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Winterthur, Stadthaus: SCHUMANN, GRIEG, SYRSE, MOZART, 06.09.2023

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Musikkollegium Winterthur

Alle Applausbilder 6.9.23: K. Sannemann Musikkollegium Winterthur mit Roberto González-Monjas

Musikkollegium Winterthur unter der Leitung von Roberto Gonzáles-Monjas, Klavier: Jan Lisiecki

Schumann: Ouvertüre zum Dramatischen Gedicht "Manfred" nach Lord Byron, op. 115 | Uraufführung: 14. März 1852 in Leipzig, unter der Leitung des Komponisten | Edvard Grieg: Konzert für Klavier und Orchester a-Moll, op. 16 | Uraufführung: 3. April 1869 in Kopenhagen | Diana Syrse: "Quetzalcóatl" für Orchester (2023) Auftragskomposition des Musikkollegiums Winterthur, Uraufführung | Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie Nr. 40 g-Moll, KV 550 | Fertiggestellt Ende Juli 1788, Uraufführungsdatum nicht gesichert | Dieses Konzert in Winterthur: 6.9. | 7.9. und 8.9. 2023

Kritik:

WELTSCHMERZ

Kaum ein Werk des Konzertrepertoires wäre wohl besser geeignet, um in den thematischen Saison-Schwerpunkt "SEIN" einzusteigen, als Schumanns MANFRED-Ouvertüre. Bereits die scharfen, dreimal rasch wiederholten Orchestertutti-Akkorde zeigen den an Welt- und Liebesschmerz verzweifelnden "Helden" in seinem Leiden; er steht buchstäblich am Abgrund (in den Berner Alpen). Das sehrende Oboenmotiv, das dann folgt und im Verlauf der Ouvertüre zu einem wiederkehrenden Thema wird, zeigt die ganze psychische Zerrissenheit des Menschen in seiner Individualität des "Seins". Von überwältigender Leidenschaftlichkeit geprägt ist dann auch das Dirigat von Roberto González-Monjas, der das Musikkollegium Winterthur zu expressivem Musizieren anfacht. Das Tempo ist atemberaubend, die widerstreitenden seelischen Stimmungen wunderbar ausgehorcht und mit packendem Zugriff vibrierend transportiert. Trotzdem gehen die stimmungsintensiven Feinheiten des Werks nicht im vorwärtsdrängenden Rausch unter; elegische Kantilenen der Celli oder die Besänftigungsversuche der einen Choral intonierenden Blechbläser werden feinsinnig herausgearbeitet. Eine aufgewühlte und aufwühlende Interpretation von Schumanns Werk über das Leiden des byronschen Charakters, Schauerromantik pur.

Gänsehaut erregt auch der Anfang des Klavierkonzerts von Edvard Grieg. Ein kurzer Paukenwirbel leitet die Akkord-Kaskade ein, mit welcher der Weltklasse-Pianist Jan Lisiecki die Zuhörer*innen sofort in seinen Bann schlägt. Was für eine monumentale Kraft steckt da in seinem Spiel, da stehen im weiteren Verlauf Läufe von kristalliner Klarheit neben mit wunderbarer Einfühlsamkeit gespielten Phrasen, triumphale Steigerungen, klanglich fantastisch austariert, neben melancholischen Einsprengseln und als Höhepunkt natürlich eine traumverloren beginnende Kadenz, die sich mit überragender Virtuosität in den Sog des Hauptthemas aufbäumt und wieder versinkt. Das Zusammenspiel zwischen dem Solisten und dem Musikkollegium Winterthur und dem Dirigenten schien von grossem gegenseitigem Vertrauen geprägt, Lisiecki sucht immer wieder den Blickkontakt zu den Musiker*innen und dem Dirigenten, atmet und fühlt in den orchestralen Passagen mit, übernimmt abwechselnd den Lead, oder nimmt die vom Orchester intonierten Motive mit espressivem Spiel auf. Gerade im (zu Beginn) ruhevollen Adagio-Satz ist das ein gefühlvolles gegenseitiges Nehmen und Geben, schön melancholisch, aber nie zu süsslich - das verhindert allein schon die majestätische Steigerung am Satzende, welche Roberto González-Monjas, das Musikkollegium und Jan Lisiecki mit grandioser Emphase erklingen lassen. Markant, rasant und mit leicht diabolischem Unterton steigen die Ausführenden in den Finalsatz ein, lassen die tänzerischen, wilden Rhythmen ihre Wirkung entfalten. Zwischendurch mahnt eine wunderbare Kantilene der Soloflöte zur Ruhe, der Pianist nimmt diese kurz und versöhnlich gestimmt auf, doch schon bald leitet er mit einer effektvollen, kurzen Kadenz wieder über zum beschwingten Hauptthema und mit einer brillant gespielten Coda des sich erneut überschwenglich steigernden Seitenthemas schliesst der Satz. Den stürmischen Jubel des Publikums nimmt Lisiecki mit sympathischer Bescheidenheit entgegen, applaudiert selbst ebenfalls den Musiker*innen des Musikkkollegiums Winterthur, die zusammen mit ihm und dem Dirigenten das effektgeladene Klavierkonzert Griegs zu einem Ereignis werden liessen. Als Zugabe schenkt Jan Lisiecki dem Publikum eine von allergrösster Sensibilität und Verinnerlichung geprägte Interpretation von Chopins Nocturne in c-Moll, op posthumus: Wunderbar fein der Anschlag, glitzernd perlend die melancholische, mit ihren punktierten Achteln fein dahinschwebende Melodie.

