Berlin, DOB: LOHENGRIN, 25.04. & 01.05.2012
Romantische Oper in drei Akten | Musik: Richard Wagner | Libretto: vom Komponisten | Uraufführung: 28. August 1850 in Weimar | Aufführungen in Berlin: 15.4. | 19.4. | 22.4. | 25.4. | 28.4. 1.5.2012
Kritik:
Das Bangen war gross. Kommt er, oder kommt er nicht - Klaus Florian Vogt, nicht nur der Retter von Brabant, sondern auch der Premiere von LOHENGRIN an der Deutschen Oper Berlin am 15. April 2012. Die auf die Premiere folgenden Vorstellungen musste er nämlich absagen. Die Erleichterung allenthalben war deshalb deutlich spürbar: Er kam und sang. Und wie! Sein Lohengrin dürfte derzeit konkurrenzlos sein. Seit ich ihn vor ziemlich genau drei Jahren (ich war damals schon begeistert) in der Staatsoper in dieser Rolle gehört habe, ist seine Stimme zwar grösser und reicher an Farben geworden, hat jedoch nichts von ihrem knabenhaften Klang und ihrer wunderbaren Biegsamkeit eingebüsst. Vogt ist ein Sänger, der nach Belieben (und das macht er ausgiebig, doch stets genau auf den Text bezogen) mit seiner Stimme spielen kann. Die Piani und das Ansetzen der Töne sind wahrhaft himmlisch licht und rein und trotzdem bis in den letzten Winkel des riesigen Zuschauerraums hörbar, Steigerungen meistert er ohne Brüche, ohne Schluchzer, ohne hörbaren Druck - die Technik ist schlicht bewundernswert. Dass er dazu noch das Aussehen eines Märchenprinzen mitbringt, verzückt die Damen (und etliche Herren) im Zuschauersaal und auf der Bühne gleichermassen. Denn in Kasper Holtens Inszenierung des nicht unproblematischen, da oft von nationalistischem Gedankengut missbrauchten, Stücks ist dieser Lohengrin eine ziemlich fiese Socke, welcher es als kaltblütig kalkulierender Machtmensch bestens versteht, die Massen mit seinem Äusseren und seinen Emblemen zu verführen und zu manipulieren. Er ist der vom Volk herbeigesehnte Heiland, der Erlöser (bei der Gralserzählung wirkt er wie Jesus bei der Bergpredigt oder der Speisung der 5000) – ein durchtriebener Sektenguru, der die Kunst der Inszenierung bestens beherrscht. So findet denn auch seine Hochzeit auf einer Opernbühne statt – Glanz und Glamour, Brot und Spiele fürs Volk. Nur als Ortrud die Zeremonie stört, wird auf Geheiss Lohengrins schnell der Vorhang heruntergelassen; das Volk soll von den Intimitäten und Problemen der Mächtigen nichts mitbekommen. Sein Markenzeichen, die Schwanenflügel, trägt Lohengrin bei öffentlichen Auftritten stets als unverkennbares, seine Göttlichkeit, sein engelhaftes Wesen unterstreichendes Emblem auf dem Rücken. Von Anbeginn weg geht es diesem neuen Führer, der selbst am Ende, als er eigentlich abtreten müsste, die rechte Faust noch trotzig gen Himmel reckt, nicht um die Liebe, nicht um das Aufklären des Kriminalfalles (die Entführung und eventuelle Ermordung Gottfrieds, dessen Kreidekontur bis weit in den zweiten Akt hinein auf dem Bühnenboden sichtbar aufgemalt ist, bevor sie von den Brautjungfern weggeputzt wird und die Beschuldigung Elsas) sondern um Ausweitung von Macht. Dazu bedient er sich ganz gerne der männerbündlerischen Kumpanei von König Heinrich (mit etwas verwaschener Diktion und in der Höhe leicht knödelnd, doch im Verlauf des Abends sich hörbar steigernd gesungen von Albert Dohmen) und dessen Einflüsterer, dem Heerrufer (Bastiaan Everink singt ihn mit