Zürich: DER ROSENKAVALIER, 07.07.2010
Komödie für Musik in drei Aufzügen | Musik: Richard Strauss | Libretto: Hugo von Hoffmannsthal | Uraufführung: 26. Januar 1911 in Dresden
Wiederaufnahme: 7.7. | 9.7.2010
Kritik:
Woran mag es gelegen haben, das der Applaus am Schluss dieser Wiederaufnahme zwar herzlich, aber nicht enthusiastisch und durchaus enden wollend war? Immerhin stand mit der US-Amerikanerin Renée Fleming in der Rolle der Marschallin ein Weltstar in einer ihrer Paraderollen auf der Bühne. Lag es vielleicht am warmen Sommerabend, der mit der unterkühlten Inszenierung (Sven-Eric Bechtolf) in der winterlich-kalten Ausstattung durch Marianne und Rolf Glittenberg so stark kontrastierte? Lag es an den Fussballfans im Publikum, welche gedacht hatten, sie hätten wegen des langen Opernabends ein spannendes Halbfinalspiel der Fussball WM im fernen Südafrika verpasst? (Haben sie nicht ...) Oder wurde die grosse Affiche dem effektiv Gebotenen doch nur teilweise gerecht? Das schon eher. Denn Renée Fleming brauchte eine gewisse Zeit, um ihr schönes Stimmmaterial zum Erblühen zu bringen. Über lange Parlando-Passagen im ersten Akt hinweg klang ihr Sopran eher scharf und herb, durch Vokalverfärbungen (geschlossenes E klang oft wie ein Ä) wurde dieser Eindruck noch verstärkt. Erst in den beiden Monologen am Ende des ersten Aktes überzeugte sie mit tief empfundenen, berückenden Piani, hervorragender Textgestaltung und wehmütigem, vornehmem Spiel. Diese Vornehmheit schuf vielleicht auch eine gewisse Distanz, man litt mit dieser Marschallin nur sehr beschränkt mit. Als sie dann jedoch am Ende des dritten Aktes zum Terzett ansetzte, das Hab mir's gelobt... so wunderbar weich und mit immenser Innigkeit strömen liess, waren alle Zweifel an ihrer Form wieder vergessen. Die unterschiedlichen Timbres der drei Protagonistinnen verschmolzen zu einem überirdisch schönen Ganzen. Daran hatten die Ensemblemitglieder Michelle Breedt als Octavian und die Rollendebütantin Eva Liebau als Sophie genau so grossen Anteil wie der Star aus Übersee. Michelle Breedt sang den Octavian mit der gebotenen Mischung aus jugendlich-überschäumender Kraft und in seiner Unerfahrenheit begründeten Gefühlsschwankungen. Ihr Mezzossopran klang weich und abgerundet, verfügte über mühelose Strahlkraft und ein riesiges dynamisches Spektrum. Die natürliche, unaufgeregte Gestaltung dieser Hosenrolle durch die Künstlerin führte zu einem stimmigen Rollenporträt. Als Marianderl im dritten Akt war sie geradezu umwerfend komisch! Eva Liebaus glockenreiner Sopran vermag silbern (wie die Rose, welche ihr überreicht wird) zu glitzern, genau wie es die Partie der Sophie erfordert. Bei der diffizilen Überreichung der Rose spürte man noch leichte Anzeichen von Anspannung, doch gewann sie zusehends an Sicherheit. Das nachfolgende Duett Ich möchte mich bei ihm verstecken... (mit Michelle Breedt) geriet ganz hervorragend. Dazu gesellte sich ihr echt komödiantisches Talent, endlich einmal eine Sophie, die nicht nur wie ein dummes Henderl rumstand, sondern durchaus Anzeichen von Emanzipation und Humor zeigte. Alfred Muff war als Ochs bereits vor sechs Jahren in der Premiere zu erleben. Er vermag die Rolle des verarmten Adeligen, seine missliche Lage durch wichtigtuerische Selbstüberschätzung kaschiernd, vortrefflich auszufüllen, auch wenn seine Stimme an diesem Abend an einigen Stellen nur durch etwas bellende Lautstärke anzusprechen schien. Die kleineren, aber sehr schwierig zu singenden Partien, waren hervorragend besetzt: Martin Gantner glänzte als Faninal (in dieser Inszenierung mal nicht ein Waffenproduzent, sondern ein neureicher Wurster, welcher blaue Blutwürste in Dosen verpacken liess), Rudolf Schasching und die wunderbare junge Altistin Wiebke Lehmkuhl intrigierten gekonnt als Valzacchi und Annina und Boiko Zvetanov erschütterte die Marschallin und das Publikum mit seiner schönen, überlaut gesungenen italienischen Arie als chinesischer Sänger aus der Spieldose. Einzig Liuba Chuchrovas Einwürfe als Leitmetzerin zu Beginn des zweiten Aktes kamen gar zu schrill über die Rampe.
