Frankfurt: LOHENGRIN (Wiederaufnahme), 09.04.2022
Romantische Oper in drei Akten | Musik: Richard Wagner | Libretto: vom Komponisten | Uraufführung: 28. August 1850 in Weimar | Aufführungen in Frankfurt: 9.4. | 15. 4. | 17.4. | 24. 4. | 29.4. 2022
Kritik:
Thomas Mann schrieb über das Vorspiel zum ersten Akt von Richard Wagners romantischer Oper LOHENGRIN, dass es vielleicht das Wunderbarste sei, was Wagner überhaupt geschrieben habe. Er schwärmte von der "blau-silbernen" Schönheit dieser Musik. Und tatsächlich fühlte man sich gestern Abend durch den atmosphärisch entrückten Klang der mehrfach geteilten Violinen, mit welchem uns das Frankfurter Opern-und Museumsorchester unter der bezwingenden Leitung von Sebastian Weigle beglückte, in weit entfernte Sphären versetzt. Man schien zu schweben und vergaß alles rund herum. Genau diesen Ansatz der gedanklichen Flucht in andere, imaginierte und die graue Realität vergessen machende Sphären wählte der Regisseur Jens-Daniel Herzog für seine in der Saison 2008/09 entstandene Inszenierung an der Oper Frankfurt. Hinter dem Gazevorhang, der eine Kinoleinwand darstellt, sehen wir zunächst nur einen hellen Punkt. Es ist dies der Filmprojektor in einem Art Déco Kinosaal. Die Menschen im Saal sind wahrscheinlich traumatisiert von den Grauen eines Kriegs, suchen Abwechslung, flüchten in die Wunderwelt des Films. Auch Elsa sitzt mit ihrem kleinen Bruder Gottfried in der ersten Reihe. Gebannt starrt sie auf die Leinwand (also zu uns im Saal), scheint alles Alltagsgrau zu vergessen. Das gewaltige Orchestercrescendo ist auch für sie von "opiatischer, narkotischer Wirkung" (Nietzsche). Kaum merkt sie, dass die Realität in den Kinosaal eintritt, Gottfried von der Süßwaren Verkäuferin mit dem Bauchladen angelockt und entführt wird (natürlich ist das Ortrud). Der Heerrufer (Domen Križaj singt ihn mit überragender stimmlicher Durchschlagskraft und Präzision) ist der Hausmeister des Kinos, er kündigt den "König" an, der so gar nicht königlich daherkommt in seinem zerknautschten Sakko und den ausgebeulten Hosen. Scheint ein einfacher Mann aus dem Volke zu sein, der sich zum Anführer dieser Gesellschaft nach einer Kriegsapokalypse erhoben hat. Anthony Robin Schneider gestaltet ihn mit wunderbar rund klingendem, sehr schön und sanft geführtem Bass, beinahe väterlich, so dass seine kriegstreiberischen Sprüche und die Demagogie unter der wohlklingenden Oberfläche ihre Gefährlichkeit gekonnt ahnen lassen. Jens-Daniel Herzog entwickelt nun in diesem Einheitsbühnenbild ein atemberaubendes Changieren zwischen Kinotraum und Wirklichkeit. Lohengrin erscheint nicht als weisser Ritter mit Schwan, sondern sitzt plötzlich wie ein verwahrloster Clochard barfuß, in Schlabberhose und weissem T-Shirt, im Saal. AJ Glueckert spielt diese wie verloren wirkende Figur ausgezeichnet. Auch im Hochzeitsfrack wirkt er alles andere als ein strahlender Held. Jegliches Pathos ist ihm fremd, ein weiterer einfacher Mann, der der ihm zugedachten Rolle nicht gerecht wird, überfordert scheint mit der Erwartungshaltung der so leicht manipulierbaren Masse. Gar nicht überfordert ist AJ Glueckert mit der stimmlichen Seite der Partie. Das ist überragender Schöngesang vom Allerfeinsten. Seine reine Stimme hat einen einschmeichelnden, wunderschön timbrierten Klang, nie forciert er, bleibt stets dem Gesamtklang verpflichtet. Die Gralserzählung wurde vom Dirigenten relativ zügig angegangen, kein pathetisches Zelebrieren der Erhabenheit der Herkunft Lohengrins. Passte ausgezeichnet zur Inszenierung, die von gescheiterten und überforderten Charakteren erzählt. Die Sopranistin Rachel Willis-Sørensen gab gestern Abend in der Rolle der Elsa ihr umjubeltes Hausdebüt an der Oper Frankfurt. Sowohl ihre