Bern: DER ROSENKAVALIER, 31.01.2009
Stadttheater Bern
Herrlich schräge, kurzweilige Komödie in grossartiger musikalischer Umsetzung. Nicht verpassen!
Premiere: 31. Januar 2009
Der Rosenkavalier
Komödie für Musik in drei Aufzügen
Musik: Richard Strauss
Libretto: Hugo von Hoffmannsthal
Uraufführung: 26. Januar 1911 in Dresden
Aufführungen in Bern: 31.01.2009 | 08.02.2009 | 14.02.2009 | 21.02.2009 | 15.03.2009 |04.04.2009 | 18.04.2009 | 15.05.2009 | 24.05.2009 |21.06.2009
Kritik:
Die Welt ist ganz schön aus den Fugen geraten in dieser Neuinszenierung des ROSENKAVALIERS in Bern. Auf einer schiefen Ebene, in einem abbruchreifen Theater siedelt das Inszenierungsteam (Regie Dieter Kaegi, Ausstattung Okarina Peter, Timo Dentler) die Handlung an. Die Anachronismen des Textbuchs (so war zum Beispiel das Zeremoniell der Rosenüberreichung zur Zeit Marie Theresias längst passé) und der Musik (der Wiener Walzer war dazumal noch nicht erschaffen) werden schonungslos offen gelegt.
Die Ausstatter haben einen beherzten Griff in den Fundus getan und herrlich schräge Kostüme hervorgezaubert, einige durchaus mit Anklängen ans Zeitalter des Rokoko (Sänger, Livreen) andere wiederum – ebenso wunderbar passend – schlicht und einfach geschmacklos (Ochs). So akzentuiert die Inszenierung die Stilbrüche des Stücks mit einer augenzwinkernden Schrillheit, die riesig Spass macht. Einzig am Ende des ersten Aktes, nach dem wunderbar wehmütigen Monolog der Marschallin über die Vergänglichkeit der Zeit, schweben lautlos ein Dutzend Kronleuchter vom Bühnenhimmel. Die Fürstin versucht in ihren Gedanken nochmals die heile, glanzvolle Welt der Vergangenheit auferstehen zu lassen. So sehen wir zu Beginn des zweiten Aktes denn auch auf der Bühne das getreu nachgebildete, goldene Bühnenportal des Berner Theaters, himmelblaue Vorhänge öffnen sich für den effektvollen Auftritt des Rosenkavaliers, ein herrlich kitschiges Bild. Doch bereits im dritten Akt ist dieses Bild wieder zerstört, der profane Dreck überzieht die Bühne, das Portal bröckelt gefährlich. Zwar versucht der Mohr der Marschallin am Schluss noch, die Bühne wieder gerade zu rücken, allein es gelingt ihm nicht, er entledigt sich seines lächerlichen Kostüms und winkt den Vorhang herunter. Die Maskerad’ hat ein End’.
Dieter Kaegi hat genau auf den Text gehört, inszeniert mit leichter, spielerischer Hand und lässt doch das Aufblitzen echter Gefühle zu. Es gibt unzählige stimmige Szenen, vom natürlich verspielten Liebesgeplänkel zwischen der Marschallin und ihrem jungen Lover bis zur hinreissenden Travestie des Intrigantenpaares Valzacchi-Annina, auch der Bastard des Ochs, die stumme Rolle des Leopold, wird endlich einmal wichtig genommen und dank der schauspielerischen Präsenz von Thomas Pösse erhält er ein köstliches Profil. Nur schon die Szene im zweiten Akt, wo er von den Mägden im Hause Faninal vernascht wird, zeugt von den den tollen komödiantischen Einfällen des Regisseurs und seiner Darsteller.
Keine überzuckerte Rokokowelt also auf der Bühne, kaum süssliche Klänge aus dem Graben. Die Strauss’schen Dissonanzen, aber auch die herrlich schrägen Walzerfolgen werden vom musikalischen Leiter des Berner Stadttheaters, Sroljub Dinić, effektvoll zum Erklingen gebracht, da wird nichts mit vermeintlichem Schönklang zugedeckt, sondern gezeigt, dass auch der ROSENKAVALIER ein echter Strauss ist. Das Berner Symphonieorchester zeigt sich der schwierigen Partitur mit wenigen Abstrichen durchaus gewachsen. Der Dirigent versteht es auch, die Dynamik an den entscheidenden Stellen so zurückzunehmen, dass die exzellenten Sängerinnen und Sänger die immensen Textfluten differenziert und verständlich gestalten können.
An erster Stelle darf hier die relativ kurzfristige Einspringerin Michaela Selinger in der Hosenrolle des Octavian genannt werden. Ihr erfrischendes Spiel, kombiniert mit einem jugendlichen musikalischen Impetus in der makellos geführten Stimme, macht sie zu einer geradezu idealen Interpretin dieser grossen Mezzopartie. Mit Alexandra Coku steht ein junge Frau in den besten Jahren als Feldmarschallin auf der Bühne, eine aparte Erscheinung in Stimme und Spiel. Die perfekten Piani am Schluss des ersten Aktes führen zu einer berührenden Verschmelzung ihrer wunderschönen Stimme mit den zarten Klängen des Orchesters. Besonders bemerkenswert auch das Spiel ihrer Hände beim Sinnieren über das Älterwerden in ihrem grossen Monolog. Das ist echtes Musiktheater, jenseits klischierter Sängerposen. Brava!
