Winterthur, Stadthaus: BENJAMIN | VAUGHAN WILLIAMS | MOZART | BRAHMS; 08.11.2023
Roberto González-Monjas als Solist und Dirigent
George Benjamin, Henry Purcell: "Three Consorts" Transkribiert für Kammerorchester | Uraufführung: 30. August 2021 bei den BBC Proms in London, mit dem Mahler Chamber Orchestra unter der Leitung des Komponisten | Ralph Vaughn Williams: THE LARK ASCENDING, Romanze für Violine und Orchester | Uraufführung: Uraufführung der Version mit Orchester: 14. Juni 1921 in London unter der Leitung von Sir Adrian Boult, mit Marie Hall | Wolfgang Amadeus Mozart: Rondo für Violine und Orchester C-Dur, KV 373 | Uraufführung: April 1781 in Wien | Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 4 e-Moll, op. 98 | Uraufführung: Uraufführung: 25.Oktober 1885 in Meinigen, unter der Leitung des Komponisten | Dieses Konzert in Winterthur: 8.11. und 9.11.2023
Kritik:
ÄTHERISCHE SILBRIGKEIT
Was für in grossartiges Werk war da zu erleben: Ralph Vaughn Williams' THE LARK ASCENDING! Mit betörender Schönheit des Violingesangs erhob sich diese Lerche in den Winterthurer Himmel. Der Chefdirigent des Musikkollegiums Winterthur Roberto González-Monjas persönlich spielte den Solopart - und wie! Er entlockte seiner Guarneri filius Andreae Violine von 1703 Klänge von geradezu himmlischer Reinheit und Zartheit, Triller und Vorschläge im Pianissimo von überwältigender Klarheit; da ertönte eine Musik, die von elegischer Erhabenheit und ätherischer Silbrigkeit geprägt war, die zum Dahinschmelzen einfach nur schön war. Gleichzeitig leitete er mit wenigen Kopf- und Armbewegungen auch noch das Orchester des Musikkollegiums Winterthur, welches die pure pastorale Stimmung des Werks entscheidend mitprägte und dem es hervorragend gelang, diese ganz besondere englische Klangfarbe des auf dem Kontinent immer noch unterschätzten Briten hervorzuzaubern. Wie gerne würde man ab und an auch einmal eine der wunderbaren neun Sinfonien des Meisters hier hören dürfen.
MYSTISCHE MEDITATION
Eingeleitet wurde der Abend ebenfalls von Musik aus britischen Federn, dem zehnminütigen Konzertstück THREE CONSORTS von George Benjamin/Henry Purcell. Diese Werk erklang in Winterthur bereits zur Saisoneröffnung am 1. September dieses Jahres und man freute sich auf eine Wiederbegegnung, denn die drei Bearbeitungen George Benjamins von Kompositionen seines berühmten Landsmannes Henry Purcell für Kammerorchester verströmen einen geradezu meditativen, sinnlichen Klang. Bensonderen Eindruck machte der mittlere Abschnitt, wo die vier Stimmführer*innen der Streicher ein wunderbares Streichquartett bildeten, das Hauptthema einführten, das dann vom Orchester aufgenommen wurde. Im ersten Teil fielen die Trompeten und Posaunen auf, welche die mystische Welt, welche zuvor die Streicher evoziert hatten, noch intenisvierten. Im letzten Abschnitt verbreiteten die Röhrenglocken und die exzellenten Holzbläser*innen eine zwischen Fröhlichkeit und Ruhe schwankende Spannung, welche ganz wunderbar rein verklang.
BESCHWINGTER MOZART
Das Rondo in C-Dur für Violine und Orchester bildete den Abschluss des ersten Konzertteils vor der Pause; natürlich spielte Roberto González-Monjas wiederum die Solovioline. Die Spritzigkeit des Violinspiels von Roberto González-Monjas riss das Orchester mit, so dass der tänzerische Refrain seine "lüpfige" Wirkung entfalten und die Couplets differenziert akzentuierte Stimmungen verströmen konnten.
ENERGICO E PASSIONATO
So ist der Finalsatz von Brahms' vierter Sinfonie, dieses Allegro in Form einer Passacaglia, überschrieben. Roberto González-Monjas stellte quasi die gesamte Sinfonie unter dieses Motto. Das war eine wunderbar energiegeladene Interpretation von Brahms' meisterhafter Sinfonie. Straff durchgehaltene Tempi, auf Zug durchgeformt ohne überhastet zur wirken, eine sehr schöne klangliche, markige Balance erreichend. Trotzdem waren die präzisen Pizzicati der Streicher im ersten oder das sauber intonierte Hornthema im zweiten Satz sorgfältig herausgearbeitet. eine wunderschön aufleuchtende Gesanglichkeit prägte diesen zweiten Satz. Frisch und wuchtig, aber trotzdem wie mit einem Augenzwinkern untermalt, wurde die explosive Entladung aufgebaut. Zu so einer Explosivität aus choralartigen Passagen und melancholischen Streicherfiguren kam es auch im Finalsatz, wo das Musikkollegium Winterthur und sein Chefdirigent trotz aller inhärenten Zerklüftung zu einer architektonisch ausbalancierten Expressivität fanden.
