Berlin, DOB: OTELLO, 04.06.2010
Oper in vier Akten
Musik: Giuseppe Verdi
Libretto : Arrigo Boito
Uraufführung: 5. Februar 1887 in Mailand
Aufführungen in Berlin: 2.6. | 4.6. | 10.6. | 13.6. | 24.6. | 27.6.2010
Kritik:
Die Natur muss aussen vor bleiben in dieser OTELLO Inszenierung an der Deutschen Oper Berlin: Der Sturm tobt nur im Orchester, auf der Bühne (Harald Thor) ragt ein stählernes Gerüst aus lauter kleinen Kojen hoch zum Schnürboden. Darin sind Menschen (Kriegsflüchtlinge) eingepfercht. Der Krieg hat sie alle kaputt gemacht. Teilnahmslos, apathisch verfolgen sie den „Desert storm“ auf den Bildschirmen, wanken mal hin zu den dreckigen Waschbecken, massieren sich, oder frönen ihren Zwangsneurosen. Die gehen so weit, dass einige von ihnen auch Otello und Desdemona nachspielen. Und wenn sie den Anblick des sich zuspitzenden Dramas nicht mehr ertragen können, ziehen sie einfach die Bettvorhänge vor. Sich nur ja nicht einmischen, scheint die Devise zu lauten. Leidtragende sind auch und vor allem die Kinder. Sie sind (ausser im Liebesduett des ersten Aktes und im Schlussbild) stets präsent, stürzen sich gierig auf die Münzen, welche Jago ihnen hinwirft, die Kinder sind käuflich geworden. Mal sind sie im Banne Jagos und seines CREDOS, mal dienen sie Otello als Tarnung, wenn er Jago und Cassio belauscht. Jago sammelt die Kinder um sich, predigt zu ihnen wie weiland Jesus persönlich. Doch er verspricht ihnen am Ende nicht das Himmelreich – sondern das nihilistische Nichts … Das sind starke Momente in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg. Er hat das Geschehen um Eifersucht und Intrige in die Gegenwart verlegt, spart nicht mit psychischen und körperlichen Grausamkeiten und doch wirkt seine Sicht auf den Stoff nicht plakativ und reisserisch.
Das Ereignis des Abends heisst jedoch ANJA HARTEROS: Sie singt Desdemona mit überirdisch schönen, beseelten Tönen. Ihr SALCE und das anschliessende AVE MARIA sind von einer unbeschreiblichen Innigkeit, Ruhe und Selbstsicherheit im Angesicht ihres bevorstehenden Todes geprägt, die niemanden kalt lassen. Am Ende tosender Jubel für die Künstlerin. Zu Recht: Berührender, tief empfundener und eindringlicher kann man das nicht singen. Eine wahre Sternstunde des Gesangs! Da hat José Cura als Otello sängerisch einen schweren Stand: Seinen oft zu lauten Tenor hat er an diesem Abend zwar wohltuend zurückgenommen, dafür springt die Stimme ab und zu nicht direkt an, wirkt belegt und weinerlich. Die Höhen kommen gequetscht, die Stimme strömt zu wenig frei. Von seiner oft gerühmten Virilität war wenig zu hören. Darstellerisch hingegen zeigt er einmal mehr eine herausragende Leistung. Jago ist bei Verdi ganz wichtig und gewichtig. Zeliko Lucic, aufgedunsen und mit strähnigem, grauem Haar, aber fast zu einschmeichelnd lieblichem Bariton, macht das wunderbar subtil. Gerade weil er nicht über eine dunkle, gefährlich wirkende Stimme verfügt, wirkt er umso bedrohlicher und fieser. Toll! Yosep Kang singt den smarten Cassio mit heller, sicher und extrem sauber geführter Stimme, Liane Keegan verleiht der Rolle Emilias viel Profil. Das ausgezeichnete Ensemble ergänzen Jörn Schümann als Montano, Hyung-Wook Lee als Lodovico und Gregory Warren als Rodrigo. Stimmgewaltig dröhnen Chor und Kinderchor der Deutschen Oper aus den Kojen. Patrick Summers, der langjährige GMD der Houston Grand Opera, legt seine Akzente eher auf die Knalleffekte der Partitur, die intimeren Stellen wirken dagegen etwas weniger durchgestaltet.
