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Basel: TOSCA, 11.09.2013

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Tosca

Copyright: art-tv.ch, mit freundlicher Genehmigung

Oper in drei Akten | Musik: Giacomo Puccini | Libretto : Giuseppe Giacosa und Luigi Illica | Uraufführung: 14. Januar 1900 in Rom | Aufführungen in Basel: 11.9. | 14.9. | 22.9. | 27.9. | 29.9. | 1.10. | 5.10. | 12.10 | 18.10. | 27.10. | 2.11. | 4.11. | 7.11. | 16.11. | 25.11. | 1.12. | 4.12. | 8.12. | 27.12.2013 | 1.1.2014

Kritik: 

Kaum eine andere Oper des Repertoires ist zeitlich und örtlich so präzise fixiert wie Puccinis TOSCA, nämlich auf den 17. und 18. Juni 1800 in Rom, als die Nachricht von Napoleons Sieg in der Schlacht bei Marengo über die Koalitionstruppen der Österreicher in Rom eintraf. Erträgt  also ein Werk, das eine solch genaue Verortung kennt eine Verlegung in eine andere, in die heutige Zeit? Nach dem Abend im Theater Basel muss man sagen: Ja, über weiteste Strecken erstaunlich gut. Denn Puccini hat mit seinen Librettisten Illica und Giacosa eine parbelhafte, äussert konzentriert gearbeitete Oper geschaffen, welche das Allgemeingültige der Handlungsanlage vor die historischen Fakten stellt. Diese dienen lediglich als  Staffage und Katalysator, sind demzufolge eigentlich austauschbar, wenn man die wenigen textlichen Diskrepanzen in Kauf zu nehmen bereit ist. Dem Inszenierungsteam am Theater Basel ist dies insgesamt recht schlüssig gelungen. Die Regisseurin Jette Steckel und ihr Mitarbeiter Jonas Zipf erzählen das Werk retroperspektivisch aus der Sicht einer jungen Sängerin, welche (unfreiwillig) zur heldenhaften Revolutionärin und Mörderin an einem diktatorischen Machtmenschen wird. Quasi im Moment ihres Todes landet sie noch einmal auf der Bühne,  durchlebt die Geschichte einer verhängnisvollen Nacht, welche niemand überleben wird – ausser dem Schergen Spoleta, der noch so gerne in die Fussstapfen seines Lehrmeisters Scarpia tritt. Die Geschichte wird sich wiederholen, so wie die Konfrontation von Machterhaltung, Unterdrückung und Freiheitsdrang seit Jahrtausenden die Menschheit prägt.

Dieser Ansatz der Regisseurin ist sehr gut herausgearbeitet, sie lässt das Liebespaar Tosca – Cavaradossi (er ist ein Videokünstler, welcher in der Kirche eine Installation zur Figur der Magdalena vorbereitet) mit jugendlich frischer Emphase agieren und zeigt Scarpia  und seine Helfer als faschistoid schmierige Gestalten. Die Sängerin Floria Tosca darf nach den ersten gewaltigen Akkorden des Scarpia-Motivs und Angelottis Flucht in die Kirche gleich als Madonna auftreten und den Song Bang Bang vortragen, dieses traurige Lied vom gewaltsamen Tod eines Freundes, mit welchem einst Cher (Text von ihrem Ehemann Sonny Bono) ihre Weltkarriere begründete und das in unendlich vielen Cover Versionen von Nancy Sinatra über Sheila und Dalida auch in manchen Filmen Einzug gehalten hat. Die ersten beiden (noch eher spielerischen) Strophen singt sie also im ersten Akt, zu Beginn des zweiten Aktes folgt dann die letzte Strophe mit der tragischen Wendung, auch Tosca hat in den wenigen Stunden, die seither vergangen sind, eine Reifung durchmachen müssen. Als Purist könnte man vielleicht zuerst etwas befremdet sein, doch die Idee hat was. Durch die quasi indirekte Erzählweise der Handlung geht aber auch ein Stück direkter Betroffenheit des Zuschauers und Zuhörers verloren, wie es leider oft bei „Theater auf dem Theater“ - Inszenierungen der Fall ist. Von mitreissender, aufwühlender Leidenschaftlichkeit jedenfalls war an vielen Stellen zu wenig zu spüren, zumal auch der Dirigent Enrico Delamboye am Pult des mit wunderschön abgestimmten Klangfarben aufwartenden Orchesters eher die impressionistisch gehaltenen Passagen der Partitur in den Vordergrund stellt, die Musik näher zu Janacek rückt und die reisserisch-veristische Expressivität nur sehr kontrolliert ausspielen lässt.

