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Berlin, Philharmonie: OTELLO (konzertant), 25.04.2019

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Otello

Giuseppe Verdi (1813-1901)

Oper in vier Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Arrigo Boito | Uraufführung: 5. Februar 1887 in Mailand | Aufführungen in Berlin: 25.4. und 28.4. 2019 (zuvor auch szenische Aufführungen in Baden-Baden)

Kritik:

Oftmals werden konzertante Aufführungen von Opern ja heutzutage „halbszenisch“ gegeben, d.h. ein Regisseur versucht, das „Konzert“ irgendwie durch Aktion und Schauspielkunst aufzupeppen. Nicht so gestern Abend in der Philharmonie Berlin bei Verdis OTELLO: Das war wirklich rein konzertant. Die Sängerinnen und Sänger in schwarzer Abendkleidung, der Chor ebenso in Schwarz brav hinter dem Orchester platziert. Doch dank der Kraft der musikalischen Darbietung vermisste man das Szenische nur in ganz wenigen Momenten. Denn die dreistündige Aufführung war von Beginn weg packend. Maestro Zubin Mehta hatte kaum auf dem Podium Platz genommen, da ließ er schon den Eröffnungssturm losbrausen, dass es den Saal beinahe zum Beben brachte. Ein infernalischer Höllenritt, von einer klanglichen Farbigkeit, die dermaßen packend war, dass man direkt in die Szenerie an der zypriotischen Küste hineingeworfen wurde (und sich nicht über irgendwelche Regiemätzchen wundern musste). Die Berliner Philharmoniker ließen es grollen, blitzen und funkeln, das Meer tobte, der klangstarke Rundfunkchor Berlin gab seinem Entsetzen und der Freude Ausdruck, als Otello als Sieger aus dem Kampf hervorging und sein strahlendes Esultate ertönen ließ. Arsen Soghomonyan war dieser Otello. Der junge Sänger Soghomonyan hat bereits eine erstaunliche Karriere hinter sich, 1983 geboren, erst als Bariton tätig und seit gut zwei Jahren mit seinem Debüt als Tenor überraschend (Cavaradossi). Und nun singt er bereits die schwierigste Rolle im italienischen Repertoire, eben Verdis Otello. Und wie! Herrlich kraftvoll strömt der (logischerweise) leicht dunkel gefärbte Tenor, berührend im Liebesduett des ersten Aktes, dann folgt der Absturz in den von der grenzenlosen Eifersucht dominierten Wahn. Doch nie verliert Soghomonyan die Kontrolle über die Stimme, gestaltet plastisch, doch nicht affektiert, sicher in der Intonation, überwältigend in der Gestaltung. Da reift ein ganz großer Interpret dieser Partie heran, auf dessen weiteren Weg man sich freuen kann. Genauso wichtig ist in dieser Oper aber auch sein Gegenspieler Jago. Mit Luca Salsi hat man einen exzeptionellen Interpreten verpflichtet. Er bleibt dieser komplexen Figur nichts an Nuancen schuldig, da werden allen Facetten eines der interessantesten Charakters in der italienischen Oper präsentiert: Das schleimig Einschmeichelnde, das Joviale, das Hinterfotzige des Intriganten und die gnadenlose Brutalität des zu kurz Gekommenen. Salsi macht seine Stimme nicht künstlich größer, er differenziert dafür stark in der dynamischen Bandbreite, das Credo, diese starke Selbstentblößung, von tief beeindruckender psychologischer Durchdringung. Häme beherrscht er genau so gut wie vermeintliche Einfühlsamkeit (die Erzählung von Cassios Reden im Traum). Eine wunderbare Leistung. Wunderbar auch die leuchtende Sopranstimme von Sonya Yoncheva als Desdemona: Mag der Beginn im Liebesduett des ersten Aktes für mein Empfinden noch etwas zu laut gewesen sein, so steigerte sie sich im Lauf des Abends mit ihrem herrlich reinen, intonationssicheren Sopran zu einer grandiosen Interpretation dieses zarten Charakters. Das Lied von der Weide (wunderbar begleitet durch das Solo des Englischhorns) und das darauffolgende Ave Maria berührend schön. Mit himmlisch zarten Bitten versuchte sie im zweiten Akt Otello umzustimmen, merkte in ihrer Naivität nicht, was in ihrem Mann abgeht. Fantastisch dann Yonchevas weit ausschwingende Kantilenen in der Kulmination des dritten Aktes – das war zum Weinen schön gesungen, und von Zubin Mehta natürlich herrlich gezielt auf den Punkt hin aufgebaut. Jugendlich frisch klang Francesco Demuros Cassio, dramatisch erzürnt die Emilia von Anna Malvasi. In den kleineren Rollen mag Giovanni Furlanetto als Montano mit rundem Bass zu überzeugen. Der von Gijs Leenaars einstudierte Rundfunkchor Berlin sang bravourös, der Kinder- und Jugendchor der Deutschen Oper Berlin (Einstudierung: Christian Lindhorst) begeisterte mit seiner Reinheit des Gesangs.