In Erinnerung bleiben wird aber vor allem das Schlussbild. Desdemona in einem Traum von Brautkleid, mit den Fetzen des leidigen fazzolettos von Otello in einer Art SM-Spielchen ans Bett gefesselt und in innig brutaler Umarmung ermordet, Otello, der sich in den Bauch geschossen hat, und die feigen Offiziere, welche sich beschämt der Wand zudrehen.
Fazit: Es gibt wahrscheinlich kaum noch Karten – wer eine hat, kann sich glücklich schätzen! Anja Harteros als Desdemona setzt für die Rolle neue Massstäbe!
Inhalt:
Der in Venedigs Diensten stehende Feldherr Otello kehrt siegreich aus einer Schlacht gegen die Türken zurück. Er trifft auf seine Offiziere, welche zum Teil in seine Gemahlin Desdemona vernarrt sind oder sich bezüglich Beförderungen übergangen fühlen. Einer von ihnen, Jago, ist ein ganz besonders perfider Bursche. Er spinnt eine teuflische Intrige, um Otello zu stürzen, indem er diesen an seinem wundesten Punkt, der grenzenlosen Eifersucht trifft. Sein Bauernopfer ist der in Desdemona verliebte Hauptmann Cassio. Das Corpus delicti, welches Desdemonas Untreu beweisen soll, ist ein von ihr fallen gelassenes Taschentuch, welches Jago an sich nimmt, es Cassio unterjubelt und so die rasende Eifersucht Otellos entfacht. Vor einer Delegation Venedigs demütigt Otello seine reine, unschuldige Gemahlin.Nach ihrem Abendgebet wird sie von Otello erwürgt. Die Gemahlin Jagos, Emilia, rückt zu spät mit der Wahrheit über das bösartige, nihilistische Wesen Jagos heraus. Otello ersticht sich. Sterbend erinnert er sich an seine Liebe zu Desdemona.
Werk:
Nach der Fertigstellung der AIDA hat Verdi lange mit sich gerungen, ehe er sich (auf Drängen seines Verlegers Riccordi und des Komponisten/Librettisten Boito) dann doch noch zu seinen beiden letzten Opern OTELLO und FALSTAFF überreden liess. OTELLO stellt zweifelsohne den Höhepunkte von Verdis musikdramatischem Schaffen dar. Die italienische Nummernoper ist zwar zu Gunsten einer durchkomponierten Grossform aufgehoben – und doch verleugnet der Komponist seine melodische Einfallskraft nicht. Er stellt sie aber in den Dienst des Wortes und des wahrhaftigen Ausdrucks. Auch der oft kolportierte Vorwurf, die Oper sei „wagnerianisch“ trifft in keiner Weise zu. Das Orchester ist in diesem Werk zwar zu einem ebenbürtigen Partner der vokalen Linienführung geworden, ja Verdi schaffte regelrechte Klangwunder und Tonmalereien (Sturm, Trinklied, Liebesnacht, Charakterisierung des Jago), doch leitmotivische Kompositionstechnik im Sinne Wagners lässt sich in der OTELLO Partitur nicht finden. Dem meist sechsstimmigen Chor sind wichtige und dankbare Aufgaben zugewiesen.
Mit dem OTELLO beschäftigte sich Verdi einmal mehr mit einem seiner Lieblingsautoren – Shakespeare. (MACBETH, FALSTAFF). Sein über Jahrzehnte mitgeschlepptes Shakespeare-Projekt, den KING LEAR, hat Verdi nie vollendet, die Skizzen dazu hatte er verbrannt.
Musikalische Höhepunkte:
Una vela... Esultate, Sturm, Chor und Auftritt Otellos, Akt I
Già nella notte, Duett Otello-Desdemona, Akt I
Credo in un Dio crudel, Jago, Akt II
Sì, per ciel marmoreo, Jago-Otello, Finale Akt II
A terra!, Finale Akt III
Salce, salce ... Ave Maria, Lied von der Weide und Preghiera der Desdemona, Akt IV