Berlin, Deutsche Oper: TOSCA, 10.12.2016
Oper in drei Akten | Musik: Giacomo Puccini | Libretto : Giuseppe Giacosa und Luigi Illica | Uraufführung: 14. Januar 1900 in Rom | Aufführungen in Berlin: 10.12. | 14.12.2016 | 28.5.2017
Kurzkritik:
Unglaublich – das war bereits die 382. Aufführung von Puccinis TOSCA in der Inszenierung von Boleslaw Barlog aus dem Jahr 1969 (überarbeitet von Götz Friedrich 1987) in der sich so genau an die historischen Schauplätze anlehnenden Ausstattung von Filippo Sanjust. Mögen auch die Bühnenbilder für die ersten beiden Akte etwas altbacken wirken, so ermöglichen sie doch ein Hineintauchen in die „Sex and Crime“-Story ohne inszenatorische Rätsel, Fragezeichen oder Ungereimtheiten. Und das ist heutzutage schon mal was! Wunderschön anzusehen ist dann der weit offene Himmel über dem Dach der Engelsburg mit dem Blick auf den Petersdom in der von der Lichtgestaltung traumhaft gelungen evozierten Morgenstimmung des dritten Aktes.
Mit der Sopranistin Hui He in der Titelrolle und dem Tenor Fabio Sartori als Cavaradossi wurden für diese Vorstellung zwei routinierte Interpreten für das Liebespaar verpflichtet. Hui He gestaltete die Rolle der Sängerin Floria Tosca mit stupender Sicherheit in der Stimmführung, geradliniger, sauberer Tongebung – eine große Stimme ohne jegliche Ermüdungserscheinungen, kraftvoll auch an Stellen, an denen etwas Innigkeit durchaus angebracht wäre (das Fragezeichen an Gott am Ende von Vissi d’arte war völlig verschenkt). Herrlich komisch war sie in den Eifersuchtsszenen im ersten Akt – so viele laute Lacher im Publikum habe ich in einer TOSCA-Aufführung noch nie gehört. Grandios agierte und sang Hui He im zweiten Akt in Scarpias Privatgemach, während im Nebenzimmer ihr Geliebter Cavaradossi so grausam gefoltert wurde, fantastisch die Expressivität des Non so nulla. Fabio Sartori beglückte einmal mehr das Publikum mit seinem einnehmenden, bronzenen Timbre, seiner überlegenen Phrasierung, der bruchlosen Stimmführung und dem Verzicht auf Manierismen (keine übertriebenen Fermaten in Recondita armonia, kontrollierte und nicht protzend geschmetterte Vittoria-Rufe im zweiten Akt). Vom Aussehen und seiner untersetzten Gestalt her ist er natürlich nicht der klassische Künstler-Beau, den man sich als Liebhaber der Tosca wünscht, doch machte er dies durch stimmliche Gestaltung wett. Ergreifend spielte er dann den Beginn des dritten Aktes, wo er versuchte auf dem Dach des Kerkers der Engelsburg, einen Abschiedsbrief an Tosca zu schreiben und es nicht schaffte, weil seine Hände in der Folterszene regelrecht zermalmt worden waren. Diese Verzweiflung, dieses Zittern, diese Trauer – das ging unter die Haut (E lucevan le stelle). Toll gesungen dann das Duett mit Tosca in diesem Akt vor der nur vermeintlich fingierten Erschießungsszene (O dolci mani, mit der so traumhaft sauber unisono gesungenen a cappella Phrase, wo sich die beiden die Hand reichen und hoffnungsvoll zum Petersdom blicken). Doch der Fiesling Scarpia hat ihnen noch über seinen Tod im zweiten Akt hinaus einen Strich durch die Rechnung gemacht. Dieser Scarpia wurde von Ivan Inverardi verkörpert – er gab ihn als total verklemmten, geifernden Lüstling (Klasse das Ebbene mit den gierig verdrehten Augen). Stimmlich schien er im ersten Akt manchmal etwas kurzatmig zu singen (befreite sich dann aber im Te Deum), wirkte oft etwas steif, was jedoch der Anlage der Rolle als seine Verklemmtheit mit Brutalität überspielendem Polizeichef wiederum gerecht wurde. Gegen die beiden überaus klangstarken, voluminösen Stimmen von Hui He und Fabio Sartori hatte er in der Kulminationsszene des zweiten Aktes wenig Chancen, sich durchzusetzen. Ganz herausragend besetzt waren die kleinen, aber wichtigen Partien des Mesners (Noel Bouley), des Angelotti (Krzysztof Szumanski) und vor allem des Spoletta, dem Jörg Schörner eine packende Intensität verlieh: Einerseits war er der servile, devot seinem Chef Scarpia schleimende, unheimliche Gehilfe – andererseits war er der gottesfürchtige Mann, der eigentlich die angeordnete Brutalität seines Bosses nicht gutheißen konnte, sich oft bekreuzigte, die Erschießung Cavaradossis nicht mit anzusehen vermochte.
