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Frankfurt, Oper: DER ROSENKAVALIER; 11.04.2025

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Der Rosenkavalier

Copyright: Barbara Aumüller, mit freundlicher Genehmigung Oper Frankfurt

Wiederaufnahme der Inszenierung von Claus Guth, GMD Thomas Guggeis dirigiert

Komödie für Musik in drei Aufzügen | Musik: Richard Strauss | Libretto: Hugo von Hoffmannsthal | Uraufführung: 26. Januar 1911 in Dresden | Aufführungen in Frankfurt: 11.4. | 19.4. | 21.4. | 1.5. | 4.5. | 10.5.2025

Kritik: 

Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal nannten ihre zweite – und erfolgreichste Zusammenarbeit – eine „Komödie für Musik“. Wenn man die Gedankenwege Hugo von Hofmannsthals erkundet, weiss man, dass dieser feinsinnige Dichter natürlich keinen einfachen Schwank schreiben konnte und wollte, sondern ein tiefsinniges, nachdenklich machendes und komplexes, tief die seelischen Befindlichkeiten der Protagonist*innen auslotendes Theaterstück. Und genauso wurde es in dieser Frankfurter Inszenierung (Premiere war am 24. Mai 2025 gewesen) von Claus Guth (Regie), Christian Schmidt (Bühne und Kostüme) und Olaf Winter (Licht) umgesetzt – als eindringliches Melodram. Für Claus Guth ist die Marschallin das Gravitationszentrum des Stücks, wie er im Programmheft schreibt. Wir sehen sie nach der bei geschlossenem Vorhang gespielten Ouvertüre (sie setzt eine stürmische Liebesnacht inklusive Orgasmus und Erschlaffung in meisterhafte Töne um) in einem Sanatorium auf dem Boden liegend, das Personal bestreut sie mit Blütenblättern, sie durchlebt eine Art Nahtod - Erfahrung. Kein Zweifel, wir haben es hier mit einer schwerkranken Frau zu tun (sie greift bereits am Anfang zu Tabletten); sie leidet bereits unter Absenzen, hat melancholische Stimmungsumschwünge, die von ihrem Umfeld (Octavian) kaum verstanden werden. Sie durchlebt – den nahen Tod vor Augen – quasi nochmals Jugend, will Verpasstes nachholen. Nie wissen wir genau, was in der Realität noch passiert, was sie sich einbildet, was Reminiszenzen sind. So schweben wir während der gesamten Aufführung in einem beinahe mystischen Dämmerlicht (genial die Lichtstimmungen von Olaf Winter) in diesem dreigeschossigen Sanatorium, das Christian Schmidt kongenial auf die Bühne gestellt hatte. Wien als Handlungsort bleibt, denn Schmidt hatte sich für sein Bühnenkonzept vom Café Sperl in der Gumpendorfer Strasse inspirieren lassen: Schlafraum mit mehreren Betten in einem V-förmigen Grundriss für den ersten Akt, die mondäne Kaffeehausatmosphäre für den zweiten und das Kellergeschoss für den dritten Akt. In der Mitte steht ein gigantischer Kubus auf der Drehbühne, in welchen ein Aufzug eingebaut ist, für reale und gespenstische, alptraumhafte Auftritte, ebenso eine herrschaftliche Treppe mit rotem Teppich (im dritten Akt dann heruntergekommen und schäbig wirkend) und diversen Nischen, ebenfalls für reale und imaginäre Bilder. So entsteht eine Atmosphäre, die ungemein soghaft in eine Welt führt, die zwischen dem Sanatorium in Thomas Manns ZAUBERBERG und Stanley Kubricks Horrorthriller SHINING oszilliert. Zum Lachen kommt man in dieser Komödie kaum, wird sehr wohl aber zum Nachdenken über Krankheit, Tod und Zeit anregt. All dies ist im Zeit-Monolog der Marschallin ja angelegt. Das Mädchen, das immer wieder auf der Bühne in Erscheinung tritt, wie auch die alte Frau („die alte Marschallin“), die immer wieder – auch mal mit Taschenlampe auf der Suche nach der verlorenen Zeit – auf der Bühne herumgeistert, kommen im Monolog der Marschallin Mein lieber Hippolyte, heut' haben sie ein altes Weib aus mir gemacht vor. Im grandios gestalteten Programmheft finden sich viele Texte von ganz klugen Leuten über Zeit, Krankheit, Sterben (Novalis, Kierkegaard, Proust, Rilke, Thomas Mann u.a.m.). Die Marschallin wird auch im zweiten Akt stumme Zeugin von der Annäherung zwischen Octavian und Sophie, ein interessanter Aspekt, der zwar so im Libretto nicht vorgesehen ist, aber ihre Grosszügigkeit im dritten Akt erklärt, da sie nun sicher weiss, dass sie vom Leben Abschied nehmen muss. Zu den finalen Liebesschwüren von Octavian und Sophie, deren Hände sich in poetischer Pose auf dem Boden liegend finden, blickt sie erst in tiefe Melancholie versunken aus dem Fenster, dann legt sie sich zum Sterben auf eines der Sanatoriumsbetten. Mohamed (hier ein blutjunger Page mit Pferdeschwanzfrisur) und das Mädchen im weissen Nachthemd kommen aus dem Aufzug, er rennt schnell nach links weg, sie beugt sich über die tote Marschallin und weicht zu Tode erschrocken zurück. Was für ein tief zu Herzen gehendes Ende!

