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München: DIE FRAU OHNE SCHATTEN, 07.12.2013

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Die Frau ohne Schatten

Hugo von Hofmannsthal/Richard Strauss

Oper in drei Akten | Musik: Richard Strauss | Text: Hugo von Hofmannsthal | Uraufführung: 10. Oktober 1919 in Wien | Aufführungen in München: 1.12. | 4.12. | 7.12.13 | 29.6. | 3.7.14

Kritik:

Strauss'/ Hofmannsthals genial verschrobene, von Tiefenpsychologie, Goethe- und Märcheneinflüssen und einem heutzutage geradezu grotesk anmutenden Frauenbild gezeichnetes Meisterwerk gehört zu den musikalisch und szenisch äusserst diffizil umzusetzenden Opern des 20. Jahrhunderts. Zumindest was die musikalische Seite anbelangt ist der bayerischen Staatsoper 50 Jahre nach ihrer Wiedereröffnung mit eben diesem Werk eine grossartige und eine bis in die entferntesten musikalischen Verästelungen spannungsgeladene und mitreissende Neuproduktion gelungen. Vor 50 Jahren sangen unter Keilberths Leitung Ingrid Bjoner, Inge Borkh, Martha Mödl, Jess Thomas und Dietrich Fischer-Dieskau die Hauptpartien, 2013 sind es nun Adrienne Pieczonka (Kaiserin),  Elena Pankratova (Färberin), Deborah Polaski (Amme),  Johan Botha (Kaiser) und Wolfgang Koch (Barak). Die musikalische Leitung hat nun der neue GMD der Staatsoper, Kirill Petrenko, inne. Und was da aus dem Orchestergraben aufsteigt, das Ohr und das Herz mit Strauss'scher Farbenpracht erfüllt und bezwingt, ist Ekstase pur. Petrenko und das Bayerische Staatsorchester stürzen sich mit Enthusiasmus in die gewaltigen Klangstrudel, stets kontrollierter Balance, perfekt austariert, so dass die empfindsam komponierten Stellen nicht in den Wogen untergehen und das Gesamtklangbild den ganzen (langen) Abend hindurch zwar transparent, doch nicht akademisch steril bleibt. Gänsehaut! 

Die Vermögen auch die exzellenten Sängerinnen und Sänger auf der Bühne zu evozieren: Das Kaiserpaar ist ebenso herausragend besetzt wie das Färberpaar, dazu gesellt sich mit Deborah Polaski eine ungemein subtil agierende, sehr textverständlich singende Amme. Der einstigen Hochdramatischen mögen zwar in dieser Mezzopartie die bedrohlich-dämonischen, voluminösen Töne in den tieferen Lage fehlen, doch mit ihrer unglaublich intensiven Mimik und dem sarkastischen Spiel macht sie dieses kleine Manko mehr als wett. Adrienne Pieczonka ist die verträumt-verstörte Kaiserin, mit ihrer klar fokussierten, ausdrucksstarken Sopranstimme aber zu durchaus diesseitigen Tönen fähig. Vor allem aber begeistern bei ihr die sauberen Piani (Vater, bist du's?), die gefürchtete Koloratur zu Beginn und die Emphase, als sie endlich zu ihrer Selbstbestimmung findet. Johan Botha ist wohl der zur Zeit souveränste Gestalter der schwierigen Kaiserpartie: Mit schon beinahe liedhafter Klarheit in der Artikulation und gerundeter Reinheit der Intonation attackiert er die hohe Tessitura. Zu Beginn schien er leicht müde (von den vielen Kaisern der letzten Tage) zu sein, doch seine grosse Szene im zweiten Akt und den Jubelschluss bewältigte dieser Ausnahmetenor dann wieder herausragend. Am lautstärksten vom ausverkauften Haus bejubelt wurde Elena Pankratova als Färberin, welche ihre starke Leistung an der Scala vor einem Jahr in gestalterischer Hinsicht sogar noch übertreffen konnte. Die Pankratova verfügt über eine raumgreifende, in allen Lagen herrlich tragende Stimme, die trotz aller Exaltiertheit der Rolle nie ins Keifende oder Schrille abgleitet, sondern stets von Wärme und grossem Atem gestützt ist. Wolfgang Koch als ihr Mann Barak verströmt mit seinem ebenmässigen Bariton Mitleid erregenden, reinen Wohlklang. Auch er verfügt über den grossen Atem, den die so wunderschönen, langen Phrasen erfordern, auch ihm flogen an diesem Abend die Herzen des Publikums zu. 

