Basel: MACBETH, 15.04.2016
Oper in vier Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Francesco Maria Piave und Andrea Maffei | Uraufführung der ersten Fassung: 14. März 1847 in Florenz | UA der zweiten Fassung: 21. April 1865 in Paris | Aufführungen in Basel: 15.4. | 17.4. | 22.4. | 30.4. | 4.5. | 6.5. | 8.5. | 13.5. | 16.5. | 19.5. | 22.5. | 27.5. | 5.6. | 7.6. | 16.6.2016
Kritik:
In der Basler Aufführung von Verdis MACBETH traten sie alle auf, die Nebenfiguren, welche in anderen Produktionen oft in die Seitengänge, ins Off gedrängt werden oder auf der Bühne ein Mauerblümchendasein fristen müssen. Nicht so in Olivier Pys Inszenierung in Basel, welche gestern Abend eine umjubelte Premiere feiern durfte. Pys Verdienst war es, gerade diesen Nebenfiguren Leben eingehaucht, sie durch genaue Charakterzeichnung zu wichtigen Elementen des Dramas aufgewertet zu haben. Damit rückte Olivier Py den von Verdis Librettisten notgedrungen arg gekürzten und verknappten MACBETH wieder näher an Shakespeares Stück, an die Anatomie des Bösen. Denn all diese Figuren leisten einen wichtigen Beitrag zur Erschliessung der allegorischen Handlung. Angefangen beim Diener (sehr gut: Vivian Zatta), welcher von Beginn weg zum gefährlichen Mitwisser und dann zum gedungenen Mörder im Dienste der Macbeths wurde. Ausgezeichnet auch die Kammerfrau der Lady (Valentina Marghiotti) und der Arzt (Andrew Murphy). Die stumme Rolle des Königs Duncan erhielt bedeutendes Gewicht. Seine Ermordung im Bad wurde genau so schonungslos gezeigt wie seine ständige „Auferstehung“ im Gewissen des Tyrannen Macbeth. Dass Duncan allerdings zum Finale I splitternackt und blutüberströmt in einer Pose wie Christus am Kreuz auftreten musste, war dann vielleicht doch etwas gar plakativ. Sehr gelungen war die Darstellung des Thronfolgers Malcolm (mit wunderbar klarem, hervorragend fokussiertem Tenor: Markus Nykänen). Zuerst ein introvertierter Literat, der Zeuge wird von der Ermordung seines Vaters, vom Schloss der Macbeths flieht und im vierten Akt dann Macduff zum Kampf gegen den Usurpator motiviert. Er stellt die von Macbeth unterbundene, „göttliche“ Ordnung der Thronfolge wieder her, steigt erst etwas unbeholfen, dann zunehmend erstarkend auf den Sockel, von welchem das leidende Volk die gigantische Statue (erinnerte an Lenin ... ) des Tyrannen Macbeth eben gestürzt hatte. Stupend auch die Idee, in der zweiten Hexenszene die Erscheinungen 2 und 3 von den Kindern des Macduff singen und darstellen zu lassen (traumhaft sauber intoniert von den Solisten der Knabenkantorei Basel: Noah Gysin und Victor Fernandez-Garcia). Geschlossen trat die Familie des Macduff, Than of Fife, schon in der Bankettszene auf, die Ermordung der beiden Kinder, der Tod der Ehefrau Macduffs wurden gezeigt und so machte dann auch die Arie des Macduff Sinn, die er direkt als Totenklage im Angesicht der Leichen seiner Liebsten singen konnte. Demos Flemotomos sang dieses O figli, o figli miei ... la madre sventurata mit berückend schöner Tongebung und perfekter Stütze – ein wunderbarer Verdi Tenor kündigte sich hier an. Und durch die auf der Bühne gezeigte Ermordung von Macduffs Familie erhielten auch die Phrasen der Lady in der Wahnsinnsszene Schlüssigkeit: Di Fiffe il Sire, sposo e padre or non era? Che n'avvenne? Von imponierender stimmlicher und darstellerischer Kraft war der Banquo von Callum Thorpe: Welch eine prachtvolle Bassstimme voller Sonorität und Ausdruckskraft! Darstellerisch stimmte bei ihm einfach alles, jeder Blick, jede Geste; zu Tränen rührend der Abschied von seinem Sohn Fleance angesichts der mit blauen Doggen nahenden Mörder. (Dass er auch noch über einen perfekt modellierten Oberkörper verfügt, konnte man bei seinen Auftritten