St.Gallen: MACBETH, 17.10.2015
Oper in vier Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Francesco Maria Piave und Andrea Maffei | Uraufführung der ersten Fassung: 14. März 1847 in Florenz | UA der zweiten Fassung: 21. April 1865 in Paris | Aufführungen in St.Gallen: 17.10. | 24.10 | 4.11. | 20.11. | 22.11. | 29.11. | 6.12. | 22.12. | 29.12.2015 | 7.2. | 16.2. | 26.2. | 31.3.2016
Kritik:
Wie inszeniert man eine plausible Hexenszene, wenn man die Handlung von Verdis MACBETH aus dem quasi heidnischen schottischen Hochland des 11. Jahrhunderts in einen „Führerbunker“ irgendwo in Grossbritannien gegen Ende des zweiten Weltkriegs verlegt? Ganz einfach, man macht die Sekretärinnen, Funkerinnen, die Tippsen an ihren Schreibmaschinen und Dechiffriergeräten zu Wahrsagerinnen, denn sie sitzen ja an den Quellen der Information. Wenn man dann Macbeth und Banquo auch noch beschwipst auftreten lässt, sind den Sekretärinnen flugs auch schon Bärte gewachsen. Regisseur Aron Stiehl hat diese Klippe also meisterhaft umschifft, genau wie die zweite Hexenszene, welche er als vorübergehende geistige Umnachtung Macbeths ablaufen lässt und ihn in seinem Albtraum in eine grausliche Hexenküche innerhalb des Bunkers geraten lässt. Dass bei der Erscheinung der Könige dann die gesamte aktuelle Royal Family Grossbritanniens vorbei defilieren muss, trägt zwar zur Erheiterung des Publikums bei, ist geschmacklich aber eher fragwürdig. Die Inszenierung (die bedrückend stimmige Bühne und die Kostüme stammen von Antony McDonald) ist atmosphärisch nahe bei Hirschbiegels Film DER UNTERGANG, in welchem die letzten Tage Hitlers im Bunker der Reichskanzlei geschildert werden oder dem ENIGMA-Roman von Robert Harris angelegt. Auch der Macbeth (Paolo Gavanelli) in Stiehls Interpretation leidet am Ende unter dem parkinsonschen Zittern des Arms. Die genaue historische Verortung in den zweiten Weltkrieg hat jedoch auch zur Folge, dass die Handlung irgendwie gesucht und aufgesetzt wirkt, denn wer bitte schön, soll in diesen Kriegstagen, als das britische Volk wie eine Eins hinter Churchill und dem König stand, eine „Palastrevolution“ geplant haben? Etwa die schottischen Nationalisten? Bei der Mörderszene vor der Ermordung Banquos hatte man diesen Eindruck bekommen. Wie dem auch sei, an der Personenführung gibt es nichts zu rütteln, die war grossartig, von beklemmend bis zum Teil wirklich zum Schmunzeln - und dies bei einem der schwärzesten Nachtstücke der Literatur. Das muss man erst mal hinbekommen. Vor allem die Charakterisierung der Lady (Mary Elizabeth Williams) gelang vortrefflich: Dieser Verschnitt aus einer bieder kostümierten Wallis Simpson und der Verschlagenheit einer femme fatale war treffend gelungen. Auch die gegenseitige Entwicklung der beiden Charaktere des Ehepaares Macbeth war wunderbar herausgearbeitet: Sie, die grossgewachsene, starke und dominante Frau, die keine körperliche Berührung zulässt, eiskalt kalkuliert, das aufgesetzt lächelnde Gesicht jedoch im Verlauf des mörderischen Spiels nur noch dank des Einwerfens von Tabletten wahren kann und schliesslich total dem Wahn verfällt, in manischen Zwangshandlungen sich ohne Ende die Arme wäscht – dies alles wird von Stiehl und vor allem der Interpretin, Mary Elizabeth Williams, mit fantastisch präziser Intensität umgesetzt. Er dagegen ist zu Beginn der Zauderer, der Ängstliche, welcher nur durch ihren Antrieb (und den häufigen Griff zur Whiskyflasche) funktioniert. Nach seinem Zusammenbruch am Ende des zweiten Aktes jedoch kommt er wieder auf die Beine, stärker, kämpferischer, brutaler und fatalistischer als je zuvor. Sehr treffend gelungen auch die Zeichnung der Nebenfiguren, so der in Selbstmitleid und Trauer gefangene Macduff (Derek Taylor), der griesgrämige, aber jugendlich entschlossene Hagestolz Malcolm (Nik Kevin Koch), die von der Lady so niederträchtig behandelte Kammerfrau (Theresa Holzhauser). Beate Vollack hat für die Hexen und Dämonen eine eindringliche Choreografie erarbeitet und der Damenchor des Theaters St.Gallen setzte die Szenen auch klanglich mit Biss um., ebenso wie die Männer den Chor der Mörder und alle zusammen das so eindringlich komponierte Patria oppressa zu Beginn des vierten Aktes (Einstudierung: Michael Vogel). Unverständlich nur, dass man den Befreiungschor und die Inauguration Malcolms am Schluss gestrichen hatte und die Oper mit dem einsamen Tod Macbeths mit der aus der Urfassung übernommenen Arie Mal per me enden liess. Immerhin war MACBETH noch ein Werk aus der Zeit von Verdis Risorgimento-Opern ... .
