Basel: PARSIFAL, 03.04.2011
Bühnenweihfestspiel in drei Akten |
Musik: Richard Wagner |
Libretto: vom Komponisten, nach dem mittelalterlichen Epos von Wolfram von Eschenbach und anderen Quellen |
Uraufführung: 26. Juli 1882 in Bayreuth |
Aufführungen in Basel: 3.4 | 8.4. | 15.4| 18.4. | 25.4. | 30.4. | 6.5. | 14.5. | 17.5. | 28.5. | 2.6. | 19.6. 2011
Kritik:
Wagners Schwanengesang PARSIFAL überzeugend, stimmig und packend auf die Bühne zu bringen gehört zu den grössten Herausforderungen eines Inszenierungsteams. Denn da stehen einem nicht nur die sperrigen Stabreime Wagners und seine unendlichen Melodien im Wege, sondern auch die im Werk verschmolzenen subjektiven Befindlichkeiten des Künstlers Wagner und seine aus verschiedensten Quellen gesammelten philosophischen Grundgedanken. Somit konnte man den im Basler Programmheft ausgebreiteten Intentionen des Regisseurs Benedikt von Peter eigentlich einige bedenkenswerte Ansätze abgewinnen: Ein Künstler (es muss nicht Wagner sein) auf der Suche nach der Sublimierung seiner Sexsucht. Von Peter geht ganz von der Figur des leidenden, entmannten Amfortas aus, stellt ihm ein multipersonales Alter Ego (Allan Evans macht und singt das souverän) zur Seite (zugleich eine Art Zwillingsbruder, ein Autor, sein Vater Titurel), welcher immer wieder in die Handlung eingreift, Anweisungen erteilt, selbst Klingsor ins Wort fällt, Stimmungen aufnimmt, vorbetet. Sein Schreibtisch ist der Bühne (Natascha von Steiger) vorgelagert, doch immer wieder zieht es ihn auf die - bis auf drei mit Scheinwerferbatterien bestückten Stahltürme- leere Bühne. Das Zwillingsmotiv wird im Verlauf der Inszenierung immer wieder aufgegriffen (mit Messdienerinnen, welche die Akte jeweils eröffnen oder Blumenschmuck wegräumen dürfen - oft mit mehr oder weniger humoristischen Einlagen, mit mehreren Zwillingspaaren, welche sich unter den in Alltagskleidern [Kostüme:Katrin Wittig] auftretenden Chor mischen). Doch hätte man nicht vorher im Programmheft geblättert, wäre einem der Sinn des Ganzen wohl nicht „welthellsichtig“ geworden. Zu statisch im dumpfen Licht der leeren Bühne spielen sich die Massenszenen ab. Das gesamte Gebäude des Theaters wird im Verlauf des Abends zum Kopf des Autors: Die Stimmen der Solisten und der Chöre erklingen oft vom Balkon aus dem Dunkel, im Foyer ist ein Haus aufgebaut, in dem man ein sich total entfremdetes Paar vor und nach dem „Nicht-Sex“ beobachten kann: Sie mit der Vodka Flasche, er dumpf vor sich hinstarrend – Kundry und Amfortas in deprimierenden SZENEN EINER EHE. Am meisten Aufmerksamkeit seitens der Premierengäste erhält jedoch der süsse Pekinese, welcher dann auch mal kurz über die Bühne spazieren darf und so etwas Abwechslung ins ansonsten fad inszenierte Wundenheilungs- und Erlösungsgeschehen bringt. Aber das ist natürlich zu wenig, um einen fünfstündigen Opernabend zu tragen. Bewegung bringt der Regisseur aber dann ausgerechnet dort rein, wo sie am wenigsten angebracht ist, bei den wunderbaren Verwandlungsmusiken: Trockeneis und Fussball spielende Klein-Amfortas Zwillinge im ersten Akt („zum Raum wird hier die Zeit?