Pfäffikon: BACH | MOZART, 02.04.2016
Johann Christian Bach: Sinfonie in g-moll, op. 6/6 | Entstanden wahrscheinlich in London, ca 1763-1768 | Johann Sebastian Bach: Doppelkonzert für 2 Violinen in d-moll, BWV 1043 | Entstanden ca. 1730 | Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie Nr. 25 in g-moll, KV 183 | Entstanden 1773 | Dieses Konzert am 2. April in der reformierten Kirche Pfäffikon und am 3. April 2016 in der Predigerkirche Zürich
Kritik:
Ziemlich genau in der Mitte des Konzerts des Kammerorchesters AMICI DELL' ARTE gestern Abend in der reformierten Kirche Pfäffikon kam der Moment, in welchem man versucht war gleich Goethes Faust auszurufen „Verweile doch! Du bist so schön!“. Die Rede ist hier vom langsamen Satz, dem Largo ma non tanto, aus Johann Sebastian Bachs Doppelkonzert für 2 Violinen in d-moll. Eine Musik, welche direkt zum Herzen strömt, die Seele beruhigt, tröstet und erhebt. Da verschmolzen die beiden Melodielinien der Solisten Gustavo de Freitas und Sandro Tigishvili ineinander, mal übernahm der eine, dann wieder der andere dezent die Vorherrschaft, doch es war kein Wettkampf, sondern ein stimmiges Miteinander. Das Orchester unter der einfühlsamen Leitung von Marcel Blanchard trat in diesem Moment dezent zurück, führte seine Continuo-Funktion in konzentrierter Präzision aus. Wunderbar!
Allerdings verzichtete man sehr gerne auf die Fortsetzung des Faust-Zitats „ ... dann will ich gern zugrunde gehn“, denn damit hätte man die beiden ebenso exzellent dargebotenen Kopfsätze von Bachs Doppelkonzert verpasst und die beiden Sinfonien aus der Sturm und Drang Zeit von Johann Christian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart. Verweilen wir also noch einen Moment bei Johann Sebastian Bach: Jubelnd und festlich bewegt nahm Marcel Blanchard den Einstig in den fugierten Eröffnungssatz in Angriff, transparent in den Gesamtklang eingebettet spielten die beiden Solisten. Interessiert lauschte man dem unterschiedlichen Klang der beiden Soloviolinen, schwelgerisch romantisierend, beinahe musikantisch die eine, von lupenreiner, glasklarer Brillanz die andere. Mit Verve attackierend und den für Bach so typischen, strömenden und energiegeladenen unendlichen Fluss der Melodie stimmig akzentuierend erklang der Schlusssatz – und leitete mit diesem Gestus auch gerade trefflich über in Mozarts Kopfsatz seiner jugendlich-stürmisch gehaltenen Sinfonie in g-moll, der „kleinen“ g-moll Sinfonie Nr. 25. Nur schon der Beginn dieser Sinfonie ist eine Wucht, und Marcel Blanchard und das nun um ein Hornquartett und vier Holzbläser (zwei Oboen und zwei Fagotte) erweiterte Orchester stiegen mit spannungsgeladener Intensität in die rhythmisch überraschenden Eröffnungstakte ein, verliehen der Erregtheit der Komposition mitreissenden Ausdruck, gestalteten die motivischen Übergänge und Stimmungswechsel mit bemerkenswerter Leidenschaft. Dass der junge Mozart in dieser Sinfonie nicht so sehr an Ruhepolen interessiert war, zeigte sich im kurz gehaltenen Andante, das zwar lieblich-pastoralen Einschlag aufweist, aber doch eher belanglos daherkommt. Doch gerade in dieser Schlichtheit zeigte sich das exzellente Zusammenspiel des Orchesters. Von dramatischer Kraft dann wieder das Menuetto mit dem schön gestalteten Trio-Teil der Bläser und natürlich der vorwärtsdrängende Impetus des Finalsatzes mit seinen spannend herausgearbeiteten dynamischen Wechseln. Der Schluss dieser Sinfonie wurde dem dankbar applaudierenden Publikum als Zugabe nochmals dargeboten.