Svetlana Ignatovich und Maxim Aksenov sind seit ihrer gemeinsamen MADAMA BUTTERFLY in Basel quasi ein Dreamteam – und lösen diesen Anspruch auch als Tosca und Cavaradossi mit beseelten Interpretationen ein. Er mit seinem viril-kernigen Klang, der mühelosen Höhe, der Kraft in der Stimme (Vittoria!), mit tragendem Piano intonierend und mit empfindsamer und berührender Phrasierung glänzend bei E lucevan le stelle - sie mit wunderbar aufblühenden, herrlichen Kantilenen, Jungmädchenhaftigkeit und dezenter Eifersucht im ersten Akt. In der von Sadismus geprägten Auseinandersetzung mit dem Polizeichef Scarpia im zweiten Akt bleibt sie relativ zurückhaltend, das assassino ist nicht theatralisch geschrien, eher geflüstert. Da hätte man doch eine Spur mehr an Erregung, Entsetzen, Leidenschaft erwarten dürfen. Wunderschön intim fliessend, wie ein Selbstgeständnis, dann die Preghiera Vissi d’arte, vissi d’amore, diese wohl bekannteste Arie der Oper, für welche die Regisseurin klugerweise die Bühne schliessen lässt und der Sängerin die Rampe rund um den Orchestergraben überlässt. Davide Damiani als Scarpia verfügt nicht über eine rabenschwarze Stimme, schafft es aber hervorragend, den brutalen, selbstgefälligen Zynismus und Sadismus der Figur zu transportieren.  Sehr stimmige Charakterstudien von Andrew Murphy als Sagrestano, Markus Nykänen als Spoleta, Jason Robert Cox als Sciarrone und Wladyslaw W. Dylag als Carceriere runden den positiven Gesamteindruck der Besetzung ab. Besondere Erwähnung verdient der Bassist Marko Spehar, welcher der Figur des flüchtigen Angelotti markantes Profil verleiht.

Sicher wären im Bereich der Regie noch einige kleinere Anpassungen wünschenswert gewesen (Acqua benedetto aus der PET-Flasche, wie soll man blaue Augen in einer schwarz-weissen Videoprojektion erkennen?, warum kommt Tosca in die Kirche, obwohl abgeschlossen ist und ihr niemand aufschliesst?, warum singen der Damenchor und Tosca die Kantate on und nicht off stage,? - denn so verpufft der Effekt von Scarpias aufbrausendem Zorn mit dem Zuschmettern des Fensters, welcher von Puccini sehr genau komponiert wurde). Der Regie muss man neben viel vortrefflich Gelungenem also gewisse kleinere Mängel nachsehen, dafür wird man mit einem wirklich sensationellen Bühnenbild (Florian Lösche) und einem ausgeklügelten Lichtdesign (Roland Edrich) belohnt: Acht imposante Quader eröffnen lautlos (von Menschenhand bewegt!) immer wieder neue Spielflächen, finden sich zu einer stimmigen geometrischen Choreographie, bieten Projektionsflächen für Videos (Alexander Bunge), welche von Joggingsequenzen Toscas im Wald über triste Strassenbahnfahrten durch trostlose Basler Betonlandschaften (anstelle der Morgendämmerung über den Dächern Roms mit Hirtengesang nun also Parkhäuser und ein Knabe auf Rollbrett, welcher Scarpias Leiche mit in den Bauch geritzter Signatur der Mörderin auf seinem Rollbrett abtransportiert) zur atmosphärisch dichtem Entschweben ins Universum und wieder zurück in die harte Realität führen. Tosca (das Double) springt tatsächlich von der gigantischen Mauer aus Quadern -  und betrachtet zu den Schlussakkorden  ihren eigenen leblosen Körper in einer Art transzendentaler Erfahrung.

