Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer

Leipzig: DIE FRAU OHNE SCHATTEN, 14.06.2014

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Die Frau ohne Schatten

copyright: Kirsten Nijhof, mit freundlicher Genehmigung Oper Leizig

Oper in drei Akten | Musik: Richard Strauss | Text: Hugo von Hofmannsthal | Uraufführung: 10. Oktober 1919 in Wien | Aufführungen in Leipzig: 14.6. | 21.6. | 24.6. | 28.6.2014

Kritik:

Strauss'/Hofmannsthals DIE FRAU OHNE SCHATTEN auf die Bühne zu bringen, bedeutet für jedes Haus eine enorme szenische und musikalische Kraftanstrengung. Die Oper Leipzig darf man zu ihrer zu Recht umjubelten Premiere nur beglückwünschen! Endlich kam das Publikum mal wieder in den Genuss einer Inszenierung dieses Meisterwerks, die mit der Gewalt der Bilder (einhergehend mit genauen Charakterzeichnungen) den Zuschauer restlos in ihren Bann zu schlagen vermochte. Balázs Kovalik (Regie), Heike Scheele (Bühne), Sebastian Ellrich (Kostüme) und Michael Röger (Licht) verzichteten wohltuenderweise auf ein Einheitsbühnenbild und nutzten die technischen und medialen Möglichkeiten der Leipziger Bühne gekonnt für stimmige Szenenwechsel und packende Verwandlungen. Sie formten aus der symbolträchtigen, märchenhaften Handlung ein übermächtiges Welttheater, setzten die psychologische Durchdringung der Figuren ohne zu Holzhammer-Methoden oder intellektueller Masturbation greifen zu müssen (geschweige denn der Freudschen Couch ... ) mit Intelligenz, Einfühlungsvermögen und gar einer Prise feiner Satire und mit nie nachlassender Spannung und Stringenz um. Atemberaubend zum Beispiel gestaltete sich der Aufbruch der Kaiserin und der Amme im ersten Akt hinab zu den der Amme verhassten Menschen (was die Kaiserin mit einem verächtlichen Achselzucken quittierte). Das in Rot, Gold und Weiss gehaltene Art déco Schlafzimmer verwandelte sich in ein heruntergekommenes Vergnügungsviertel inmitten von Betonruinen, in einer Garage hauste der Technik-Schrotthändler Barak mit seiner Gemahlin Cindy von Marzahn (also der Färberin!). Bald stellte sich die Amme an den Herd und bereitete als Fernsehköchin die Fischlein zu, nachdem sie der Cindy eine Theaterkarriere mitsamt einem Operettenoffizier (dem Kaiser in weisser Galauniformen anstelle eines nackten Jünglings) vorgegaukelt hatte (Oh Welt in der Welt) - toll gemacht! Berührend dann die anschliessende Szene, in der die Färberin dem Spuk mit der Fernsehköchin ein Ende setzt, die Betten ihres Schlafgemachs aber trotzdem trennt. Der Gesang der Wächter, welcher das Glück der ehelich Liebenden beschwört, reisst den Riesenfernseher auseinander und die beiden Betten schweben vereinsamt im leeren Raum. Grossartig gemacht. Einiges mutete vielleicht auf den ersten Blick etwas gar dick aufgetragen an, so z. B. das Fest Baraks nach seinem erfolgreichen Geschäft, das er als Abendmahlszene eines amerikanischen Predigers des 19. Jahrhunderts abhielt, mit einem Tableau vivant als Kulisse. Allerdings bleibt diese Szene dann auch nicht wieder bloss Staffage, sondern wird für sowohl als Falknerhaus als auch für den Beginn des dritten Aktes verwendet: Die Färberin, welche zusehends von Cindy zu Kaiserin Sisi mutiert, und Barak liegen nun auf den leeren Abendmahlstischen, doch die Kinder des Tableau vivant sind verschwunden und haben nur ihre Schatten hinterlassen. Eindrückliches Bild für den Beginn der Prüfungsszenen. Die Kaiserin hingegen, welche zu Beginn der Oper noch der Sisi aufs Haar glich wird immer profaner, tritt schliesslich nur noch im Regenmantel über dem Unterrock auf. Auch der Kaiser vollzieht eine Wandlung: Nach der Einweisung in die Irrenanstalt legt er die Uniform ab, wird Mensch, verliert seine Steifheit. Unzählige Fäden spinnt diese vielschichtige, klug durchdachte Inszenierung und wartet mit gewaltigen Bildern auf: Die Hängebrücke an der Schwelle des Todes, welche der Amme zum Verhängnis wird, das stetige Auftauchen des Geisterboten in seinem mafiösen Outfit, der sich schliesslich als Vater