Berlin, Staatsoper: PARSIFAL, 28.03.2016
Bühnenweihfestspiel in drei Akten | Musik: Richard Wagner | Libretto: vom Komponisten, nach dem mittelalterlichen Epos von Wolfram von Eschenbach und anderen Quellen | Uraufführung: 26. Juli 1882 in Bayreuth | Aufführungen in Berlin: 20.3. | 25.3. | 28.3.2016
Kritik:
Das war dann schon ein sehr bewegender und berührender Moment: Das gesamte Orchester, der Chor, die Solisten und der Dirigent standen auf der Bühne und applaudierten einer Künstlerin, welche wie kaum eine zweite in den letzten dreieinhalb Jahrzehnten - seit ihrem Auftritt 1982 an den Bayreuther Festspielen unter James Levine - die Rolle der Kundry in vielen Inszenierungen von Wagners PARSIFAL geprägt hatte – Waltraud Meier. Maestro Daniel Barenboim hielt eine Laudatio (er hatte mit Waltraud Meier als Kundry erstmals 1987 einen PARSIFAL dirigiert) und der Intendant der Staatsoper, Jürgen Flimm, ließ es sich nicht nehmen, die Sängerin mit einer Blumenkrone zu krönen. Das Publikum erhob sich zu einer standing ovation von seinen Sitzen im Schiller Theater. Frau Meier zeigte einmal mehr, wie intensiv sie sich immer wieder auf die Suche nach dem Kern dieser rätselhaften Frauenfigur macht, dieser Wanderin zwischen den Welten und den Zeiten. Gebannt lauschte man ihrer klaren, wunderbar sicher gestützten und sauber geführten Stimme, welche ohne jegliches Forcieren auskam, wunderbar lockend und erotisch strömen, aber auch (wo nötig) gellend aufheulen konnte, subtil den Text und den Subtext mit Musikalität und Intelligenz interpretierte. Es war Waltraud Meier zu gönnen, dass sie ihren Abschied von der Rolle (zum Glück nicht ihren Abschied von der Bühne!) inmitten einer illustren Schar von Kollegen begehen konnte, die allesamt zu den heutzutage führenden Interpreten ihrer Partien gelten dürfen: Da war René Pape zu erleben, der mit balsamischem Bass und fantastischer Textverständlichkeit die Riesenpartie des Gurnemanz mit seinen kaum enden wollenden Erzählungen zum spannenden Ereignis machte, da war mit Andreas Schager ein neuer Stern am (Helden)-Tenorhimmel zu bewundern, welcher mit der Strahlkraft seiner Stimme die Reifung des Titelhelden vom ungehobelten, einfältigen Tramper zum Mann blendend vollzog. Und da waren die beiden Anführer der Welten, zwischen denen Kundry pendelte: Der Gralskönig Amfortas von Wolfgang Koch, mit weichem Bariton an seinem Amt und vor allem an seiner Wunde leidend und der abtrünnig gewordene Klingsor von Tómas Tómasson, der sich mit seinem hell gefärbten Bassbariton mit herausragender Diktion auf das von ihm geforderte zwangsneurotische Spiel einließ. Matthias Hölle sang einen beeindruckend autoritären Titurel.
