Basel: OTELLO, 29.11.2014
Oper in vier Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Arrigo Boito | Uraufführung: 5. Februar 1887 in Mailand | Aufführungen in Basel: 29.11. | 5.12 | 7.12. | 13.12 19.12. | 27.12. | 30.12.2014 | 2.1. | 11.1. | 19.1. | 22.1. | 26.1. | 31.1. | 15.2. | 18.2. | 7.3. | 14.3. | 16.3. | 7.4.2015
Kritik:
Svetlana Ignatovich – nur schon um ihre berührende, warmstimmige Interpretation der Desdemona zu erleben, lohnt sich die Reise nach Basel. Zart und innig singt sie im Liebesduett am Ende des ersten Aktes, ergibt sich ungläubig in die ihr widerfahrenden Erniedrigungen in den beiden Mittelakten, wartet mit einer atemberaubenden Leistung im letzten Akt auf, wenn sie mit berückender Zartheit die Canzon del salice intoniert und das wunderschöne Ave Maria betet. Ihre Stimme spricht in allen Lagen wunderbar rund an und verhärtet sich kaum in der Höhe. Dass sie dabei noch in grosser Höhe und am ganzen Leib zitternd auf dem Geländer des Hafenkrans, welcher die Bühne in allen Akten dominiert, balancieren muss, und trotzdem stimmlich stets auf der Linie bleibt, verdient grossen Respekt. Mit Kristian Benedikt hat das Theater Basel einen Interpreten der Titelpartie verpflichten können, welcher den stimmlichen Herausforderungen der anspruchsvollen Partie gewachsen ist: Kraftvoll und sicher die Höhe, etwas fahler dagegen das geforderte baritonale Fundament dieser Tenorpartie. Manchmal klingt die Stimme leicht gaumig und belegt, doch kann er sich bei seinen Eifersuchtsausbrüchen und Anklagen stets wieder frei singen. Simon Neal singt einen überlegenen Jago: Intelligent, durchtrieben, böse und schwarz. Beeindruckend die dynamisch ausdrucksstarke Steigerung im Credo, die süffisante Hinterhältigkeit in der Trinkszene, die subtilen Manipulationen Cassios und Otellos, der brachial gewalttätige Umgang mit Emilia, welche von Rita Ahonen ausgezeichnet dargestellt und gesungen wird. Markus Nykänen singt den Cassio mit beeindruckend präsentem, hell timbriertem Tenor (diesen Sänger muss man unbedingt im Auge behalten!), Karl-Heinz Brandt ist ein hervorragender Rodrigo, Zachary Altman ebenso gut besetzt als Montano und Pavel Kudinov überzeugt mit kernigem Bass als Lodovico. Aufpeitschend und leidenschaftlich, die wenigen zarteren Momente der Partitur aber stimmungsvoll auskostend gerät das Dirigat von Gabriel Feltz, welcher zusammen mit dem Sinfonieorchester Basel und dem eindrücklich singenden Chor und Extrachor des Theaters Basel (Einstudierung Henryk Polus) entscheidend zum musikalisch packenden Abend beiträgt.
