Pfäffikon: OPERETTENGALA, 31.12.2015
Arthur Sullivan: OVERTURE DI BALLO | Uraufführung: August 1870 | Jacques Offenbach: Intermezzo & Barcarole aus LES CONTES D'HOFFMANN | Uraufführung: 10. Februar 1881| Franz Lehár: Ausschnitte aus DIE LUSTIGE WITWE | Uraufführung: 30. Dezember 1905 | Fritz Kreisler: DREI ALT-WIENER TÄNZE | Publiziert: 1905, noch vor 1910 im Repertoire des Komponisten und Geigers Kreisler | Emmerich Kálmán: Ausschnitte aus DIE CSÁRDÁSFÜRSTIN | Uraufführung: 17. November 1915 | Johann Strauss Sohn: Ouvertüre zu DIE FLEDERMAUS | Uraufführung: 5. April 1874 | Aufführung dieses Konzerts in Pfäffikon ZH: 31.12.2015
Kritik:
Sie hat einen schwierigen Stand heutzutage und hierzulande, die Operette. Einst hervorgegangen aus dem Singspiel, als Gegenentwurf zur subventionierten, schweren (und oft schwer verständlichen) Oper der Hoftheater konzipiert, sich an ein Publikum wendend, welches nicht allzu rigide Moralvorstellungen hatte. Doch dann legte sich ab Mitte der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts (teils staatlich verordnet – z.B. in Nazideutschland) der Mief der bürgerlichen Biederkeit über das Genre, und gegen diesen Ruch hat die Operette auch heute noch zu kämpfen. Umso dankbarer ist man Maestro Marcel Blanchard und seinem Kammerorchester AMICI DELL'ARTE dafür, dass sie an Silvester mit einer 75minütigen Operettengala die Tore zu dieser Kunstform weit aufstiessen, neugierig machten auf Komponisten und Werke auch jenseits des österreichisch-ungarischen Mainstream. Exemplarisch dafür der Beginn des Konzerts, Arthur Sullivans raffiniert ein Thema in drei verschiedenen Tänzen sublimierende OVERTURE DI BALLO. Nach einer pointiert gestalteten Introduktion folgte die leichtfüssig dargebotene Polonaise, diese ging über in einen Walzer, den Marcel Blanchard durch effektvoll gesetzte Crescendi herrlich kulminieren liess. Dieser wiederum mündete in den finalen Galopp, welcher mit seiner federnden Eleganz, die vom Orchester feinfühlig wiedergegeben wurde, an Rossini gemahnte. Nach dieser Hommage an einen geradezu sträflich vernachlässigten Komponisten folgte ein Blick nach Frankreich. Dort hatte ja Jacques Offenbach mit seinen bitterbösen, hintergründigen opéra-bouffes einen wichtigen Beitrag zur Gattung geleistet. Aus seinem reichhaltigen Oeuvre erklangen das Intermezzo und die Barcarole aus LES CONTES D'HOFFMANN: Das rhythmisch prägnante Intermezzo spielte das Orchester mit der gebotenen Geschmeidigkeit, ohne ins plumpe Stampfen zu verfallen und die Barcarole wurde vom Dirigenten, wohl ganz im Sinne des Komponisten, mit relativ schnellem Tempo angegangen und so bewusst jegliche (gefährliche) kitschig-sentimentale Larmoyanz vermeidend. (Es geht in dieser Szene ja um ziemlich offensichtliche erotische Ausschweifungen!) Dann folgte der Auftritt der beiden Solisten des Abends: Die Sopranistin Regina Domjan trat im flammend roten Kleid mit schwarzer Federboa auf, der Tenor Daniel Zihlmann im eleganten Frack. Mit je vier Ausschnitten aus Léhars DIE LUSTIGE WITWE und Kálmáns DIE CSÁRDÁSFÜRSTIN begeisterten sie das Publikum in der vollbesetzten Kirche. Zihlmann verfügt über einen wunderbar viril und markant timbrierten Tenor, versteht es grossartig, die Fülle seiner Stimme dynamisch subtil abgestuft einzusetzen und ist dazu ein umwerfender Charmeur, von Aussehen UND Stimme her ein geradezu idealer Danilo (WITWE), Boni und Edwin (CSÁRDÁSFÜRSTIN). Regina Domjan verlieh den unsterblichen Melodien der beiden Komponisten Léhar und Kálmán mit ihrem sehr schön intonierenden Sopran eine leicht unterschwellige, herbe Erotik, lief in den Duetten mit Zihlmann zu grosser Form auf, vermochte aber auch die Wehmut des Vilja-Liedes zu evozieren. Mit dem herrlich schrillen Kostüm für die Sylva ( CSÁRDÁSFÜRSTIN) sorgte sie noch für ein zusätzliches, vom Publikum mit anerkennendem Raunen quittiertes, Puszta-Kolorit. Das Kolorit war jedoch nicht nur optisch sichtbar, sondern auch akustisch hörbar – nämlich in der subtil gestalteten Begleitung durch das Orchester der AMICI DELL'ARTE. Die beiden Solisten wurden heftig applaudiert und bedankten sich beim Publikum mit dem populären Duett Schenkt man sich Rosen