Die dritte grosse Frauengestalt ist die junge Sophie von Faninal, interpretiert von Hélène Le Corre. Vielleicht mangelt es der Stimme noch an Geschmeidigkeit in der Höhe um den so typischen und wirkungsvollen Strauss’schen Silberklang zu erreichen, doch kann sie dafür mit einer wunderbar warmen Mittellage trumpfen. Dank ihrer klugen Gestaltung der Partie steht diese Sophie nicht (wie so oft) als naives Dummchen, sondern als durchaus selbstbewusste junge Frau auf der Bühne.
Und dann ist da noch der grosse Routinier Günter Missenhardt als Ochs auf Lerchenau. Den Text hat er nach über 300 Vorstellungen in dieser Rolle verinnerlicht wie wohl kein zweiter, und doch wirkt er frisch und lebendig, macht den Unsympath schon beinahe zu einem Sympathieträger, vermeidet es dank ausdrucksstarken Gesangs die Rolle der Lächerlichkeit preiszugeben. Herrlich!
Der Besetzungszettel ist lang, alle verdienten ein besonderes Lob für ihre Leistungen, so der für einmal ohne die übliche Larmoyanz dieser Rolle singende Faninal von Robin Adams, die erfrischend spielenden Intriganten Qin Du und Andries Cloete, die umwerfende Fabienne Jost als Leitmetzerin oder der wunderschön singende Tenor David Sotgiu in der viel zu kurzen Rolle des Sängers. Ihm könnte man noch lange zuhören und man bedauert, dass er vom Ochs so brüsk von der Bühne gefegt wird … DER ROSENKAVALIER ist mit einer Spieldauer von vier Stunden ein langes Werk – mit diesem Ensemble und in dieser Inszenierung wirkt es in keinem Moment zu lang.
Fazit:
Einmal mehr dürfen die Berner stolz sein auf die Leistungen ihres Theaters. Musikalisch und szenisch ein Genuss. Hingehen!!!
Werk:
Nach den zum Teil bis an die Grenzen der Tonalität reichenden Werken SALOME und vor allem ELEKTRA stellt DER ROSENKAVALIER einen vermeintlichen Rückschritt zu einer gefälligeren Tonsprache dar. Doch auch in dieser genialen Komödie hört man chromatische Verschiebungen und Reibungen, doch sind sie in den dramatischen Verlauf und den immer wieder aufblitzenden Wohlklang (Walzerfolgen, Ariosi) integriert. DER ROSENKAVALIER ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte, er markiert den letzten Welterfolg einer deutschen Oper und gehört bis heute zu den Repertoirestützen jedes Opernhauses. Das Werk mit einer Aufführungsdauer von beinahe fünf Stunden ist das Produkt der einzigartigen künstlerischen Zusammenarbeit von Dichter und Komponist, Hoffmannsthal und Strauss (welche mit ELEKTRA begann und über ARIADNE AUF NAXOS, DIE FRAU OHNE SCHATTEN, INTERMEZZO und DIE ÄGYPTISCHE HELENA – zur Zeit an der Deutschen Oper Berlin zu erleben – zur ARABELLA führte).
Durch die Gestaltung des Octavian als Hosenrolle und die somit entstehende Verschmelzung von drei Frauenstimmen entwickelt Richard Strauss eine erotische Klangfarbe, welche im Terzett am Ende des dritten Aktes in einem der schönsten Musikstücke der gesamten Opernliteratur kulminiert.
Inhalt:
Die Feldmarschallin, eine ungefähr 30jährige, verheiratete Frau, hat ein Verhältnis mit dem 17jährigen Octavian. Nach einer Liebesnacht der beiden erscheint der Vetter der Marschallin, der verarmte Baron Ochs auf Lerchenau, welcher sich mit der Tochter des neureichen Herrn von Faninal verheiraten will. Octavian verkleidet sich als Kammerzofe. Die Marschallin schlägt Octavian als Rosenkavalier (Brautwerber) für Ochs vor. Bei der Überreichung der silbernen Rose verlieben sich jedoch Sophie von Faninal und Octavian ineinander. Nach einigen Intrigen und Verwicklungen wird Ochs blossgestellt, die Marschallin entsagt ihrer Liebe und führt das junge Paar zusammen.
Musikalische Höhepunkte:
Di rigori armato il seno, Arie des Sängers, Akt I
Da geht er hin, Monolog der Marschallin, Akt I
Die Zeit, die ist ein sonderbar Ding, Marschallin Akt I
Er kommt, er kommt, Überreichung der Rose, Akt II
Ich hab’ halt schon einmal, Walzer des Ochs, Akt II
Hab mir’s gelobt, Terzett Marschallin, Octavian, Sophie, Akt III
Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein, Duett Octavian, Sophie, Akt III