als Geist in der Bankettszene und in der zweiten Hexenszene bewundern!) Etwas rätselhafter kam die Darstellung des Fleance rüber: Warum musste der Knabe unter der aufgebahrten Leiche von König Duncan spielen? Klangschön sang der Chor des Theaters Basel (Chorleitung: Henryk Polus) die Hexen-, Mörder-, Krieger- und Volksszenen. Die zwei, drei Patzer des zu frühen Einsetzens werden bestimmt in den kommenden Aufführungen eliminiert sein. Leider wusste Olivier Py mit dem Chor nicht allzu viel anzufangen und liess ihn meist als amorphe schwarze Masse auftreten und abgehen. Auch die Choreografie der Hexenszenen wirkte etwas unbeholfen, vor allem beim ersten Auftritt. Das war dann besser beim zweiten, wo die Hexen in das nunmehr skelettierte Schloss verbannt waren. Von der ersten Szene an begleiteten Macbeth drei nackte Frauen auf seinem blutigen Weg, Erscheinungen, welche nur er sah und die er dann auch entsprechend ungläubig ansah, als sich die Weissagungen erfüllten. Auch die Lady erhielt ein Gefolge: Attraktive Männer begleiteten sie zum Bankett, verschafften ihr wohl die sexuelle Erfüllung, welche sie von ihrem Mann nicht erhielt. Damit kommen wir zu den beiden Hauptpartien, Macbeth und seine Lady, welche in Basel herausragend besetzt waren. Katia Pellegrino gelang eine vorzügliches Rollendebüt. Ihre Stimme brachte all die farblichen Schattierungen zum Ausdruck, welche die Partie erfordert: Stählerne Entschlossenheit, leuchtend aufblitzende Koloraturen in der ersten Kabaletta Or tutti sorgete, das Flackern in La luce langue, die Bejahung der nächsten Morde mit Nuovo delitto, die fahlen Töne der geistigen Verwirrung und Entrücktheit in der Szene des Somnambulismo. Weiss geschminkt und mit flammend rotem Haar gestaltete sie ein Lady voller Intensität, eine ambitionierte, zielstrebige Frau, welche am Ende dann doch an ihren Gewissensbissen zugrunde geht. (Crime doesn't pay ...) Ihr Gatte geht einen anderen Weg: Vom eher furchtsamen Zweifler, der zwar mordet und Morde in Auftrag gibt, aber doch immer wieder der Anstachlung durch seine Frau bedarf, wandelt er sich zum das Schicksal herausfordernden (und dieses fatalistisch konfrontierenden) „Helden“, der auch über seinen Tod nur noch lachen kann. Vladislav Sulimsky war in dieser Rolle geradezu ereignishaft gut. Welch ein fantastisch phrasierender und intelligent gestaltender Sänger, der seinen herrlichen Bariton markant strömen lassen konnte, dabei Weichheit, Flexibilität und eine imponierend sichere, kraftvolle Höhe zugleich offenbarte. FANTASTISCH!
Die Bühne und die Kostüme stammten von Pierre-André Weitz, das sehr stimmungsvoll oft von hinten und unten eingesetzte Lichtdesign von Bertrand Killy. Schwarz und feucht glänzten die gemauerten Wände des Schlosses. Wenn sich die gigantischen Quader drehten, wurden Innenräume sichtbar, stumpfe Spiegel, ein einfaches Waschbecken, zwei Kronleuchter. Die Drehbühne kam häufig zum Einsatz, die von den Macbeths gemordete Natur wurde symbolhaft mit kahlen, toten Bäumen dargestellt. Die Luftgeister, welche Macbeth nach seinem Ohnmachtsanfall wieder ins Leben zurückholten, inszenierten ihn als neuen Führer mit Rüstung und Waffen und fertigten mit Kameras und Scheinwerfern ein Riesenporträt des Diktators an, welches das Volk dann runter zerrte. Am Ende fehlte selbst Erzengel Michael nicht, welcher den Sturz des Satans Macbeth einläutete. Alles vielleicht etwas viel, aber nach etlichen leeren Bühnen und Kopfgeburten kommt einem ein wenig Theatralik auf der Opernbühne nicht ungelegen! Sogar drei Raben neigten sich noch über die Leichen von Lady Macduff und ihren beiden Söhnen. Eine kurzfristig erfolgte Hommage an Barrie Koskys MACBETH in Zürich vor knapp zwei Wochen oder ein purer Zufall?