Die Inszenierung hat man dem Katalanen Calixto Bieito (Artist in residence in Basel) anvertraut, welcher an diesem Haus mit Verdi-Opern schon grandios punkten (DON CARLO) oder eher enttäuschen (AIDA) konnte. Seine Lesart des OTELLO ist nun auch nicht restlos überzeugend. Die Bühne ist leer geräumt, nur ein knallgelber Hafenkran (Bühne: Susanne Gschwender) auf gefährlichen Schienen (Stolpergefahr) dominiert die Szene. Zu Beginn werden die an den Händen gefesselten Flüchtlinge (das Libretto schreibt zwar: Soldati e Marinai della Repubblica Veneta, Gentildonne e Gentiluomini Veneziani, Popolani Ciprioti, Uomini d'arme Greci, Dalmati e Albanesi, Fanciulli dell'isola, aber darum schert man sich ja nicht mehr) noch hinter Stacheldrahtverhauen in Schranken gehalten, später tauchen diese geschundenen Menschen jeweils hinter dem Kran oder der durch einen zweiten eisernen Vorhang gebildeten Rückwand auf. Die Personenführung ist sehr schlicht gehalten, meistens blicken die Protagonisten mit irren Augen geradeaus ins Publikum, wie wenn sie einander nichts zu sagen, nichts miteinander zu schaffen hätten. Otello selbst ist von Beginn weg ein psychisch kaputter Mann. Wenn sich am Anfang der imposante eiserne Vorhang öffnet, steht er bereits da vor dem Stacheldraht, der Chor schreitet langsam nach vorne, von Trockeneisschwaden umhüllt. Erst nach quälenden Minuten setzt die gigantische Sturmmusik ein – Verdis genialer Überraschungs-Effekt wird so leider verschenkt, ebenso der Auftritt Otellos, da er ja bereits auf der Bühne steht und sein Esultate (Benedikt singt das grossartig) szenisch wenig Wirkung entfaltet. Von Beginn weg klebt ständig Blut an Otellos Händen (Lady Macbeth lässt grüssen), er ist schuldig, wie all die anderen Offiziere (in smarte schwarze Anzüge gesteckt von Ingo Krügler). Diese Schuld scheint ihn zu zerfressen, er wird zum psychischen Wrack noch bevor Jago mit seiner Intrige einsetzen kann. Bieito macht aus seiner Verachtung für (männliche) Machtmenschen keinen Hehl: In der exzessiven Trinkszene des ersten Aktes werden gleich kübelweise Sektflaschen geköpft, der Schaum in ordinärst pornographischer Weise über die armen Flüchtlinge, Jagos Gattin Emilia und schwarze Kinder gespritzt, gleich riesigen Spermafontänen. Ja, Herr Bieito, wir haben's verstanden: MÄNNER SIND SCHWEINE, schwanzgesteuert und primitiv. Günther Grass hat einmal gesagt: „Man muss die Figuren lieben, auch die grässlichen.“ Bieito tut dies offensichtlich nicht. Bei ihm ist selbst der unschuldige Cassio eine triebgesteuerte Sau, die gutmütige Emilia ein platinblondes Marilyn-Objekt (was auch sonst) der männlichen Begierde, welche einer Hündin gleich Jago das verhängnisvolle fazzoletto überreichen muss. Zwischendurch wird auch mal einer der Flüchtlinge am Hafenkran stranguliert, der ziemlich amorphe Chor der in diesem Hafen gestrandeten Flüchtlinge zeigt gegen Ende immer mehr Spuren von Misshandlungen und tritt blutüberströmt auf. Ja, es ist eine krasse Interpretation der Oper von Verdi und seinem genialen Librettisten Arrigo Boito – und eine Interpretation, die szenisch letztlich doch nicht berührt, da sie die Figuren der Lächerlichkeit preisgibt. Immerhin gelingen Bieito doch an einigen Stellen grossartige theatralische Effekte: So vor allem in den Auftritten Jagos. Wie dieser von ganz hinten her sein Credo zu deklamieren beginnt, langsam immer näher zum Publikum kommt und uns sein nihilistisches Statement einpaukt, das hat schon was. Auch das Ende Otellos, der auf den Arm des Krans flüchtet und dann durch das Drehen des Krans weit über dem Parkett schwebend das Ende eines „Helden“ zelebriert, schafft endlich eine emotionale Nähe zu der tragischen Figur.
Am Ende (wie so oft) grosse Begeisterung für die Sängerinnen und Sänger, den Dirigenten das Orchester und den Chor und eine gespaltene Reaktion auf das Inszenierungskonzept.
