Hamburg: OTELLO, 25.01.2017
Oper in vier Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Arrigo Boito | Uraufführung: 5. Februar 1887 in Mailand | Aufführungen in Hamburg: 8.1. | 11.1. | 14.1. | 17.1. | 20.1. | 25.1. | 7.2.2017
Kritik:
Nun ist also der knallgelbe, gigantische Hafenkran (Bühnenbild: Susanne Gschwender) vom Basler Rheinhafen an den Hamburger Hafen an der Unterelbe umgezogen. Und wie bereits im November 2014 in Basel beherrscht er als einziges Element die Bühne, wirkt bedrohlich vor dem schwarzen Hintergrund – fast wie ein Alien. Auch anlässlich dieser zweiten Begegnung mit Calixto Bieitos Inszenierung kann ich mich mit seinem Konzept nicht wirklich anfreunden. Einiges wirkt gegenüber der Basler Premiere etwas abgemildert (oder man hat sich unterdessen daran gewähnt), weniger ordinär. Zwar werden zu Jagos Trinklied noch immer Champagnerflaschen dutzendweise entkorkt, der Schaum über die Flüchtlinge gespritzt, aber die Szene wirkt nicht mehr so triebhaft sexuell aufgeladen wie in Basel, die Misshandlung der Flüchtlinge auf der Bühne fällt weniger brutal aus. Interessant ist jedoch nach wie vor Bieitos Lesart, wenn es um die Charakterisierung dieser Männergesellschaft geht – und sie hat nichts an Aktualität verloren, im Gegenteil. Wie Otello einfach ohne irgendetwas zu hinterfragen den durch Jago arlistig verbreiteten „fake news“ aufsitzt und sich so manipulieren lässt, das ist schon sehr klug und beängstigend aktuell inszeniert. Nach wie vor haftet der Personenführung aber eine gewisse Statik an (starrer Blick der Protagonisten frontal ins Publikum), so dass das Interesse an der Handlung ab und an etwas erlahmt. Dieses Interesse flammt jedoch im vierten Akt wieder auf, denn der ist absolut der Hammer. Zwar hat sich am Bühnenbild nichts geändert, noch immer steht der gelbe Kran da, noch immer bergen seine Schienen Stolpergefahren. Doch wie nun Desdemona den Kran besteigt, zitternd sich - nur mit einem dünnen Unterrock bekleidet - daran festklammert und beinahe frei über dem Abgrund schwebend das Lied von der Weide und das Ave Maria singt, das ist atemberaubend. Otello bringt sie dann ebenfalls auf dem Kran um, steigt selbst noch eine Stufe höher, der Arm des Krans ragt nun weit über den Orchestergraben, Otello erliegt einem Herzinfarkt.
Wie bereits in Basel singt Svetlana Aksenova die Desdemona. Ihre Stimme scheint seither ein Spur grösser geworden und mit einem leicht metallischeren Timbre versehen zu sein. Doch noch immer berührt sie ungemein, nicht nur in diesem vierten Akt, der ganz ihr gehört, auch im dritten Akt, wo sie auf furchtbarste Art erniedrigt wird und im Liebesduett des ersten Akts beglückt sie mit ihren wunderbar gestalteten Gesangsbögen. Carlo Ventre singt den Otello mit beeindruckender Kraft, seine Stimme spricht leicht an, die Höhe ist überzeugend stabil und sauber. Das schwierige Esultate zu Beginn ganz herrlich intoniert, auch das Dio vendicator zusammen mit Jago ganz großartig gesungen und kernig den Männerbund besiegelnd. Ventres Stimme klingt in den tieferen Lagen etwas fahler und angerauter, doch das stört eigentlich kaum. Hervorragend präsent und gekonnt den durchtriebenen, fiesen Charakter des Jago offenbarend steht der großgewachsene, schlanke Claudio Sgura auf der Bühne, ja er dominiert sie regelrecht und vermag dermaßen in seinen Bann zu ziehen, dass man aufpassen muss, nicht selbst seinen „altenative facts“ aufzusitzen. Fantastisch sein nihilistische Credo, das gemeine Manipulieren Cassios, der abscheuliche Umgang mit seiner Gattin Emilia. Im Gegensatz zu Basel, wo diese ein platinblonder Marilyn-Verschnitt war, steht nun in Hamburg mit Cristina Domian eine attraktive Rothaarige auf der Bühne. Bieito hat verdienstvollerweise die Rolle der Emilia gebührend aufgewertet und Frau Domian füllt die Partie mit warmer Stimme und intensivem Spiel hervorragend aus. Aus Basel bekannt ist auch Markus Nykänen als Cassio – wiederum ein stimmlich überzeugender (degradierter) Offizier. Aber auch aus diesem eigentlich unschuldigen, wenn auch etwas naiven Mann, macht Bieito einen Mitläufer in der Riege der Männer-Schweine-Machtmenschen, auch er wird nicht zum Sympathieträger. Sehr gut besetzt sind auch die restlichen Offiziere, der Rodrigo von Peter Galliard und der Montano von Bruno Vargas. Alexander Roslavets verströmt als venezianischer Gesandter Lodovico Autorität und besorgten, sonoren Wohlklang. Effektvoll und klanglich überzeugend meistert der Chor der Staatsoper Hamburg (Einstudierung: Eberhard Friedrich) seine Auftritte als geschundene Flüchtlinge am Stacheldrahtzaun. Sehr differenziert und nie zu laut oder zu breiig spielt das Philharmonische Staatsorchester Hamburg Verdis meisterhafte Partitur. Maestro Paolo Carignani achtet sehr auf schlanken, durchhörbaren Klang, lässt den Sturm zu Beginn wirkungsvoll, aber kontrolliert ausbrechen, macht immer wieder die leiseren, intimeren Passagen des wunderbaren Werks hörbar.
