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München: OTELLO, 05.07.2022

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Otello

copyright: W.Hoesl, mit freundlicher Genehmigung Bayerische Staatsoper

Oper in vier Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Arrigo Boito | Uraufführung: 5. Februar 1887 in Mailand | Aufführungen in München: 2.7.| 5.7. 2022 | 27.6. | 30.6.2023

Kritik: 

EINSPRINGER (der Superlative!)

Auch die Opernhäuser leiden unter den kurzfristigen, Pandemie bedingten Absagen. Die Münchner Opernfestspiele waren dieser Tage ganz besonders stark gefordert. Für den OTELLO sagte Starsopranistin Anja Harteros ihre Teilnahme als Desdemona bereits vor einigen Wochen ab, doch nur wenige Tage vor der Vorstellung vom 5. Juli musste auch Gerald Finley den Jago absagen. Doch mit der Einspringen Rachel Willis- Sørensen als Desdemona und Sir Simon Keenleyside als Jago vermochte das Betriebsbüro erstklassige Kräfte aufzubieten. Rachel Willis-Sørensens Karriere hat in den letzten Monaten rasant Fahrt aufgenommen, sie zählt unterdessen zu den gefragtesten Interpretinnen im lyrisch-dramatischen Fach. So war auch ihre Interpretation der Desdemona von wunderschön und zart intonierten Phrasen im Liebesduett des ersten Aktes gezeichnet, fein und anrührend gesungen. Stark waren ihre Reaktionen auf Otellos unhaltbare Anschuldigungen im dritten Akt, die Ausbrüche des Entsetzens wichen den Tränen - beider! Im Finale III legte sich ihre Stimme mit leuchtender Kraft über Chor und Solistenensemble. Ihr AVE MARIA im vierten Akt geriet mit ergreifender Schlichtheit.

Simon Keenleyside legte den Jago mit eindringlicher Charakterisierungskunst an, stimmlich sowieso mit einer Souveränität der Extraklasse. Sehr verspielt und kumpelhaft agierte er im ersten Akt, das Anzetteln der ganzen Intrige schien ihm unheimlichen Spaß zu bereiten, das war nicht ein geplantes, bösartiges Manöver, sondern man bekam deutlich mit, dass Jago stets improvisieren musste um den destruktiven Strudel des Bösen in Gang zu halten. Packend sang er das CREDO im zweiten Akt, in dem er seine dunkle Seele offenbarte, unnachahmlich differenziert die Traumerzählung. Keenleyside wurde am Ende mit frentischem Jubel verdientermaßen vom Publikum für seine immense darstellerische und musikalische Leistung gefeiert!

DAS WUNDER GREGORY KUNDE

Der Ausnahme-Tenor Gregory Kunde debütierte vor 44 Jahren in Verdis OTELLO als Cassio, nun singt er natürlich längst die herausfordernde Titelpartie. Wie kaum ein anderer Sänger hat er seine lange Karriere so klug aufgebaut, kann auf eine exemplarische Technik setzen, dass er die schwierigsten Partien seines Faches mit einer stupenden Selbstverständlichkeit zu meistern vermag. Nur schon sein gefürchtetes ESULTATE nach dem überstandenen Gefecht in der Schlacht von Lepanto und dem anschließenden Sturm auf hoher See erklingt mit strahlender Reinheit der Intonation und mitreißender Kraft. Noch verblüffender: Am Tag nach dieser kräfteraubenden Verdi Partie sprang Gregory Kunde auch noch als Enée in Berlioz' Fünfakter LES TROYENS für einen erkrankten Kollegen ein. Chapeau! Kunde vermochte mit großer Eindringlichkeit die Wirkung des Giftes, das Jago in seine Seele geträufelt hatte mit seinen vielseitigen stimmlichen Mitteln zur Geltung zu bringen.

INSZENIERUNG 

Blackfacing verbietet sich selbstredend heutzutage, Aussenräume, historische Kostüme und Naturalismus leider ebenfalls. Amélie Niermeyer, die Regisseurin dieses OTELLO, der vor vier Jahren Premiere feierte, verlegte die Handlung in zwei identisch gebaute Seelenräume, einen kleineren mit weissen Wänden für die Reinheit Desdemonas, eine mit geschwärzten Wänden für die böse Welt Jagos und des infizierten Otello. So fand also der die Oper eröffnende Sturm nur in der Gedankenwelt Desdemonas statt, der Chor sang quasi unterhalb ihres Zimmers. Oftmals fanden Parallelhandlungen (Betten machen ...) in der guten und der bösen Welt statt. Vieles war einleuchtend als Kammerspiel von Szenen einer Ehe mit ungleichem Machtgefälle inszeniert, ein paar Dinge konnte man nicht ganz nachvollziehen - doch ärgern brauchte man sich nicht.

Den Bühnenbildner hätte man ohne seinen Namen nachlesen zu müssen anhand der hohen Räume mit den großen Türen und Fenstern und den Strukturabschlüssen der Decken erraten können. Diese Art von Räumen scheinen das Markenzeichen von Christian Schmidt zu sein. Annelies Vanlaere entwarf ziemlich hässliche Kostüme, vor allem für Jago und Otello, über die man besser den Mantel des Schweigens legt.