Traumerzählung Einsam in trüben Tagen, als auch ihre Dankes-Arie Euch Lüften, die mein Klagen so traurig oft erfüllt waren mit immenser Innigkeit gestaltet. Wunderbar war der Einfall des Regisseurs, sie in dieser Szene erneut als Realitätsflüchtige zu zeigen: Sie hat diesmal Zuflucht im Alkohol gesucht und gefunden. Man kann sich eine Beziehung eben auch "schön" trinken. Kommt nie gut. Das erkennt keine besser als die durch und durch böse, aber intelligent durchtriebene Ortrud. Zusammen mit ihrem Gatten Telramund prägt das "schwarze" Paar den zweiten Akt, den ich noch nie so spannend erlebt habe. Der Kinosaal, den Mathis Neidhardt entworfen hatte, eignet sich mit seiner Empore und den Säulen hervorragend als Spielfläche für das intrigante Spiel des infamen Paares. Schauspielerisch und stimmlich sind Miina-Liisa Värelä als Ortrud und Wolfgang Koch als Telramund dermaßen überragend, dass man sich schon fast mehr zum Bösen als zum vermeintlich Guten hingezogen fühlt. Väreläs Entweihte Götter geht durch Mark und Bein, sie begeistert auch in den Akten I und III, in denen sie wenig zu singen hat mit ihrer unheimlichen Bühnenpräsenz. Ebenso wie Wolfgang Koch als Friedrich von Telramund, der mit einem die Partie mit jeder Phrase durch und durch auslotenden, herrlich kraft- und charaktervollen Bariton auftrumpfen kann. Nachdem Lohengrin den Telramund mit dem Pistolenknauf der Gottesgerichts-Pistole erschlagen hatte (das Gottesgericht war in dieser Inszenierung Russisches Roulette), sind die wankelmütigen Menschen auf der Bühne mehr und mehr in bräunliche Uniformhemden gekleidet, schwingen Parteibücher, eine neue gefährliche Sehnsucht nach totalitärer Führung bricht sich Bahn. Elsa aber flüchtet sich wieder in die Traumwelt des Kinos, kriegt kaum mit, dass Gottfried vom Hausmeister - Heerrufer Huckepack in den Saal getragen wird und sich wieder neben sie setzt. Traumwelt, Realität, alles verschwimmt, wenn es im Kinosaal wieder dunkel wird.
Neben dem so wunderbar sauber spielenden Frankfurter Opern-und Museumsorchester haben auch der von Tilman Michael einstudierte und mit grandioser Klangkultur aufwartende Chor und der Extrachor der Oper Frankfurt entscheidenden Anteil am Gelingen dieser dritten und letzten Wiederaufnahme der hochspannenden Inszenierung von Jens-Daniel Herzog in der stimmigen Ausstattung durch Mathis Neidhardt. Sollte man sich auf keinen Fall entgehen lassen! Um bei Thomas Mann zu bleiben: " Stunden voll von Schauern und Wonnen, voll süßer und verklärter Herrlichkeit" sind garantiert!
Werk:
Während seiner Beschäftigung mit dem TANNHÄUSER stolperte Wagner auch über den mittelalterliche LOHENGRIN-Stoff und erkannte in dem strahlenden Ritter sich selbst als einen von Gott gesandten und von der öden Welt missverstandenen Künstler. So lässt sich LOHENGRIN auch als autoritär-patriarchalisches Seelen- und Künstlerdrama begreifen. Das Frageverbot Lohengrins (dieses musikalische Motiv durchzieht die gesamte Oper) kommt geradezu dem göttlichen Verbot des Genusses der Früchte vom Baum der Erkenntnis im Alten Testament gleich und mit dem Brechen des Verbotes durch Elsa landet Wagner einmal mehr bei der Ur-Schuld des Weibes. Elsas Gegenspielerin Ortrud ergeht es durch Wagners Behandlung auch nicht besser: Durch ihre Zerstörung spricht Wagner als reaktionärer Anhänger der „Revolution von oben“ den Frauen jegliche Einmischung in Politik und Kunst ab.
Der Uraufführung (von seinem späteren Schwiegervater, Franz Liszt, geleitet) in Weimar konnte der Komponist nicht beiwohnen, da er wegen Mitbeteiligung an den revolutionären Aufständen steckbrieflich gesucht wurde und sich ins Schweizer Exil begab. Erst 1861 erlebte er erstmals eine (unbefriedigende) Aufführung seiner Oper in Wien.