Gespielt wurde in Basel die Pariser Fassung, zwar ohne Ballett, aber ganz konsequent auch ohne die Sterbeszene des Macbeth aus der Urfassung. Der designierte Musikdirektor des Theaters Basel, Erik Nielsen, gab einen gelungenen Einstand am Pult des mit einer geschlossenen, feinfühlig intonierenden Leistung im Graben aufwartenden Sinfonieorchesters Basel. Nielsen war sehr bedacht, das Unheilvolle, Abgründige von Verdis Intrumentationskunst nicht mit vordergründiger Lautstärke zu evozieren. Sein zurückhaltendes, auf Innigkeit des Ausdrucks bedachtes Dirigat war dadurch ausgesprochen sängerfreundlich.
Gleich dreimal konnte man sich in der laufenden Opernsaison in der Schweiz von den ausserordentlichen Qualitäten von Verdis (1865 überarbeitetem) Frühwerk MACBETH überzeugen lassen. St.Gallen machte den Anfang, Zürich folgte vor zwei Wochen und den Abschluss markierte nun die Aufführung Basel – drei unterschiedliche Sichtweisen auf das Werk bereicherten die Auseinandersetzung mit dem tiefgründigen, düsteren Stoff, der - wie kaum ein anderer - Blicke in den Abgrund der menschlichen Psyche offenbart.
Inhalt:
Schottland Mitte des 11. Jahrhunderts
Auf dem Rückweg von einer siegreichen Schlacht begegnen den beiden Feldherren Macbeth und Banquo Hexen, von denen sie sich die Zukunft prophezeien lassen. Für Macbeth sagen die Hexen voraus, er werde bald Than (ein hoher schottischer Edelmann) von Cawdor und später König sein, Banquo hingegen werde Vater von Königen werden. Ein Soldat grüsst Macbeth darauf als Than von Cawdor, der Amtsvorgänger sei hingerichtet worden – die erste Prophezeiung der Hexen hat sich erfüllt.
In einem Brief ihres Gemahls erfährt Lady Macbeth von den Prophezeihungen. Die ehrgeizige Frau will den Voraussagen etwas Nachschub verleihen und überredet ihren zögernden Gemahl zum Königsmord. Die Gelegenheit ist günstig, denn der König Duncan hat sich mit seinem Gefolge zum Besuch auf Macbeths Anwesen angekündigt. Macbeth vollbringt in der Dunkelheit der Nacht die Tat, die Lady besudelt die schlafenden Wachen mit Blut und lenkt so die Schuld auf diese.
Macbeth wird nun König. Doch da ist noch Banquo – ein Mann der Verdacht schöpft und (gemäss den hexen) Vater zukünftiger Könige sein wird. Also beschliesst Macbeth auch seinen Waffengefährten und dessen Sohn zu töten. Banquo wird von gedungenen Mördern umgebracht, doch sein Sohn kann fliehen.
Anlässlich eines Banketts bringt die Lady Trinksprüche aus, Macbeth hingegen verfällt zusehends in Grübeleien und sieht Banquos Geist an seinem Platz sitzen. Den Adligen fällt Macbeths merkwürdiges Verhalten auf. Besonders der edle Macduff wird misstrauisch und flieht.
Macbeth will noch einmal die Hexen befragen: Sie sagen ihm, dass kein auf natürliche Weise Geborener ihm gefährlich werden könne und er sich keine Sorgen zu machen brauche, bis der Wald von Brinam gegen sein Schloss vorrücke. Die Lady überredet ihren Gemahl, Macduffs Familie auszulöschen.
Macduff hat seine mit ihm geflohenen Anhänger mit dem Heer des Duncan-Sohnes Malcolm vereinigt. Im englischen Exil planen sie die Befreiung Schottlands vom Usurpator Macbeth. Als Tarnung verwenden sie Äste aus dem Wald von Birnam.