Paolo Gavanelli gelang eine weitgehend ergreifende Darstellung des Usurpators. Einige wenige stimmliche Unausgeglichenheiten machte er durch grossartige Phrasierungskunst wett. Darstellerisch war der Eindruck etwas zwiespältig: Die Mimik vermochte voll zu überzeugen, in der Gestik und dem Gehabe wirkte er für mich zu klobig, zu „Rigoletto“-haft. Stark war er in den Szenen mit der Lady, diese Angst vor körperlicher Nähe, die Unterwürfigkeit, dann das zunehmende Selbstbewusstsein und die beinahe Vereinigung mit ihr. Toll. Mary Elizabeth Williams besass genau die Stimme, welche es für die Lady braucht: Dunkles Fundament, gewaltig starke Höhe, durch Mark und Bein gehende Spitzentöne, grosser Atem und Agilität, fulminante Cabaletten. Wunderbar wie sie das mitreissende Finale I mit dem Spitzenton krönt. Bei ihrer Auftrittsarie liess man den Brief Macbeths über Lautsprecher vorlesen. Schade, denn gerade dieser von Verdi so genau kalkulierte Effekt, wenn die Lady vom Rezitieren ins Singen übergeht – Ambizioso spirto – wurde dadurch verschenkt. Nuancenreich gestaltete sie auch La luce langue und die Strophen des Brindisi im zweiten Akt. Für die Wahnsinnsszene Una macchia è qui tutt'ora setzte sie zwar gekonnt verschiedene Stimmfarben ein, welche den Zustand der geistigen Verirrung hörbar machten, allein an das fahle Piano müsste sie sich auch noch trauen. Sehr klangschön der schlanke, nicht allzu schwarz gefärbte Bass von Steven Humes als Banquo, mit stählernem und doch raffiniert von Trauer umflortem Klang der Macduff von Derek Taylor, welcher von Nik Kevin Koch als Malcolm mit resolutem Elan in Stimme und Spiel aus seiner Lethargie gerissen wird. Ganz wunderbar sang und spielte Theresa Holzhauser die Kammerfrau der Lady und bewies damit, dass man auch aus einer comprimario-Rolle ungemein viel herausholen kann.
Grossartiges erklang auch aus dem Orchestergraben, wo es Maestro Pietro Rizzo auf bestechende Art gelang, aus dem Sinfonieorchester St.Gallen eine reichhaltige Palette an subtilen Farben herauszuarbeiten, den Klang wunderbar plastisch und transparent zu formen und doch die grosse Linie, den Sog, den diese Partitur auszeichnet, beibehielt.
Wer von einmal MACBETH in der Schweiz in dieser Spielzeit nicht genug hat, kann Neuproduktionen auch noch in Zürich und Basel erleben ;-).
Inhalt:
Schottland Mitte des 11. Jahrhunderts
Auf dem Rückweg von einer siegreichen Schlacht begegnen den beiden Feldherren Macbeth und Banquo Hexen, von denen sie sich die Zukunft prophezeien lassen. Für Macbeth sagen die Hexen voraus, er werde bald Than (ein hoher schottischer Edelmann) von Cawdor und später König sein, Banquo hingegen werde Vater von Königen werden. Ein Soldat grüsst Macbeth darauf als Than von Cawdor, der Amtsvorgänger sei hingerichtet worden – die erste Prophezeiung der Hexen hat sich erfüllt.
In einem Brief ihres Gemahls erfährt Lady Macbeth von den Prophezeihungen. Die ehrgeizige Frau will den Voraussagen etwas Nachschub verleihen und überredet ihren zögernden Gemahl zum Königsmord. Die Gelegenheit ist günstig, denn der König Duncan hat sich mit seinem Gefolge zum Besuch auf Macbeths Anwesen angekündigt. Macbeth vollbringt in der Dunkelheit der Nacht die Tat, die Lady besudelt die schlafenden Wachen mit Blut und lenkt so die Schuld auf diese.
Macbeth wird nun König. Doch da ist noch Banquo – ein Mann der Verdacht schöpft und (gemäss den hexen) Vater zukünftiger Könige sein wird. Also beschliesst Macbeth auch seinen Waffengefährten und dessen Sohn zu töten. Banquo wird von gedungenen Mördern umgebracht, doch sein Sohn kann fliehen.
Anlässlich eines Banketts bringt die Lady Trinksprüche aus, Macbeth hingegen verfällt zusehends in Grübeleien und sieht Banquos Geist an seinem Platz sitzen. Den Adligen fällt Macbeths merkwürdiges Verhalten auf. Besonders der edle Macduff wird misstrauisch und flieht.