Inhalt:
Otello ist ein Aussenseiter: schwarzer Hautfarbe, nicht einer der wohlhabenden venezianischen Familien entstammend. Trotzdem hat er es zum Befehlshaber der venezianischen Flotte und zum Statthalter von Zypern gebracht und Desdemona geheiratet, welche aus einer edlen Familie stammt. Das Glück der beiden wird ihnen von Jago (welcher bei Beförderungen übergangen wurde) und Roderigo (welcher bei Desdemona abblitzte) geneidet. Besonders der nihilistisch denkende Jago versucht nun alles, um Otello zu zerstören. Zuerst macht er den Hauptmann Cassio betrunken, zettelt einen Streit unter den Offizieren an. Otello (eben erst siegreich aus einer Schlacht zurückgekehrt) enthebt Cassio seines Rangs. Jago spinnt seine fiese Intrige weiter: Er schürt Otellos Eifersucht, indem er Otello Gerüchte um eine heimliche Liebschaft zwischen Cassio und Desdemona zuträgt. Als Beweis nutzt er ein Taschentuch, welches Otello einst seiner Frau schenkte. Jago bemächtigt sich dieses Taschentuchs und spielt es Cassio in die Hände. Otello beginnt vor Eifersucht zu rasen, hat seine Gefühle selbst vor den Gesandten der Republik nicht mehr im Griff. Er beschimpft Desdemona vor aller Augen als Hure. Desdemona zieht sich in ihr Schlafgemach zurück, betet ein inniges Ave Maria und begibt sich zur Ruhe. Otello kommt in ihr Zimmer, sie will noch einmal ihre Unschuld beteuern. Zu spät. Otello ermordet sie. Emilia, Jagos Gattin, kommt mit der Meldung, dass Cassio Roderigo ermordet habe. Sie sieht die tote Desdemona und ruft schreiend um Hilfe. Cassio, Jago und der venezianische Gesandte erscheinen. Emilia klärt nun die Geschichte mit dem verlorenen Taschentuch Desdemonas auf. Jago flieht. Otello ersticht sich.
Werk:
Nach dem Erfolg der AIDA 1872 zog sich Verdi auf sein Landgut Sant´Agata zurück. Zwar komponierte er danach noch das REQUIEM für seinen Freund Alessandro Manzoni (1874) und überarbeitete einige seiner früheren Werke. Doch eigentlich rechnete niemand mehr mit einer neuen Verdi-Oper. Sein Verleger Ricordi machte Verdi jedoch mit dem feinsinnigen Komponisten und Dichter Arrigo Boito bekannt (mit dem Verdi dann auch bei der Überarbeitung des BOCCANEGRA zusammenarbeitete). Ricordi spielte Verdi auch einen szenischen Entwurf Boitos für OTELLO zu und weckte damit das Interesse des Maestros. Für die Komposition liess er sich allerdings viel Zeit. Erst 8 Jahre nach der ersten Begegnung mit Boito war die Partitur vollendet und wurde in der Scala mit triumphalem Erfolg für den 74 jährigen Komponisten uraufgeführt – trotz einer den Ansprüchen nicht ganz gewachsenen Besetzung (mit Ausnahme von Victor Maurel in der Rolle des Jago). Verdi wurde von einigen Banausen später Wagnerianismus vorgeworfen, was den italienischen Meister zutiefst verletzte. Nicht weil er Wagner nicht schätzte, sondern weil es schlicht nicht zutraf. Sein OTELLO ist zwar ein durchkomponiertes Werk, die Zäsuren der Arien- und Ensembleschlüsse fehlen. Doch ist auch in Verdis zweitletzter Oper das Primat der Singstimme nach wie vor in ausgeprägten Ariosi, Duetten, Quartetten und effektvollen Aktschlüssen ausschlaggebend. Doch auch das Orchester erhält viel Gewicht und trägt beredt zur Untermalung der von Boito dramaturgisch klug auf die zwischenmenschlichen Konflikte reduzierten Handlung bei. Verdi arbeitete im Gegensatz zu Wagner nicht mit einem sinfonischen Orchester und Leitmotiven, sondern lässt das Orchester lautmalerisch und mit Erinnerungsmotiven grandios auftrumpfen. OTELLO ist DER Höhepunkt der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts – ein Meisterwerk!
Musikalische Höhepunkte:
Sturm, Akt I
Auftritt Otello: Esultate!, Akt I
Trinklied Jago, Akt I
Liebesduett Otello-Desdemona, Schluss Akt I
Credo des Jago, Akt II
Racheschwur: Si per ciel, Jago-Otello, Akt II
A terra!, Finale Akt III
Mia madre aveva una povera ancella und Ave Maria, Desdemona, Akt IV