Thomas Guggeis führte präzise Akzente setzend und die subtil gebrochene, bedeutungsschwanger-melancholische Walzerseligkeit gekonnt zum Ausdruck bringend wunderbar zügig und vorwärtsdrängend durch die strichlos aufgeführte Partitur. Er liess das Blech an gewissen Stellen schmerzhaft akzentuiert gleissen, daneben schaffte er Raum für rührselige Soli der Violine, die so wunderbar zu Herzen gehend gespielt wurden. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester blieb Strauss' komplexer, satt instrumentierter Partitur nichts an gebotenem, unnachahmlichem Farbenreichtum des Orchestermagiers Richard Strauss schuldig. Das war ganz grosse Klasse. Genauso wie die Besetzung dieser Wiederaufnahme: Die schwedische Sopranistin Maria Bengtsson sang eine Marschallin von beinahe überirdischer Stimmschönheit: Was waren das für herrliche, wunderbar sauber intonierte, schwebende Piani, Phrasen von überragender Klangschönheit und unaffektierter, eindringlicher Schlichtheit. Grandios. Ihre Landsfrau Ida Ränzlöv debütierte fulminant in der Hosenrolle des Octavian. Satte, aufblühende Töne, wo gefordert durchaus burschikos auftrumpfend, dann wieder (in der erwachenden Liebe zu Sophie oder am Ende des ersten Aktes, beim Abschied von der Marschallin) von zarter Verunsicherung der Seele geprägt, ganz wunderbar. Auch für Elena Villalón war die Rolle der Sophie ein Rollendebüt – und ein überaus gelungenes. Sie setzte den mädchenhaften Silberklang ihres herrlich timbrierten Soprans mit klarer Linienführung und sicherer Dynamik ein, so dass sie eine fantastische Bühnenpräsenz evozierte. Alle drei Damen vereinigten ihre wunderbaren Stimmen im dritten Akt zu einem der schönsten Terzette, die ich in dieser Oper je live gehört habe. Darstellerisch war jede für sich sehr individuell auf ihre von Guth erarbeiteten Rollenportäts eingestellt worden: Die Marschallin mit ihrer durch die tödliche Krankheit geprägte Weit- und Einsicht, ihrer Melancholie und der Angst vor dem Vergehen, Octavian als verliebter Jungspund, Mozarts Cherubino ähnelnd, unsicher, nicht gefestigt in seiner Persönlichkeit (klar mit 17 Jahren) und mit sichtbarem Spass in die Verkleidung als Kammerzofe Mariandel schlüpfend ohne zu chargieren. Sophie als sich durchaus selbstbewusst zunehmend vom (Adels) Speichel leckenden Vater Faninal emanzipierend. Dieser Faninal wurde von Liviu Holender mit starker Bühnenpräsenz (er erschien mir wie eine Karikatur von Robert Geissen aus der RTL Doku Soap DIE GEISSENS, EINE SCHRECKLICH GLAMOURÖSE FAMILIE) liess seinen herrlich timbrierten Bariton immer wieder aufschimmern, schade nur, dass die Rolle dieses neureichen Schleimers so unsympathisch ist und ihm Strauss/Hofmannsthal ebenfalls wenig Raum zu Entfaltung geboten haben. (Liviu Holenders 90 jähriger Vater, der langjährige Direktor der Wiener Staatsoper, Ioan Holender, sass übrigens auch im Publikum und wohnte dem erfolgreichen Rollendebüt seines Sohnes bei). Mehr Sympathien hatte vor allem der Dichter Hofmannsthal für eine andere Rolle, die des Barons Ochs. Im Gegensatz zu Strauss, der mit seinem Bühneninstinkt den Ochs gerne noch ordinärer gezeichnet hätte, schrieb Hofmannsthal an Strauss: „Mein Lerchenau, den ich sehr genau sehe, höre und rieche, ist kein dummer Tölpel pur et simple - ... sondern ein „Kerl“, ein rusticaler, Im Falstaff stecken gebliebener kleinadliger Don-Juan ...“. Dies brachte Wilhelm Schwinghammer mit seinem herrlich geführten, agilen Bass, sensationellen Tiefen und berauschend lang gehaltenen Tönen wunderbar subtil zum Ausdruck. Derb, ja, aber immer mit einem Hauch Eleganz und nie ordinär. Ein Kerl, mit dem man Spass haben kann, wenn man auch ein Glas zu viel getrunken hat, mit dem man aber nicht enger befreundet sein möchte. Schwinghammer machte eine ausgezeichnete Figur in seinen Knickerbockers! 

