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St.Gallen, Klosterhof: TOSCA; 04.07.2025

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Tosca

Copyright aller Bilder: Xiomara Bender, mit freundlicher Genehmigung Theater St.Gallen

TOSCA ist die diesjährige Festspielproduktion auf dem Klosterhof

Oper in drei Akten | Musik: Giacomo Puccini | Libretto : Giuseppe Giacosa und Luigi Illica | Uraufführung: 14. Januar 1900 in Rom | Aufführungen in St.Gallen: 20.6. | 21.6. | 24.6. | 27.6. | 28.6. | 2.7. | 4.7. 2025

Kritik: 

Gut zwei Dutzend verschiedene Inszenierungen von Puccinis Opernthriller TOSCA habe ich bislang erleben dürfen. Doch diese Produktion der 20. St.Galler Festspiele war die packendste, fesselndste und Text genaueste aller. Regisseur Marcos Darbyshire hat zusammen mit allen Darsteller*innen, dem Chor, dem Kinderchor und dem Opernchor des Theaters St. Gallen und der Statisterie eine hochspannende Inszenierung erarbeitet, die einen von Beginn weg über zweieinhalb Stunden in ihren Bann zog. Das war von atemberaubender Intensität. Dank der Nähe zur herausragend gestalteten Bühne von Martin Hickmann und der exzellenten Lichtgestaltung von Anselm Fischer wurde man regelrecht hineingezogen in dieses auf den drei aristotelischen Einheiten (Handlung, Zeit, Ort) beruhende Drama Puccinis und seiner geschickten Librettisten Giacosa und Illica. Bereits vor der Aufführung schlichen die maskierten Schergen Scarpias in ihren schwarzen Ledermänteln über den Klosterhof, ängstigten die Menschen beim Essen, beim Aperitif schlürfen, lauschten den Gesprächen und wedelten bedrohlich mit ihren Schlagstöcken. Marcos Darbyshire hat die Handlung geschickt aus der kurzen Zeit des reaktionären Regimes in Rom um 1800 in einen dystopischen Faschismus verlegt, einen brutalen Überwachungsstaat, der keine Meinungsfreiheit mehr zulässt und alle und alles mit Diktatur und Terror überwacht. Es herrscht eine bedrückende Atmosphäre der Einschüchterung, der Angst, der Gleichschaltung. In den passend gearbeiteten Kostümen von Annemarie Bulla schimmern die 40er und 50er Jahre des 20. Jahrhunderts durch. Floria Tosca ist eine Art „Staatskünstlerin“, singt vor Parteibonzen, so zu Beginn des zweiten Aktes, wo sie ihre Kantate nicht im Off singt, sondern über dem mit einem Labyrinth aus Aktenschränken ausgestatteten Büro Scarpias. Grandios gelang dem Regisseur die Charakterisierungen der kleineren Partien. Angelotti sieht man die Qualen der Folter in der Engelsburg an, er ist am Verdursten, trinkt gar das Weihwasser in der Kirche, eine aufs Schlimmste traumatisierte Gestalt. Jonas Jud gestaltet ihn mit seinem profunden, ausdrucksstarken Bass mit erschütternder Intensität. Das gilt auch für den reaktionären kirchlichen Diener des Regimes, den Mesner. Er wird in dieser Inszenierung nicht bloss zum Mitläufer, nein, er ist einer der Mittäter, ergötzt sich an den Folterungen, welche Cavaradossi erleiden muss. Die Kirche ist Teil und Instrument des Machtapparates. Kristján Jóhannesson gestaltet diese schreckliche, schleimerisch-gefährliche Figur mit beklemmender Eindringlichkeit. Riccardo Botta als allwissender Spitzel Scarpias fügt sich genauso brandgefährlich in dieses diktatorische System ein wie der Sciarrone von Niccoló Paudler und der korrupte Schliesser von Robert Virabyan. Der Hirte (wunderbar berührend: Kali Hardwick) ist in dieser Inszenierung nicht ein putziger Schäfer, sondern eine hochschwangere Gefangene: In den transparent aufschimmernden Quadern, welche dem Mauerwerk der Fassade der Kathedrale nachempfunden sind, werden sie und weitere gefolterte Opfer des Regimes in bedrückenden, aufrüttelnden Bildern sichtbar. Das alles passt mit perfekter Genauigkeit zum Text des Librettos („Ich send Seufzer dir so viele, wie die Blätter, die im Winde wehen. Du verschmähst mich, ich muss leiden; Sonnenlicht, bringst mir den Tod!“) , wie alles andere in dieser so klug durchdachten und von der Genauigkeit der Personenführung geprägten Produktion.

