Hamburg, Staatsoper: LES CONTES D'HOFFMANN; 19.02.2025
Kent Nagano leitet diese Wiederaufnahme mit Leonardo Caimi in der Titelpartie
Opéra fantastique in fünf Akten | Musik: Jacques Offenbach | Libretto: Jules Barbier | Uraufführung: 10. Februar 1881, Salle Favart, Paris | Aufführungen in Hamburg (WA): 14.2. | 19.2. | 26-2- | 1.3.2025
Kritik:
Grosse Kunst entsteht oftmals im Rausch. Der kann ausgelöst werden durch Drogen, Alkohol, Liebe, Tragik des Lebens im Wahnsinn oder schlicht durch einen Schaffensrausch aus sich selbst heraus. Bei E.T.A Hoffmann, diesem Multitalent in Dichtung, Musik und Malerei, war es eindeutig der Alkohol. Auch in Jacques Offenbachs Musik ist das erfrischende Perlen des Champagners durchaus hörbar: Er kannte es aus der Welt der Pariser Salons des Second Empire, dessen Auswüchse er so fantastisch zu parodieren wusste. So ist auch sein letztes Werk für die Musiktheaterbühne, LES CONTES D'HOFFMANN, eine durch und durch rauschhafte Oper geworden – und dieses Rauschhafte wusste der Regisseur der Hamburger Produktion (Premiere war 2021), der vielseitige Tessiner Künstler Daniele Finzi Pasca ( er hat u.a. zweimal olympische Eröffnungsfeiern inszeniert, zwei Produktionen für den Cirque du Soleil verantwortet), mit einer soghaften, psychedelisch-traumhaften Inszenierung packend umzusetzen. Hugo Gargiulo hat grandiose, eindrückliche Bilder für die fünf Akte entworfen: eine stylishe Art-Déco-Bar für die beiden Rahmenakte, eine riesige Musikdose, aus der die Puppe Olympia aufsteigt, für den zweiten Akt. Im Hause des Geigenbauers Crespel ist dessen Tochter Antonia als menschengrosser Schmetterling in einem halboffenen Turm gefangen, an dessen Rundwand lauter gerahmte Schmetterlingsexponate hängen. Der absolute Hammer folgt im vierten Akt, dem Venedig-Bild: Auf dem Bühnenboden liegt als Teppich eine Replika des Zifferblattes des Uhrturms von San Marco mit den Tierkreissymbolen; am Bühnenhimmel hängen sieben schräggestellte, rechteckige Spiegel, die das ganze Geschehen gespiegelt in den Saal werfen. Das hat wirklich etwas absolut Fantastisches, ein irrwitziger Traum. Giovanna Buzzi hat für diesen Akt die Protagonisten in überzeichnete Rokoko-Kostüme gesetzt. Auch das luftige Schmetterlingskleid mit den wunderschönen Flügeln der Antonia im Crespel-Akt ist ein Hingucker. Eine berückende Phantasmagorie stellen die schwebenden Doubles der Figuren der Muse und der Mutter Antonias dar. Das alles ist so wunderbar leicht und schwerelos in Szene gesetzt, mit soviel Fanatsie und Einfallsreichtum versehen, dass man der Handlung gebannt folgt. Das Ganze ist von einer begeisternden Stimmigkeit – absolut sehenswert, nichts Aufgesetztes, kein pseudo-intellektueller Überbau, einfach eine rauschhafte Geschichte (eigentlich sind es ja drei) fantasiereich erzählt! Pure Musiktheatermagie!