Nach der Pause eine Uraufführung, in Anwesenheit der Komponistin: Diana Syrses QUETZALCÓATL. Die mexikanische Komponistin will damit, nach ihren eigenen Worten, in einer Art Parallele die Erfahrungen zweier junger Komponisten (Mozart und sie selbst) zusammenlaufen lassen, die Erforschung des Schmerzes, des Leidens und des inneren Wandels mit musikalischen Mitteln der Jetztzeit ausdrücken. Die Komponist*innen des amerikanischen Kontinents hatten in den letzten fünfzig Jahren den Vorteil, dass sie nicht unter dem "Joch" der zweiten Wiener oder (noch vehemnter) der Darmstädter Schule komponieren "mussten" wie ihre Kolleg*innen in Europa. So klingen die Kompositionen aus Übersee oftmals dem Ohr viel zugänglicher. Dies trifft auch auf das durchaus hörenswerte neueste Werk von Diana Syrse zu. Es ist flächig und bewegt angelegt, mit prägnanten Rhythmen unterlegt, repetitiv (erinnert ganz entfernt etwas an Philipp Glass) und schafft so sowohl rhythmische als auch melodische Anhaltspunkte für das Ohr. Viele Reibungen führen zu einem dicht verwobenen Klangteppich, zu atmosphärischem Leuchten, woraus immer wieder musikalische "Schönheiten" aufblühen dürfen (Flöte), wo aber auch zerstörerische, klagende Sequenzen Idyllen schnell wieder zerstören. Quetzalcóatl ist (wie man im Programmheft lesen kann) ein gefiederter Schlangengott, dessen Häutungen und desssen Winden die Komponistin ausgezeichnet mit den musikalischen Mitteln des traditionellen Sinfonieorchesters eingefangen hat. Das Musikkollegium Winterthur unter Roberto González-Monjas setzt die Komposition mit betörender Klangmagie um.

UNGEDULD DES HERZENS

Am Ende des Konzerts dann die Sinfonie Nr. 40, die mittlere der drei letzten Sinfonien Mozarts, die für Roberto González-Monjas den Ausgangspunkt des thematischen Schwerpunkts über drei Spielzeiten bilden: WERDEN - SEIN - VERGEHEN. Roberto González-Monjas lässt das Musikkollegium Winterthur mit klopfender, ungeduldig pochender, akzentuierter Verve in den berühmten Kopfsatz einsteigen. Das ist gelebte Energie, Leidenschaft - mit einem passenden Hauch von Ungeduld. Packend und unerbittlich! Introvertierter geht es im Andante zu, ein Blick aus der inneren Gefühlswelt, in der wenig Zuversicht herrscht, dafür mehr Leid und Schmerz - man man spürt, was Diana Syrse mit ihrer Komposition und der Anspielung auf Mozart gemeint hatte. Im Menuetto fallen die wunderschön intonierten Verästelungen der Holzbläser auf, das kontemplative Trio führt zu etwas Ruhe, bevor die Reprise wieder markant einsetzt und mit den erneut fein hingetupften Holzbläser-Kantilenen endet. Kontrastreich arbeitet der Dirigent die dynamischen Abgründe des Finalsatzes heraus: Zarte Fragen werden von den Violinen gestellt, scharfe, unbeugsame Antworten gibt das Orchestertutti. Eine durch und durch packende, engagierte Interpretation der brühmten g-Moll Sinfonie und ein Eröffnungskonzert, das neugierig macht auf die weiteren Konzerte dieses spannenden thematischen Saison-Schwerpunkts.

Werke:

Robert Schumann  (1810-1856) schrieb seine vom gleichnamigen Poem Lord Byrons inspirierte Schauspielmusik MANFRED in den Jahren 1848 bis 1852. Schumann verstand diese Komposition als etwas “Neues und Unerhörtes”, wie er an Franz Liszt schrieb. Keine Oper, kein Melodram, sondern ein “Dramatisches Gedicht mit Musik” sollte sie sein. Nachdem Schumann die Uraufführung der Ouvertüre in Leipzig dirigiert hatte, brachte Franz Liszt im Weimarer Hoftheater das ganze Werk zur Uraufführung. Es ist in eine Ouvertüre und drei Abteilungen gegliedert, mit diversen Solonummern und Chorpassagen. Leider wird es heutzutage kaum mehr als Ganzes aufgeführt, die Ouvertüre hingegen ist fester Bestandteil des Konzertrepertoires.