DIRIGENT UND RESTLICHES ENSEMBLE

Antonino Fogliani leitete eine mit kräftigen Pinselstrichen gemalte, sehr feurig-emotionale Aufführung von Verdis meisterhaft konzipierten Oper, die dem Werk voll gerecht wurde. In der Eröffnungsszene gab es noch kleine Temporückungen zwischen Graben und Chor, die sich jedoch schnell einrenkten. Fogliani war den Sängerinnen und Sängern eine aufmerksam mitatmende Stütze. Oleksiy Palchikov gestaltete mit klarer, sauber geführter Stimme den naiv in Jagos Falle tappenden Cassio, Nadezhda Karyazina holte sehr viel an Charakter aus der Partie der Emilia heraus. Galeano Salas war ein ausgezeichneter Roderigo (ach ja, auch ausgesprochen hässlich gekleidet). Bálint Szabó als Lodovico und Daniel Noyola füllten ihre kleinen, aber genauso wichtigen Rollen mit charaktervollen Stimmen.

Ein Protagonisten -Trio der Extraklasse machte diesen OTELLO zu einem musikalisch mitreißenden Abend!

Inhalt:

Otello ist ein Aussenseiter: schwarzer Hautfarbe, nicht einer der wohlhabenden venezianischen Familien entstammend. Trotzdem hat er es zum Befehlshaber der venezianischen Flotte und zum Statthalter von Zypern gebracht und Desdemona geheiratet, welche aus einer edlen Familie stammt. Das Glück der beiden wird ihnen von Jago (welcher bei Beförderungen übergangen wurde) und Roderigo (welcher bei Desdemona abblitzte) geneidet. Besonders der nihilistisch denkende Jago versucht nun alles, um Otello zu zerstören. Zuerst macht er den Hauptmann Cassio betrunken, zettelt einen Streit unter den Offizieren an. Otello (eben erst siegreich aus einer Schlacht zurückgekehrt) enthebt Cassio seines Rangs. Jago spinnt seine fiese Intrige weiter: Er schürt Otellos Eifersucht, indem er Otello Gerüchte um eine heimliche Liebschaft zwischen Cassio und Desdemona zuträgt. Als Beweis nutzt er ein Taschentuch, welches Otello einst seiner Frau schenkte. Jago bemächtigt sich dieses Taschentuchs und spielt es Cassio in die Hände. Otello beginnt vor Eifersucht zu rasen, hat seine Gefühle selbst vor den Gesandten der Republik nicht mehr im Griff. Er beschimpft Desdemona vor aller Augen als Hure. Desdemona zieht sich in ihr Schlafgemach zurück, betet ein inniges Ave Maria und begibt sich zur Ruhe. Otello kommt in ihr Zimmer, sie will noch einmal ihre Unschuld beteuern. Zu spät. Otello ermordet sie. Emilia, Jagos Gattin, kommt mit der Meldung, dass Cassio Roderigo ermordet habe. Sie sieht die tote Desdemona und ruft schreiend um Hilfe. Cassio, Jago und der venezianische Gesandte erscheinen. Emilia klärt nun die Geschichte mit dem verlorenen Taschentuch Desdemonas auf. Jago flieht. Otello ersticht sich.

 

Werk:

Nach dem Erfolg der AIDA 1872 zog sich Verdi auf sein Landgut Sant´Agata zurück. Zwar komponierte er danach noch das REQUIEM für seinen Freund Alessandro Manzoni (1874) und überarbeitete einige seiner früheren Werke. Doch eigentlich rechnete niemand mehr mit einer neuen Verdi-Oper. Sein Verleger Ricordi machte Verdi jedoch mit dem feinsinnigen Komponisten und Dichter Arrigo Boito bekannt (mit dem Verdi dann auch bei der Überarbeitung des BOCCANEGRA zusammenarbeitete). Ricordi spielte Verdi auch einen szenischen Entwurf Boitos für OTELLO zu und weckte damit das Interesse des Maestros. Für die Komposition liess er sich allerdings viel Zeit. Erst 8 Jahre nach der ersten Begegnung mit Boito war die Partitur vollendet und wurde in der Scala mit triumphalem Erfolg für den 74 jährigen Komponisten uraufgeführt – trotz einer den Ansprüchen nicht ganz gewachsenen Besetzung (mit Ausnahme von Victor Maurel in der Rolle des Jago). Verdi wurde von einigen Banausen später Wagnerianismus vorgeworfen, was den italienischen Meister zutiefst verletzte. Nicht weil er Wagner nicht schätzte, sondern weil es schlicht nicht zutraf. Sein OTELLO ist zwar ein durchkomponiertes Werk, die Zäsuren der Arien- und Ensembleschlüsse fehlen. Doch ist auch in Verdis zweitletzter Oper das Primat der Singstimme nach wie vor in ausgeprägten Ariosi, Duetten, Quartetten und effektvollen Aktschlüssen ausschlaggebend. Doch auch das Orchester erhält viel Gewicht und trägt beredt zur Untermalung der von Boito dramaturgisch klug auf die zwischenmenschlichen Konflikte reduzierten Handlung bei. Verdi arbeitete im Gegensatz zu Wagner nicht mit einem sinfonischen Orchester und Leitmotiven, sondern lässt das Orchester lautmalerisch und mit Erinnerungsmotiven grandios auftrumpfen. OTELLO ist DER Höhepunkt der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts – ein Meisterwerk!

Musikalische Höhepunkte:

Sturm, Akt I

Auftritt Otello: Esultate!, Akt I

Trinklied Jago, Akt I

Liebesduett Otello-Desdemona, Schluss Akt I

Credo des Jago, Akt II

Racheschwur: Si per ciel, Jago-Otello, Akt II

A terra!, Finale Akt III

Mia madre aveva una povera ancella und Ave Maria, Desdemona, Akt IV

Karten

 

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