Zürich: PARSIFAL, 26.06.&10.07.2011
Bühnenweihfestspiel in drei Akten | Musik: Richard Wagner | Libretto: vom Komponisten, nach dem mittelalterlichen Epos von Wolfram von Eschenbach und anderen Quellen | Uraufführung: 26. Juli 1882 in Bayreuth | Aufführungen in Zürich: 26.6 | 29.6. | 3.7. | 5.7. | 10.7.2011
Kritik:
Eine würdigere Festspiel-Premiere als diesen PARSIFAL kann man sich kaum vorstellen: Die klug durchdachte Regiearbeit von Claus Guth zelebriert kein "Hochkultur-Oberammergau" (Nike Wagner) sondern setzt mit ihrer Konzeption bei der historisch belasteten, üblen Rezeptionsgeschichte des Werks an und erschliesst dem Zuschauer erhellende Einsichten in die undialektische Konfliktlösung der Handlung. Maestro Daniele Gatti und das phänomenal aufspielenden Orchester der Oper Zürich schaffen einen wahrlich hypnotisierenden Sog von Wagners unendlichen Melodien. Dazu steht ihnen ein Wagnerensemble allererster Güte zur Verfügung (Matti Salminen, Yvonne Naef, Thomas Hampson, Stuart Skelton, Egils Silins und Pavel Daniluk). Selbst die Blumenmädchen sind mit Spitzenkräften des Ensembles besetzt. Die Aufführung ist schlichtweg grandios - ein bewegendes Ereignis!
Ein halbes Jahrhundert lang wurde in Bayreuth die Uraufführungsszenerie praktisch unverändert beibehalten (1882 -1933), der grüne Hügel wurde wegen und durch dieses letzte Bühnenwerk Wagners zu einer Pilgerstädte der Ewiggestrigen, der Deutschnationalen, der Antisemiten. Aufführungen des PARSIFAL glichen Gottesdiensten. Allgemeine Ergriffenheit und pseudoreligiöse Verzückung waren Pflicht - ebenso wie die Einsicht, dass das Reich der Güte nur ohne Mitwirkung des Weiblichen anbrechen könne. Der Regisseur der Zürcher Inszenierung, Claus Guth, will dieser Art der Konfliktlösung zu Recht nicht folgen. Es ist deshalb für ihn nahe liegend, dass Kundry am Ende nicht entseelt niedersinken kann, sondern ihren Koffer packt und Reissaus nimmt, weg von dieser sich immer stärker uniformierenden Männergesellschaft mit ihrer Heilserwartung an den „Führer“, als welchen sich Parsifal nun, mit Hilfe des kirchlichen Repräsentanten (Gurnemanz), sieht. Lanze und Gralskelch verschmelzen zu seinen Insignien der Macht. Selbst die verfeindeten, grossbürgerlichen, Brüder (Amfortas und Klingsor) hält nichts mehr in diesem zunehmend zerfallenden Gebäude. Der einstige Bruderzwist verblasst vor der düsteren (braunen) Zukunft. Ihre Annährung aneinander ist zwar noch zögerlich, doch nicht ganz ohne Hoffnung auf eine bessere Welt – und damit auch wieder ganz nahe bei Wagner.
Christian Schmidt hat eine raffiniert konstruierte Drehbühne entworfen, ein neoromanisches Gebäude, welches Industriellen-Villa und Sanatorium für Kriegstraumatisierte und -verwundete in einem ist. Wie weiland in Thomas Manns Zauberberg ergötzen sich die Insassen an Wagnerklängen, geraten in ekstatische und spastische Verzückungen. Der ehemalige Eigentümer (Titurel) hat sich seinem Lieblingssohn Amfortas zugewandt, den anderen, Klingsor, verstossen. Dieser hat sich wohl in einem Nebenflügel einen Nachtklub eingerichtet, in welchem ganz im Stil der roaring twenties in den Tag hinein gelebt und gefeiert wird (Blumenmädchen). Auch Amfortas hatte wohl Sehnsüchte nach dem wollüstigen Leben, dabei ist er der heiligen Lanze verlustig gegangen und wird nun von seinem Vater mit Komplexen beladen. In diese kaputte Welt ohne Perspektiven dringt ein barfüssiger, naiver Jüngling (Parsifal) ein, eine Art Kaspar Hauser, welcher durchaus aus Braunau kommen könnte. Als tumber Tor schleicht er durch die Räume, kann nicht einordnen, was er hier sieht, bis das Weib (Magd und Vamp) Kundry ihn „welthellsichtig“ macht. Nun beginnt er seinen Kampf, installiert sich als neuer Hoffnungsträger und Führer. In gleissendem Licht präsentiert er sich in Stiefeln und Uniform und nimmt die Huldigungen des sich wieder erstarkt wähnenden Bürgertums entgegen. Stuart Skelton in der Titelrolle setzt dies mit berührend schönem Tonansatz um, ist der etwas bullige, naive Jüngling und steht am Schluss gar nicht wie ein gestählter Held da, sondern erinnert in seiner Uniform eher an