Diese ausverkaufte Derniere war auch musikalisch vom Allerfeinsten. Die Protagonistin und die beiden Protagonisten zeigten musikalisch und darstellerisch herausragende Leistungen. (An dieser Stelle auch ein Lob an das Sounddesign von Marko Siegmeier, Jakob Wundrack und Nicolai Gütter-Graf. Die Klangabmischung war von plastischer Kraft und exzellenter Differenzierung geprägt.)

Julia Mintzer ist eine schlicht überwältigende Tosca, welche die Partie mit herrlich blühender Stimme gestaltet, die Eifersüchteleien des ersten Aktes fantastisch über die Rampe bringt, die Rolle der „Staatskünstlerin“ im zweiten Akt und den Traum der erfolgreichen Sängerin (das „Vissi d'arte“ ist so inszeniert, Tosca singt die im Scheinwerferlicht auf den Treppenstufen im Büro Scarpias und ein Double imitiert die Sängerin vor Publikum – mit gigantischen Köpfen – über dem Büro) glaubhaft darstellt. Sehr subtil ist die Ermordung Scarpias durch Tosca inzeniert. Scarpia durchschaut hier die Absichten Toscas und versteckt das Obstmesser in seiner Hosentasche. Doch sie schnappt sich die Weinflasche, zerschlägt sie an der Schreibtischkante (der Schreibtisch des „Bösen“ war im ersten Akt der Altar in der Kirche ... das sagt alles!) und verletzt Scarpia mit den Scherben. Den Rest gibt sie ihm mit dem Briefbeschwerer. Natürlich kann diese Tosca (die sich nach dem verübten Mord am Polizeichef übergeben muss) keine Leuchter links und rechts der Leiche hinstellen, sondern bedeckt den Leichnam mit Akten. Alexey Bogdanchikov ist ein zu tiefst Abscheu erregender Scarpia – einen schlimmeren habe ich noch nie erlebt. Mit strähnig-schütterem Haar, Alkoholiker, Irrer, machtbesessen – und mit dieser Mischung eben auch so furchteinflössend. Sein Bariton ist von Mark und Bein durchdringender Wucht, was für ein grandioser Sängerdarsteller. Jorge Puerta ist ebenso eindringlich als republikanisch denkender Künstler Mario Cavaradossi. Sein Tenor verfügt über eine begeisternde Strahlkraft, nie nachlassende Stamina, betörende Phrasierungskunst und bombensichere, rein und ohne tenorale Schluchzer erreichte Höhen. Auch er ist ein exzellenter Schauspieler, der sich mit Haut und Haar der Rolle hingibt. Einfach famos!

Dank der ausgeklügelten Tontechnik hört man vom Sinfonieorchester St.Gallen unter der packenden Leitung von Giuseppe Mentuccia die Farbigkeit der Partitur, die feingliedrigen Passagen der Holzbläser, die satten Streicherkantilenen, die aufrüttelnden Erinnerungsmotive von Puccinis perfekt gestalteter Oper. Die Koordination über Leinwände mit der Solistin und den Solisten, sowie den von Filip Paluchowski hervorragend einstudierten Chorpassagen gelang ohne Wackler. 

