Zürich: LES CONTES D'HOFFMANN, 21.03.2014
Opéra fantastique in fünf Akten | Musik: Jacques Offenbach | Libretto: Jules Barbier | Uraufführung: 10. Februar 1881, Salle Favart, Paris | Aufführungen dieser Wiederaufnahme in Zürich: 21.3. | 25.3. | 28.3. | 30.3. | 2.4.2014
Kritik:
.. und der Fluch, der über dieser Oper zu lasten scheint, geht weiter. (Siehe meine Würdigung der Premiere von 2010) . Diesmal traf er den Sänger der Titelpartie, Bryan Hymel, welcher in Zürich sein mit Spannung erwartetes Debüt hätte geben sollen. Hymel erkrankte kurz vor der Vorstellung an einem viralen Infekt und musste ersetzt werden. Doch einen Hoffmann aufzutreiben, zumal in der selten gespielten Fassung von Kaye/Keck, ist kein leichtes Unterfangen. Das Opernhaus Zürich fand glücklicherweise zu einer Lösung, unkonventionell zwar, doch immerhin konnte so der Abend gerettet werden. Der auch in der Schweiz bekannte amerikanische Tenor Erin Caves (er sang kürzlich in St.Gallen den Erik und den Tambourmajor, am Opernhaus Zürich war er in Mahlers LIED VON DER ERDE und in MATHIS DER MALER zu hören gewesen) sang die Partie von einem Stehpult am rechten Bühnenrand her, die szenische Leiterin der Produktion, Claudia Blersch spielte den Dichter auf der Bühne.
Caves sang die anspruchsvolle, lange Rolle mit wohl dosierter Einteilung der Kräfte, schlanker Stimme, welche er ohne jegliches Forcieren einsetzte. Nur selten wurde hörbar, dass wohl nicht allzu viel Probenzeit übriggeblieben war, um Tempi abzusprechen. Denn Fabio Luisi am Pult der Philharmonia Zürich führte ziemlich straff durch den Abend – und das war auch gut so, denn diese Fassung weist – neben viel wunderbarer Musik - doch einige Längen auf, welche auch die zwar schön gearbeitete, doch relativ kühl und leidenschaftslos daherkommende Inszenierung von Grischa Asagaroff (der Glaspavillon der Mittelakte und die Opernbar der Rahmenakte stammen von Bernhard Kleber, die modisch-kühlen Kostüme von Florence von Gerkan) nicht überdecken konnte. Da auch Claudia Blersch als Hoffmann sehr zurückhaltend agierte, das Auge immer wieder zum Sänger am Bühnenrand wanderte, wurde man nicht so richtig mit den Fantasien und Tragödien des Dichters konfrontiert. Das Geschehen auf der Bühne hatte also fürs Auge etwas Blutleeres, Klinisches – dafür konnte sich das Ohr an ausgezeichneten musikalischen Feinheiten erfreuen. Der grosse Vorteil der hier gespielten Fassung ist die Aufwertung der Rolle des Niklaus/Muse. Anna Stéphany machte das grossartig: Mit leicht herbem (aber wirklich nur leicht!) Timbre verlieh sie der androgynen Figur einprägsames Profil. Jane Archibald war eine umjubelte Olympia: Bestechend in der Virtuosität ihrer Koloraturen, herrlich komisch im Spiel als Automaten-Puppe im platinblonden Marilyn-Look. Für mich ist der Antonia-Akt immer ein Höhepunkt der Oper – und ich wurde auch diesmal nicht enttäuscht: Rachel Harnisch sang die Rolle der jungen Frau mit einer bewegenden Schlichtheit, Ehrlichkeit und fantastisch aufblühendem Sopran. Es ist bestimmt nicht einfach für eine Sängerin, ein Duett mit einem stummen Gegenüber zu singen, doch Frau Harnisch schaffte das wunderschöne Liebesduett mit selbstverständlich wirkender Natürlichkeit und bezaubernder Anmut. Ihr tragisches Ende, das Verglühen einer jungen Seele, gestaltete Frau Harnisch mit zu Tränen rührender Empfindsamkeit. Für die Giulietta gab man einer Sängerin aus dem Opernstudio die Chance, sich auf der grossen Bühne präsentieren zu dürfen. Alexandra Tarniceru packte diese Chance und sang die Kurtisane mit einer idealen, unaufgesetzt und wohl dosiert wirkenden Prise von Verruchtheit in der Stimme. Sehr schön. Exemplarisch dirigiert und von Anna Stéphany und Alexandra Tarniceru sängerisch gestaltet die Barcarole zu Beginn des Venedig-Aktes, Luisi und das Orchester evozierten mit glasklarem, herrlich sauberem Spiel alles, was auf der Bühne nicht zu sehen war. Susanna Grossteiners wunderschöner Sopran bereicherte als Stella das Apotheosen-Finale des fünften Aktes.
Von der Premierenbesetzung übrig geblieben waren glücklicherweise Laurent Naouri (Lindorf/Coppélius/Miracle/Dappertutto) und Benjamin Bernheim als Spalanzani. Naouris Charakterisierungskunst des Bösewichts war schlicht grandios. Darstellerisch leicht augenzwinkernd, nie chargierend, erfüllte er die Rolle mit mephistophelischem Geist, sein kräftiger, voluminös-kernig strömender Bariton konnte bedrohlich und einschmeichelnd zugleich wirken – fantastisch. Bei Benjamin Bernheim fragt man sich wirklich langsam, weshalb man ihm hier am Haus nicht endlich die grossen Rollen seines Fachs gibt. Dieser Tenor ist doch wirklich ein Ausnahmetalent. Sicher ist es schön fürs Publikum, dass auch kleinere Rollen (wie eben die des Spalanzani) aus dem Ensemble mit herausragenden Kräften besetzt werden können. Doch hoffentlich wartet man in Zürich nicht mehr zu lange zu – plötzlich ist ein Sänger dann weg.