Kent Nagano am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg war ein grossartiger Anwalt für den subtilen, spritzigen Esprit, der in Offenbachs letzter Oper (gespielt wurde die Kaye/Keck Fassung) auch gerne im romantischen Gewand daherkommt. Nagano achtete auf Transparenz und Leichtigkeit, liess wunderschöne Phrasen der Holzbläser aufschimmern, hielt die Dynamik in schlanken Grenzen, so dass niemand auf der Bühne zu forcieren brauchte. Immensen Anteil am (beim Schlussapplaus deutlich vom Publikum artikulierten) Erfolg der Aufführung hatte auch der der Chor der Staatsoper Hamburg, der bereits mit seinem Gloug-Gloug Eröffnungschor enorm punkten und das Zeichen zur berauschten und berauschenden Aufführung setzen konnte (Einstudierung: Christian Günther). Als Hoffmann begeisterte Leonardo Caimi mit herrlicher, bruchlos geführter, apart und eher dunkel timbrierter Tenorstimme mit vielseitigem Ausdrucksvermögen. Ganz stark, mit immenser Bühnenpräsenz und eindringlicher Kraft gestaltete Angela Brower die Muse/Nicklausse. Die von ihr angeführte, finale Apotheose On est grand par l'amour et plus grand par les pleurs! verfehlte ihre Gänsehaut-Wirkung nicht, was für ein Finale! Man kann sich daran nicht satt hören! Das gilt auch für die Koloraturen der Olympia: Caroline Wettergreen agierte nicht nur umwerfend komisch, nein, sie erfüllte die Rolle der Musikautomatenpuppe mit ihrem glockenreinen Koloratursopran und einer gerundeten Fülle des Klangs überaus gehaltvoll, da war in keinem Moment „Soubrettiges“ zu hören, aber viel Komisches mit stimmlich ausgereifter Akrobatik. Im Venedig-Bild begegnete man der mit glutvollem Mezzosopran kokettierenden Kurtisane Giulietta (Alessandra Di Giorgio in einem umwerfenden Kleid!). Musikalisch einen ganz besonderen Höhepunkt stellt der Antonia-Akt dar: Armina Edris (sie sang im letzten Akt auch die Stella) gestaltete eine grossartige, in ihrer Krankheit gefangene junge Frau, die sich in den Tod singt. Schuld daran ist der diabolische Gegenspieler Hoffmanns (Lindorf in den Rahmenakten, Coppélius im Olympia-Akt, Dr.Miracle im Anotnia-Akt und Dapertutto im Giulietta-Akt in Venedig). Joshua Bloom interpretierte diese vier Bösewichte mit ganz unterschiedlichen Facetten des Durchtriebenen, Bösen und Abgründigen. Sein autoritätsgebietender Bass mit herrlich weichem Tonansatz ist wunderbar geeignet für diese vier Rollen. Der vielseitige Tenor Andrew Dickinson verkörperte ebenfalls vier Rollen, nämlich Andrès, Cochenille, Frantz und Pitichinaccio und machte aus allen stilistische Kabinettsstückchen, herrlich komisch, ohne zu chargieren. Tigran Martirossian war ein eindringlicher Crespel und ein überzeugender Luther, Jürgen Sacher als Spalanzani, Nicholas Mogg als Schlémil und Hermann und Seungwoo Simon Yang als Nathanaël stellten ausgezeichnete Besetzungen für die mittleren und kleineren Partien dar. Aber, um nochmals auf den (für mich persönlich) besten Akt zurückzukommen, der absolute musikalische Höhepunkt war einmal mehr das Terzett Antonia - La Mère – Dr. Miracle. Neben den bereits erwähnten wunderbaren Stimmen von Amina Edris und Joshua Bloom trat nun mit weich fliessendem Gewand und riesigen, sanft wehenden Flügeln der Geist der Mutter dazu, interpretiert von Katja Pieweck. Wie sich die drei Stimmen im Terzett dann verwoben und gegenseitig hochschraubten war nicht von dieser Welt. So muss Oper!
Diese grossartige Produktion sollte man nicht verpassen!