In den Begrüssungsapplaus für den Dirigenten mischt sich Applaus einer Videoeinspielung: Regisseur Krzysztof Warlikowski zieht das Publikum zu Beginn in Alain Resnais filmisches Meisterwerk L'année dernière à Marienbad mit einem Zusammenschnitt einzelner Szenen und Fluchten durch endlose Gänge im Kurhotel, über die sich Stimmen des Mannes und der Frau aus dem Off lagern. Da sich auch in diesem experimentellen Film Traum und Wirklichkeit, Sehnsucht und Realität vermischen und viele Szenen seinerzeit in Münchens Schlössern gedreht wurden, entsteht sowohl ein ideeller als auch ein geographischer Bezug - etwas gesucht zwar, aber ok, kann man machen. Nach etwa 10 doch etwas langen Minuten dann setzt die Amme auf der Bühne der Kaiserin eine Injektion und die Keikobad Akkorde erklingen. Im Folgenden verwischen sich immer immer wieder Ängste, Kindheitstraumata und Realität im spannend ausgeleuchteten Einheitsbühnenbild von Malgorzata Szczesniak (das grossartige Lichtdesign stammt von Felice Ross, die Vieos und die Videoanimationen von Denis Guéguin und Kamille Polak). Die Bühne stellt mal Sanatorium (Manns Zauberberg in Davos wird im Programmheft ausdrücklich erwähnt), Hotel, gefliester Operationssaal, Wäscherei (für Färbers) und Psychoanyalysezimmer mit Aquarium und Chaiselongues. An den runden Tisch im Empire Stil darf sich am Ende in einer "alle Menschen werden Brüder" Apotheose auch das "niedere Paar" setzen und mit Kaisers auf Fortpflanzung und Menschheitsgedenken anstossen. Die Bühnenwände illustrieren sich mit Comic- und Persönlichkeitsfiguren, von King Kong über Batman zu Marilyn Monroe, Sigmund Freud und Gandhi. Ziemlich dick aufgetragen und nicht wirklich zwingend. Hier, wie an vielen anderen Stellen der Inszenierung, ist man ständig am Dechiffrieren (oft erfolglos) von Assoziationen und wird dadurch von der Musik leicht abgelenkt. Aber, und das muss man Warlikowski zugute halten, die Charakterisierung und die Personenführung gelingen dem Regisseur hervorragend. Zum Beispiel die Bindung der Kaiserin an ihren Vater Keikobad, der in der Oper zwar nicht auftritt, bei Warlikowski aber von Beginn weg immer mal wieder als gebeugter, sturer Greis Unheimlichkeit verbreitet und die Kaiserin wohl schon als kleines Mädchen verängstigt hat. Oder die Brüder Baraks, die hier nicht körperlich missgestaltet sind, sondern als geile Dumpfbacken die Färberin bedrängen. Als Erscheinung des Jünglings hat die Amme einen attraktiven Callboy engagiert, der ziemlich teilnahmslos mit iPod und weissgeschminktem Gesicht (?) seine sexuellen Verpflichtungen zu absolvieren versucht. Diese Rolle, wie auch die Stimme von oben, der Hüter der Schwelle und der Falke wurden aus dem Off gesungen (durch die wunderbare klingenden Okka von der Damerau, Hanna-Elisabeth Müller, Eri Nakamura und Dean Power) da Kinder, als Erwachsene zurechtgemacht, die Rollen auf der Bühne darstellen, was ebenfalls sehr gewöhnungsbedürftig wirkt. Der Geisterbote hingegen (mit sonoren Bassqualitäten gesungen von Sebastian Holecek) steht immerhin leibhaftig auf der Bühne als eine Art gestrenger Klinikchef. 

Neben viel Geheimnisvollem und angetönten Handlungselementen voller Ambiguität blitzen doch immer wieder grandiose Regieeinfälle auf und die Videoanimationen zu den soghaften musikalischen Zwischenspielen (besonders hervorzuheben die Soli der Violine von David Schultheiß und des Cellos von Jakob Spahn) versöhnen und bereichern die Aufführung, welche man erfüllt und beglückt von der genial konzipierten Musik von Richard Strauss verlässt.