Macbeth will noch einmal die Hexen befragen: Sie sagen ihm, dass kein auf natürliche Weise Geborener ihm gefährlich werden könne und er sich keine Sorgen zu machen brauche, bis der Wald von Brinam gegen sein Schloss vorrücke. Die Lady überredet ihren Gemahl, Macduffs Familie auszulöschen.
Macduff hat seine mit ihm geflohenen Anhänger mit dem Heer des Duncan-Sohnes Malcolm vereinigt. Im englischen Exil planen sie die Befreiung Schottlands vom Usurpator Macbeth. Als Tarnung verwenden sie Äste aus dem Wald von Birnam.
Unterdessen ist die Lady an der Grenze zum Wahnsinn angelangt: Sie sieht Blutflecken an ihren Händen die nicht verschwinden wollen. In einer der grossartigsten Szenen der Oper gesteht sie ihre Schuld und sinkt entseelt nieder. Macbeth lässt der Tod seiner ambitionierten Frau kalt. Er hat andere Sorgen, da der Wald von Birnam gegen ihn anrückt. In der Schlacht vermeint er zu triumphieren, doch Macduff schreit ihm ihm Zweikampf entgegen, dass er seiner Mutter bei der Geburt aus dem Leib gerissen worden sei – die letzte Prophezeiung der Hexen erfüllt sich ebenfalls und Macbeth stirbt durch Macduffs Schwert. Malcolm wird neuer König.
Werk:
Zeitlebens hat sich Verdi mit Shakespeare beschäftigt, erkannt in dessen Werken riesiges Potential für das Musiktheater und setzte drei Werke des englischen Dichters in Musik: MACBETH, OTELLO und FALSTAFF. Mit KING LEAR beschäftigte er sich ebenfalls ausgiebig, gelangte jedoch nie zur Niederschrift einer Partitur und vernichtete schliesslich sämtliche Skizzen.
MACBETH stellte 1847 geradezu ein revolutionäres Werk dar: Keine Liebesgeschichte, eine Handlung voller Blut und Düsternis, der Tenor in einer Nebenrolle (Macduff). Von der Kritik wurde das Werk abgelehnt, das Publikum der Uraufführung feierte zwar den Komponisten mit 38 Vorhängen, doch so richtig durchsetzen konnte sich MACBETH nie. Für Paris arbeitete Verdi seine Lieblingsoper etwas um, fügte das obligate Ballett ein, komponierte für die Lady eine neue Arie im zweiten Akt (La luce langue), der Chor der vertriebenen Schotten (O patria oppressa) und ein neuer Schluss für den vierten Akt kamen dazu. Dafür wurde Macbeths Sterbeszene geopfert, welche zum jedoch seit Erich Leinsdorfs Dirigat an der Met 1950 oft auch in die Zweitfassung (Paris 1865) aufgenommen wird. Als Schlachtmusik griff Verdi, der sonst mit traditioneller Schulmusik nicht allzu viel am Hut hatte, auf eine Fuge zurück, da ihm deren Reibungen und Gegenüberstellungen von Themen als besonders angemessen dafür erschienen. Doch auch die Pariser Fassung war seinerzeit heftig kritisiert, ja gar als „unshakespearisch“ bezeichnet worden, was den Shakespeare-Kenner und –Verehrer Verdi ganz besonders schmerzte. Erst nach 1920 erkannte man die immensen Qualitäten des Werks und seine herausragende Stelle im Schaffen des Komponisten auf dem Weg von den konventionellen Anfängen zum echten Musikdrama, mit psychologisch feinsinnig und intelligent durchformten Charakteren. Gerade mit der Figur der Lady ist ihm eine Gestalt gelungen, die sich wie ein erratischer Block aus der italienischen Opernlandschaft erhob: Eine Frau, die mit hässlicher, rauer, hohler aber auch Mark und Bein durchdringender Stimme und dann wieder in tragfähigstem Piano flüsternd zu singen hatte, keine Sympathien erwecken durfte – eine Sängerin mit diabolischer Klangfarbe ist gefordert. Die Partie wurde im 20.Jahrhundert sowohl von Sopranistinnen (Callas, Rysanek, Barstow, Zampieri), hochdramatischen Sopranen (Nilsson, Dame Gwyneth Jones) als auch von dramatischen Mezzosopranistinnen erfolgreich verkörpert (Cossotto, Verrett, Ludwig).
Musikalische Höhepunkte:
Vieni, t´affretta, Briefszene und Arie der Lady, Akt I
Fatal, mia donna, Duett Macbeth-Lady, Akt I
Schiudi, inferno, Finale Akt I
La luce langue, Arie der Lady, Akt II
Studia il passo, Szene und Arie des Banquo, Akt II
Si colmi il calice, Brindisi der Lady, Akt II
Che fate voi, Szene Macbeth-Hexen, Akt III
Patria oppressa, Chor Akt IV
O figli, figli miei, Arie des Macduff, Akt IV
Una macchia, Wahnsinns- und Sterbeszene der Lady, Akt IV
Pietà, rispetto, amore, Arie des Macbeth, Akt IV
Mal per me, Sterbeszene des Macbeth aus der Urfassung, Akt IV