Donald Runnicles am Pult des Orchesters der Deutschen Oper Berlin stieg mit dem wuchtig gedehnten Scarpia-Motiv effektvoll in den Abend ein, betonte vorwärtsdrängend und erbarmungslos die aufgewühlten Leidenschaften – gab aber auch innigeren Momenten den gebührenden Raum, so dem Ende des zweiten Aktes, nachdem Tosca Scarpia erstochen hatte, ihm verzieh, die Kerzen und das Kruzifix punktgenau zu den von der Partitur vorgegebenen Akkorden platzierte. Einmal mehr allerdings bedauerte man, dass das Publikum mit dem Applaus nie warten kann und in die leisesten Aktschlüssen mit unangebrachtem Beifall hineinplatzen muss.
Inhalt:
Die Oper spielt am 17./18. Juni 1800 in Rom.
Der Maler Cavaradossi bietet dem flüchtigen Staatsgefangenen Angelotti ein Versteck an. Der brutale Polizeichef Scarpia hat es auf Cavaradossis eifersüchtige Geliebte, die Sängerin Floria Tosca, abgesehen. Er nutzt ihre Eifersucht und ihren Hang zur Theatralik für seine Interessen aus. Damit will er den Rivalen Cavaradossi und den politischen Gegner Angelotti aus dem Weg räumen. Ein teuflisches Spiel beginnt, in dem Tosca zu spät erkennt, dass nicht sie Scarpia, sondern er sie täuschte. Scarpia verspricht ihr eine Scheinhinrichtung des Fluchthelfers Cavaradossi. Als sie sich Scarpia dafür sexuell hingeben soll, tötet sie ihn. Die scheinbare Hinrichtung Cavaradossis auf der Engelsburg erweist sich als Betrug, Cavaradossi wird erschossen. Tosca stürzt sich vor den Augen der Verfolger von der Brüstung in die Tiefe.
Werk:
Puccinis TOSCA zählt zu den bekanntesten und meistgespielten Opern des gesamten Repertoires. Das kommt nicht von ungefähr. Mit seinem untrüglichen Theaterinstinkt erkannte der italienische Komponist auf Anhieb die Bühnenwirksamkeit des Stoffes (sex, power and crime), kaum hatte er das Schauspiel von Sardou mit Sarah Bernhardt in der Titelrolle gesehen.
Die für die Bühne geforderte Einheit von Ort und Zeit ist in geradezu idealer Weise gewahrt, läuft die Handlung doch innerhalb von nicht einmal 24 Stunden in Rom ab. (Kirche, Palazzo Farnese, Engelsburg). Obwohl der Zeitpunkt des Geschehens klar fixiert ist (17. Juni 1800, Rom), darf nicht übersehen werden, dass Puccini durchaus auch einen Kommentar zu seiner eigenen Gegenwart (restaurative Tendenzen unter Umberto I.) und somit auch einen allgemeingültigen abgab und die oft verhängnisvolle Entente zwischen Kirche und Staatsmacht anprangerte und das Streben nach der Freiheit des Individuums betonte.
Die Musik ist von dramatischer Durchschlagskraft, peitscht die Handlung atemlos vorwärts, die ruhenden Pole, die Arien und Duette, sind relativ kurz gehalten, dafür von unermesslicher Schönheit.
Die Kritik stand dem Werk lange abwertend gegenüber, es wurde als „schäbiger Schocker“ bezeichnet, als „Folterkammermusik“ und „Affenschande“. Doch wird Puccini unterschätzt: Seine TOSCA ist eine dramatisch äusserst stringente Oper, die keine Stilbrüche enthält, wie z. B. die im selben Jahrzehnt entstandenen Werke von Richard Strauss (SALOME / ELEKTRA) mit ihren Walzereinschüben.
Musikalische Höhepunkte:
Recondita armonia, Arie des Cavaradossi, Akt I
Non la sospiri la nostra casetta, Arioso der Tosca, Akt I
Va, Tosca! (Te deum), Scarpia, Finale Akt I
Vittoria, vittoria, Szene Cavaradossi, Scarpia, Tosca, Akt II
Vissi d’arte, Arie der Tosca, Akt II
E lucevan le stelle, Arie des Cavaradossi, Akt III
O dolci mani, Cavaradossi-Tosca, Akt III