Erwähnenswert sind auch die atemberaubenden Stuntperformer Agnes Geminet (so realistisch habe ich den Sprung Toscas von der Engelsburg noch nie erlebt!), Offir Raray und Marko Ristić

Schlicht ein Abend der Superlative, der lange nachhallen wird! 

Inhalt:

Die Oper spielt am 17./18. Juni 1800 in Rom.
Der Maler Cavaradossi bietet dem flüchtigen Staatsgefangenen Angelotti ein Versteck an. Der brutale Polizeichef Scarpia hat es auf Cavaradossis eifersüchtige Geliebte, die Sängerin Floria Tosca, abgesehen. Er nutzt ihre Eifersucht und ihren Hang zur Theatralik für seine Interessen aus. Damit will er den Rivalen Cavaradossi und den politischen Gegner Angelotti aus dem Weg räumen. Ein teuflisches Spiel beginnt, in dem Tosca zu spät erkennt, dass nicht sie Scarpia, sondern er sie täuschte. Scarpia verspricht ihr eine Scheinhinrichtung des Fluchthelfers Cavaradossi. Als sie sich Scarpia dafür sexuell hingeben soll, tötet sie ihn. Die scheinbare Hinrichtung Cavaradossis auf der Engelsburg erweist sich als Betrug, Cavaradossi wird erschossen. Tosca stürzt sich vor den Augen der Verfolger von der Brüstung in die Tiefe.
 
Werk:
Puccinis TOSCA zählt zu den bekanntesten und meistgespielten Opern des gesamten Repertoires. Das kommt nicht von ungefähr. Mit seinem untrüglichen Theaterinstinkt erkannte der italienische Komponist auf Anhieb die Bühnenwirksamkeit des Stoffes (sex, power and crime), kaum hatte er das Schauspiel von Sardou mit Sarah Bernhardt in der Titelrolle gesehen.
Die für die Bühne geforderte Einheit von Ort und Zeit ist in geradezu idealer Weise gewahrt, läuft die Handlung doch innerhalb von nicht einmal 24 Stunden in Rom ab. (Kirche, Palazzo Farnese, Engelsburg). Obwohl der Zeitpunkt des Geschehens klar fixiert ist (17. Juni 1800, Rom), darf nicht übersehen werden, dass Puccini durchaus auch einen Kommentar zu seiner eigenen Gegenwart (restaurative Tendenzen unter Umberto I.) und somit auch einen allgemeingültigen abgab und die oft verhängnisvolle Entente zwischen Kirche und Staatsmacht anprangerte und das Streben nach der Freiheit des Individuums betonte.
 
Die Musik ist von dramatischer Durchschlagskraft, peitscht die Handlung atemlos vorwärts, die ruhenden Pole, die Arien und Duette, sind relativ kurz gehalten, dafür von unermesslicher Schönheit.
Die Kritik stand dem Werk lange abwertend gegenüber, es wurde als „schäbiger Schocker“ bezeichnet, als „Folterkammermusik“ und „Affenschande“. Doch wird Puccini unterschätzt: Seine TOSCA ist eine dramatisch äusserst stringente Oper, die keine Stilbrüche enthält, wie z. B. die im selben Jahrzehnt entstandenen Werke von Richard Strauss (SALOME / ELEKTRA) mit ihren Walzereinschüben.
 
Musikalische Höhepunkte:
Recondita armonia, Arie des Cavaradossi, Akt I
Non la sospiri la nostra casetta, Arioso der Tosca, Akt I
Va, Tosca! (Te deum), Scarpia, Finale Akt I
Vittoria, vittoria, Szene Cavaradossi, Scarpia, Tosca, Akt II
Vissi d’arte, Arie der Tosca, Akt II
E lucevan le stelle, Arie des Cavaradossi, Akt III
O dolci mani, Cavaradossi-Tosca, Akt III

Karten

 

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