Hermann Göring, äusserlich behäbig, innen fies. Sein Helfer und Lehrer auf diesem Weg ist der in jeglicher Hinsicht imponierende Gurnemanz von Matti Salminen. (Er bekommt am 3. Juli den Zürcher Festspielpreis.) In seinen (langen) Erzählungen ist kein Spannungsabfall zu verspüren, die Diktion ist von exemplarischer Klarheit, die Ausgestaltung der riesigen Partie staunenswert. Da ist eine Durchdringung von Text und Musik von grösster Intensität zu vermerken. Die ritterlichen Gegenspieler sind in dieser Inszenierung beinahe wie Zwillingsbrüder angelegt: Einerseits der leidende Amfortas von Thomas Hampson, der den Ansprüchen seines Vaters Titurel (hervorragend Pavel Daniluk) nie und nimmer genügen kann. Er schleudert seine Klagen mit fiebriger Kraft in den Saal. Im zweiten Akt dann erlebt man mit Egils Silins einen vortrefflichen Klingsor, endlich einmal ein Sänger, welcher die Rolle nicht als keifendes Ungeheuer singt, sondern mit männlich markanter Tongebung überzeugt. Zwischen den Welten der beiden zerstrittenen Brüder (aber im gleichen Haus) wandelt Kundry: Bei Tag die helfende Büsserin (1. und 3. Akt), bei Nacht die verführerische Sexgöttin. Yvonne Naef spielt und singt diese schwierige Partie mit unglaublich intensiver Leidenschaftlichkeit. Sie schreckt weder vor gehauchten noch geschrienen Klängen zurück, findet aber auch zu verführerisch zarten, einschmeichelnden Phrasen, um gleich darauf wieder in Gänsehaut erregende Hysterie auszubrechen. Auch im stummen Spiel zeugt ihre Kundry stets von überragender Bühnenpräsenz. Für die Blumenmädchen (und die Knappen) bietet das Opernhaus allererste Kräfte seines starken Ensembles auf: Eva Liebau, Sen Guo, Katharina Peetz, Teresa Sedelmair, Viktorija Stanelyté und Irène Friedli bringen den zweiten Akt wahrlich zum Erblühen. Für die eindringlichen Geleitchöre „... zum letzten Liebesmahle“ sorgen der Chor und der Zusatzchor der Oper Zürich. Einige Wackler in der Koordination zwischen Orchester und Off-Chor werden sich im Verlauf der Aufführungsserie bestimmt noch legen. Maestro Daniele Gatti bevorzugt im ersten Akt eher getragene Tempi, doch schaffen er und das herausragend schön aufspielende Orchester (stellvertretend sei der betörend saubere Klang der Posaunen im Vorspiel I erwähnt) das bewundernswerte Kunststück, dass die Spannungsbögen nie reissen. Selten hat man das Publikum so konzentriert lauschend erlebt. Gatti breitet einen erstaunlich sanften, und doch dynamisch hochgradig differenzierten Klangteppich aus, welcher den Dimensionen des Hauses vollständig gerecht wird und den Sängern unforcierte stimmliche Prachtentfaltung ermöglicht.
Nachtrag, Vorstellung vom 10.Juli 2011
Eher etwas zügiger dirigiert, der erste Akt dauerte nur noch 1 h 42 min. Auch Daniele Gatti wurde euphorisch gefeiert, die wiederum herausragenden Solisten und die Solistin sowieso, auch wenn Frau Naef wiederum den Spitzenton, das H, im 2. Akt nach kurzem Antippen abbrechen musste. Daneben aber zeigte sie eine gestalterisch und darstellerisch eindringliche Kundry.
Fazit:
So musiziert und inszeniert verfehlt das „metaphysische Adagio“ (Ernst Bloch) seine „entrückende Wirkung auf das Gemüt“ (Richard Wagner über PARSIFAL) nicht.
Werk:
PARSIFAL, das letzte Bühnenwerk Wagners, fügt sich nahtlos in sein Schaffen ein. Die Thematik des Erlösungsgedankens, welcher seit seinem FLIEGENDEN HOLLÄNDER sein Werk und seine (zum Teil kruden) Philosophien durchzogen hatte, wird in dieser Oper nochmals in aller Deutlichkeit veranschaulicht: Die Erlösung des Menschen von seinen Sünden durch eine von Mitleid erfüllte, reine Seele. Hier ist es Parsifal, der reine Tor, welcher durch Mitleid wissend wird.
Nach dem Willen Wagners (und vor allem seiner zweiten Frau Cosima) sollte PARSIFAL ausschliesslich in Bayreuth gespielt werden dürfen. Doch die Metropolitan Opera verletzte den Urheberrechtsschutz bereits 1903 mit einer szenischen Aufführung in New York. 1913 lief die offizielle Schutzfrist aus. Cosima kämpfte vergeblich um eine Verlängerung. Das Opernhaus Zürich zeigte die erste legitime und vollständige Aufführung ausserhalb Bayreuths.
