Graz: DIE FRAU OHNE SCHATTEN, 25.09.2010
Oper in drei Akten
Musik: Richard Strauss
Text: Hugo von Hofmannsthal
Uraufführung: 10. Oktober 1919 in Wien
Aufführungen in Graz:
25.9. | 29.9. | 1.10. | 6.10. | 17.10. | 30.10. | 9.12. | 12.12. | 17.12. | 21.12.2010
Kritik:
Das beinahe unergründliche, süchtig machende Meisterwerk von Strauss/Hofmannsthal stellt für jede Opernbühne eine riesige Herausforderung dar. Umso erfreulicher ist es, dass sich immer wieder mittelgrosse Häuser an diese enorme Anforderungen an alle Beteiligten stellende Oper wagen. Die Aufführung in Graz ist in vielerlei Hinsicht äusserst bemerkens- und empfehlenswert. Da sind in erster Linie die drei phänomenalen Sängerinnen zu nennen, welche der Strauss'schen Musik so viel pralles Leben einzuhauchen vermögen: Marion Ammann ist eine überragende Kaiserin, mit einer Stimme voll jugendlich-dramatischem Impetus im Körper einer verzauberten "Gazelle". Einfühlsam beschreitet sie den Prüfungsweg der Kaiserin, von der weltfremden Prinzessin zur Frau, die durch Mitleid wissend geworden ist, findet zu jubelnden Spitzentönen und berührend zarter Gestaltung in der grossen Szene Vater bist du's. Die Amme der Michaela Martens MUSS man erlebt haben, da fehlen dem Rezensenten die Superlative. Dämonie, beissender Sarkasmus und falsche Schmeicheleien strömen in selbstverständlich scheinendem Wohlklang aus ihrer Kehle, da ist nie ein Flüchten in Sprechgesang, alle Töne werden herrlich ausgesungen - eine fantastische Bewältigung dieser schwierigen Partie. Und last but by far not least die trotzig jugendliche Färberin von Stephanie Friede, schneidende Töne voller Verletzlichkeit, aufbrausend und doch Mitleid erregend - geprägt von exemplarischer Diktion und leidenschaftlicher Darstellung. Überwältigend!
Zwei beachtliche Rollendebüts erlebte man von den männlichen Protagonisten: James Rutherford als Barak setzte seinen warm timbrierten Bariton mit hinreissender Gestaltungskraft ein, die herrlichen Phrasen, welche Strauss für den sanftmütigen Färber komponiert hatte, strömten kräftig und effektvoll in den Saal, seine Darstellung hatte etwas kuschelig-bärenhaftes, die Herzen der ZuschauerInnen flogen ihm zu. Corey Bix setzte seinen einschmeichelnden, angenehm timbrierten Tenor in der unangenehm hohen Tessitura der Kaiserpartie geschmackvoll ein, zeichnete sich durch delikate Legatokultur aus. Einzig zum Ende seiner grossen Szene im zweiten Akt, drohte die Stimme manchmal wegzukippen - es ist dem Sänger aber hoch anzurechnen, dass er trotzdem aufs Forcieren verzichtete. Alik Akdukayumov war nicht nur physisch und stimmlich überragend als Geisterbote, er schenkte seine klangschöne Stimme auch den Wächtern der Stadt (zusammen mit David McShane und Wilfried Zelinka, welche mit Manuel von Senden auch Baraks Brüder sangen). Dashamilja Kaiser liess als Stimme von oben aufhorchen, Lucia Kim sang den Falken und den Hüter der Schwelle und Marlin Miller brachte seine luxuriöse Tenorstimme verführerisch als Erscheinung des Jünglings zum Klingen.
Das Grazer Philharmonische Orchester zeigte unter Johannes Fritzschs vorwärtsdrängendem und trotzdem die Tiefen der Partitur vortrefflich auslotendem Dirigat eine exzellente Leistung, gleissendes Blech (zum Teil mit etwas gar viel Präsenz) und einschmeichelnde Streicherklänge voller Süsse wurden meist in wunderbarer Balance gehalten, die Koordination Graben-Bühne war nahezu perfekt!
Marco Arturo Marelli verzichtete wohltuenderweise auf eine aufgesetzte Interpretation, blieb mit seiner Inszenierung nahe an Text und Musik, die atmosphärisch dichten Bilder und klug eingewobenen Details (Kinderschuhe, Schaukelpferd, Wächter als Spitzel im Zuschauerraum, Falke als Strippenzieher) liessen dem Zuschauer genügend Raum für eigene Gedanken. Vor allem die schnellen Verwandlungen auf der Bühne gerieten mit Hilfe der Drehbühne und zusätzlicher, halbrunder, gefliester und verspiegelter Drehelemente zu eindrucksvollen, ästhetisch beeindruckenden Untermalungen der wunderbaren sinfonischen Zwischenspiele. Einzig das aufpeitschende Finale des zweiten Aktes erfuhr auf der Bühne eine etwas gar betulich-biedere Umsetzung.
