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Winterthur, Stadthaus: WEBER | MENDELSSOHN | RAFF, 29.09.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Musikkollegium Winterthur

Grosse Romantik mit dem Musikkollegium Winterthur unter Hossein Pishkar, Carolin Widmann spielt Mendelssohns Violinkonzert

Carl Maria von Weber: Der Beherrscher der Geister, Ouvertüre für Orchester, op 27 | Uraufführung: 14. November 1811 in München | Felix Mendelssohn Bartholdy: Konzert für Violine und Orchester e-Moll, op. 64 | Uraufführung: 13. März 1845 in Leipzig | Joachim Raff: Sinfonie Nr. 3 F-Dur, op. 153 "Im Walde" | Uraufführung: 17. April 1870 in Weimar

Kritik:

Die Kunst- und Kulturstadt Winterthur feiert die Romantik mit Konzerten im Stadthaussaal und im Kunstmuseum, Lesungen und natürlich mit den berühmten Gemälden von Caspar David Friedrich, die geradezu exemplarisch für diese Epoche stehen. Ebenso exemplarisch ausgwählt durch das Musikkollegium Winterthur sind die anlässlich seines Extrakonzerts zur Eröffnung des Romantik-Wochenendes gespielten musikalischen Werke von Carl Maria von Weber, Felix Mendelssohn-Bartholdy und Joachim Raff, welche in chronologischer Reihenfolge gespielt wurden und einen musikalisch spannenden Querschnitt durch dieses so nachhaltig wirkende Zeitalter aufzeigen.

Zu Beginn werden wir mit Webers Ouvertüre DER BEHERRSCHER DER GEISTER mitten in die Schauerromantik geworfen. Mit gewaltiger Rasanz steigt das Orchester in das Potpourri rund um den leicht reizbaren Geisterfürsten des Riesengebirges ein. Trotz des Presto-Tempos schafft es das Musikkollegium Winterthur unter der mitreissenden Leitung von Hossein Pishkar einzelne Orchesterstimmen prominent herauszuheben, so z.B. die exzellenten Kontrabässe mit ihren markigen Figuren. Kurzzeitig bringen die Holzbläser mit dolcissimo gepielten Phrasen etwas Ruhe ins Geschehen, versuchen den Geisterfürsten friedlich zu stimmen, das Blech unterstützt sie dabei mit choralartigen Passagen. Doch der aufgebrachte Geist lässt sich nicht beruhigen, seine Armee wuselt piano wieder herein, bevor die kurze Ouvertüre im dreifachen Forte dem kurzen Weberschen Jubelfinale zustrebt.

Einen lieblicheren romantischen Akzent setzte Mendelssohn mit seinem berühmten Violinkozert, das direkt in medias res geht, der Solovioline bereits im zweiten Takt Raum zur Entfaltung gibt. Die Violinistin Carolin Widmann intoniert die wunderbaren Kantilenen mit herrlich reiner, warm empfundener, aber bestimmter Innigkeit, nie zu süsslich schmachtend. Stupend gerät die Kadenz mit den schwierigen Intervallsprüngen, den Doppelgriffen und den sauberen Trillern. Mit der gebotenen Leichtigkeit umspielt sie mit schlanken Läufen die Melodieführung des Orchesters, übernimmt dann wieder den wiegenden Lead mit grossem Sebstbewusstsein. Einmal geraten die Einwürfe des Blechs etwas gar grell und "stören" das Zurücklehnen im Wohllaut, bevor das Orchester mit grandiosem Zug dem Ende des Kopfsatzes zustrebt. Im Mittelsatz setzt Carolin Widmann mit viel Schmelz nach der vom Orchester wunderbar verhalten intonierten Modulation des Übergangs vom ersten in den zweiten Satz ein. Die Solopassagen der Violine sind einfach nur herrlich, verströmen ungetrübte, friedvolle Freude und werden mit stupender Reinheit bis in die höchsten Lagen intoniert. Spannend gerät auch der Weg vom Andante ins finale Allegro molto vivace: Ein luftiges Allegretto der von den Streichern begleiteten Solovioline dient als Satzeinleitung; es mündet ins spritzige Rondo. Die ersten Einwürfe Widmanns im Rondo wirken wie tastend, verhalten suchend, dann voll und beschwingt die Führung übernehmend. Der Satz mit seinen hüpfenden Staccati endet beschwingt und freudig. Viel Applaus für Carolin Widmann und das Musikkollegium Winterthur unter der Leitung von Hossein Pishkar.

