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Essen, Aalto Theater: LA FORZA DEL DESTINO; 19.12.2024

Erstellt von Kaspar Sannemann | | La forza del destino

copyright alller Bilder: Alvise Predieri, mit freundlicher Genehmigung Theater Essen

Oper in vier Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Francesco Maria Piave (Urfassung), Antonio Ghislanzoni (Mailänder Fassung), nach Ángel de Saavedras Drama DON ÁLVARO O LA FUERZA DEL SINO | Uraufführung: 10. November 1862 in St.Petersburg, Neufassung: 27. Februar 1869 in Mailand | Aufführungen in Essen: 19.12 2024 | 12.01. | 5.2.2025

Kritik:

Überaus sehens- und hörenswert ist diese Neuproduktion von Verdis zu Unrecht oftmals belächelter großer Oper LA FORZA DEL DESTINO am Alto Musiktheater in Essen. 

Sehenswert deshalb, weil dem Inszenierungsteam rund um Regisseurin Slavá Daubnerová eine kluge, spannende und sinnfällige Lesart der nicht einfach zu inszenierenden Oper gelungen ist. Die Story mit ihren wechselnden Schauplätzen und den zeitlichen Sprüngen kann nicht einfach dekorativ erzählt werden, denn dann verliert sie an Glaubwürdigkeit und Bedeutung. Slavá Daubnerová sieht sie aus der Perspektive Leonoras, einer Frau, zerrissen zwischen den Fronten des Krieges, zerrissen von familiären Konflikten und Übergriffen, zerrissen vom Schicksal, das ihr das persönliche Glücklichsein nicht gönnt. Die Regisseurin zeigt in der Figur der Preziosilla einen Gegenentwurf zum Leben Leonoras - es könnte auch ein Alter Ego sein, oder eine Schicksalsgöttin. Denn bereits im Vorspiel taucht Preziosilla auf, sie ist es, die zusammen mit Leonora und einer weiteren stummen Frauenfigur die Fäden des Schicksals spinnt (es wird im Programmheft von den drei griechischen Schicksalsgöttinnen, den Moiren - bei den Römern Parzen und in der nordischen Mythologie Nornen genannt - berichtet), sie überreicht darin Leonora den fatalen Revolver, mit welchem sie ihren Vater erschießt (als inzestuöses Missbrauchsopfer). Ganz am leise verklingenden Ende der Oper taucht der Schicksalsfaden wieder in der Video- Projektion auf dem Gazevorhang auf. Überhaupt sind die genialen Videoprojektionen von Andreas Deinert ein bestimmendes und dominierendes Element der Produktion. Nur schon die ganzen Schlachtenszenen werden mit faszinierender Abstraktion gestaltet, wo sich einzelne Soldaten durch Verkleinerung rasant vervielfachen und so das Absurde und Groteske eines jeglichen Krieges entblößen. Ein weiteres, dominierende Element der Inszenierung stellt die übergroße Replik der berühmten Statue “Mutter Heimat ruft” dar. Das Original (85 Meter hoch!) steht in Wolgograd und soll an die Schlacht von Stalingrad erinnern. Allerdings wird diese Statue dann im dritten Akt zerstört, der Oberkörper der “Mutter” ist symbolträchtig heruntergefallen. Das fantastische, faszinierend ausgeleuchtete Bühnenbild hat Volker Hintermeier entworfen, die zeitlich nicht konkret verorteten Kostüme stammen von Cedric Mpaka. Es gäbe viel zu berichten vom Detailreichtum dieser träfen Inszenierung, die das bewegende Schicksal einer Frau mit bildgewaltiger Kraft erzählt und welche trotz allen Reichtums an klugen Einfällen nie einem szenischen Overkill anheim fällt. Zerrissen ist auch die Welt, in der sich die drei Protagonisten Leonora, ihr Bruder Don Carlo und ihr Geliebter Don Alvaro bewegen: Durch Kriege zerrissen, welche die Gesellschaft in Arme und Reiche spalten. Die Armen, verwundet und hungernd, darben neben den Reichen, die sich teure Gerichte mit Tellerhauben und Champagner servieren lassen, ein Ekel erregendes Bild, das leider nichts an Aktualität eingebüsst hat. Die Szene im Kloster spielt nicht in einer konkreten katholischen Glaubensgemeinschaft, es handelt sich eher um einen sektenähnlichen Männerbund von Weisen, dem Reich Sarastros aus der Zauberflöte nicht unähnlich. Die Prozession der Mönche geschieht nicht kitschig mit Kerzen, sondern es werden unablässig Bücher umgeschichtet und neu gestapelt. Dazu werfen waagrechte Leuchtröhren, die auf sechs mobilen Bühnenelementen angeordnet sind, gleißendes, weißes Licht in den Saal, ein Licht, von dem Menschen und Musik auf kongeniale Art quasi aufgesogen werden. Und warum erinnerte mich Leonora mit dem kurzgeschorenen Haar und in der Mönchskutte ständig an Ingrid Bergman als Jeanne d’Arc? Die Regisseurin verweist für ihre Inszenierung auf einen anderen Film: Triangle of Sadness … ( Den habe ich leider nicht gesehen, kann also über mögliche Bezüge oder Assoziationen nichts anmerken.) Wunderbar passend ist der Abdruck des ergreifenden Gedichts von Erich Mühsam über das Schicksal (und das Hadern mit demselben) im hervorragend gestalteten, informativen Programmheft: “Ich klage an, klage mein Schicksal an, weil es den Vater schuf, der mich zeugte … .” Welch großartiger Text!