Inhalt:
Während einer Aufführung von Mozarts Don Giovanni flüchtet der Dichter Hoffmann in Luthers Weinkeller, um seinen Frust über die Launen seiner Geliebten, der Sängerin Stella, im Alkohol zu ertränken. Ebenfalls anwesend ist der Stadtrat Lindorf (in den Mittelakten Coppélius, Miracle, Dapertutto), die Inkarnation des Bösen, welcher sich seinerseits Hoffnungen auf Stella macht. Hoffmanns Gedanken schweifen ab, er verliert sich in scheinbaren Erinnerungen an drei seiner Geliebten. Von diesen berichten die drei Mittelakte: Die Puppe Olympia, in welche sich Hoffmann verliebt hatte, wird vor seinen Augen zertrümmert, die schwindsüchtige Sängerin Antonia wird vom Bösewicht dazu angestachelt, sich in den Tod zu singen und die Kurtisane Giulietta raubt ihm sein Spiegelbild, verspottet ihn und macht ihn zum Mörder. Am Ende der Oper befinden wir uns immer noch im Weinkeller. Lindorf hat Hoffmanns alkoholbedingten Schwächeanfall gnadenlos ausgenutzt und zieht mit Stella von dannen. Die Muse (Nicklausse) hat den Dichter für sich gewonnen.
Werk:
Als Offenbach im Oktober 1880 starb, hinterliess er sein Meisterwerk LES CONTES D'HOFFMANN als Torso. Nur die Akte I-III waren einigermassen fertig geworden. Für die Uraufführung wurde Ernst Guirod (welcher auch Bizets CARMEN mit Rezitativen versehen hatte) beauftragt, eine spielbare Fassung herzustellen. In letzter Minute wurde für die Uraufführung sowie für die deutschsprachige Erstaufführung in Wien der Giulietta-Akt gekippt. Für spätere Aufführungen (z.B. in Monte Carlo 1904) wurden Musiknummern eingefügt, welche gar nicht von Offenbach für dieses Werk vorgesehen waren und aus Arrangements anderer Werke des Komponisten stammen (so der Hit aller Wunschkonzerte, die „Spiegelarie“, und das Septett im Giulietta-Akt). Neuere Quellenfunde in den letzten beiden Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts erlaubten weitere Rückschlüsse auf Offenbachs ursprüngliche Intentionen. Heutzutage wird meist die so genannte Kaye/Keck-Fassung von 2005 gespielt. Doch auch damit ist die beinahe kriminalistische Spurensuche nach dem endgültigen HOFFMANN wahrscheinlich immer noch nicht beendet. Einem Wunder käme es gleich, wenn Notizen oder Noten zum eigentlich geplanten Duett Stella-Hoffmann im fünften Akt auftauchten!
Das Libretto beruht auf einem Theaterstück von Barbier/Carré, welches seinerseits auf Erzählungen des Dichters E.T.A. Hoffmann beruht („Der Sandmann“, „Rat Crespel“ und „Die Geschichte vom verlorenen Spiegelbild“). Die Protagonisten dieser Erzählungen werden in der Oper zum Dichter selbst. Die drei Frauen in den Mittelakten (Olympia, Antonia, Giulietta) stellen Hoffmanns Geliebte, die Sängerin Stella in den Facetten ihrer fatal attraction dar. Deshalb macht es Sinn, all diese Damen von ein und derselben Sängerin darstellen zu lassen, falls man über eine entsprechend vielseitige Künstlerin verfügt.
Mit einfachen, aber genialen und von grosser melodischer Einfallskraft zeugenden Mitteln gelang es Offenbach, ein Werk zu schaffen, welches (nach einer von den Nazis verordneten „Zwangspause“) zu den beliebtesten des Repertoires zählt und heute neben CARMEN sicher die meistgespielte französische Oper ist.
Musikalische Höhepunkte:
Il était une fois à la cour d'Eisenach,Chanson des Hoffmann, Akt I
Les oiseaux dans la charmille, Couplet der Olympia, Akt II
Ella a fui, la tourterelle, Romance der Antonia, Akt III
Chère enfant, que j'appelle, Trio Mère-Antonia-Miracle, Akt III
Belle nuit, ô nuit d'amour, Barcarole, Akt IV
Repands tes feux, Chanson des Dapertutto, Akt IV
O Dieu, de quelle ivresse, Romance des Hoffmann, Akt IV
Finale, Akt IV