Nach der Pause dann ein leider zu Unrecht vernachlässigtes Meisterwerk von Joachim Raff: Seine dritte Sinfonie ist eine Wucht. Zwar erklang sie bereits 1879 erstmals in der Eulachstadt, aber die letzte Aufführung hier ist 123 Jahre her. Höchste Zeit also, diesen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so populären und seit dem zweiten Weltkrieg leider weitgehend dem Vergessen anheim gefallenen Komponisten wieder zur Diskussion zu stellen. Nachdem die Bühnen Bern dem Komponisten Raff Anfang September mit dessen Oper SAMSON die Ehre erwiesen hatten, folgt nun verdienstvollerweise das Musikkollegium Winterthur mit einer mitreissenden Interpretation von Raffs dritter Sinfonie "Im Walde". Nicht nur dank des aussermusikalischen Programms seiner Sinfonien erleichtert Raff dem Publikum den Zugang; seine Musiksprache ist dermassen reichhaltig, die Orchestrierung so gekonnt und farbenreich, dass man in die Klangwelt seiner Sinfonien einfach gerne eintaucht. Das Musikkollegium Winterthur und der so wunderbar mitatmende und klug diponierende Dirigent Hossein Pishkar lassen den Raffschen Wald in eindringlicher, vibrierender Plastizität entstehen. Mit herrlichen Volgelstimmen der Holzbläser untermalt erfolgt das erste Eintauchen in den erwachenden Wald am Morgen, zunächst unbeschwert, das Hauptthema des Satzes ohne allzu grosse Emphase einflechtend (das hätte man für meinen Geschmack leicht pointierter erstrahlen lassen können). Sehr schön zu beobachten ist, wie Pishkar immer wieder sorgsam die Nebenstimmen aufleuchten lässt. Die Stimmung im Wald ist aber in diesem ersten Satz nicht nur friedlich, Raff lässt Einsprengsel der Schauerromantik einfliessen, Unheimliches und Bedrohliches wird hörbar, bevor die Hörner sauber zur Jagd blasen. Der zweite Satz gehört zu den schönsten Eingebungen Raffs, ja sogar der Hochromantik. Diese elegische Melodie der Klarinette, welch im Verlauf von anderen Instrumenten aufgenommen wird und am Ende wieder bei der Klarinette ankommt, besticht mit ihrer träumerischen, friedvollen Atmosphäre. Der Soloklarinettist des Musikkollegiums berührt mit seinem stimmungsvollen Spiel. Besonders hervorzuheben sind auch die Gruppe der Bratschen und die Solocellistin. Das ist ein wirklich gelungenes Miteinander der Musiker*innen, ein Verschmelzen in Schönheit, mit allergrösster Empfindsamkeit intoniert und geleitet. Berückend! Zur mittleren Abteilung von Raffs Programm gehört auch der dritte Satz mit den tanzenden Kobolden oder Dryaden. Das ist luftig musiziert, beschwingt und überaus präzise in den begleitenden Pizzicati der Streicher. Klar konturiert in den tiefen Streichern erfolgt der Einstieg in den Finalsatz, organisch aufgebaute Crescendi führen zur tobenden Jagd Wotans und Frau Holles (nicht direkt die aus dem Märchen, sondern die mythische Figur der matriarchaischen Göttin, auf der das Märchen der Brüder Grimm fusst). Hier erreicht Raff ein tondichterisches Niveau, das seinem Vorbild Liszt (dessen Kompositionen er im Auftrag des Meisters als Assistent Liszts in Weimar orchestriert hatte!) in nichts nachsteht. Das ist schlicht Musik, die beim Anhören enormen Spass und Genuss bereitet. Hossein Pishkar disponiert die aufwallenden Klangballungen mit viel Fingerspitzengefühl, lässt sie kontrolliert explodieren, ohne plakativ zu werden. Subtil erklingt das leichte Donnergrollen beim Abzug des Götterpaares, noch einmal peitscht ein orchestraler Sturm die Zuhörer*innen auf, bevor zusammen mit dem erneuten Aufschimmern des Hauptthemas aus dem ersten Satz eine kurze Apotheose Licht ins Dunkel bringt.

