Berlin, Deutsche Oper: TOSCA (WA), 21.11.2015
Oper in drei Akten | Musik: Giacomo Puccini | Libretto : Giuseppe Giacosa und Luigi Illica | Uraufführung: 14. Januar 1900 in Rom | Aufführungen in Berlin: 21.11. | 20.12.2015 | 6.1. | 10.1. | 28.3. | 14.5. | 9.6. | 15.6.2016
Kritik:
Sie ist ein Phänomen, diese Inszenierung von Puccinis TOSCA an der Deutschen Oper Berlin. Premiere hatte sie im April 1969, unterdessen ist man bei der 372. Aufführung angelangt. Noch immer zieht sie das Publikum in Scharen an, und zwar nicht nur das mit den ergrauten Haaren, sondern auch die jungen Opernfreunde wollen diese TOSCA immer wieder sehen. Jedenfalls war die Schlange an der Abendkasse auch an diesem Abend sehr, sehr lang und das Haus an der Bismarckstrasse letztendlich bis auf den letzten Platz gefüllt. Boleslaw Barlog und sein Ausstatter Filippo Sanjust (ein Künstler, der bekannt war für seine historisch exakten Arbeiten) hatten 1969 eine äusserst präzise, die genaue historische Verortung des Werks ernst nehmende Inszenierungsarbeit geleistet, welche Götz Friederich 1987 für eine Neueinstudierung überarbeitete. Auch heute noch wirkt die Produktion in keinem Moment verstaubt oder steif. Das ist bestimmt auch der Arbeit der Spielleiterin Gerlinde Pelkowski, zu verdanken, welche die wechselnden Sängerinnen und Sänger immer wieder sorgfältig in die Produktion einführt und sie zu glaubwürdigen Charakteren werden lässt. An diesem Abend war diese Genauigkeit besonders auch im Agieren der drei wichtigen Nebenrollen zu erleben, beim unterwürfig-devoten Schergen Spoletta (Alvaro Zambrano), beim mit umwerfender Präsenz agierenden und singenden Mesner von Seth Carico und beim getriebenen Flüchtling Angelotti (Derek Welton).
Selbstverständlich braucht es für eine unter die Haut gehende Aufführung dieses Polit-Thrillers drei exzeptionelle Protagonisten – und damit konnte die Deutsche Oper Berlin an diesem Abend weitgehend aufwarten: Sondra Radvanovsky bringt alles mit, was es für eine glaubwürdige Verkörperung der tragischen Titelfigur braucht: Eine attraktive Erscheinung, naive Koketterie (im ersten Akt), Leidenschaft gemischt mir Religiosität (für den zweiten Akt), naive Hoffnung auf ein glückliches Ende ausstrahlend (für den dritten Akt). Ihr durchschlagskräftiger, dabei aber stets kontrolliert und intelligent geführter Sopran ist für die Rolle ideal gefärbt, das dunkle Fundament kann leidenschaftlich funkeln, trotzdem besitzt ihre Stimme die Leichtigkeit für die träumerischen und kokettierenden Phrasen im Arioso und dem Duett des ersten Aktes, sie verfügt über eine fein abgestufte Dynamik in der Stimme, stellt die vorhandenen Reserven jedoch nie protzend zur Schau. Wunderbar, wie sie sich vor der schwierigen Entscheidung, ihren Körper gegen Cavaradossis Freiheit einzutauschen, betrinkt, oder wie sie das Vissi d’arte nicht an Scarpia gerichtet, sondern an sich selbst gerichtet in den Spiegel singend beginnt. So imposant diese Arie sich bei ihr dann aufbäumt und steigert, ein bisschen mehr Innigkeit hätte an dieser Stelle nicht geschadet.
Stefano La Colla besitzt eine sehr ebenmässige, rundum mit Leichtigkeit ansprechende Tenorstimme, ehrlich und makellos strömend, ohne falsche Drücker oder Schluchzer. Wunderschön gestaltet er schon die Auftrittsarie Recondita armonia, glänzt mit Nonchalance im Duett mit Tosca, brilliert mit fulminanten Vittoria-Rufen im zweiten Akt und berührt mit seiner ungemein feinfühlig gesungenen Arie E lucevan le stelle im Schlussakt. Den beiden Liebenden im Weg steht der schmierige Polizeichef Scarpia von Falk Struckmann, welcher in seiner Interpretation jegliche römisch-aristokratische Eleganz und fiese Subtilität ablegt und die Phrasen (mit beeindruckender baritonaler Kraft) vielmehr teutonisch polternd meisselt. Struckmanns wuchtiges, stimmgewaltiges Te Deum am Ende des ersten Aktes allerdings ist von grandioser Wirkung. Stefano Ranzani am Pult des Orchesters der Deutschen Oper Berlin gelingt eine packende Wiedergabe von Puccinis „Meistermachwerk“ (so das abfällige Zitat Gustav Mahlers). Der Dirigent weiss die der Partitur innewohnenden, reizvollen Kontraste sehr genau und klangschön herauszuarbeiten, die seelischen Stimmungen offenzulegen und der krassen Dramatik doch gerecht zu werden. Einzig der Beginn des dritten Aktes stand unter nicht allzu guten Vorzeichen, mit dem viel zu lauten und unsauberen Spiel der Hörner und dem verwackelten Einsatz des Hirten.