Eine Vielzahl an mittleren und kleineren Rollen tragen Entscheidendes zum Gelingen einer ROSENKAVALIER – Aufführung bei. Die Mitglieder des hervorragenden Ensembles der Oper Frankfurt boten gestern Abend herausragende Interpretationen, viele davon mit Rollendebüts. An erster Stelle verdient Magdalena Hinterdobler erwähnt zu werden, welche der Marianne Leitmetzerin ein umwerfendes Profil verlieh – mit soviel szenischer Präsenz und überragender stimmlicher Durchschlagskraft machte sie aus der Rolle ein wahres Kabinettstück. Das italienische Intrigantenpaar Valzacchi und Annina war mit Michael McCown und der stets mit ihrer Vielseitigkeit an darstellerischen und stimmlichen Facetten überzeugenden Claudia Mahnke hervorragend besetzt. Magnus Dietrich mit der Stimmschönheit seines Tenors stellte eine wahre Luxusbesetzung als Haushofmeister der Marschallin und im dritten Akt als Wirt dar. Božidar Smiljanić (Polizeikommissär), Peter Marsh (Haushofmeister bei Faninal), Franz Mayer (Notar), Magdalena Tomczuk (Modistin), Donát Hávar (Tierhändler), Malin Aldener, Emma Stannard, Hyemi Rusch-Jung (sie sangen herrlich falsch als drei adelige Waisen) und las but not least Kudaibergen Abildin, der die Tenorarie Di rigori armato il seno beim Frühstück im Sanatorium (anstelle des Levers der Marschallin) mit betörendem Schmelz sang, trugen alle zum Gelingen eines grossen, starken Opernabends in Frankfurt bei.

Fazit: Eine Aufführung und eine Interpretation, die lange nachhallte und unter die Haut ging! Hingehen!

Werk:
Nach den zum Teil bis an die Grenzen der Tonalität reichenden Werken SALOME und vor allem ELEKTRA stellt DER ROSENKAVALIER einen vermeintlichen Rückschritt zu einer gefälligeren Tonsprache dar. Doch auch in dieser genialen Komödie hört man chromatische Verschiebungen und Reibungen, sie sind aber in den dramatischen Verlauf und den immer wieder aufblitzenden Wohlklang (Walzerfolgen, Ariosi) integriert. DER ROSENKAVALIER ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte, er markiert den letzten Welterfolg einer deutschen Oper und gehört bis heute zu den Repertoirestützen jedes Opernhauses. Das Werk mit einer Aufführungsdauer von beinahe fünf Stunden ist das Produkt der einzigartigen künstlerischen Zusammenarbeit von Dichter und Komponist, Hoffmannsthal und Strauss (welche mit ELEKTRA begann und über ARIADNE AUF NAXOS, DIE FRAU OHNE SCHATTEN, INTERMEZZO und DIE ÄGYPTISCHE HELENA – zur Zeit an der Deutschen Oper Berlin zu erleben – zur ARABELLA führte).
Durch die Gestaltung des Octavian als Hosenrolle und die somit entstehende Verschmelzung von drei Frauenstimmen entwickelt Richard Strauss eine erotische Klangfarbe, welche im Terzett am Ende des dritten Aktes in einem der schönsten Musikstücke der gesamten Opernliteratur kulminiert. 

Inhalt:
Die Feldmarschallin, eine ungefähr 30jährige, verheiratete Frau, hat ein Verhältnis mit dem 17jährigen Octavian. Nach einer Liebesnacht der beiden erscheint der Vetter der Marschallin, der verarmte Baron Ochs auf Lerchenau, welcher sich mit der Tochter des neureichen Herrn von Faninal verheiraten will. Octavian verkleidet sich als Kammerzofe. Die Marschallin schlägt Octavian als Rosenkavalier (Brautwerber) für Ochs vor. Bei der Überreichung der silbernen Rose verlieben sich jedoch Sophie von Faninal und Octavian ineinander. Nach einigen Intrigen und Verwicklungen wird Ochs blossgestellt, die Marschallin entsagt ihrer Liebe und führt das junge Paar zusammen. 

Musikalische Höhepunkte:
Di rigori armato il seno, Arie des Sängers, Akt I
Da geht er hin, Monolog der Marschallin, Akt I
Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding, Marschallin Akt I
Er kommt, er kommt, Überreichung der Rose, Akt II
Ich hab’ halt schon einmal, Walzer des Ochs, Akt II
Hab mir’s gelobt, Terzett Marschallin, Octavian, Sophie, Akt III
Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, Duett Octavian, Sophie, Akt III

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