in Tirol aus Carl Zellers DER VOGELHÄNDLER. Zwischen den beiden Ausschnitten aus den Operetten erklangen die Drei Alt-Wiener Tänze von Fritz Kreisler, in welchen der schmachtende Gesang der Klarinette, der transparente Klang der Streicher und das fein abgestimmte Wechselspiel zwischen Bläsern und Streichern besonders hervorzuheben sind. Selbstverständlich darf bei einer Operettengala die Musik des Walzer-Königs nicht fehlen: Mit Musik von Johann Strauss (Sohn) setzte Marcel Blanchard den Schlusspunkt sowohl beim offiziellen Teil (die schwungvoll gestaltete Ouvertüre zur FLEDERMAUS) als auch bei den Zugaben (Einzugsmarsch aus dem ZIGEUNERBARON). Bei beiden Stücken erwies sich Marcel Blanchard einmal mehr als wunderbar organisch die Übergänge meisternder Dirigent. Vor diesem - das Neue Jahr beschwingt begrüssenden – Marsch erklang noch der Circus Galop aus John Philip Sousas Operette THE IRISH DRAGOON – auch dies ein Komponist, dessen Bühnenwerke leider noch ihrer Wiederbelebung harren.
Komponisten und Werke:
Sir Arthur Sullivan (1842-1900) hat es leider auf dem Kontinent nie zu der Popularität gebracht, welche er in den angelsächsischen Ländern geniesst. Er war der angesehenste britische Komponist Grossbritanniens im 19. Jahrhundert und schuf auf dem Gebiet des Musiktheaters (insbesondere in Zusammenarbeit mit dem Dramatiker William Schwenck Gilbert) bis heute vom Londoner Westend bis zum New Yorker Broadway häufig aufgeführte Werke, wie THE MIKADO, THE GONDOLIERS, PRINCESS IDA oder THE PIRATES OF PENZANCE. Neben den vielen komischen Opern komponierte er jedoch auch Sinfonien, ein Cellokonzert, Bühnenmusiken zu Schauspielen und Konzertouvertüren wie die OVERTURE DI BALLO, ein überaus gefälliges und interessantes Stück. Übrigens gehört eine Komposition von Sullivan zu den ersten je auf Tonträger (Edisons Phonograph) aufgenommenen Musikstücken. Sehr treffend merkte Sullivan gegenüber Edison dazu an: „I'm astonished at the wonderful power you have developed, and terrified at the thought that so much hideous and bad music may be put on record forever.“ Wie weitsichtig und wahr ... .
Jacques Offenbach (1819-1880) erfreut sich dagegen dies- und jenseits des Kanals und des Atlantiks ungebrochener Beliebtheit. Seine Operetten (Opéras bouffes, wie LA BELLE HÉLÈNE oder ORPHÉE AUX ENFERS) sind jedoch nicht zu vergleichen mit den Operetten aus dem Goldenen Zeitalter der Wiener Operette. Sie sind hintergründige Politsatiren, welche die Zustände im Zweiten Kaiserreich (Frankreich) mit Pfiffigkeit aufs Korn nehmen. Mit den RHEINNIXEN und LES CONTES D'HOFFMANN drang Offenbach auf das Gebiet der grossen Oper vor. Diese posthum uraufgeführte Oper, welche auf den Ich-Erzählungen von E.T.A. Hoffmann beruht, stellt bis heute Rätsel und kriminologische Spurensuche nach der endgültigen Fassung dar. Nichtsdestotrotz gehört das Meisterwerk zu den am häufigsten auf den Spielplänen anzutreffenden französischen Opern und enthält einige Wunschkonzert Hits, wie eben die Barcarole.
Franz Lehár (1870-1948) ist der prominenteste Vertreter der so genannten Silbernen Operettenära, welche er zusammen mit Kálmán, Fall und Oscar Straus mitbegründet hat. Sein bekanntestes Werk ist und bleibt DIE LUSTIGE WITWE: Graf Danilo war es nicht vergönnt, das aus einfachen Verhältnissen stammende Mädel Hanna zu heiraten. Nach vielen Jahren trifft er Hanna (unterdessen zur reichen Witwe Glawari geworden) in Paris wieder. Nach einigen Irrungen und Verwirrungen kommt es für die beiden dann noch noch zum Happyend. Einer der berühmtesten Interpreten des Danilo war Johannes Heesters, der mit dieser Rolle während Jahrzehnten durch die Lande zog und gar im Alter von 106 Jahren nochmals eine Arie anlässlich einer Gala aus der LUSTIGEN WITWE sang. Nicht ganz unproblematisch für Lehár (und auch für Heesters) war ihre Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten: Heesters trat vor Häftlingen im KZ auf, Lehár genoss Hitlers und Goebbels Aufmerksamkeiten. Allerdings hatte Lehár auch eine jüdische Gemahlin, welche dann „arisiert“ wurde. Die jüdischen Librettisten und Freunde des Komponisten allerdings wurden inhaftiert und einer z.B. in Auschwitz ermordet.