Inhalt:
Otello ist ein Aussenseiter: schwarzer Hautfarbe, nicht einer der wohlhabenden venezianischen Familien entstammend. Trotzdem hat er es zum Befehlshaber der venezianischen Flotte und zum Statthalter von Zypern gebracht und Desdemona geheiratet, welche aus einer edlen Familie stammt. Das Glück der beiden wird ihnen von Jago (welcher bei Beförderungen übergangen wurde) und Roderigo (welcher bei Desdemona abblitzte) geneidet. Besonders der nihilistisch denkende Jago versucht nun alles, um Otello zu zerstören. Zuerst macht er den Hauptmann Cassio betrunken, zettelt einen Streit unter den Offizieren an. Otello (eben erst siegreich aus einer Schlacht zurückgekehrt) enthebt Cassio seines Rangs. Jago spinnt seine fiese Intrige weiter: Er schürt Otellos Eifersucht, indem er Otello Gerüchte um eine heimliche Liebschaft zwischen Cassio und Desdemona zuträgt. Als Beweis nutzt er ein Taschentuch, welches Otello einst seiner Frau schenkte. Jago bemächtigt sich dieses Taschentuchs und spielt es Cassio in die Hände. Otello beginnt vor Eifersucht zu rasen, hat seine Gefühle selbst vor den Gesandten der Republik nicht mehr im Griff. Er beschimpft Desdemona vor aller Augen als Hure. Desdemona zieht sich in ihr Schlafgemach zurück, betet ein inniges Ave Maria und begibt sich zur Ruhe. Otello kommt in ihr Zimmer, sie will noch einmal ihre Unschuld beteuern. Zu spät. Otello ermordet sie. Emilia, Jagos Gattin, kommt mit der Meldung, dass Cassio Roderigo ermordet habe. Sie sieht die tote Desdemona und ruft schreiend um Hilfe. Cassio, Jago und der venezianische Gesandte erscheinen. Emilia klärt nun die Geschichte mit dem verlorenen Taschentuch Desdemonas auf. Jago flieht. Otello ersticht sich.
Werk:
Nach dem Erfolg der AIDA 1872 zog sich Verdi auf sein Landgut Sant´Agata zurück. Zwar komponierte er danach noch das REQUIEM für seinen Freund Alessandro Manzoni (1874) und überarbeitete einige seiner früheren Werke. Doch eigentlich rechnete niemand mehr mit einer neuen Verdi-Oper. Sein Verleger Ricordi machte Verdi jedoch mit dem feinsinnigen Komponisten und Dichter Arrigo Boito bekannt (mit dem Verdi dann auch bei der Überarbeitung des BOCCANEGRA zusammenarbeitete). Ricordi spielte Verdi auch einen szenischen Entwurf Boitos für OTELLO zu und weckte damit das Interesse des Maestros. Für die Komposition liess er sich allerdings viel Zeit. Erst 8 Jahre nach der ersten Begegnung mit Boito war die Partitur vollendet und wurde in der Scala mit triumphalem Erfolg für den 74 jährigen Komponisten uraufgeführt – trotz einer den Ansprüchen nicht ganz gewachsenen Besetzung (mit Ausnahme von Victor Maurel in der Rolle des Jago). Verdi wurde von einigen Banausen später Wagnerianismus vorgeworfen, was den italienischen Meister zutiefst verletzte. Nicht weil er Wagner nicht schätzte, sondern weil es schlicht nicht zutraf. Sein OTELLO ist zwar ein durchkomponiertes Werk, die Zäsuren der Arien- und Ensembleschlüsse fehlen. Doch ist auch in Verdis zweitletzter Oper das Primat der Singstimme nach wie vor in ausgeprägten Ariosi, Duetten, Quartetten und effektvollen Aktschlüssen ausschlaggebend. Doch auch das Orchester erhält viel Gewicht und trägt beredt zur Untermalung der von Boito dramaturgisch klug auf die zwischenmenschlichen Konflikte reduzierten Handlung bei. Verdi arbeitete im Gegensatz zu Wagner nicht mit einem sinfonischen Orchester und Leitmotiven, sondern lässt das Orchester lautmalerisch und mit Erinnerungsmotiven grandios auftrumpfen. OTELLO ist DER Höhepunkt der italienischen Oper des 19. Jahrhunderts – ein Meisterwerk!
Musikalische Höhepunkte:
Sturm, Akt I
Auftritt Otello: Esultate!, Akt I
Trinklied Jago, Akt I
Liebesduett Otello-Desdemona, Schluss Akt I
Credo des Jago, Akt II
Racheschwur: Si per ciel, Jago-Otello, Akt II
A terra!, Finale Akt III
Mia madre aveva una povera ancella und Ave Maria, Desdemona, Akt IV