Musikalisch gehört Wagners Partitur zum Erhabensten, was der Komponist geschaffen hatte, auch wenn, wie oft bei ihm, gewisse Passagen vor Geschwätzigkeit nur so strotzen (die unendlich langen Erzählungen Gurnemanz'). Doch dann beglückt die Musik wieder mit einem berührenden, nie leeren Pathos, einer unendlichen Schönheit, Tiefe und Reinheit, einem „ausserordentlichen Gefühl, Erlebnis und Ereignis der Seele im Grunde der Musik, das Wagner die höchste Ehre macht.“ (Friedrich Nietzsche, der sich von Wagner abgewandt hatte, nachdem er das Vorspiel I gehört hatte.)
Neben aller Erhabenheit und Schönheit der Musik ist PARSIFAL aber auch ein inhaltlich streckenweise kaum geniessbares Konglomerat aus christlichen (Fusswaschung, Taufe, Abendmahl, heilige Lanze, Christi Blut), buddhistischen (Figur der Kundry mit ihren Wiedergeburten, Verbot des Tötens von Tieren) und freimaurerischen (Initiationsriten, Männerbünde) Ingredienzen. Es wurde als unmenschliches, frauenfeindliches und die sterile Männerwelt und ihre militärisch-mönchischen Ideale verklärendes Spektakel bezeichnet. (Wapnewski). Der von Wagners Witwe Cosima begründete Kult der beinahe alljährlichen „Enthüllung“ des Grals, sprich Aufführung des PARSIFAL im Festspielhaus auf dem grünen Hügel, begründete den an pseudoreligiöse Hysterie gemahnenden Gottesdienstcharakter, welchen eingefleischte Wagnerianer in diesem Werk erleben wollen. Für andere hingegen war PARSIFAL (und seine Zelebrierung in Bayreuth) eine „Geschichte, die ordentlich schlecht riecht wie die Kirche, die nie gelüftet worden ist … eine Weihrauchmuffelei, eine ungesunde geistliche Wundmalverzückung … fast ein Brechmittel.“ (Elisabeth von Herzogenberg).
Inhalt:
Vorgeschichte: Titurel, der Hüter des Heiligen Grals (Kelch, in welchem das Blut Christi vom Kreuz aufgefangen wurde) und des Heiligen Speers (mit welchem Christus am Kreuz die Seitenwunde zugefügt wurde) ist alt geworden. Sein Sohn Amfortas soll sein Nachfolger als Gralshüter werden. Bei einer Auseinandersetzung mit dem abtrünnigen Gralsritter Klingsor erliegt er fleischlichen Verlockungen und hat zudem den Heiligen Speer an diesen verloren. Klingsor fügte ihm damit eine Wunde zu, welche sich seither nicht mehr schliesst.
Oper: Gurnemanz, ein alter Gralsritter, trifft das Weib Kundry, eine Gefallene zwischen Heiliger und Hexe (sie verspottete einst Christus am Kreuz und muss seither unerlöst durch die Welt ziehen). Sie bringt einen Balsam, welcher Amfortas Linderung verschaffen soll. Doch gemäss einer Prophezeiung wird dies nur ein „reiner Tor“ schaffen, der durch Mitleid wissend geworden ist. Dieser scheint in dem Burschen Parsifal gefunden zu sein, welcher in den Park einbricht und einen Schwan erlegt. Doch die weihevolle Enthüllung des Grals, zu welcher ihn Gurnemanz mitnimmt, lässt den Jungen sprachlos zurück. Gurnemanz jagt ihn davon. Parsifal gelangt ins Reich Klingsors. Dieser will ihm mit Hilfe Kundrys die Unschuld rauben. Doch ihr Kuss macht ihm Amfortas' Qualen und deren Ursachen bewusst, er stösst Kundry von sich. Ihr hysterischer Ausbruch ruft Klingsor herbei, welcher Parsifal mit dem Heiligen Speer töten will. Doch der Speer bleibt über Parisfals Haupt schweben, er ergreift ihn, schlägt damit das Kreuzeszeichen und bringt so Klingsor und sein Zauberreich zum Verschwinden. Nach langer Irrfahrt findet Parsifal an einem Karfreitag den Weg zur Gralsburg wieder. Titurel ist unterdessen gestorben und Amfortas hat sich seither geweigert, den Rittern die Gnade und die Kraft der Enthüllung des Grals zuteil werden zu lassen. Parsifal schliesst mit dem Speer endlich Amfortas' Wunde und enthüllt den Gral. Als Zeichen der göttlichen Gnade schwebt ein weisse Taube vom Himmel. Kundry ist erlöst von ihrem Fluch, sinkt zu Boden. Parsifal ist der neue König und Hüter des Grals.