Weniger zu gönnen war es Waltraud Meier – und damit kommen wir zum Haar in der Suppe – dass sie den Rollenabschied ausgerechnet in dieser Inszenierung begehen musste. Dmitri Tcherniakov ist nun leider gar nichts eingefallen – außer dass er in seiner Regiearbeit von 2015 auf jegliche Utopie, auf alles Weihevolle verzichtete. Selbst die Natur bleibt den ganzen Abend hindurch ausgesperrt. Also keine Waldlichtung, keine Quelle, kein Zaubergarten in Klingsors Reich und natürlich auch kein Karfreitagszauber. Nicht mal das Licht ändert sich in diesem erhebenden Moment. In seinem Einheitsbühnenbild (er ist sein eigener Bühnenbildner) erinnert er entfernt an Wagners Inspirationsquelle für das Bühnenbild der Bayreuther Uraufführung, den Dom von Siena. Im ersten Akt ist dieser Raum von düsterer, gruftiger Atmosphäre, schmutzig, heruntergekommen. Gurnemanz untermalt seine Erzählungen oberlehrerhaft mit einem Diavortrag, bestehend aus Bildern der Uraufführungsszenerie. Die Glaubensgemeinschaft der Gralsritter ist ein Haufen rauer, verrohter Männer in Wollmützen und speckigen, schmuddeligen Kleidern, wie russische Altgläubige. Sie laben sich in kannibalistischer Art direkt am Blut aus der Wunde Amfortas’. Im zweiten Akt, in Klingsors Reich, sehen wir den selben Raum, diesmal einfach in klinischem Weiß erstrahlend. Auch hier eine sektenartige Glaubensgemeinschaft, allerdings nicht auf Askese, sondern auf Inzest beruhend. Klingsor wird als biederer, neurotischer Übervater inmitten seiner Töchter (in billig bedruckten Blumenkleidern) und deren von ihm gezeugten Töchtern gezeigt, in Strickweste und ständig seine schütteren Haarsträhnen über die Glatze kämmend. Das Böse also, dass sich unter der Maske der Biederkeit verbirgt, ein durchaus interessanter Ansatz, aus dem jedoch nichts, aber auch gar nichts gemacht wird. Die Personenführung ist von einer erschreckenden Hilflosigkeit geprägt. Dass Parsifal nach dem Kuss Kundrys seine Sneakers und seine kurzen Hosen gegen Springerstiefel und Combathosen austauschen darf, ist bereits das Höchste an Einfallsreichtum ... . Wie sich Parsifal des Speers bemächtigt ist dann nur noch ein läppischer Witz. Im dritten Akt befinden wir uns wieder im düsteren Raum des ersten Aktes. Amfortas reißt Titurels Leiche aus dem Sarg und schleppt den dominanten Vater über die Bühne. Kundry (die eben noch Amfortas in die Arme fiel) wird von Gurnemanz hinterrücks erstochen und von Parsifal weggetragen, die Gralsritter ergehen sich in spastischer Verzückung. Wagners Schwanengesang, das Bühnenweihfestspiel mit seiner Utopie der Erlösung, verkommt zum deprimierenden Endzeittheater.
Weihevolles kommt immerhin aus dem Graben, wo Daniel Barenboim mit der Staatskapelle Berlin die motivischen Blöcke wunderbar aufbaut, ausbreitet, zusammenfügt. Einzig im dritten Akt scheint der musikalische Fluss oftmals ins Stocken zu geraten, steht beinahe still, und diese Langsamkeit bringt selbst Gurnemanz und Parsifal leicht in Bedrängnis. Daneben aber immer wieder wunderbar zarte Streicher, gleißendes Blech, farbenreiche Holzbläser – als das Erhabene und Erhebende der Partitur wird zumindest musikalisch wunderbar und lange nachhallend ausgebreitet.
Werk:
PARSIFAL, das letzte Bühnenwerk Wagners, fügt sich nahtlos in sein Schaffen ein. Die Thematik des Erlösungsgedankens, welcher seit seinem FLIEGENDEN HOLLÄNDER sein Werk und seine (zum Teil kruden) Philosophien durchzogen hatte, wird in dieser Oper nochmals in aller Deutlichkeit veranschaulicht: Die Erlösung des Menschen von seinen Sünden durch eine von Mitleid erfüllte, reine Seele. Hier ist es Parsifal, der reine Tor, welcher durch Mitleid wissend wird.
Nach dem Willen Wagners (und vor allem seiner zweiten Frau Cosima) sollte PARSIFAL ausschliesslich in Bayreuth gespielt werden dürfen. Doch die Metropolitan Opera verletzte den Urheberrechtsschutz bereits 1903 mit einer szenischen Aufführung in New York. 1913 lief die offizielle Schutzfrist aus. Cosima kämpfte vergeblich um eine Verlängerung. Das Opernhaus Zürich zeigte die erste legitime und vollständige Aufführung ausserhalb Bayreuths.
Musikalisch gehört Wagners Partitur zum Erhabensten, was der Komponist geschaffen hatte, auch wenn, wie oft bei ihm, gewisse Passagen vor Geschwätzigkeit nur so strotzen (die unendlich langen Erzählungen Gurnemanz'). Doch dann beglückt die Musik wieder mit einem berührenden, nie leeren Pathos, einer unendlichen Schönheit, Tiefe und Reinheit, einem „ausserordentlichen Gefühl, Erlebnis und Ereignis der Seele im Grunde der Musik, das Wagner die höchste Ehre macht.“ (Friedrich Nietzsche, der sich von Wagner abgewandt hatte, nachdem er das Vorspiel I gehört hatte.)
