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Zürich: LES CONTES D'HOFFMANN, 13.03.2010

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Les Contes d'Hoffmann

©Suzanne Schwiertz, mit freundlicher Genehmigung Opernhaus Zürich

Opéra fantastique in fünf Akten

Musik: Jacques Offenbach

Libretto: Jules Barbier

Uraufführung: 10. Februar 1881, Salle Favart, Paris

Schweizerische Erstaufführung

Aufführungen in Zürich: 13.3. | 16.3. | 18.3. | 21.3. | 24.3. | 26.3. | 31.3. | 3.4.2010 (Volksvorstellung)

Kritik:

Seit dem verheerenden Theaterbrand des Wiener Ringtheaters am 8. Dezember 1881 (mit beinahe 400 Toten) vor der zweiten Aufführung von Hoffmanns Erzählungen lastet ein ein Fluch über dem Werk. Lange Jahre scheuten sich die Intendanten, Offenbachs Meisterwerk auf den Spielplan zu setzen. Auch die Zürcher Neueinstudierung 2010 blieb von diesem Fluch offensichtlich nicht verschont – doch Gott sei Dank gab es keine Opfer zu beklagen: Einen Tag vor Probenbeginn musste sich Regisseur Thomas Langhoff einer Operation unterziehen, Oberspielleiter Grischa Asagaroff übernahm verdankenswerterweise die Regie im schon vorgefertigten Bühnenbild von Bernhard Kleber und mit den eleganten Kostümen von Florence von Gerkan. Knapp 24 Stunden vor der Premiere musste Elena Mosuc auf ärztlichen Rat hin auf das Singen der vier Frauenrollen verzichten. Eine Sopranistin zu finden, welche alle vier Partien übernehmen konnte, erwies sich als unmöglich.

So waren kreative Lösungen gefragt, um die Premiere zu retten. Und die hat das Opernhaus Zürich tatsächlich gefunden: Da Frau Mosuc spielen konnte, stellte man die Einspringerinnen unauffällig an den Bühnenrand. Ensemblemitglied Sen Guo sang nach ihren phänomenalen Zerbinettas eine ebenso überragende Olympia, ein grandioses Rollendebüt, quasi über Nacht einstudiert. Lediglich die Arie hatte sie schon einmal konzertant gesungen. Elena Mosuc konnte sich derweil ganz auf das Spiel konzentrieren, und wie sie das tat, war schlicht umwerfend: Von der Erweckung aus dem gläsernen Schneewittchen-Sarg zur Marilyn Monroe Puppe voller Sex Appeal hauchte sie der Figur dralles Leben ein. So erstaunte es nicht, dass der gut aussehende und in blendender stimmlicher Verfassung singende Hoffmann von Vittorio Grigolo diesem Kunstgeschöpf verfiel. Auch sein Rollendebüt verdient Beachtung und Bewunderung: Im ersten Akt machte er aus dem Chanson von Klein-Zach ein Minidrama, ein immenses Ausdrucksspektrum steht ihm dabei mit seiner bruchlos geführten Stimme zur Verfügung, um sichere, triumphale Höhen muss man bei diesem Ausnahmesänger sowieso nie bangen. Im Antonia-Akt sang er auch zärtliche, einschmeichelnde und Mitleid erregende Phrasen, hochdramatisch dann sein Ausbruch im Finale des Giulietta-Aktes (Je t'écraserai). Auch nach beinahe vier Stunden pausenloser Bühnenpräsenz fand er mühelos die Kraft, im Schlussakt eine letzte, laute Spottstrophe von Klein-Zach anzuhängen! Die stimmliche Eleganz eines Alfredo Kraus (in Zürich 1980) oder eines Shicoff in seinen besten Jahren (Zürich 1995) mag ihm abgehen, doch sein jugendlich-frischer Impetus begeisterten und überzeugten. In Laurent Naouri (Lindorf, Coppélius, Miracle, Dapertutto) hatte er einen ebenso potenten, diabolisch attraktiven und stimmlich überragenden Gegenspieler. Er verlieh diesem Mephisto mit seinem dunklen, satten Bass-Bariton und seinem gefährlich charmanten Spiel ein Gänsehaut erzeugendes Profil. Als Antonia konnte man Raffaella Angeletti (in Zürich war sie in ANDREA CHENIER zu erleben) verpflichten: Sie sang mit ihrer voluminösen und doch immer warm timbrierten Stimme eine leidenschaftliche Sängerin, erschrak manchmal selbst vor ihren ungesunden Ausbrüchen, versuchte sich zurückzunehmen und erlag ihrer Leidenschaft fürs Singen dann doch erneut. Grossartig! Das Terzett mit der Erscheinung ihrer Mutter (wunderbar satt der Alt von Wiebke Lehmkuhl, im Kostüm einer verführerischen Königin der Nacht) und Miracle - diese Verbeugung vor Gounods FAUST, wurde zu einem musikalischen Höhepunkt des Abends. Als Giulietta sprang Riki Guy ein: Mit zauberhaftem Vibrato intonierte sie die Barcarole. Leider machte sich hier die akustisch ungünstige Platzierung am Bühnenrand am deutlichsten bemerkbar, gegen die voluminösen Stimmen von Grigolo und Naouri hatte sie mit ihrem zarten Timbre keine Chance. Trotzdem, auch ihr gebührt grosser Dank für das Einspringen in letzter Minute und die Rettung der Vorstellung! Michelle Breedt wird am Zürcher Haus von Abend zu Abend besser: Dank ihrer wunderbaren Interpretation der Muse/Nicklausse wurde diese Rolle immens aufgewertet. Ihre Romanzen in den Mittelakten und das den Abend eröffnende Couplet waren Hörgenuss pur. Sie verlieh der androgynen Figur aussergewöhnliches Profil. Martin Zysset war glänzend besetzt in den wichtigen Rollen des Andrès, Cochenille, Frantz und Pitichinaccio, Benjamin Bernheim gab ein viel versprechendes Debüt als Spalanzani und Giuseppe Scorsin war ein besorgter Crespel, ganz vorzüglich im Trio mit Grigolo und Naouri mit dem heiklen a capella Beginn.