Nur schon das Vorspiel zum ersten Akt offenbart das kompositions- und orchestrierungstechnische Genie Wagners. „Wir haben hier in der Tat ein gewaltiges, langsames crescendo, welches, auf dem höchsten Grade der Klangfülle angelangt, im umgekehrten Sinne sich zu einem Ausgangspunkte zurückwendet und in einem fast unhörbaren Säuseln endigt. ..für mich ist es ein Meisterwerk.“ (Hector Berlioz)
Obwohl das Drama ganz vom Text her erschlossen und musikalisch durchgestaltet ist, lassen sich in der durchkomponierten Grossform eingebettete „Nummern“ erkennen. Elsas Traumerzählung „Einsam in trüben Tagen“, Elsas Szene „Euch Lüften, die mein Klagen“ und das anschliessende „Duett“ mit Ortrud, welches in der unübertrefflich schönen Phrase endet „Es gibt ein Glück, das ohne Reu' “, der Brautchor im dritten Akt, die Liebesszene im Brautgemach „Wir sind allein“ und Lohengrins Gralserzählung „In fernem Land“.
Giuseppe Verdi sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, die sphärisch klingenden geteilten Streicher der TRAVIATA Vorspiele Wagners Grals-Klängen im LOHENGRIN abgekupfert zu haben. Dies trifft jedoch kaum zu, da Verdi den Lohengrin erstmals 1871 in Bologna, beinahe 20 Jahre nach der Entstehung seiner TRAVIATA, gesehen hatte und sich auch sonst der LOHENGRIN vorerst nur zögerlich verbreitete. Heute gehört dieses Werk zu den beliebtesten Opern Richard Wagners.
Inhalt:
König Heinrich I. versucht in Brabant ein Heer zu sammeln, um das Deutsche Reich gegen Einfälle der Ungarn im Osten zu bekämpfen. Doch bald tritt diese Aufgabe in den Hintergurnd, da er Gericht halten muss über einen Erbfolgestreit in Brabant. Die Kinder des verstorbenen Herzogs, Elsa und Gotthelf, sind dem Grafen Freidrich von Telramund anvertraut worden. Telramund klagt Elsa des Brudermordes an, da Gottfried verschwunden sei. Telramund hat Ortrud, eine Nachfahrin eines Friesenfürsten geheiratet und begehrt nun den Thron Brabants. Elsa bestreitet jegliche Schuld und berichtet von einem Traum, in welcher ihr ein Ritter beigestanden sei. Da Aussage gegen Aussage steht, ordnet Heinrich ein Gottesgericht an. Zunächst erscheint jedoch kein Ritter, wlcher für Elsa kämpfen will. Doch plötzlich erscheint ein wundersamer Mann und bürgt für Elsa. Zugleich will er Elsa unter der Bedingung, dass sie ihn nie nach seinem Name und seiner Herkunft befrage, zur Gemahlin nehmen. Im Zeikampf besiegt der strahlende Ritter Telramund, tötet ihn jedoch nicht.
Telramund ist entehrt und bezichtigt seine Gemahlin Ortrud der Schuld. Beide beschliessen, Elsa zur verhängnisvollen Frage zu bewegen und damit ihr Glück zu zerstören. Ortrud schmeichelt sich bei Elsa ein und sät den Zweifel in ihrem Herzen. Als sich der Brautzug mit dem Ritter und Elsa vom Münster her nähert, tritt Ortrud dazwischen und klagt Elsa an, die nicht einmal den Namen ihres Gatten kenne, während sie selbst von adliger Herkunft sei. Telramund klagt den Ritter des Zaubers an, doch König Heinrich weist alle Klagen ab. Auch Elsa bleibt – vorerst – ihrem Versprechen gegenüber noch standhaft.
Doch die üble Saat des Zweifels geht in der Brautnacht auf. Elsa kann nicht länger widerstehen und stellt die verhängnisvolle Frage. Gleichzeitig dringt Telramund mit Verbündeten ins Brautgemach ein. Der Ritter erschlägt ihn. Vor dem König und dem versammelten Volk klagt der Fremde Elsa der Untreue an, da sie ihm die verbotene Frage gestellt habe. Er will sie zwar beantworten, kann aber aus diesem Grund nicht länger in Brabant weilen. In der Gralserzählung schildert er seine Abstammung vom Gralskönig Parzival und nennt seinen Namen: Lohengrin. In schrecklichem Triumpf berichtet Ortrud, dass sie selbst den Herzog Gottfried in einen Schwan verzaubert hätte, in den selben Schwan, welcher nun den Nachen des Ritters zieht. Gottfried wird durch ein Gebet Lohengrins vom Zauber erlöst, Ortrud sinkt tot nieder, Elsa sinkt ebenfalls erschöpft zu Boden und stirbt. Lohengrin entschwindet, unendlich traurig.