der Kaiserin entpuppt und nach all den schweren Prüfungen diese liebevoll in seine Arme schliesst, die Beziehung Barak-Kaiserin, welche nicht bloss parsifalesk (also durch Mitleid wissend) aufgebaut, sondern von gegenseitiger sexueller Anziehung geprägt ist. Und wer weiss: Vielleicht ist der Schatten, den die Kaiserin nun wirft gar von einem Seitensprung mit Barak inseminiert. Dem strahlenden C-Dur Finale traut der Regisseur auch nicht ganz: Zwar werden zwei Dutzend Kinderwagen auf die Bühne gerollt, doch anscheinend sind diese leer. Im Hintergrund schleicht sich die Amme wieder durch die Tür, die Miene der Kaiserin ist alles andere als fröhlich und jubelnd. Dann ist da noch die Figur des Falken: Er übernimmt gleich sämtliche Rollen der Stimmen aus dem Off, ist Unheilsbote, Cupido, Hüter der Schwelle, Stimme von Oben. Schuldig geworden an ihm sind sie alle, davon zeugen die blutigen Abdrücke von Händen auf seinem Körper. Johannes Gosch spielt diesen roten Vogel mit einer fantastischen Bühnenpräsenz und verletzlicher Ausstrahlung. Überhaupt das Spiel auf der Bühne: Alle Sängerinnen und Sänger gestalten ihre Partien mit herausragender mimischer Gestaltungskraft. Simone Schneider ist als Kaiserin mit ihrer dunkel leuchtenden Sopranstimme eine Wucht, die Intonation ist von einer strahlenden Reinheit und Sicherheit geprägt. Manche Passagen könnte man sich zwar auch noch ein bisschen zarter phrasiert vorstellen, doch wer über eine dermassen ebenmässig timbrierte Stimme verfügt, darf ruhig auftrumpfen, denn selbst im fortissimo treten bei Frau Schneider keinerlei Verhärtungen auf. Schlicht überwältigend ist Frau Schneider in ihrer Erkenntnisszene, in welcher sie zuerst an Baraks Arbeitshose riecht, und dann quasi von der Gosse her zum Bild des versteinerten Kaisers (in der Zwangsjacke in der Irrenanstalt, umgeben von seinen umgestürzten Marmorstatuen) findet. Die Färberin von Jennifer Wilson ist der Kaiserin punkto Eindringlichkeit des Gesangs und des Spiels ebenbürtig, auch sie eine Klassebesetzung: Aus ihrem Cindy-Schmollmund entströmen grossartige Töne, alle prächtig ausgesungen, nichts gekeift. Mit tiefer Empfindsamkeit zum Beispiel singt sie die wunderbare Phrase „..um des Köstlichen willen, das du zerstören könntest“. Mit warmer Stimme und sympathischem Spiel gibt Thomas J. Mayer den Barak, kostet seine eindringlichen und eingängigen Phrasen innerhalb der relativ schnellen Tempovorgaben durch den Dirigenten Ulf Schirmer gekonnt aus. Burkhard Fritz singt die hohe Partie des Kaisers mit bewundernswert unforcierter und schlanker Tongebung, sehr kultiviert. Ein Ereignis stellt auch Doris Soffel als Amme dar. Mag man zu Beginn noch einige Brüche in der Stimme bemängelt haben, singt sie sich doch zusehends frei und überrascht dann in der Folge mit stupender Sicherheit und all der Rollenerfahrung, die sie hat. Doch klingt nichts einfach bloss routiniert, sondern sie gestaltet mit natürlich wirkender Agilität die dämonische Partie, ohne zu chargieren! Tuomas Pursio ist ein wohlklingender Geisterbote, allerdings mehr auf Wohlklang als auf Genauigkeit des Notentextes bedacht. Sehr gut die Brüder Baraks, Jonathan Michie als Einäugiger, Sejong Chang als Einarmiger (sie singen mit ausgesprochenem Wohlklang zusammen mit Tuomas Pursio auch die wunderschöne Szene der drei Wächter aus dem Off) und Dan Karlström als Buckliger in ihren Trainingshosen und Adiletten. Die Stimmen aus dem Off und der Kinderchor haben es etwas schwieriger, da die Koordination mit dem Orchester über die weite Distanz zum Rang trotz eines zusätzlichen Dirigenten nicht ganz klappt.

Das Gewandhausorchester unter Ulf Schirmers vorwärtsdrängendem Dirigat spielt die Partitur wie aus einem Guss, manches hätte man sich vielleicht noch etwas weniger geglättet und aufgerauter vorstellen können, doch tragen die relativ schnellen Tempi auch dazu bei, dass man den vierstündigen Abend an keiner Stelle als zu lang empfindet (gespielt wurde die Wiener Fassung mit den Böhm-Strichen).

