Düsseldorf: DIE FRAU OHNE SCHATTEN, 07.04.2012
Oper in drei Akten | Musik: Richard Strauss | Text: Hugo von Hofmannsthal | Uraufführung: 10. Oktober 1919 in Wien | Aufführungen in Düsseldorf: 7.4. | 15.4 | 29.4. | 2.6. | 17.6.2012
Kritik:
Eine gigantische Treppe, welche aus einem Trümmerfeld ins Nichts führt, hat Johannes Leiacker auf die Drehbühne der Deutschen Oper am Rhein gestellt, Symbol für das stete Streben der Menschheit nach oben, zu einer besseren, humaneren Welt. Denn dass dieses Streben illusorisch, der Glauben daran, dass nach engagiert und opferreich geführten Kriegen und Revolutionen die Welt besser würde, vergeblich ist, zeigt Regisseur Guy Joosten im Schlussbild eindrücklich: Die beiden Paare finden nicht zueinander, sinken ausgepowert vom Streben nach dem Guten in ihnen zwischen den Trümmern nieder. Zur Schlussappotheose gibt der sich erneut öffnende Theatervorhang noch einmal den Blick auf die Treppe frei. Wie Sonntagsschüler stehen nun einige Kinder verloren auf den Stufen und singen aus einem schwarzen Buch brav die hoffnungsvoll gedachten Worte " ... wären nicht wir die Geladenen, wir auch die Wirte." Der Kampf ums "Menschwerden" muss von Neuem beginnen, er wird wohl genauso vergeblich sein und zumindest nicht ohne Verletzungen abgehen. Nach all den freudschen Traumdeutungs-Inszenierungen (in Wien, Mailand und Zürich) nun also eine beinahe defätistische, gesellschaftskritische Sicht auf den verrätselten Text von Hugo von Hofmannsthal.
Die Welten der Geister und der Menschen sind eigentlich dieselben, die Geister sind auf, vor und hinter der Treppe anzutreffen, das Färberpaar ist darunter zu Hause. Mit kraftvoll gebieterischer Stimme konfrontiert der verwundete Geisterbote (Ks. Stefan Heidemann) die wunderbar ausdrucksstark singende Amme von Susan Maclean mit den Forderungen des Geisterfürsten. Frau Maclean begeistert hier in Düsseldorf (wie bereits vor ein paar Jahren in Mannheim) mit ihrer intelligenten Durchdringung der immensen Textfluten der Amme. Doch dieser dämonischen Figur entgleiten zunehmend die Fäden. Die ihr anvertraute Kaiserin (mit interessantem Timbre und sich enthusiastisch zu jugendlicher -wenn auch ab und an etwas unsauber intonierter - Emphase aufschwingend: Morenike Fadayomi) geht jedoch aus Mitleid bald eigene, humanere Wege. Ihre Läuterung erfolgt durch ihre Anteilnahme am Schicksal des Färbers Barak. Thomas Konieczny lässt seinen eigentlich schönen Bariton zu selten aufblitzen und frei schwingen. Oft klingen die warmen Phrasen gedrückt. Sein Weib dagegen kann mit opulenter, stimmlicher wie darstellerischer Kraft auftrumpfen: Linda Watson kann von tief betrübtem Sinnieren "dritthalb Jahr bin ich dein Weib " zu orgiastischen Hoffnungsphrasen aufschwingen "O Welt in der Welt". Sie kann beinahe nüchtern analysieren "es gibt derer, die bleiben immer gelassen" und sich dann später wieder gefühlvoll mit überwältigend luxuriös gefärbter, hochdramatischer Stimmkraft nach ihrem Gatten sehnen "Barak, mein Mann".
Der Weg nach oben ist jedoch mit Leichen gepflastert, die Kaiserin schafft ihn und Morenike Fadayomi singt oben angekommen ein zart erfülltes "Vater, bist du's" und rettet so zwar nicht die Menschheit, aber immerhin ihren Mann, den Kaiser. Corby Welch zeigt eindrücklich, dass man diese unangenehm hohe Partie auch sehr schön mit einer an Mozart geschulten, hellen und wundersam weich biegsamen Stimme gestalten kann. Dass dann einige wenige "Wehe" - Rufe in den Orchesterfluten untergehen, stört kaum. Dirigent Axel Kober setzt mit seiner einfühlsamen Lesart der Partitur auf vorwärtsdrängenden, aufpeitschenden Klang. Trotzdem bleibt eine wunderbare klangliche Balance und Durchhörbarkeit erhalten. Selbst die kammermusikalisch gesetzten Stellen klingen nie zu sentimental. Einzig das Platzieren der Erscheinungen ausserhalb oder hinter der Szene (Jüngling, Stimme von oben, Hüter der Schwelle, Stimmen der Ungeborenen) führt ab und an zu kleineren Koordinationsproblemen, welche jedoch den begeisternden Gesamteindruck des intensiven Abends nicht zu trüben vermögen.