Weitere bewährte Sänger waren an diesem Abend mit prägnanten Darstellungen zu erleben: Irène Friedli als Antonias Mutter, Reinhard Mayr als Crespel und vor allem Michael Laurenz, welcher als Andrès/Cochenille/Frantz/Pitichinaccio einmal mehr seine klare, sicher geführte Tenorstimme und sein komisches Talent einbringen konnte.
Sehr schön und mit wunderbarer intonatorischer Transparenz sang der Männerchor der Oper Zürich in den Rahmenakten.
Man darf gespannt sein, ob Bryan Hymel sich soweit erholen kann, dass er für die restlichen Vorstellungen dieser Wiederaufnahme zur Verfügung stehen wird.
Nun, die Frage hat sich erübrigt: Der Webseite des Opernhauses Zürich ist zu entnehmen, dass Marc Laho die Titelpartie für die kommenden Vorstellungen übernehmen wird.
Inhalt:
Während einer Aufführung von Mozarts Don Giovanni flüchtet der Dichter Hoffmann in Luthers Weinkeller, um seinen Frust über die Launen seiner Geliebten, der Sängerin Stella, im Alkohol zu ertränken. Ebenfalls anwesend ist der Stadtrat Lindorf (in den Mittelakten Coppélius, Miracle, Dapertutto), die Inkarnation des Bösen, welcher sich seinerseits Hoffnungen auf Stella macht. Hoffmanns Gedanken schweifen ab, er verliert sich in scheinbaren Erinnerungen an drei seiner Geliebten. Von diesen berichten die drei Mittelakte: Die Puppe Olympia, in welche sich Hoffmann verliebt hatte, wird vor seinen Augen zertrümmert, die schwindsüchtige Sängerin Antonia wird vom Bösewicht dazu angestachelt, sich in den Tod zu singen und die Kurtisane Giulietta raubt ihm sein Spiegelbild, verspottet ihn und macht ihn zum Mörder. Am Ende der Oper befinden wir uns immer noch im Weinkeller. Lindorf hat Hoffmanns alkoholbedingten Schwächeanfall gnadenlos ausgenutzt und zieht mit Stella von dannen. Die Muse (Nicklausse) hat den Dichter für sich gewonnen.
Werk:
Als Offenbach im Oktober 1880 starb, hinterliess er sein Meisterwerk LES CONTES D'HOFFMANN als Torso. Nur die Akte I-III waren einigermassen fertig geworden. Für die Uraufführung wurde Ernst Guirod (welcher auch Bizets CARMEN mit Rezitativen versehen hatte) beauftragt, eine spielbare Fassung herzustellen. In letzter Minute wurde für die Uraufführung sowie für die deutschsprachige Erstaufführung in Wien der Giulietta-Akt gekippt. Für spätere Aufführungen (z.B. in Monte Carlo 1904) wurden Musiknummern eingefügt, welche gar nicht von Offenbach für dieses Werk vorgesehen waren und aus Arrangements anderer Werke des Komponisten stammen (so der Hit aller Wunschkonzerte, die „Spiegelarie“, und das Septett im Giulietta-Akt). Neuere Quellenfunde in den letzten beiden Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts erlaubten weitere Rückschlüsse auf Offenbachs ursprüngliche Intentionen. In Zürich wird nun die so genannte Kaye/Keck-Fassung gespielt (2005). Doch auch damit ist die beinahe kriminalistische Spurensuche nach dem endgültigen HOFFMANN wahrscheinlich immer noch nicht beendet. Einem Wunder käme es gleich, wenn Notizen oder Noten zum eigentlich geplanten Duett Stella-Hoffmann im fünften Akt auftauchten!
Das Libretto beruht auf einem Theaterstück von Barbier/Carré, welches seinerseits auf Erzählungen des Dichters E.T.A. Hoffmann beruht („Der Sandmann“, „Rat Crespel“ und „Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild“). Die Protagonisten dieser Erzählungen werden in der Oper zum Dichter selbst. Die drei Frauen in den Mittelakten (Olympia, Antonia, Giulietta) stellen Hoffmanns Geliebte, die Sängerin Stella in den Facetten ihrer fatal attraction dar. Deshalb macht es Sinn, all diese Damen von ein und derselben Sängerin darstellen zu lassen, falls man über eine entsprechend vielseitige Künstlerin verfügt.
Mit einfachen, aber genialen und von grosser melodischer Einfallskraft zeugenden Mitteln, gelang es Offenbach, ein Werk zu schaffen, welches (nach einer von den Nazis verordneten „Zwangspause“) zu den beliebtesten des Repertoires zählt und heute neben CARMEN sicher die meistgespielte französische Oper ist.
Musikalische Höhepunkte:
Il était une fois à la cour d'Eisenach, Chanson des Hoffmann, Akt I
Les oiseaux dans la charmille, Couplet der Olympia, Akt II
Ella a fui, la tourterelle, Romance der Antonia, Akt III
Chère enfant, que j'appelle, Trio Mère-Antonia-Miracle, Akt III
Belle nuit, ô nuit d'amour, Barcarole, Akt IV
Repands tes feux, Chanson des Dapertutto, Akt IV
O Dieu, de quelle ivresse, Romance des Hoffmann, Akt IV
Finale, Akt IV