Das Publikum zeigte sich begeistert und belohnte das Orchester und den Dirigenten mit lang anhaltendem Applaus. Damit ist hoffentlich eine Renaissance des zu Unrecht vernachlässigten Komponisten Joachim Raff eingeläutet.

Schade, dass der Stadthaussaal kaum zur Hälfte besetzt war - und das für ein Programm, das es nun wirklich in sich hatte. Einmal mehr passt das französische Sprichwort: Les absents ont toujours tort.

Werke:

Carl Maria von Weber (1786-1826), dessen Ouvertüre zu seiner bekanntesten Oper DER FREISCHÜTZ quasi die Epoche der Romantik einleitete, schuf mehrere Opern mit ganz wunderbaren Ouvertüren, und so tauchen diese denn auch häufiger in Konzertprogrammen auf, als seine Opern auf den Bühnen der Musiktheater. Die Ouvertüre zu seiner unvollendet gebliebenen Oper RÜBEZAHL arbeitete Weber unter dem Titel DER BEHERRSCHER DER GEISTER um. Sie wird unterdessen sehr häufig gespielt, überzeugt mit ihrer kontrastreichen Melodik, welche zu dramatischen Spannungen führt, begeistert mit wunderbaren orchestralen Klangfarben und stimmungsvollen Harmonien.

Friedrich Nietzsche bezeichnete Felix Mendelssohn Bartholdys (1809-1847) Violinkonzert in e-Moll als ein "Schöner Zwischenfall der deutschen Musik". Und tatsächlich ist Mendelssohns Violinkonzert von geradezu klassischer Schönheit, Leichtigkeit und Eingängigkeit. Man merkt dem Werk in keinem Moment seine eher zähe Entstehungsgeschichte an. Mendelssohn bekundete bereits 1838 das Violinkonzert in e-Moll im Kopf zu haben, fertig wurde es erst sechs Jahre später. Sein Freund, der Geiger Ferdinand David, stand ihm dabei mit Rat und Tat zur Seite und brachte es dann auch im Leiziger Gewandhaus zur Uraufführung. Seither gehört es mit zu den beliebtesten und meistgespielten Violinkonzerten - und zu einer der bekanntesten Kompositionen aus Mendelssohns Feder. Ferdinand David hatte dem Komponisten versprochen, dass er es so spielen werde, "dass sich die Engel im Himmel freuen." Sie tun es heute noch!

Der in der Schweiz geborene Joseph Joachim Raff (1822-1882) gehörte noch zu seinen Lebzeiten zu den geachtetsten Komponisten des 19. Jahrhunderts und geriet nach seinem Tod leider weitgehend in Vergessenheit - völlig zu Unrecht, wie auch seine dritte (von elf) Sinfonien beweist. Enstanden ist sie 1869, die Uraufführung geriet zu einem rauschenden Erfolg. Hans von Bülow bezeichnete sie als "kolossal". Bald fand die damals häufig aufgeführte Sinfonie den Weg nach Amerika, wo ein Musikkritiker schrieb: "...die beste Sinfonie der Neuzeit; eine der wenigen, die es wert sind, in Begleitung der Werke von Beethoven und Schumann in die Nachwelt einzugehen.“ Raff unterteilte die viersätzige Sinfonie in drei Abteilungen, denen er ein ausführliches Programm zuordnete. Als Vorbild zu dieser Art von Programmmusik könnte Beethovens PASTORALE gedient haben. Die erste Abteilung umfasst den ersten Satz, ein Allegro und trägt den Titel AM TAGE. Die zweite Abteilung heisst IN DER DÄMMERUNG und umfasst den zweiten (Träumerei) und den dritten Satz (Tanz der Dryaden). Die letzte Abteilung bildet der vierte Satz NACHTS: Stilles Weben der Nacht im Walde. Einzug und Auszug der wilden Jagd mit Frau Holle und Wotan. Anbruch des Tages.

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