“), plätscherndes Wasser vor Kleinstadtkulisse zum Vorspiel II und im dritten Akt wird während des Karfreitagszaubers mit grossen Besen gewischt. Das ist leider alles ziemlich ärgerlich und wurde von einem Teil des Publikums auch nicht goutiert. Einhellig bejubelt wurde jedoch die musikalische Seite: Axel Kober und das Sinfonieorchester Basel werden den gewaltigen Ansprüchen der Partitur weitgehend gerecht. Der Orchesterklang ist zwar streckenweise eher breit und vor allem im ersten Akt sehr getragen angelegt, doch dynamisch so subtil abgestuft, dass die Sängerinnen und Sänger nicht zu forcieren brauchten, das Gesamtklangbild bleibt überaus ausgewogen. Schon beinahe als exemplarisch darf man die Diktion der Sänger bezeichnen: Der Blick auf die Übertitel erübrigte sich meist. Liang Li gestaltet einen wunderbar warmstimmigen Gurnemanz, Alfred Walker singt eindrücklich den leidenden Amfortas, Stefan Stoll ist ein herrlich grossspuriger, sich, seine Macht und seinen Sex Appeal grandios überschätzender Klingsor (in weissen Socken, Metzgerschürze und Adiletten). Die stärksten Momente kommen jedoch von Kundry und Parsifal: Usula Füri-Bernhard versteht es sowohl die Mark und Bein durchdringenden Schreie der wilden Heidin, als auch die verführerischen Kantilenen der begehrenden Frau mit erregender Intensität auszudrücken. Rolf Romei ist nur schon von seiner blendenden Erscheinung her ein geradezu idealer Darsteller des tumben Toren, der zum strahlenden Erlöser mutiert. Nur mit weisser Unterhose bekleidet dringt der attraktive, langhaarige Jüngling ins Reich der verqueren Sekte ein, sein mit grosser Unschuld präsentierter, muskulöser Körper wird jedoch bald von Guremanz mit einem Mantel bedeckt, um auch ja niemanden in Versuchung zu führen … . Doch auch stimmlich ist Rolf Romei mit seinem hell timbrierten, sauber intonierenden Tenor ein vortreffliches Rollendebüt geglückt! Man darf gespannt sein, ober er sich noch zu Parsifals Sohn Lohengrin weiterentwickeln wird!
Nach fünf langen Stunden wurden auch die ausharrenden Zuschauer durch die herrlichen Gesänge der Kanbenkantorei Basel, des Berufs- und Extrachors des Theaters Basel vom (szenischen) Mitleiden erlöst.
Fazit:
Augen zu – Ohren auf!
Werk:
PARSIFAL, das letzte Bühnenwerk Wagners, fügt sich nahtlos in sein Schaffen ein. Die Thematik des Erlösungsgedankens, welcher seit seinem FLIEGENDEN HOLLÄNDER sein Werk und seine (zum Teil kruden) Philosophien durchzogen hatte, wird in dieser Oper nochmals in aller Deutlichkeit veranschaulicht: Die Erlösung des Menschen von seinen Sünden durch eine von Mitleid erfüllte, reine Seele. Hier ist es Parsifal, der reine Tor, welcher durch Mitleid wissend wird.
Nach dem Willen Wagners (und vor allem seiner zweiten Frau Cosima) sollte PARSIFAL ausschliesslich in Bayreuth gespielt werden dürfen. Doch die Metropolitan Opera verletzte den Urheberrechtsschutz bereits 1903 mit einer szenischen Aufführung in New York. 1913 lief die offizielle Schutzfrist aus. Cosima kämpfte vergeblich um eine Verlängerung. Das Opernhaus Zürich zeigte die erste legitime und vollständige Aufführung ausserhalb Bayreuths.
Musikalisch gehört Wagners Partitur zum Erhabensten, was der Komponist geschaffen hatte, auch wenn, wie oft bei ihm, gewisse Passagen vor Geschwätzigkeit nur so strotzen (die unendlich langen Erzählungen Gurnemanz'). Doch dann beglückt die Musik wieder mit einem berührenden, nie leeren Pathos, einer unendlichen Schönheit, Tiefe und Reinheit, einem „ausserordentlichen Gefühl, Erlebnis und Ereignis der Seele im Grunde der Musik, das Wagner die höchste Ehre macht.“ (Friedrich Nietzsche, der sich von Wagner abgewandt hatte, nachdem er das Vorspiel I gehört hatte.)
