicht auftraten, sondern aus dem Off elektronisch verstärkt als quasi "innere Stimmen" zu hören waren.

In einer Woche werde ich an dieser Stelle über die Neuproduktion des Werks an der Mailänder Scala berichten. Hoffentlich dann mit grösserer Begeisterung.

Inhalt :

Die Kaiserin, Tochter des Geisterkönigs Keikobad, einst mit der Fähigkeit sich in Tierwesen zu verwandeln ausgestattet, ist in ihrer Ehe mit dem Kaiser kinderlos geblieben, sie wirft keinen Schatten. Ihre Amme, die dem Geisterkönig treu ergeben ist und alles Menschliche hasst, erhält vom Geisterboten die Nachricht, dass der Kaiser versteinern muss, wenn die Kaiserin innert kurzer Frist keinen Schatten wirft. Die Kaiserin erfährt vom drohenden Schicksal ihres Mannes durch dessen Jagdfalken. Sie befiehlt der Amme, ihr einen Schatten zu verschaffen. Gemeinsam begeben sie sich hinunter zu den Menschen, in die ärmliche Behausung des Färbers Barak und dessen Gemahlin. Diese Ehe ist ebenfalls kinderlos, weil die Färberin sich ihrem Mann zusehends verweigert. Die Amme blendet die einfache Färbersfrau mit Zaubertricks, einem schönen Jüngling und Reichtum. Die Färberin schliesst den Pakt mit der Amme und ist bereit, ihren Schatten zu verkaufen. Die Kaiserin versteht den schlimmen Handel, hat Erbarmen mit Barak, aber nicht die Kraft einzuschreiten. Die Situation im Färberhaus eskaliert. Die Färberin kündigt ihrem Mann die eheliche Treue, der eigentlich sanftmütige Barak reagiert vehement. Doch bevor er seiner Frau körperlich zu nahe kommen kann, entgleiten der Amme die Fäden, die Erde öffnet sich und verschlingt das Färberpaar. Kaiserin und Amme können sich gerade noch retten. Nun beginnt die Zeit der Prüfungen: Das Färberpaar gelangt durch die Trennung zur Einsicht gegenseitiger Liebe, die Kaiserin ficht einen inneren Kampf mit sich aus: Einerseits will sie ihren Mann vor dem Versteinern bewahren, andererseits hat sie enormes Mitleid mit den Menschen. Dieses Gefühl ist stärker. Sie stellt sich gegen ihren Vater Keikobad: ICH WILL NICHT, der erste menschliche Schrei, den sie ausstösst, gleich einer gebärenden Mutter. Damit befreit sie Färberin und Färber und rettet ihren Mann. Die Zeit der Prüfungen ist vorbei, die Stimmen der Ungeborenen kündigen an, dass sie nicht mehr lange ungeboren bleiben werden.

Werk:

Mozart (ZAUBERFLÖTE, mit ihren Prüfungen für die beiden Paare), Goethe (das Mephistophelische der Amme) und fernöstliche Symbolik standen Pate für dieses komplexe, in den immensen Anforderungen an Protagonisten, Orchester und Bühne einzigartige Werk. Von Kennern und eingeschworenen Fans wird diese farbenreiche, in ihrer verführerischen Sogwirkung einmalige Partitur salopp „FroSch“ genannt. Strauss setzte ein riesiges Orchester ein, reicherte es mit Glasharfe, Celesta und chinesichen Gongs an. Die Tonalität wird immer wieder aufgebrochen, grelle, Gänsehaut erzeugende Tutti-Effekte wechseln mit beinahe kammermusikalisch zarten Sequenzen.

Obwohl das Werk bereits 1915 beendet war, konnte die Uraufführung wegen der Wirren des ersten Weltkriegs erst 1919 stattfinden.

Musikalische Höhepunkte:

Ist mein Liebster dahin, Kaiserin, Akt I, mit gefürchteter Koloratur
Was wollt ihr hier?,
Szene Färberin, Amme, Kaiserin mit dem herrlichen Aufschwung „O Welt in der Welt“ der Färberin
Falke, Falke, du wiedergefundener,
Kaiser, Akt II
Es gibt derer, die haben immer Zeit,
Färberin, Barak, Amme, Jüngling, Akt II
Sieh, Amme, sieh,
Kaiserin, Amme, Akt II
Das Weib ist irre,
Finale Akt II
Schweigt doch, ihr Stimmen – Mir anvertraut,
Färberin, Barak, Akt III
Vater bist du's?,
Kaiserin, Akt III
Wenn das Herz aus Kristall - Nun will ich jubeln,
Finale, Akt III. Kaiser, Kaiserin, Färber, Färberin, Stimmen der Ungeborenen

  • Franz Welser-Möst | Dirigent
  • Robert Carsen | Regie und Licht
  • Robert Dean Smith | Der Kaiser
  • Adrianne Pieczonka | Die Kaiserin
  • Birgit Remmert | Die Amme
  • Wolfgang Koch | Barak, der Färber
  • Evelyn Herlitzius | Sein Weib

 

Applaus (Video)

Karten

 

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