Inhalt :
Die Kaiserin, Tochter des Geisterkönigs Keikobad, einst mit der Fähigkeit sich in Tierwesen zu verwandeln ausgestattet, ist in ihrer Ehe mit dem Kaiser kinderlos geblieben, sie wirft keinen Schatten. Ihre Amme, die dem Geisterkönig treu ergeben ist und alles Menschliche hasst, erhält vom Geisterboten die Nachricht, dass der Kaiser versteinern muss, wenn die Kaiserin innert kurzer Frist keinen Schatten wirft. Die Kaiserin erfährt vom drohenden Schicksal ihres Mannes durch dessen Jagdfalken. Sie befiehlt der Amme, ihr einen Schatten zu verschaffen. Gemeinsam begeben sie sich hinunter zu den Menschen, in die ärmliche Behausung des Färbers Barak und dessen Gemahlin. Diese Ehe ist ebenfalls kinderlos, weil die Färberin sich ihrem Mann zusehends verweigert. Die Amme blendet die einfache Färbersfrau mit Zaubertricks, einem schönen Jüngling und Reichtum. Die Färberin schliesst den Pakt mit der Amme und ist bereit, ihren Schatten zu verkaufen. Die Kaiserin versteht den schlimmen Handel, hat Erbarmen mit Barak, aber nicht die Kraft einzuschreiten. Die Situation im Färberhaus eskaliert. Die Färberin kündigt ihrem Mann die eheliche Treue, der eigentlich sanftmütige Barak reagiert vehement. Doch bevor er seiner Frau körperlich zu nahe kommen kann, entgleiten der Amme die Fäden, die Erde öffnet sich und verschlingt das Färberpaar. Kaiserin und Amme können sich gerade noch retten. Nun beginnt die Zeit der Prüfungen: Das Färberpaar gelangt durch die Trennung zur Einsicht gegenseitiger Liebe, die Kaiserin ficht einen inneren Kampf mit sich aus: Einerseits will sie ihren Mann vor dem Versteinern bewahren, andererseits hat sie enormes Mitleid mit den Menschen. Dieses Gefühl ist stärker. Sie stellt sich gegen ihren Vater Keikobad: ICH WILL NICHT, der erste menschliche Schrei, den sie ausstösst, gleich einer gebärenden Mutter. Damit befreit sie Färberin und Färber und rettet ihren Mann. Die Zeit der Prüfungen ist vorbei, die Stimmen der Ungeborenen kündigen an, dass sie nicht mehr lange ungeboren bleiben werden.
Werk:
Mozart (ZAUBERFLÖTE, mit ihren Prüfungen für die beiden Paare), Goethe (das Mephistophelische der Amme) und fernöstliche Symbolik standen Pate für dieses komplexe, in den immensen Anforderungen an Protagonisten, Orchester und Bühne einzigartige Werk. Von Kennern und eingeschworenen Fans wird diese farbenreiche, in ihrer verführerischen Sogwirkung einmalige Partitur salopp „FroSch“ genannt. Strauss setzte ein riesiges Orchester ein, reicherte es mit Glasharfe, Celesta und chinesichen Gongs an. Die Tonalität wird immer wieder aufgebrochen, grelle, Gänsehaut erzeugende Tutti-Effekte wechseln mit beinahe kammermusikalisch zarten Sequenzen.
Obwohl das Werk bereits 1915 beendet war, konnte die Uraufführung wegen der Wirren des ersten Weltkriegs erst 1919 stattfinden.
Musikalische Höhepunkte:
Ist mein Liebster dahin, Kaiserin, Akt I, mit gefürchteter Koloratur
Was wollt ihr hier?, Szene Färberin, Amme, Kaiserin mit dem herrlichen Aufschwung „O Welt in der Welt“ der Färberin
Falke, Falke, du wiedergefundener, Kaiser, Akt II
Es gibt derer, die haben immer Zeit, Färberin, Barak, Amme, Jüngling, Akt II
Sieh, Amme, sieh, Kaiserin, Amme, Akt II
Das Weib ist irre, Finale Akt II
Schweigt doch, ihr Stimmen – Mir anvertraut, Färberin, Barak, Akt III
Vater bist du's?, Kaiserin, Akt III
Wenn das Herz aus Kristall - Nun will ich jubeln, Finale, Akt III. Kaiser, Kaiserin, Färber, Färberin, Stimmen der Ungeborenen