seinem sehr prägnantem Bariton und verschwörerischem Gehabe). Der Telramund ist für diesen Lohengrin natürlich kein ernst zu nehmender Gegner. Nicht etwa weil Gordon Hawkins ihm stimmlich das Wasser nicht hätte reichen können. Im Gegenteil: Hawkins gibt den Telramund mit kerniger und grosser dramatischer Wucht. Doch Lohengrin übertölpelt den stämmigen Gegner im Gottesgerichtskampf mit Bühnenzauber und Blendwerk und zwingt ihn so in die Knie. Die starke, als einzige die Unredlichkeit des strahlenden Ritters durchschauende, Gemahlin Telramunds, Ortrud, wird von Petra Lang mit grandioser Bühnenpräsenz (in ihren stummen Auftritten) und durchschlagender, hochdramatischer Stimmkraft, jedoch nie ins Schrille kippend, dargestellt. Sie ist es, welche Elsa durch das Aufzeichnen der Körperkontur Gottfrieds auf den Bühnenboden, wieder an den eigentlichen „Fall“ erinnert und so das Frageverbot erneut zur Diskussion stellt. Elsa wird von Ricarda Merbeth mit grosser, wunderbar geführter Stimme und beeindruckender Leuchtkraft gesungen. Einzig zu Beginn des zweiten Aktes (Euch Lüften …) hätte man sich ein bisschen weniger Vibrato vorstellen können. Am Ende findet Elsa tatsächlich nur die Leiche ihres Bruders und muss – als einzige neben Ortrud - erkennen, dass Lohengrins Getue, seine Liebe, nur Mittel zum Zweck waren, um in eine Führerposition zu gelangen. Wer denn Gottfried nun wirklich ermordet hat, wird in diesem Krimi nicht aufgeklärt. Elsa muss schmerzlich erfahren, dass in dieser patriarchalischen Welt die Frauen die Verliererinnen sind, ihre Brüder, Söhne, Männer werden aus Lust am Kriegsabenteuer oder aus machtpolitischen Gründen sinnlos geopfert. Diesen Ansatz stellt der Regisseur zu Beginn der Oper vor: Zum zarten, mit diesem eigentümlichen, überirdischen Trauerton grundierten Vorspiel suchen Frauen auf einem Schlachtfeld voll Gefallener nach ihren Männern, brechen schreiend zusammen, wenn sie einen der ihren erkannt haben. Holten greift damit einen Aspekt des Werks, die ständigen, vor Kampfeslust nur so überbordenden Rufe des Chores nach Krieg und „deutschem Schwert“ auf nachvollziehbare Art und Weise auf und nimmt es so sehr ernst. Die Bühne und die Kostüme (Fantasieuniformen aus verschiedenen Epochen und archaische Gewänder) von Steffen Aarfing vermitteln mit ihren erdigen, düsteren Farben einen stimmigen und ziemlich unheimlichen „Herr der Ringe“- und Endzeit - Effekt.
Das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter Donald Runnicles zeigte sich in diesem diffizilen Vorspiel noch nicht ganz auf der gewohnten Höhe seiner Souveränität. Da waren doch einige Wackler und unkoordinierte Einsätze zu hören. Das Vorspiel zum dritten Akt jedoch wurde mit Verve und Feuer ganz glänzend gespielt und vor allem die stark geforderten Blechbläser, welche manchmal im ganzen Haus verteilt waren, sorgten für atemberaubende Klangerlebnisse. Runnicles disponierte sehr klug, scheute die gleissenden, beinahe überbordenden und effektvollen Klangballungen keineswegs, liess dem Orchester aber auch Raum, die lyrisch-bewegenden Phrasen wunderbar klangschön aufblühen zu lassen. Überragend einmal mehr die von William Spaulding geleiteten Chöre: Sie sorgten für gefährlich mitreissende Kampfesrufe, und man musste sich in Acht nehmen, nicht mit in das Heilsgeschreie einzustimmen … .