Endlich durfte man den langjährigen,grossen und verdienten Chefdirigenten des Tonhalle Orchesters einmal im Opernhaus erleben: David Zinmans von Subtilität, tänzerischer Souplesse und französichem Raffinement geprägte Lesart der Partitur in dieser beinahe strichlosen Fassung war betörend. Das Orchester folgte seinen Intentionen mit bewundernswerter Genauigkeit, in Soli (z.B. Cello im ersten Akt, Violinen im zweiten Akt, Flöten in der Barcarole) und Tutti. Überragend auch der Chor, insbesondere die Männer im ersten und fünften Akt, der Oper Zürich (Einstudierung Jürg Hämmerli).

Grischa Asagaroff hat eine sehr schlüssige Inszenierung erarbeitet (wieviel von der Konzeption Langhoffs drinsteckt, entzieht sich meiner Kenntnis) und auf genaue und stimmige Personenführung geachtet. Realistisch die Ambiance in der Opernbar der Rahmenakte, eindrücklich die Öffnung der Kulissen hin zu den Mittelakten, welche in einem gläsernen Pavillon - einer Art Bausstelle des Gehirns – spielen, dessen spiegelnde Fenster sich zunehmend verdunkeln. Surrealistische Elemente (z.B.ein sich skelettierendes Einhorn) werden immer wieder sichtbar. Der Zwischenvorhang zeigt Hoffmann, wie er sich mit seinem inneren Auge sieht. Sehr gut und einfallsreich gelungen sind der überraschende Schlussgag im Olympia-Akt und der Verlust des Spiegelbildes!

Nach dem Theaterbrand von 1881 in Wien liess Richard Wagner verlauten, dass er mit den Opfern keinerlei Mitleid habe, da es sich um nichtsnutziges Volk handle, welches Offenbachs Musik lauschen wollte. Nun, angesichts der überragenden musikalischen und szenischen Qualität dieser Zürcher Neuinszenierung gehört man gerne und selbstbewusst dieser Gruppe an! Allerdings ist es mir unverständlich, weshalb das Premierenpublikum relativ zurückhaltend reagierte. Praktisch kein Szenen- und nur ein kurzer Schlussapplaus. Die grossartigen KünstlerInnen hätten wahrlich mehr verdient.

Der Abend ist ein Triumph der Liebe zur Kunst über die Angst!

Fazit:

Aus einem worst case ist ein überragender Abend geworden. Herrliche, ungekürzte Musik, voller Raffinement, grossartige Sänger und eine spannende Inszenierung. HINGEHEN!!!