Zubin Mehta wird in wenigen Tagen 83 Jahre alt. Äußerlich sieht man, dass ihm das Gehen Mühe bereitet – doch kaum nimmt er auf dem Dirigentenhocker Platz, vermag er mit sparsamen Gesten, aber wachem Blick, die enormen klanglichen Qualitäten von Verdis Meisterwerk mit subtiler Gestaltungskraft zu evozieren. Wie gesagt – man vermisste das Szenische kaum und musste sich vor allem nicht wie in Baden-Baden, wo die Berliner Philharmoniker mit OTELLO zu Gast waren, über eine rätselhafte Regie (was man so las ...) ärgern.

Inhalt:

Otello ist ein Aussenseiter: schwarzer Hautfarbe, nicht einer der wohlhabenden venezianischen Familien entstammend. Trotzdem hat er es zum Befehlshaber der venezianischen Flotte und zum Statthalter von Zypern gebracht und Desdemona geheiratet, welche aus einer edlen Familie stammt. Das Glück der beiden wird ihnen von Jago (welcher bei Beförderungen übergangen wurde) und Roderigo (welcher bei Desdemona abblitzte) geneidet. Besonders der nihilistisch denkende Jago versucht nun alles, um Otello zu zerstören. Zuerst macht er den Hauptmann Cassio betrunken, zettelt einen Streit unter den Offizieren an. Otello (eben erst siegreich aus einer Schlacht zurückgekehrt) enthebt Cassio seines Rangs. Jago spinnt seine fiese Intrige weiter: Er schürt Otellos Eifersucht, indem er Otello Gerüchte um eine heimliche Liebschaft zwischen Cassio und Desdemona zuträgt. Als Beweis nutzt er ein Taschentuch, welches Otello einst seiner Frau schenkte. Jago bemächtigt sich dieses Taschentuchs und spielt es Cassio in die Hände. Otello beginnt vor Eifersucht zu rasen, hat seine Gefühle selbst vor den Gesandten der Republik nicht mehr im Griff. Er beschimpft Desdemona vor aller Augen als Hure. Desdemona zieht sich in ihr Schlafgemach zurück, betet ein inniges Ave Maria und begibt sich zur Ruhe. Otello kommt in ihr Zimmer, sie will noch einmal ihre Unschuld beteuern. Zu spät. Otello ermordet sie. Emilia, Jagos Gattin, kommt mit der Meldung, dass Cassio Roderigo ermordet habe. Sie sieht die tote Desdemona und ruft schreiend um Hilfe. Cassio, Jago und der venezianische Gesandte erscheinen. Emilia klärt nun die Geschichte mit dem verlorenen Taschentuch Desdemonas auf. Jago flieht. Otello ersticht sich.

 

Werk:

Nach dem Erfolg der AIDA 1872 zog sich Verdi auf sein Landgut Sant´Agata zurück. Zwar komponierte er danach noch das REQUIEM für seinen Freund Alessandro Manzoni (1874) und überarbeitete einige seiner früheren Werke. Doch eigentlich rechnete niemand mehr mit einer neuen Verdi-Oper. Sein Verleger Ricordi machte Verdi jedoch mit dem feinsinnigen Komponisten und Dichter Arrigo Boito bekannt (mit dem Verdi dann auch bei der Überarbeitung des BOCCANEGRA zusammenarbeitete). Ricordi spielte Verdi auch einen szenischen Entwurf Boitos für OTELLO zu und weckte damit das Interesse des Maestros. Für die Komposition liess er sich allerdings viel Zeit. Erst 8 Jahre nach der ersten Begegnung mit Boito war die Partitur vollendet und wurde in der Scala mit triumphalem Erfolg für den 74 jährigen Komponisten uraufgeführt – trotz einer den Ansprüchen nicht ganz gewachsenen Besetzung (mit Ausnahme von Victor Maurel in der Rolle des Jago). Verdi wurde von einigen Banausen später Wagnerianismus vorgeworfen, was den italienischen Meister zutiefst verletzte. Nicht weil er Wagner nicht schätzte, sondern weil es schlicht nicht zutraf. Sein OTELLO ist zwar ein durchkomponiertes Werk, die Zäsuren der Arien- und Ensembleschlüsse fehlen. Doch ist auch in Verdis zweitletzter Oper das Primat der Singstimme nach wie vor in ausgeprägten Ariosi, Duetten, Quartetten und effektvollen Aktschlüssen ausschlaggebend. Doch auch das Orchester erhält viel Gewicht und trägt beredt zur Untermalung der von Boito dramaturgisch klug auf die zwischenmenschlichen Konflikte reduzierten Handlung bei. Verdi arbeitete im Gegensatz zu Wagner nicht mit einem sinfonischen Orchester und Leitmotiven, sondern lässt das Orchester lautmalerisch und mit Erinnerungsmotiven grandios auftrumpfen. OTELLO ist DER Höhepunkt der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts – ein Meisterwerk!

Musikalische Höhepunkte:

Sturm, Akt I

Auftritt Otello: Esultate!, Akt I

Trinklied Jago, Akt I

Liebesduett Otello-Desdemona, Schluss Akt I

Credo des Jago, Akt II

Racheschwur: Si per ciel, Jago-Otello, Akt II

A terra!, Finale Akt III

Mia madre aveva una povera ancella und Ave Maria, Desdemona, Akt IV

Karten

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