Ein klug aufgebautes Konzertprogramm, das mit der von Brahms in diesem grossartigen Finale verwendeten barocken Form wieder zum Anfang und zu Henry Purcell führte und den musikalischen Bogen schloss.
Werke:
Der britische Komponist George Benjamin (geboren 1960) ist einer der angesagtesten Komponisten der Gegenwart. So feierte z.B. seine Oper LESSONS OF LOVE AND VIOLENCE letzte Spielzeit eine erfolgreiche Aufführungsserie im Opernhaus Zürich. Für THREE CONSORTS transkribierte George Benjamin Gamben-Fantasien seines Landsmanns Henry Purcell.
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) komponierte sein Rondo KV 373 zusammen mit zwei weiteren Stücken für eine musikalische Akademie der Salzburger Hofkapelle anlässlich eines Besuchs des Erzbischofs in Wien zwischen 23 Uhr und Mitternacht, wie er an seinen Vater Leopold Mozart schrieb. Damals war Mozart noch in Diensten des Salzburger Erzbischofs als Konzertmeister der erzbischöflichen Hofkapelle. Dieses Rondo für Violine und Orchester entstand nach den fün Violinkonzerten und sollte seine letzte Komposition für Solovioline werden. Danach wandte er sich vermehrt dem Klavier und der Oper zu. Das spritzige, kurze Werk, begeistert mit seinem packenden, einfallsreichen Refrain und den überraschenden Couplets. Eines dieser Couplets wurde 150 Jahre später vom argentinischen Tango-Komponisten und Sänger Carlos Gardel für seinen grössten Hit POR UNA CABEZA (1935) verwendet, drei Monate vor seinem Tod bei einem Flugzeugabsturz. Später tauchte dieses Mozart-Thema in diversen Filmen auf, so SCHINDLER´S LIST, TITANIC, James Camerons TRUE LIES oder SCENT OF A WOMAN mit Al Pacino.
Der Brite Ralph Vaughn Williams (1872-1958) galt als Haupt der englischen nationalen Schule, sammelte Volkslieder und schöpfte die wichtigsten Anregungen für sein Schaffen aus den Schätzen des britischen nationalen Erbes, an deren Wiederentdeckung er massgeblich beteiligt war. Er gilt zusammen mit seinem ebenfalls zur Jahrhundertwende erblühenden Kollegen Edward Elgar als führender englischer Komponist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Seine Violinromanze THE LARK ASCENDING stellte er 1914 fertig. Allerdings passte sie mit ihrem pastoralen Charakter nicht in die Zeit des Ersten Weltkriegs, so erfolgte die Uraufführung der für Violine und Orchester revidierten Fassung erst 1921. Seiner Komposition legte Vaughn Williams ein Gedicht von George Meredith zugrunde:
He rises and begins to round,
He drops the silver chain of sound,
Of many links without a break,
In chirrup, whistle, slur and shake.
For singing till his heaven fills,
‘Tis love of earth that he instils,
And ever winging up and up,
Our valley is his golden cup
And he the wine which overflows
to lift us with him as he goes.
Till lost on his aerial rings
In light, and then the fancy sings.
Vaughn Williams spürt in diesem 15minütigen Stück der Betrachtung der Schönheit der Schöpfung nach. Die Romanze ist von zarter Leuchtkraft, in der sich aber einige technische Schwierigkeiten verstecken; atemberaubende 64tel Noten, Triller und Tremolos zeichnen das Tirillieren und den Flug der Lerche nach und ätherische Höhen müssen erklommen werden. THE LARK ASCENDING wurde auch schon als “heimliche britische Nationalhymne” bezeichnet.
Auch in seiner 4. und letzten Sinfonie ist Johannes Brahms (1833-1897) durchaus auch Chronist seiner Zeit, drängt auf Besinnung und auf stabile Werte aus dem deutschen Volksliedgut, auf den Stil der klassischen Vorbilder. Auffallend ist, dass Brahms für den letzten Satz die Variationenform der Chaconne (auf ein Thema von Bach) wählte, eine Form, die vor allem in der Zeit der Aufklärung sehr en vogue war. Den ersten Satz beginnt Brahms quasi seufzend, mit absteigenden Terzen und ansteigenden Sexten. Von der Unbeschwertheit seiner zweiten Sinfonie ist kaum mehr was übrig geblieben. Nichtsdestotrotz setzte sich die konsequent durchgestaltete vierte Sinfonie beim Publikum durch und wird seit der Uraufführung sehr häufig gespielt.