Das Orchester der Oper Zürich musste am Ende dieser langen und anspruchsvollen Saison noch einmal ein Riesenwerk in Angriff nehmen, um einer Starsopranistin (neben der Traviata) noch zwei zusätzliche Auftritte zu ermöglichen. Über weite Strecken wurde es seinem Ruf als herausragendes Opernorchester gerecht, glänzte einmal mehr mit wunderbaren Hörnerklängen, eindringlichen Flöten- und Oboensoli und warmen Celli. Einige Patzer und Ungenauigkeiten mögen auf die sommerliche Hitze oder Überanstrengung oder eine Probe zu wenig zurückzuführen sein. Peter Schneider am Pult jedenfalls trug die SängerInnen souverän durch den beinahe fünfstündigen Abend und sorgte für einen transparenten Gesamtklang ohne die wunderbaren, grossen Strauss'schen Bögen zu vernachlässigen.
Werk:
Nach den zum Teil bis an die Grenzen der Tonalität reichenden Werken SALOME und vor allem ELEKTRA stellt DER ROSENKAVALIER einen vermeintlichen Rückschritt zu einer gefälligeren Tonsprache dar. Doch auch in dieser genialen Komödie hört man chromatische Verschiebungen und Reibungen, sie sind aber in den dramatischen Verlauf und den immer wieder aufblitzenden Wohlklang (Walzerfolgen, Ariosi) integriert. DER ROSENKAVALIER ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte, er markiert den letzten Welterfolg einer deutschen Oper und gehört bis heute zu den Repertoirestützen jedes Opernhauses. Das Werk mit einer Aufführungsdauer von beinahe fünf Stunden ist das Produkt der einzigartigen künstlerischen Zusammenarbeit von Dichter und Komponist, Hoffmannsthal und Strauss (welche mit ELEKTRA begann und über ARIADNE AUF NAXOS, DIE FRAU OHNE SCHATTEN, INTERMEZZO und DIE ÄGYPTISCHE HELENA – zur Zeit an der Deutschen Oper Berlin zu erleben – zur ARABELLA führte).
Durch die Gestaltung des Octavian als Hosenrolle und die somit entstehende Verschmelzung von drei Frauenstimmen entwickelt Richard Strauss eine erotische Klangfarbe, welche im Terzett am Ende des dritten Aktes in einem der schönsten Musikstücke der gesamten Opernliteratur kulminiert.
Inhalt:
Die Feldmarschallin, eine ungefähr 30jährige, verheiratete Frau, hat ein Verhältnis mit dem 17jährigen Octavian. Nach einer Liebesnacht der beiden erscheint der Vetter der Marschallin, der verarmte Baron Ochs auf Lerchenau, welcher sich mit der Tochter des neureichen Herrn von Faninal verheiraten will. Octavian verkleidet sich als Kammerzofe. Die Marschallin schlägt Octavian als Rosenkavalier (Brautwerber) für Ochs vor. Bei der Überreichung der silbernen Rose verlieben sich jedoch Sophie von Faninal und Octavian ineinander. Nach einigen Intrigen und Verwicklungen wird Ochs blossgestellt, die Marschallin entsagt ihrer Liebe und führt das junge Paar zusammen.
Musikalische Höhepunkte:
Di rigori armato il seno, Arie des Sängers, Akt I
Da geht er hin, Monolog der Marschallin, Akt I
Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding, Marschallin Akt I
Er kommt, er kommt, Überreichung der Rose, Akt II
Ich hab’ halt schon einmal, Walzer des Ochs, Akt II
Hab mir’s gelobt, Terzett Marschallin, Octavian, Sophie, Akt III
Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, Duett Octavian, Sophie, Akt III