Inhalt:

Während einer Aufführung von Mozarts Don Giovanni flüchtet der Dichter Hoffmann in Luthers Weinkeller, um seinen Frust über die Launen seiner Geliebten, der Sängerin Stella, im Alkohol zu ertränken. Ebenfalls anwesend ist der Stadtrat Lindorf (in den Mittelakten Coppélius, Miracle, Dapertutto), die Inkarnation des Bösen, welcher sich seinerseits Hoffnungen auf Stella macht. Hoffmanns Gedanken schweifen ab, er verliert sich in scheinbaren Erinnerungen an drei seiner Geliebten. Von diesen berichten die drei Mittelakte: Die Puppe Olympia, in welche sich Hoffmann verliebt hatte, wird vor seinen Augen zertrümmert, die schwindsüchtige Sängerin Antonia wird vom Bösewicht dazu angestachelt, sich in den Tod zu singen und die Kurtisane Giulietta raubt ihm sein Spiegelbild, verspottet ihn und macht ihn zum Mörder. Am Ende der Oper befinden wir uns immer noch im Weinkeller. Lindorf hat Hoffmanns alkoholbedingten Schwächeanfall gnadenlos ausgenutzt und zieht mit Stella von dannen. Die Muse (Nicklausse) hat den Dichter für sich gewonnen.

Werk:

Als Offenbach im Oktober 1880 starb, hinterliess er sein Meisterwerk LES CONTES D'HOFFMANN als Torso. Nur die Akte I-III waren einigermassen fertig geworden. Für die Uraufführung wurde Ernst Guirod (welcher auch Bizets CARMEN mit Rezitativen versehen hatte) beauftragt, eine spielbare Fassung herzustellen. In letzter Minute wurde für die Uraufführung sowie für die deutschsprachige Erstaufführung in Wien der Gilulietta-Akt gekippt. Für spätere Aufführungen (z.B. in Monte Carlo 1904) wurden Musiknummern eingefügt, welche gar nicht von Offenbach für dieses Werk vorgesehen waren und aus Arrangements anderer Werke des Komponisten stammen (so der Hit aller Wunschkonzerte, die „Spiegelarie“, und das Septett im Giulietta-Akt). Neuere Quellenfunde in den letzten beiden Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts erlaubten weitere Rückschlüsse auf Offenbachs ursprüngliche Intentionen. In Zürich wird nun die so genannte Kaye/Keck-Fassung gespielt (2005). Doch auch damit ist die beinahe kriminalistische Spurensuche nach dem endgültigen HOFFMANN wahrscheinlich immer noch nicht beendet. Einem Wunder käme es gleich, wenn Notizen oder Noten zum eigentlich geplanten Duett Stella-Hoffmann im fünften Akt auftauchten!

Das Libretto beruht auf einem Theaterstück von Barbier/Carré, welches seinerseits auf Erzählungen des Dichters E.T.A. Hoffmann beruht („Der Sandmann“, „Rat Crespel“ und „Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild“). Die Protagonisten dieser Erzählungen werden in der Oper zum Dichter selbst. Die drei Frauen in den Mittelakten (Olympia, Antonia, Giulietta) stellen Hoffmanns Geliebte, die Sängerin Stella in den Facetten ihrer fatal attraction dar. Deshalb macht es Sinn, all diese Damen von ein und derselben Sängerin darstellen zu lassen, falls man über eine entsprechend vielseitige Künstlerin verfügt.

Mit einfachen, aber genialen und von grosser melodischer Einfallskraft zeugenden Mitteln gelang es Offenbach, ein Werk zu schaffen, welches (nach einer von den Nazis verordneten „Zwangspause“) zu den beliebtesten des Repertoires zählt und heute neben CARMEN sicher die meistgespielte französische Oper ist.

Musikalische Höhepunkte:

Il était une fois à la cour d'Eisenach, Chanson des Hoffmann, Akt I

Les oiseaux dans la charmille, Couplet der Olympia, Akt II

Ella a fui, la tourterelle, Romance der Antonia, Akt III

Chère enfant, que j'appelle, Trio Mère-Antonia-Miracle, Akt III

Belle nuit, ô nuit d'amour, Barcarole, Akt IV

Repands tes feux, Chanson des Dapertutto, Akt IV

O Dieu, de quelle ivresse, Romance des Hoffmann, Akt IV

Finale, Akt IV

Karten und weitere Infos


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