Das Publikum feierte die Ausführenden teils stürmisch, doch setzte der sicherlich verdiente Applaus leider oft viel zu früh ein und platzte störend in die Aktschlüsse.
Inhalt:
Die Oper spielt am 17./18. Juni 1800 in Rom.
Der Maler Cavaradossi bietet dem flüchtigen Staatsgefangenen Angelotti ein Versteck an. Der brutale Polizeichef Scarpia hat es auf Cavaradossis eifersüchtige Geliebte, die Sängerin Floria Tosca, abgesehen. Er nutzt ihre Eifersucht und ihren Hang zur Theatralik für seine Interessen aus. Damit will er den Rivalen Cavaradossi und den politischen Gegner Angelotti aus dem Weg räumen. Ein teuflisches Spiel beginnt, in dem Tosca zu spät erkennt, dass nicht sie Scarpia, sondern er sie täuschte. Scarpia verspricht ihr eine Scheinhinrichtung des Fluchthelfers Cavaradossi. Als sie sich Scarpia dafür sexuell hingeben soll, tötet sie ihn. Die scheinbare Hinrichtung Cavaradossis auf der Engelsburg erweist sich als Betrug, Cavaradossi wird erschossen. Tosca stürzt sich vor den Augen der Verfolger von der Brüstung in die Tiefe.
Werk:
Puccinis TOSCA zählt zu den bekanntesten und meistgespielten Opern des gesamten Repertoires. Das kommt nicht von ungefähr. Mit seinem untrüglichen Theaterinstinkt erkannte der italienische Komponist auf Anhieb die Bühnenwirksamkeit des Stoffes (sex, power and crime), kaum hatte er das Schauspiel von Sardou mit Sarah Bernhardt in der Titelrolle gesehen.
Die für die Bühne geforderte Einheit von Ort und Zeit ist in geradezu idealer Weise gewahrt, läuft die Handlung doch innerhalb von nicht einmal 24 Stunden in Rom ab. (Kirche, Palazzo Farnese, Engelsburg). Obwohl der Zeitpunkt des Geschehens klar fixiert ist (17. Juni 1800, Rom), darf nicht übersehen werden, dass Puccini durchaus auch einen Kommentar zu seiner eigenen Gegenwart (restaurative Tendenzen unter Umberto I.) und somit auch einen allgemeingültigen abgab und die oft verhängnisvolle Entente zwischen Kirche und Staatsmacht anprangerte und das Streben nach der Freiheit des Individuums betonte.
Die Musik ist von dramatischer Durchschlagskraft, peitscht die Handlung atemlos vorwärts, die ruhenden Pole, die Arien und Duette, sind relativ kurz gehalten, dafür von unermesslicher Schönheit.
Die Kritik stand dem Werk lange abwertend gegenüber, es wurde als „schäbiger Schocker“ bezeichnet, als „Folterkammermusik“ und „Affenschande“. Doch wird Puccini unterschätzt: Seine TOSCA ist eine dramatisch äusserst stringente Oper, die keine Stilbrüche enthält, wie z. B. die im selben Jahrzehnt entstandenen Werke von Richard Strauss (SALOME / ELEKTRA) mit ihren Walzereinschüben.
Musikalische Höhepunkte:
Recondita armonia, Arie des Cavaradossi, Akt I
Non la sospiri la nostra casetta, Arioso der Tosca, Akt I
Va, Tosca! (Te deum), Scarpia, Finale Akt I
Vittoria, vittoria, Szene Cavaradossi, Scarpia, Tosca, Akt II
Vissi d’arte, Arie der Tosca, Akt II
E lucevan le stelle, Arie des Cavaradossi, Akt III
O dolci mani, Cavaradossi-Tosca, Akt III