Das Publikum feierte alle Beteiligten enthusiastisch.

Inhalt:
Die Oper spielt am 17./18. Juni 1800 in Rom.
Der Maler Cavaradossi bietet dem flüchtigen Staatsgefangenen Angelotti ein Versteck an. Der brutale Polizeichef Scarpia hat es auf Cavaradossis eifersüchtige Geliebte, die Sängerin Floria Tosca, abgesehen. Er nutzt ihre Eifersucht und ihren Hang zur Theatralik für seine Interessen aus. Damit will er den Rivalen Cavaradossi und den politischen Gegner Angelotti aus dem Weg räumen. Ein teuflisches Spiel beginnt, in dem Tosca zu spät erkennt, dass nicht sie Scarpia, sondern er sie täuschte. Scarpia verspricht ihr eine Scheinhinrichtung des Fluchthelfers Cavaradossi. Als sie sich Scarpia dafür sexuell hingeben soll, tötet sie ihn. Die scheinbare Hinrichtung Cavaradossis auf der Engelsburg erweist sich als Betrug, Cavaradossi wird erschossen. Tosca stürzt sich vor den Augen der Verfolger von der Brüstung in die Tiefe.

Werk:
Puccinis TOSCA zählt zu den bekanntesten und meistgespielten Opern des gesamten Repertoires. Das kommt nicht von ungefähr. Mit seinem untrüglichen Theaterinstinkt erkannte der italienische Komponist auf Anhieb die Bühnenwirksamkeit des Stoffes (sex, power and crime), kaum hatte er das Schauspiel von Sardou mit Sarah Bernhardt in der Titelrolle gesehen.
Die für die Bühne geforderte Einheit von Ort und Zeit ist in geradezu idealer Weise gewahrt, läuft die Handlung doch innerhalb von nicht einmal 24 Stunden in Rom ab. (Kirche, Palazzo Farnese, Engelsburg). Obwohl der Zeitpunkt des Geschehens klar fixiert ist (17. Juni 1800, Rom), darf nicht übersehen werden, dass Puccini durchaus auch einen Kommentar zu seiner eigenen Gegenwart (restaurative Tendenzen unter Umberto I.) und somit auch einen allgemeingültigen abgab und die oft verhängnisvolle Entente zwischen Kirche und Staatsmacht anprangerte und das Streben nach der Freiheit des Individuums betonte.

Die Musik ist von dramatischer Durchschlagskraft, peitscht die Handlung atemlos vorwärts, die ruhenden Pole, die Arien und Duette, sind relativ kurz gehalten, dafür von unermesslicher Schönheit.
Die Kritik stand dem Werk lange abwertend gegenüber, es wurde als „schäbiger Schocker“ bezeichnet, als „Folterkammermusik“ und „Affenschande“. Doch wird Puccini unterschätzt: Seine TOSCA ist eine dramatisch äusserst stringente Oper, die keine Stilbrüche enthält, wie z. B. die im selben Jahrzehnt entstandenen Werke von Richard Strauss (SALOME / ELEKTRA) mit ihren Walzereinschüben.

Musikalische Höhepunkte:
Recondita armonia, Arie des Cavaradossi, Akt I
Non la sospiri la nostra casetta, Arioso der Tosca, Akt I
Va, Tosca! (Te deum), Scarpia, Finale Akt I
Vittoria, vittoria, Szene Cavaradossi, Scarpia, Tosca, Akt II
Vissi d’arte, Arie der Tosca, Akt II
E lucevan le stelle, Arie des Cavaradossi, Akt III
O dolci mani, Duett Tosca-Cavaradossi, Akt III

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