Musikalisch ist das alles aus einem Guss: Wolfram-Maria Härtig zeigt von den erst Schicksalsakkorden der Ouvertüre an, wohin die Reise führt: in einem vielschichtigen Kosmos von seelischen Abgründen und traumatisierenden Schicksalsschlägen. Vorwärtsdrängend, mit wuchtig gesetzten Akzenten, fein gesponnenen Linien, transparenter Zartheit in den vielen verinnerlichten, kammermusikalischen Passagen, Vor- und Nachspielen und Arienbegleitungen lässt er die Essener Philharmoniker mit Leuchtkraft brillieren. Astrik Khanamiryan als Leonora gestaltet ihre dankbare Partie mit warmer Grundierung, großem Atem und schöner Rundung des Klangs. Ihre Romanze im ersten Akt und die Preghiera im zweiten sind von engelsgleicher Schönheit. Dazu kommt ihre großartige Bühnenpräsenz, auch im dritten Akt, in welchem sie eigentlich nicht auftreten sollte, geistert sie im Gerüst der gefallenen Statue umher. Die schwierige Tenorpartie des Alvaro wurde in der von mir besuchten Vorstellung hervorragend von Antonello Palombi gesungen. Sein Tenor verfügt über die notwendige Kraft für die Riesenrolle, vermag aber auch Zerbrechlichkeit und tiefe Verzweiflung auszudrücken. Seinem Gegenspieler Don Carlo di Vargas verleiht Stefano Meo die gebotene archaisch-rächerische Ausdrucksgewalt. Sein kerniger Bariton strömt klangvoll und unangestrengt frei schwingend in den Saal. Almas Svilpa verleiht dem an Sarastro gemahnenden Padre Guardiano seinen prächtig und ausdrucksstark flutenden Bass. Bettina Ranch ist eine fulminante Preziosilla, durchschlagend und agil in ihren kriegerischen, mitreisserischen Eviva la Guerra und Rataplan- Gesängen (die effektvollen Trommelwirbel dazu kommen von Stefan Kellner, der hoch oben auf dem Gerüst rund um die Statue platziert ist). Karel Martin Ludvik gibt mit weiß geschminktem Gesicht und entsprechender Dämonie den hintergründig schimpfenden Fra Melitone. Auch die kleineren Partien des Alcalde (Hyeong Joon Ha), der Curra (Kammersängerin Marie-Helen Joël), des Trabuco (Albrecht Kludszuweit), des Chirurgo (Yanchen Chen) und last but in no way least des Marchese di Calatrava mit dem wunderbaren Bass von Andrei Nicoara sind bestens besetzt. Große, begeisternde Chorklangmagie steuert der Opernchor des Aalto-Theaters (Einstudierung: Klaas-Jan de Groot) bei.

Fazit: Diese FORZA übertrifft (zumindest szenisch) die etwas gar dekorative Saisoneröffnung dieser Verdi-Oper an der Scala di Milano vor 10 Tagen und kann musikalisch bestens mithalten, und das zu einem Bruchteil der Eintrittspreise in Italien. Hingehen!

Inhalt:

Der Marchese di Calatrava widersetzt sich einer Verbindung seiner Tochter mit dem Inkaspross Don Alvaro. Er überrascht die Liebenden bei ihrer geplanten Flucht. Alvaro will nicht kämpfen und wirft seine Pistole weg. Dabei löst sich ein tödlicher Schuss aus der Waffe, dem Leonoras Vater erliegt. Sterbend verflucht er Leonora. Der Bruder Leonoras, Don Carlo, schwört Rache an seiner Schwester und ihrem Mestizen-Liebhaber. Leonora und Alvaro fliehen und verlieren sich dabei aus den Augen.