Fritz Kreisler (1875-1962) genoss vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten ungeheure Beliebtheit als Geiger und als Komponist, galt als Wunderkind, wurde von Anton Bruckner unterrichtet, studierte auch bei Delibes und Massenet in Paris. Als er von den Wiener Philharmonikern abgelehnt wurde, gab er vorübergehend das Geigenspiel auf und wandte sich Studien der Medizin und der Malerei zu. Doch liess ihn die Musik nicht los. Ein Auftritt mit den Berliner Philharmonikern brachte den Durchbruch. Umjubelte Tourneen in die USA folgten Anfang des 20. Jahrhunderts. Kreisler war nicht nur ein begnadeter Geiger, welcher mit höchster Virtuosität brillierte, er komponierte auch selbst erfolgreich, wie ein anderer berühmter Geiger, Niccolò Paganini, es auch getan hatte. Daneben schrieb er Kadenzen für Violinkonzerte (z.B. für dasjenige von Beethoven oder von Brahms). Als die Nazis ihm als Juden ein Auftrittsverbot auferlegten und auch seine Werke nicht mehr gespielt werden durften, nahm er die französischen Staatsbürgerschaft an, verliess Deutschland und seine österreichische Heimat, lebte zuerst in Südfrankreich und ab 1939 in New York. Er kehrte nie wieder nach Europa zurück. Seine eingängigen Alt-Wiener Tanzweisen sind von bezauberndem Reiz – und jeder Klassikfreund hat sie im Ohr, auch wenn er sie nicht auf Anhieb dem Komponisten Kreisler zuordnen kann.
Emmerich Kálmán (1882-1953) war ebenfalls Jude und musste wie Kreisler nach dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich emigrieren, zuerst über Zürich nach Frankreich, dann in die USA. Der Schöpfer von so beliebten Operetten wie GRÄFIN MARIZA, DIE CSÁRDÁSFÜRSTIN oder DIE ZIRKUSPRINZESSIN konnte in den USA aber im Gegensatz zu Kreisler nicht an seine Erfolge anknüpfen. Er kehrte nach dem Krieg nach Paris zurück, später nach Österreich, wo er jedoch sehr unfreundlich empfangen wurde. Wiederum begab er sich in die USA und darauf erneut nach Paris, wo er auch starb. Sein Sohn Charles brachte 1953 noch ARIZONA LADY heraus, das letzte Werk aus der Feder von Emmerich Kálmán. Auch in der CSÁRDÁSFÜRSTIN geht es um eine nicht als standesgemäss erachtete Liebe zwischen einem Fürstensohn und einer Chansonniere, welche nach den üblichen Turbulenzen dann doch zusammenkommen dürfen.
Johann Strauss (Sohn) (1825-1899) war der Sohn des „Radetzky-Marsch“-Komponisten. Seine Brüder Josef und Eduard schlugen ebenfalls Karrieren als Musiker ein, doch erreichten sie nie den Status von Johann, dem Walzerkönig und Komponisten unsterblicher Operetten der goldenen Ära, wie DIE FLEDERMAUS, DER ZIGEUNERBARON oder EINE NACHT IN VENEDIG. In der FLEDERMAUS geht es um Gabriel von Eisenstein, der wegen einer Beleidigung eine Arreststrafe antreten muss. Sein Freund Dr. Falke überredet ihn, die Nacht vor dem Eintritt ins Gefängnis noch mit leichten Mädchen im Palais des Prinzen Orlovsky zu geniessen. Eisensteins Gattin Rosalinde ist das nur recht, denn sie kann so ihren Verehrer Alfred empfangen. Auf Orlofskys Maskenball treffen sich alle (unerkannt) wieder – auch Rosalinde ist da, nachdem sich Alfred an Eisensteins Stelle verhaften liess, um Rosalinde nicht zu kompromittieren. Am Ende findet sich die ganze beschwipste Gesellschaft im Gefängnis ein, wo Dr. Falke sein hinterhältiges Spiel aufklärt. DIE FLEDERMAUS ist eine der wenigen Operetten, welche regelmässig auf den Bühnen der bedeutenden Opernhäuser und unter der Stabführung der berühmtesten Dirigenten aufgeführt wird. Den Anstoss dazu gab Gustav Mahler, welcher in der Hamburger Staatsoper bereits 1894 eine Produktion der FLEDERMAUS dirigierte.