Byron schildert in seinem hochromantischen Gedicht, das sowohl von Goethes FAUST und der englischen Schauerromantik als auch von Byrons Aufenthalt in der Schweiz und seinen Bergwanderungen inspiriert ist, die Qualen der labilen Figur von Manfred, Der leidet an Weltschmerz und am frühen Tod seiner Geliebten. Er sucht in Geisterbeschwörungen und Feen-Befragungen Erkenntnis. Als er keine Antworten findet, will er sich in den Berner Alpen (Jungfrau) in den Tod stürzen, wird von einem Gamsjäger gerettet und wird schliesslich in seinem gotischen Schloss von einem Abt aufgesucht, der ihn zur Busse (für die Anrufung dunkler Mächte) bewegen will. Manfred lehnt das Angebot ab. Im Todeskampf trotzt Manfred jedoch auch den finsteren Dämonen, die sich seiner Seele bemächtigen wollen. Er stirbt und der Abt fragt sich, wohin Manfreds Seele nun wandern würde.

Das Klavierkonzert in a-Moll von Evard Grieg (1842-1907) zählt zu den wenigen grossformatigen Werken des Norwegers. Grieg war ein Meister der lyrischen Kurzform, liess sich in seinen Kompositionen oft von der Folklore seines Heimatlandes inspirieren. Nichtsdestotrotz gehört jedoch sein einziges Konzert zu den beliebtesten Solokonzerten für Klavier. Deutlich ist in diesem Klavierkonzert des erst 24jährigen Grieg die Nähe zu Schumanns Klavierkonzert zu hören, mit welchem es nicht nur die Tonart gemeinsam hat, auch die kurze, markante Einleitung sowie Stimmung und formale Gestaltung weisen auf Schumanns Klavierkonzert op.54 hin. Die ganz persönliche Färbung erfährt Griegs Konzert durch den für ihn charakteristischen, abwärts geführten Leitton. Wunderbar lyrisch kommt der zweite Satz daher, mit der melancholischen Melodieführung des Klaviers über den sordinierten Streichern. Der dritte Satz schliesslich endet in jubelndem Fortissimo. Hugo Wolfs abschätzige Bemerkung über Griegs Klavierkonzert: „ Das Werk ist gerade gut genug, Brillenschlangen in Träume zu lullen oder rhythmische Gefühle in abgerichteten Bären zu erwecken“ wurde von Publikum und Kritik zum Glück nicht geteilt – im Gegenteil, es gehört zu den Rennern im Konzertbetrieb, zu Recht.

Diana Syrse ist eine zeitgenössische mexikanische Komponistin und Sängerin, die für ihre innovativen Werke bekannt ist, die elektronische und akustische Elemente kombinieren. Ihre Kompositionen beschäftigen sich häufig mit Themen wie Identität, Erinnerung und sozialem Bewusstsein. Diana Syrse wurde in Mexiko-Stadt geboren und begann ihre musikalische Ausbildung schon in jungen Jahren mit dem Studium von Klavier und Violine. Später studierte sie Komposition und elektronische Musik an verschiedenen Institutionen, darunter am Conservatoire de Paris und der University of California, Berkeley. Syrse erhielt für ihre Kompositionen zahlreiche Auszeichnungen und Anerkennungen und ihre Werke wurden international aufgeführt. Zu den bemerkenswerten Kompositionen von Diana Syrse gehören „Alma Codificada“, „Mare Nostrum“ und „Anatomía de Luna“. Ihre einzigartige Mischung aus elektronischen Klanglandschaften und traditionellen Instrumenten schafft ein fesselndes und zum Nachdenken anregendes Musikerlebnis.

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) schuf seine letzten drei Sinfonien innerhalb der unvorstellbar kurzen Zeit von drei Monaten. Es sind die einzigen seiner 41 Sinfonien, die er ohne Auftrag schrieb. Diese Trias stellt den unbestrittenen Höhepunkt seines sinfonischen Werkes dar, weist - vor allem in der g-Moll Sinfonie KV 550 - weit in in die Zukunft. Vermutlich hat Mozart nur diese eine der drei Sinfonien live gehört, bei einem Privatkonzert, aus dem er angeblich davongelaufen sei, weil die Ausführung so schlecht war. In einer zweiten Fassung der Sinfonie Nr. 40 hat Mozart dem Bläserensemble noch zwei Klarinetten hinzugefügt, was darauf hindeutet, dass eine Aufführung (vermutlich unter der Leitung Salieris) geplant war.

Die Tonart g-Moll steht für Verinnerlichung, Weltschmerz, Todesahnung. Drei der vier Sätze dieser Sinfonie stehen denn auch in dieser Tonart. Mozart hat g-Moll sehr geliebt, jedoch sparsam verwendet, so in den Arien der Constanze in der ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL Was ist der Tod, in der grossen Arie der Pamina in der ZAUBERFLÖTE  Ach, ich fühl's und eben in der Sinfonie Nr. 40. Diese Sinfonie ist trotz ihrer von Trauer und Abschied geprägten Grundstimmung vermutlich die populärste seines Œuvres.

Der argentinisch-spanische Komponist und Arrangeur Waldo de los Rios schuf zu Beginn der 1970 Jahre eine gekonnte, “popige” Version des Kopfsatzes von Mozarts Sinfonie Nr. 40 und stürmte mit dieser Single die Charts in diversen Ländern.

Karten

 

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