Eröffnet wurde das Konzert ebenfalls in g-moll, mit der einzigen Sinfonie in einer Molltonart des Bach Sohnes Johann Christian – wie immer ein stimmig konzipiertes Konzertprogramm der AMICI DELL'ARTE. Ähnlich wie Mozart in seiner Sinfonie steigt auch Johann Christian Bach klanglich überraschend in sein Werk ein. Dem Kammerorchester AMICI DELL'ARTE gelang es ausgezeichnet, dieses „Wogen“ mit klaren Akzenten zu plastischer Wirkung zu bringen. Wunderschön dann die Klangabmischung im langsamen Satz, sauber und durchsichtig gespielt (und ja, man hatte durchaus den Eindruck, dass Johann Christian Bach mehr Wert auf den langsamen Satz als Ruhepol gelegt hatte, als Mozart in seinem jugendlichen Übermut!). Fast schon wild (mit vom Dirigenten genau kontrollierter Wildheit allerdings) ging es in den Schlusssatz des dreisätzigen Werks. Auffallend hier war das sehr prägnant herausgearbeitete, bedrohlich klingende Bassfundament. Diese Sinfonie ist zwar Kennern der Musik aus der Zeit des Übergangs von Spätbarock zu Frühklassik nicht unbekannt – und trotzdem sind die Gelegenheiten, ihr „live“ zu begegnen eher selten. Umso dankbarer ist man Marcel Blanchard und seinem Orchester, dass es mit seinen klug gestalteten Konzertprogrammen solche Begegnungen ermöglicht und die Musik eben nahe zu den Menschen bringt, auch zu solchen, die aufgrund ihres Alters oder eines Gebrechens nicht mehr in der Lage sind, in die Kulturzentren nach Zürich oder Winterthur zu reisen.
Werke:
Johann Christian Bach (1735-1782), auch Mailänder oder Londoner Bach genannt, war der jüngste Sohn des berühmten Thomaskantors Johann Sebastian Bach. Er war im Alter von 19 Jahren als Musiker in Mailand tätig, studierte in Bologna, konvertierte zum Katholizismus und wurde Organist am Mailänder Dom. Als Opernkomponist feierte er erste Erfolge, was ihn schliesslich nach London brachte, wo er weitere Opern zur Aufführung brachte. Ausserdem reüssierte er als Konzertunternehmer, begründete die ersten Abonnementskonzertreihen. In London begegnete er auch Vater und Sohn Mozart, musizierte gemeinsam mit dem Wunderkind Wolferl. Sein Einfluss auf den jungen Mozart darf nicht unterschätzt werden, sowohl in musikalischer als auch in ideeller Hinsicht. Johann Christian Bach nahm Mozart z.B. in seine Freimaurerloge mit. Sein sinfonisches Schaffen ist stark geprägt vom Einfluss der barocken Belcanto-Oper und ist typisch für die „Sturm und Drang“-Zeit. Die Sinfonien J.C. Bachs wollen das Gemüt der Zuhörer direkt ansprechen, Emotionen auslösen, sind weniger auf komplexen kontrapunktischen Strukturen aufgebaut. Damit erreichte er auch beim jungen Mozart grosse Bewunderung und die Einflüsse J.C. Bachs sind auch in einigen Werken Mozarts durchaus hörbar. Seine Sinfonie op6, Nr. 6 ist seine einzige in einer Molltonart.
Der Vater, Johann Sebastian Bach (1685-1750), war zweifelsohne einer der grössten, bedeutendsten Komponisten weltweit - ein Gigant - und er hinterliess ein umfangreiches Oeuvre: Messen, Kantaten, Kammermusik, Konzerte. In seinen Instrumentalkonzerten gelang ihm auf beeindruckende Weise das Miteinander des Musizierens von Solisten und Orchester, was zu einer vollkommenen,eher nach innen gewandten Einheit des Ausdrucks führte und nicht zu einer extravertierten, theatralisch aufgebauschten, aber inhaltslosen Virtuositätsplattform für die Solisten. So auch in seinem Doppelkonzert in d-moll BWV 1043: Die Solisten schaukeln sich nicht gegenseitig hoch, sondern dialogisieren in schon beinahe intimer Art mit dem Orchester. Der mittlere der drei Sätze, das largo ma non tanto, gehört zu einer von Bachs zauberhaftesten Eingebungen.
Wie erwähnt begegnete der junge Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) in London Johann Christian Bach. Und wie der Bach Sohn verwendete auch Mozart für seine erste Sinfonie in einer Molltonart g-moll, die Tonart welche er dann später auch in der Sinfonie Nr.40, KV 550, der „grossen“ g-moll Sinfonie verwenden wird. Im Gegensatz zu J.C. Bachs Werk ist Mozarts Sinfonie aber bereits viersätzig, d.h. zwischen dem langsamen Satz und dem Finalsatz ist ein Menuett eingefügt. Ähnlich aber wie bei Bach ist die affektgeladene Grundstruktur erwähnenswert, mit stark akzentuierten Auftakten, „Sturm und Drang“ - Erregung. Auch die tiefe Empfindsamkeit und die romantischen Einschübe des erst 17jährigen Komponisten lassen aufhorchen, doch sind diese nicht auf persönliche, tragische Schisalsschläge zurückzuführen, sondern zeugen eher von der ungestümen klanglichen und inspirierten Experimentierlust des jungen Mannes.