Neben aller Erhabenheit und Schönheit der Musik ist PARSIFAL aber auch ein inhaltlich streckenweise kaum geniessbares Konglomerat aus christlichen (Fusswaschung, Taufe, Abendmahl, heilige Lanze, Christi Blut), buddhistischen (Figur der Kundry mit ihren Wiedergeburten, Verbot des Tötens von Tieren) und freimaurerischen (Initiationsriten, Männerbünde) Ingredienzen. Es wurde als unmenschliches, frauenfeindliches und die sterile Männerwelt und ihre militärisch-mönchischen Ideale verklärendes Spektakel bezeichnet. (Wapnewski). Der von Wagners Witwe Cosima begründete Kult der beinahe alljährlichen „Enthüllung“ des Grals, sprich Aufführung des PARSIFAL im Festspielhaus auf dem grünen Hügel, begründete den an pseudoreligiöse Hysterie gemahnenden Gottesdienstcharakter, welchen eingefleischte Wagnerianer in diesem Werk erleben wollen. Für andere hingegen war PARSIFAL (und seine Zelebrierung in Bayreuth) eine „Geschichte, die ordentlich schlecht riecht wie die Kirche, die nie gelüftet worden ist … eine Weihrauchmuffelei, eine ungesunde geistliche Wundmalverzückung … fast ein Brechmittel.“ (Elisabeth von Herzogenberg).
Inhalt:
Vorgeschichte: Titurel, der Hüter des Heiligen Grals (Kelch, in welchem das Blut Christi vom Kreuz aufgefangen wurde) und des Heiligen Speers (mit welchem Christus am Kreuz die Seitenwunde zugefügt wurde) ist alt geworden. Sein Sohn Amfortas soll sein Nachfolger als Gralshüter werden. Bei einer Auseinandersetzung mit dem abtrünnigen Gralsritter Klingsor erliegt er fleischlichen Verlockungen und hat zudem den Heiligen Speer an diesen verloren. Klingsor fügte ihm damit eine Wunde zu, welche sich seither nicht mehr schliesst.
Oper: Gurnemanz, ein alter Gralsritter, trifft das Weib Kundry, eine Gefallene zwischen Heiliger und Hexe (sie verspottete einst Christus am Kreuz und muss seither unerlöst durch die Welt ziehen). Sie bringt einen Balsam, welcher Amfortas Linderung verschaffen soll. Doch gemäss einer Prophezeiung wird dies nur ein „reiner Tor“ schaffen, der durch Mitleid wissend geworden ist. Dieser scheint in dem Burschen Parsifal gefunden zu sein, welcher in den Park einbricht und einen Schwan erlegt. Doch die weihevolle Enthüllung des Grals, zu welcher ihn Gurnemanz mitnimmt, lässt den Jungen sprachlos zurück. Gurnemanz jagt ihn davon. Parsifal gelangt ins Reich Klingsors. Dieser will ihm mit Hilfe Kundrys die Unschuld rauben. Doch ihr Kuss macht ihm Amfortas' Qualen und deren Ursachen bewusst, er stösst Kundry von sich. Ihr hysterischer Ausbruch ruft Klingsor herbei, welcher Parsifal mit dem Heiligen Speer töten will. Doch der Speer bleibt über Parisfals Haupt schweben, er ergreift ihn, schlägt damit das Kreuzeszeichen und bringt so Klingsor und sein Zauberreich zum Verschwinden. Nach langer Irrfahrt findet Parsifal an einem Karfreitag den Weg zur Gralsburg wieder. Titurel ist unterdessen gestorben und Amfortas hat sich seither geweigert, den Rittern die Gnade und die Kraft der Enthüllung des Grals zuteil werden zu lassen. Parsifal schliesst mit dem Speer endlich Amfortas' Wunde und enthüllt den Gral. Als Zeichen der göttlichen Gnade schwebt ein weisse Taube vom Himmel. Kundry ist erlöst von ihrem Fluch, sinkt zu Boden. Parsifal ist der neue König und Hüter des Grals.