Neben aller Erhabenheit und Schönheit der Musik ist PARSIFAL aber auch ein inhaltlich streckenweise kaum geniessbares Konglomerat aus christlichen (Fusswaschung, Taufe, Abendmahl, heilige Lanze, Christi Blut), buddhistischen (Figur der Kundry mit ihren Wiedergeburten, Verbot des Tötens von Tieren) und freimaurerischen (Initiationsriten, Männerbünde) Ingredienzen. Es wurde als unmenschliches, frauenfeindliches und die sterile Männerwelt und ihre militärisch-mönchischen Ideale verklärendes Spektakel bezeichnet. (Wapnewski). Der von Wagners Witwe Cosima begründete Kult der beinahe alljährlichen „Enthüllung“ des Grals, sprich Aufführung des PARSIFAL im Festspielhaus auf dem grünen Hügel, begründete den an pseudoreligiöse Hysterie gemahnenden Gottesdienstcharakter, welchen eingefleischte Wagnerianer in diesem Werk erleben wollen. Für andere hingegen war PARSIFAL (und seine Zelebrierung in Bayreuth) eine „Geschichte, die ordentlich schlecht riecht wie die Kirche, die nie gelüftet worden ist … eine Weihrauchmuffelei, eine ungesunde geistliche Wundmalverzückung … fast ein Brechmittel.“ (Elisabeth von Herzogenberg).
Inhalt:
Vorgeschichte: Titurel, der Hüter des Heiligen Grals (Kelch, in welchem das Blut Christi vom Kreuz aufgefangen wurde) und des Heiligen Speers (mit welchem Christus am Kreuz die Seitenwunde zugefügt wurde) ist alt geworden. Sein Sohn Amfortas soll sein Nachfolger als Gralshüter werden. Bei einer Auseinandersetzung mit dem abtrünnigen Gralsritter Klingsor erliegt er fleischlichen Verlockungen und hat zudem den Heiligen Speer an diesen verloren. Klingsor fügte ihm damit eine Wunde zu, welche sich seither nicht mehr schliesst.
Oper: Gurnemanz, ein alter Gralsritter, trifft das Weib Kundry, eine Gefallene zwischen Heiliger und Hexe (sie verspottete einst Christus am Kreuz und muss seither unerlöst durch die Welt ziehen). Sie bringt einen Balsam, welcher Amfortas Linderung verschaffen soll. Doch gemäss einer Prophezeiung wird dies nur ein „reiner Tor“ schaffen, der durch Mitleid wissend geworden ist. Dieser scheint in dem Burschen Parsifal gefunden zu sein, welcher in den Park einbricht und einen Schwan erlegt. Doch die weihevolle Enthüllung des Grals, zu welcher ihn Gurnemanz mitnimmt, lässt den Jungen sprachlos zurück. Gurnemanz jagt ihn davon. Parsifal gelangt ins Reich Klingsors. Dieser will ihm mit Hilfe Kundrys die Unschuld rauben. Doch ihr Kuss macht ihm Amfortas' Qualen und deren Ursachen bewusst, er stösst Kundry von sich. Ihr hysterischer Ausbruch ruft Klingsor herbei, welcher Parsifal mit dem Heiligen Speer töten will. Doch der Speer bleibt über Parisfals Haupt schweben, er ergreift ihn, schlägt damit das Kreuzeszeichen und bringt so Klingsor und sein Zauberreich zum Verschwinden. Nach langer Irrfahrt findet Parsifal an einem Karfreitag den Weg zur Gralsburg wieder. Titurel ist unterdessen gestorben und Amfortas hat sich seither geweigert, den Rittern die Gnade und die Kraft der Enthüllung des Grals zuteil werden zu lassen. Parsifal schliesst mit dem Speer endlich Amfortas' Wunde und enthüllt den Gral. Als Zeichen der göttlichen Gnade schwebt ein weisse Taube vom Himmel. Kundry ist erlöst von ihrem Fluch, sinkt zu Boden. Parsifal ist der neue König und Hüter des Grals.