Inhalt :

Die Kaiserin, Tochter des Geisterkönigs Keikobad, einst mit der Fähigkeit sich in Tierwesen zu verwandeln ausgestattet, ist in ihrer Ehe mit dem Kaiser kinderlos geblieben, sie wirft keinen Schatten. Ihre Amme, die dem Geisterkönig treu ergeben ist und alles Menschliche hasst, erhält vom Geisterboten die Nachricht, dass der Kaiser versteinern muss, wenn die Kaiserin innert kurzer Frist keinen Schatten wirft. Die Kaiserin erfährt vom drohenden Schicksal ihres Mannes durch dessen Jagdfalken. Sie befiehlt der Amme, ihr einen Schatten zu verschaffen. Gemeinsam begeben sie sich hinunter zu den Menschen, in die ärmliche Behausung des Färbers Barak und dessen Gemahlin. Diese Ehe ist ebenfalls kinderlos, weil die Färberin sich ihrem Mann zusehends verweigert. Die Amme blendet die einfache Färbersfrau mit Zaubertricks, einem schönen Jüngling und Reichtum. Die Färberin schliesst den Pakt mit der Amme und ist bereit, ihren Schatten zu verkaufen. Die Kaiserin versteht den schlimmen Handel, hat Erbarmen mit Barak, aber nicht die Kraft einzuschreiten. Die Situation im Färberhaus eskaliert. Die Färberin kündigt ihrem Mann die eheliche Treue, der eigentlich sanftmütige Barak reagiert vehement. Doch bevor er seiner Frau körperlich zu nahe kommen kann, entgleiten der Amme die Fäden, die Erde öffnet sich und verschlingt das Färberpaar. Kaiserin und Amme können sich gerade noch retten. Nun beginnt die Zeit der Prüfungen: Das Färberpaar gelangt durch die Trennung zur Einsicht gegenseitiger Liebe, die Kaiserin ficht einen inneren Kampf mit sich aus: Einerseits will sie ihren Mann vor dem Versteinern bewahren, andererseits hat sie enormes Mitleid mit den Menschen. Dieses Gefühl ist stärker. Sie stellt sich gegen ihren Vater Keikobad: ICH WILL NICHT, der erste menschliche Schrei, den sie ausstösst, gleich einer gebärenden Mutter. Damit befreit sie Färberin und Färber und rettet ihren Mann. Die Zeit der Prüfungen ist vorbei, die Stimmen der Ungeborenen kündigen an, dass sie nicht mehr lange ungeboren bleiben werden.

Werk:

Mozart (ZAUBERFLÖTE, mit ihren Prüfungen für die beiden Paare), Goethe (das Mephistophelische der Amme) und fernöstliche Symbolik standen Pate für dieses komplexe, in den immensen Anforderungen an Protagonisten, Orchester und Bühne einzigartige Werk. Von Kennern und eingeschworenen Fans wird diese farbenreiche, in ihrer verführerischen Sogwirkung einmalige Partitur salopp „FroSch“ genannt. Strauss setzte ein riesiges Orchester ein, reicherte es mit Glasharfe, Celesta und chinesischen Gongs an. Die Tonalität wird immer wieder aufgebrochen, grelle, Gänsehaut erzeugende Tutti-Effekte wechseln mit beinahe kammermusikalisch zarten Sequenzen.

Obwohl das Werk bereits 1915 beendet war, konnte die Uraufführung wegen der Wirren des ersten Weltkriegs erst 1919 stattfinden.

Musikalische Höhepunkte:

Ist mein Liebster dahin, Kaiserin, Akt I, mit gefürchteter Koloratur
Was wollt ihr hier?,
Szene Färberin, Amme, Kaiserin mit dem herrlichen Aufschwung „O Welt in der Welt“ der Färberin
Falke, Falke, du wiedergefundener,
Kaiser, Akt II
Es gibt derer, die haben immer Zeit,
Färberin, Barak, Amme, Jüngling, Akt II
Sieh, Amme, sieh,
Kaiserin, Amme, Akt II
Das Weib ist irre,
Finale Akt II
Schweigt doch, ihr Stimmen – Mir anvertraut,
Färberin, Barak, Akt III
Vater bist du's?,
Kaiserin, Akt III
Wenn das Herz aus Kristall - Nun will ich jubeln,
Finale, Akt III. Kaiser, Kaiserin, Färber, Färberin, Stimmen der Ungeborenen

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