Nachtrag zur Vorstellung vom 1. Mai 2012
Insgesamt ebenfalls eine Vorstellung auf sehr hohem Niveau. Kasper Holtens Konzept überzeugte mich persönlich auch beim zweiten Ansehen. Viele Bilder bleiben beklemmend hängen, so Ortrud (Petra Langs "Entweihte Götter ..." ging wiederum durch Mark und Bein!), welche die giftgrünen Leuchtröhren beschwört, die den Zweifel in Elsas Verstand tröpfeln sollen, das traurige Gräbermeer im dritten Akt, der effektvolle Auftritt Lohengrins und sein fieser Betrug beim Gottesgericht. Zu den Punkten, welche ich om obigen Bericht moniert hatte:
- Das Vorspiel I gelang dem Orchester viel besser, die Intonation stimmte, der Wackler waren nicht mehr so viele zu hören.
- Dohmens König Heinrich klang ausgeglichener, die Höhe beständiger. So vermochten die Vokalverfärbungen und das Unterschlagen einzelner Konsonanten seine ansprechende Leistung nicht mehr so stark zu trüben.
- Ricarda Merbeth sang "Euch Lüften..." bedeutend runder und weicher, sie hatte insgesamt wieder einen grossartigen Abend mit einer begeisternden stimmlichen und darstellerischen Leistung in allen drei Akten.
Nun zum "neuen" Lohengrin von Stefan Vinke. Seine Stimme verfügt nicht über die fast überirdische Sanftheit, Ausgeglichenheit und Knabenhaftigkeit Vogts. Dagegen kann er mit männlicheren, kernigeren Phrasen auftrumpfen. Sein Lohengrin wirkte um einiges leidenschaftlicher, weniger abgeklärt oder gar verklärt, ein Mann (auch er ein ziemlich fieser) aus Fleisch und Blut. Nach der anstrengenden Auseinandersetzung mit Elsa im dritten Akt hatte er noch genügend Power für eine packende, ungetrübte und kraftvolle Gralserzählung. Beachtlich!
Werk:
Während seiner Beschäftigung mit dem TANNHÄUSER stolperte Wagner auch über das mittelalterliche LOHENGRIN-Epos und erkannte in dem strahlenden Ritter sich selbst als einen von Gott gesandten und von der öden Welt missverstandenen Künstler. So lässt sich LOHENGRIN auch als autoritär-patriarchalisches Seelen- und Künstlerdrama begreifen. Das Frageverbot Lohengrins (dieses musikalische Motiv durchzieht die gesamte Oper) kommt geradezu dem göttlichen Verbot des Genusses der Früchte vom Baum der Erkenntnis im Alten Testament gleich und mit dem Brechen des Verbotes durch Elsa landet Wagner einmal mehr bei der Ur-Schuld des Weibes. Elsas Gegenspielerin Ortrud ergeht es durch Wagners Behandlung auch nicht besser: Durch ihre Zerstörung spricht Wagner als reaktionärer Anhänger der „Revolution von oben“ den Frauen jegliche Einmischung in Politik und Kunst ab.
Der Uraufführung (von seinem Schwiegervater in spe, Franz Liszt, geleitet) in Weimar konnte der Komponist nicht beiwohnen, da er wegen Mitbeteiligung an den revolutionären Aufständen steckbrieflich gesucht wurde und sich ins Schweizer Exil begab. Erst 1861 erlebte er erstmals eine (unbefriedigende) Aufführung seiner Oper in Wien.
Nur schon das Vorspiel zum ersten Akt offenbart das kompositions- und orchestrierungstechnische Genie Wagners. „Wir haben hier in der Tat ein gewaltiges, langsames crescendo, welches, auf dem höchsten Grade der Klangfülle angelangt, im umgekehrten Sinne sich zu einem Ausgangspunkte zurückwendet und in einem fast unhörbaren Säuseln endigt. ..für mich ist es ein Meisterwerk.“ (Hector Berlioz)
Obwohl das Drama ganz vom Text her erschlossen und musikalisch durchgestaltet ist, lassen sich in der durchkomponierten Grossform eingebettete „Nummern“ erkennen. Elsas Traumerzählung „Einsam in trüben Tagen“, Elsas Szene „Euch Lüften, die mein Klagen“ und das anschliessende „Duett“ mit Ortrud welches in der unübertrefflich schönen Phrase endet „Es gibt ein Glück, das ohne Reu' “, der Brautchor im dritten Akt, die Liebesszene im Brautgemach „Wir sind allein“ und Lohengrins Gralserzählung „In fernem Land“.