Lang anhaltender Jubel des Premierenpublikums. Verdient!!! 

Fazit: Nicht verpassen! Eine bildgewaltige, klug durchdachte und äusserst spannungsgeladene Inszenierung und ein sängerisches Fest!

Inhalt :

Die Kaiserin, Tochter des Geisterkönigs Keikobad, einst mit der Fähigkeit sich in Tierwesen zu verwandeln ausgestattet, ist in ihrer Ehe mit dem Kaiser kinderlos geblieben, sie wirft keinen Schatten. Ihre Amme, die dem Geisterkönig treu ergeben ist und alles Menschliche hasst, erhält vom Geisterboten die Nachricht, dass der Kaiser versteinern muss, wenn die Kaiserin innert kurzer Frist keinen Schatten wirft. Die Kaiserin erfährt vom drohenden Schicksal ihres Mannes durch dessen Jagdfalken. Sie befiehlt der Amme, ihr einen Schatten zu verschaffen. Gemeinsam begeben sie sich hinunter zu den Menschen, in die ärmliche Behausung des Färbers Barak und dessen Gemahlin. Diese Ehe ist ebenfalls kinderlos, weil die Färberin sich ihrem Mann zusehends verweigert. Die Amme blendet die einfache Färbersfrau mit Zaubertricks, einem schönen Jüngling und Reichtum. Die Färberin schliesst den Pakt mit der Amme und ist bereit, ihren Schatten zu verkaufen. Die Kaiserin versteht den schlimmen Handel, hat Erbarmen mit Barak, aber nicht die Kraft einzuschreiten. Die Situation im Färberhaus eskaliert. Die Färberin kündigt ihrem Mann die eheliche Treue, der eigentlich sanftmütige Barak reagiert vehement. Doch bevor er seiner Frau körperlich zu nahe kommen kann, entgleiten der Amme die Fäden, die Erde öffnet sich und verschlingt das Färberpaar. Kaiserin und Amme können sich gerade noch retten. Nun beginnt die Zeit der Prüfungen: Das Färberpaar gelangt durch die Trennung zur Einsicht gegenseitiger Liebe, die Kaiserin ficht einen inneren Kampf mit sich aus: Einerseits will sie ihren Mann vor dem Versteinern bewahren, andererseits hat sie enormes Mitleid mit den Menschen. Dieses Gefühl ist stärker. Sie stellt sich gegen ihren Vater Keikobad: ICH WILL NICHT, der erste menschliche Schrei, den sie ausstösst, gleich einer gebärenden Mutter. Damit befreit sie Färberin und Färber und rettet ihren Mann. Die Zeit der Prüfungen ist vorbei, die Stimmen der Ungeborenen kündigen an, dass sie nicht mehr lange ungeboren bleiben werden.

Werk:

Mozart (ZAUBERFLÖTE, mit ihren Prüfungen für die beiden Paare), Goethe (das Mephistophelische der Amme) und fernöstliche Symbolik standen Pate für dieses komplexe, in den immensen Anforderungen an Protagonisten, Orchester und Bühne einzigartige Werk. Von Kennern und eingeschworenen Fans wird diese farbenreiche, in ihrer verführerischen Sogwirkung einmalige Partitur salopp „FroSch“ genannt. Strauss setzte ein riesiges Orchester ein, reicherte es mit Glasharfe, Celesta und chinesischen Gongs an. Die Tonalität wird immer wieder aufgebrochen, grelle, Gänsehaut erzeugende Tutti-Effekte wechseln mit beinahe kammermusikalisch zarten Sequenzen.

Obwohl das Werk bereits 1915 beendet war, konnte die Uraufführung wegen der Wirren des ersten Weltkriegs erst 1919 stattfinden.

Musikalische Höhepunkte:

Ist mein Liebster dahin, Kaiserin, Akt I, mit gefürchteter Koloratur
Was wollt ihr hier?,
Szene Färberin, Amme, Kaiserin mit dem herrlichen Aufschwung „O Welt in der Welt“ der Färberin
Falke, Falke, du wiedergefundener,
Kaiser, Akt II
Es gibt derer, die haben immer Zeit,
Färberin, Barak, Amme, Jüngling, Akt II
Sieh, Amme, sieh,
Kaiserin, Amme, Akt II
Das Weib ist irre,
Finale Akt II
Schweigt doch, ihr Stimmen – Mir anvertraut,
Färberin, Barak, Akt III
Vater bist du's?,
Kaiserin, Akt III
Wenn das Herz aus Kristall - Nun will ich jubeln,
Finale, Akt III. Kaiser, Kaiserin, Färber, Färberin, Stimmen der Ungeborenen

Karten

 

Zurück