Fazit:
Ein musikalisch spektakulärer, unvergesslicher Opernabend in angenehm zurückhaltenden, aber nie faden Bildern. Sehr zu empfehlen für all die vielen treuen Verehrer der Hofmannsthal-/Strauss'schen Parabel über das Menschwerden - und für solche, die es werden wollen!
Inhalt :
Die Kaiserin, Tochter des Geisterkönigs Keikobad, einst mit der Fähigkeit sich in Tierwesen zu verwandeln ausgestattet, ist in ihrer Ehe mit dem Kaiser kinderlos geblieben, sie wirft keinen Schatten. Ihre Amme, die dem Geisterkönig treu ergeben ist und alles Menschliche hasst, erfährt, dass der Kaiser versteinern muss, wenn seine Frau innert kurzer Frist keinen Schatten wirft. Die Kaiserin erfährt vom drohenden Schicksal ihres Mannes durch dessen Jagdfalken. Sie befiehlt der Amme, ihr einen Schatten zu verschaffen. Gemeinsam begeben sie sich hinunter zu den Menschen, in die ärmliche Behausung des Färbers Barak und dessen Gemahlin. Diese Ehe ist ebenfalls kinderlos, weil die Färberin sich ihrem Mann zusehends verweigert. Die Amme blendet die einfache Färbersfrau mit Zaubertricks, einem schönen Jüngling und Reichtum. Sie schliesst den Pakt mit der Amme und ist bereit ihren Schatten zu verkaufen. Die Kaiserin versteht den schlimmen Handel, hat Erbarmen mit Barak, hat aber nicht die Kraft einzuschreiten. Die Situation im Färberhaus eskaliert, Die Färberin kündigt ihrem Mann die eheliche Treue, der eigentlich sanftmütige Barak reagiert vehement. Doch bevor er seiner Frau körperlich zu nahe kommen kann, entgleiten der Amme die Fäden, die Erde öffnet sich und verschlingt das Färberpaar. Kaiserin und Amme können sich gerade noch retten. Nun beginnt die Zeit der Prüfungen: Das Färberpaar gelangt durch die Trennung zur Einsicht gegenseitiger Liebe, die Kaiserin ficht einen inneren Kampf mit sich aus: Einerseits will sie ihren Mann vor dem Versteinern bewahren, andererseits hat sie enormes Mitleid mit den Menschen. Dieses Gefühl ist stärker. Sie stellt sich gegen ihren Vater Keikobad: ICH WILL NICHT, der erste menschliche Schrei, den sie ausstösst, gleich einer gebärenden Mutter. Damit befreit sie Färberin und Färber sowie ihren Mann. Die Zeit der Prüfungen ist vorbei, die Stimmen der Ungeborenen kündigen an, dass sie nicht mehr lange ungeboren bleiben werden.
Werk:
Mozart (ZAUBERFLÖTE, mit ihren Prüfungen für die beiden Paare), Goethe (das Mephistophelische der Amme) und fernöstliche Symbolik standen Pate für dieses komplexe, in den immensen Anforderungen an Protagonisten, Orchester und Bühne einzigartigen Werks. Von Kennern und eingeschworenen Fans wird diese farbenreiche, in ihrer verführerischen Sogwirkung einmalige Partitur salopp „FroSch“ genannt. Strauss setzte ein riesiges Orchester ein, reicherte es mit Glasharfe, Celesta und chinesichen Gongs an. Die Tonalität wird immer wieder aufgebrochen, grelle, Gänsehaut erzeugende Tutti-Effekte wechseln mit beinahe kammermusikalisch zarten Sequenzen.
Obwohl das Werk bereits 1915 beendet war, konnte die Uraufführung wegen der Wirren des ersten Weltkriegs erst 1919 stattfinden.
Musikalische Höhepunkte:
Ist mein Liebster dahin, Kaiserin, Akt I, mit gefürchteter Koloratur
Was wollt ihr hier?, Szene Färberin, Amme, Kaiserin mit dem herrlichen Aufschwung „O Welt in der Welt“ der Färberin
Falke, Falke, du wiedergefundener, Kaiser, Akt II
Es gibt derer, die haben immer Zeit, Färberin, Barak, Amme, Jüngling, Akt II
Sieh, Amme, sieh, Kaiserin, Amme, Akt II
Das Weib ist irre, Finale Akt II
Schweigt doch, ihr Stimmen – Mir anvertraut, Färberin, Barak, Akt III
Vater bist du' s?, Kaiserin, Akt III
Wenn das Herz aus Kristall - Nun will ich jubeln, Finale, Akt III. Kaiser, Kaiserin, Färber, Färberin, Stimmen der Ungeborenen
Impressionen der Premiere, Applaus