Unterdessen ist die Lady an der Grenze zum Wahnsinn angelangt: Sie sieht Blutflecken an ihren Händen die nicht verschwinden wollen. In einer der grossartigsten Szenen der Oper gesteht sie ihre Schuld und sinkt entseelt nieder. Macbeth lässt der Tod seiner ambitionierten Frau kalt. Er hat andere Sorgen, da der Wald von Birnam gegen ihn anrückt. In der Schlacht vermeint er zu triumphieren, doch Macduff schreit ihm ihm Zweikampf entgegen, dass er seiner Mutter bei der Geburt aus dem Leib gerissen worden sei – die letzte Prophezeiung der Hexen erfüllt sich ebenfalls und Macbeth stirbt durch Macduffs Schwert. Malcolm wird neuer König.
Werk:
Zeitlebens hat sich Verdi mit Shakespeare beschäftigt, erkannt in dessen Werken riesiges Potential für das Musiktheater und setzte drei Werke des englischen Dichters in Musik: MACBETH, OTELLO und FALSTAFF. Mit KING LEAR beschäftigte er sich ebenfalls ausgiebig, gelangte jedoch nie zur Niederschrift einer Partitur und vernichtete schliesslich sämtliche Skizzen.
MACBETH stellte 1847 geradezu ein revolutionäres Werk dar: Keine Liebesgeschichte, eine Handlung voller Blut und Düsternis, der Tenor in einer Nebenrolle (Macduff). Von der Kritik wurde das Werk abgelehnt, das Publikum der Uraufführung feierte zwar den Komponisten mit 38 Vorhängen, doch so richtig durchsetzen konnte sich MACBETH nie. Für Paris arbeitete Verdi seine Lieblingsoper etwas um, fügte das obligate Ballett ein, komponierte für die Lady eine neue Arie im zweiten Akt (La luce langue), der Chor der vertriebenen Schotten (O patria oppressa) und ein neuer Schluss für den vierten Akt kamen dazu. Dafür wurde Macbeths Sterbeszene geopfert, welche zum jedoch seit Erich Leinsdorfs Dirigat an der Met 1950 oft auch in die Zweitfassung (Paris 1865) aufgenommen wird. Als Schlachtmusik griff Verdi, der sonst mit traditioneller Schulmusik nicht allzu viel am Hut hatte, auf eine Fuge zurück, da ihm deren Reibungen und Gegenüberstellungen von Themen als besonders angemessen dafür erschienen. Doch auch die Pariser Fassung war seinerzeit heftig kritisiert, ja gar als „unshakespearisch“ bezeichnet worden, was den Shakespeare-Kenner und –Verehrer Verdi ganz besonders schmerzte. Erst nach 1920 erkannte man die immensen Qualitäten des Werks und seine herausragende Stelle im Schaffen des Komponisten auf dem Weg von den konventionellen Anfängen zum echten Musikdrama, mit psychologisch feinsinnig und intelligent durchformten Charakteren. Gerade mit der Figur der Lady ist ihm eine Gestalt gelungen, die sich wie ein erratischer Block aus der italienischen Opernlandschaft erhob: Eine Frau, die mit hässlicher, rauer, hohler aber auch Mark und Bein durchdringender Stimme und dann wieder in tragfähigstem Piano flüsternd zu singen hatte, keine Sympathien erwecken durfte – eine Sängerin mit diabolischer Klangfarbe ist gefordert. Die Partie wurde im 20.Jahrhundert sowohl von Sopranistinnen (Callas, Rysanek, Barstow, Zampieri), hochdramatischen Sopranen (Nilsson, Dame Gwyneth Jones) als auch von dramatischen Mezzosopranistinnen erfolgreich verkörpert (Cossotto, Verrett, Ludwig).
Musikalische Höhepunkte:
Vieni, t´affretta, Briefszene und Arie der Lady, Akt I
Fatal, mia donna, Duett Macbeth-Lady, Akt I
Schiudi, inferno, Finale Akt I
La luce langue, Arie der Lady, Akt II
Studia il passo, Szene und Arie des Banquo, Akt II
Si colmi il calice, Brindisi der Lady, Akt II
Che fate voi, Szene Macbeth-Hexen, Akt III
Patria oppressa, Chor Akt IV
O figli, figli miei, Arie des Macduff, Akt IV
Una macchia, Wahnsinns- und Sterbeszene der Lady, Akt IV
Pietà, rispetto, amore, Arie des Macbeth, Akt IV
Mal per me, Sterbeszene des Macbeth aus der Urfassung, Akt IV