Giuseppe Verdi sah sich mit dem Vorwurf konfrontiert, die sphärisch klingenden geteilten Streicher der TRAVIATA Vorspiele Wagners Grals-Klängen im LOHENGRIN abgekupfert zu haben. Dies trifft jedoch kaum zu, da Verdi den Lohengrin erstmals 1871 in Bologna, beinahe 20 Jahre nach der Entstehung seiner TRAVIATA, gesehen hatte und sich auch sonst der LOHENGRIN vorerst nur zögerlich verbreitete. Heute gehört dieses Werk zu den beliebtesten Opern Richard Wagners.
Inhalt:
König Heinrich I. versucht in Brabant ein Heer zu sammeln, um das Deutsche Reich gegen Einfälle der Ungarn im Osten zu bekämpfen. Doch bald tritt diese Aufgabe in den Hintergurnd, da er Gericht halten muss über einen Erbfolgestreit in Brabant. Die Kinder des verstorbenen Herzogs, Elsa und Gotthelf, sind dem Grafen Freidrich von Telramund anvertraut worden. Telramund klagt Elsa des Brudermordes an, da Gottfried verschwunden sei. Telramund hat Ortrud, eine Nachfahrin eines Friesenfürsten geheiratet und begehrt nun den Thron Brabants. Elsa bestreitet jegliche Schuld und berichtet von einem Traum, in welcher ihr ein Ritter beigestanden sei. Da Aussage gegen Aussage steht, ordnet Heinrich ein Gottesgericht an. Zunächst erscheint jedoch kein Ritter, wlcher für Elsa kämpfen will. Doch plötzlich erscheint ein wundersamer Mann und bürgt für Elsa. Zugleich will er Elsa unter der Bedingung, dass sie ihn nie nach seinem Name und seiner Herkunft befrage, zur Gemahlin nehmen. Im Zeikampf besiegt der strahlende Ritter Telramund, tötet ihn jedoch nicht.
Telramund ist entehrt und bezichtigt seine Gemahlin Ortrud der Schuld. Beide beschliessen, Elsa zur verhängnisvollen Frage zu bewegen und damit ihr Glück zu zerstören. Ortrud schmeichelt sich bei Elsa ein und sät den Zweifel in ihrem Herzen. Als sich der Brautzug mit dem Ritter und Elsa vom Münster her nähert, tritt Ortrud dazwischen und klagt Elsa an, die nicht einmal den Namen ihres Gatten kenne, während sie selbst von adliger Herkunft sei. Telramund klagt den Ritter des Zaubers an, doch König Heinrich weist alle Klagen ab. Auch Elsa bleibt – vorerst – ihrem Versprechen gegenüber noch standhaft.
Doch die üble Saat des Zweifels geht in der Brautnacht auf. Elsa kann nicht länger widerstehen und stellt die verhängnisvolle Frage. Gleichzeitig dringt Telramund mit Verbündeten ins Brautgemach ein. Der Ritter erschlägt ihn. Vor dem König und dem versammelten Volk klagt der Fremde Elsa der Untreue an, da sie ihm die verbotene Frage gestellt habe. Er will sie zwar beantworten, kann aber aus diesem Grund nicht länger in Brabant weilen. In der Gralserzählung schildert er seine Abstammung vom Gralskönig Parzival und nennt seinen Namen: Lohengrin. In schrecklichem Triumpf berichtet Ortrud, dass sie selbst den Herzog Gottfriedin einen Schwan verzaubert hätte, in den selben Schwan, welcher nun den Nachen des Ritters zieht. Gottfried wird durch ein Gebet Lohengrins vom Zauber erlöst, Ortrud sinkt tot nieder, Elsa sinkt ebenfalls erschöpft zu Boden und stirbt. Lohengrin entschwindet, unendlich traurig.