In einem Gasthaus treffen wir auf den als Studenten verkleideten Don Carlo. Auch seine Schwester Leonora ist hier, als Mann verkleidet. Sie belauscht eine Unterhaltung Don Carlos und erfährt, dass ihr Geliebter Don Alvaro nicht - wie sie vermutet hatte - tot ist. Leonora macht sich davon, bevor sie entdeckt wird. Preziosilla, eine junge Zigeunerin, tritt auf und wirbt freiwillige für den Krieg in Norditalien an. Auch Don Carlo tritt dieser Freiwilligen Armee bei, da er jegliche Hoffnung aufgegeben hat, seine Schwester jemals wieder zu finden.

Unterdessen hat Leonora Zuflucht in einem Kloster gefunden. Sie will da als Einsiedlerin ihre Schuld büssen. Fra Melitone, der Pförtner, will sie zuerst nicht einlassen. Doch sie klärt den Prior Pater Guardiano über ihre wahre Identität auf. Sie verspricht, diese Einsiedelei nie mehr zu verlassen. Die Mönche schwören, dieses Geheimnis zu bewahren und jeden, der es breche, soll der Fluch des Himmels treffen.

Auch Don Alvaro hat sich aus Verzweiflung über die Trennung von Leonora als Soldat verdingt. Bei einem Angriff rettet er ausgerechnet Don Carlo das Leben – er ist sich nicht bewusst, dass es sich dabei um Leonoras Bruder handelt. Beide schwören sich ewige Freundschaft. In der Schlacht wird Alvaro verwundet. Er übergibt Don Carlo ein Päckchen mit Briefen, das dieser verbrennen solle. Dabei fällt ein Bild Leonoras aus dem Päckchen. Nun erkennt Don Carlo die Identität seines Freundes – er fordert ihn nach dessen Genesung zum Duell. Sie werden von den Wachen jedoch getrennt und Alvaro, der immer friedliebend war, beschliesst ins Kloster zu gehen. Fra Melitone predigt auf dem Schlachtfeld über die Sünden der Menschen. Preziosilla stimmt den kriegerischen Rataplan-Chor an.

Vor dem Kloster streitet sich Fra Melitone mit den hungrigen Bettlern. Alvaro lebt unterdessen in diesem Kloster als Bruder Raffaele. Carlo stürmt bewaffnet ins Kloster und will Alvaro (Raffaele) zum Kampf herausfordern. Doch dieser weigert sich. Daraufhin haut ihm Carlo eine runter. Nun kann sich auch Alvaro nicht mehr zurückhalten. Kämpfend nähern sich die beiden Leonoras Einsiedelei. Alvaro verwundet Carlo tödlich. Er klopft an die Tür von Leonoras Klause, um einen priesterlichen Beistand für den sterbenden Carlo zu finden. Er kann seinen Augen nicht glauben, als er im Einsiedler Leonora erkennt. Sie beugt sich über den verletzten Bruder. Der nimmt seine letzte Kraft zusammen und ersticht seine Schwester. Schwer verletzt liegt sie in den Armen ihres Geliebten Alvaro. Pater Guardiano ist unterdessen auch herbeigeeilt. Alvaro verflucht die Macht des Schicksals, doch Guardiano und die sterbende Leonora versprechen ihm Gottes Vergebung. (In der Urfassung stürzt sich Alvaro von einem Felsen in den Tod.)

Werk:

LA FORZA DEL DESTINO steht am Übergang von Verdis erfolgreichen Opern aus der mittleren Schaffensperiode (RIGOLETTO, LA TRAVIATA, IL TROVATORE, UN BALLO IN MASCHERA) zu den reifen Spätwerken AIDA, OTELLO und FALSTAFF. Oft hat man sich über die „Zufälle“ und Ungereimtheiten des Librettos lustig gemacht, dabei beinhaltet es eine geradezu shakespearsch anmutende Konfrontation von tragischen, grotesken und komischen Elementen. Zudem beinhalten die Vorlage des spanischen Dichters und ihre Umsetzung durch Verdi nicht nur Anklänge an die Schauerromantik, sondern auch Strömungen anti-klerikaler und anti-legalistischer Art und unverhohlener Kritik an kriegerischer Art der Problemlösung. Die wechselnden Schauplätze (Schlafzimmer Leonoras, Wirtshaus, Schlachtfeld, Kloster) boten Verdi vielfältige Möglichkeiten zur kontrastreichen Zeichnung von individuellem Schicksal und grossflächigen Chor- und Volksszenen. Wichtige Themen wie Rassendiskriminierung, Standesdünkel, Blutfehde, Familienehre, Kriegslust und – elend stellen die Pfeiler dieser nur auf den ersten Blick abstrusen Oper dar. Zudem hat Verdi mit der Überarbeitung für die Aufführung in Mailand eine etwas abgemildetere Fassung erstellt, die sich schliesslich erfolgreich durchsetzte. Mit seinem berühmten trocken-schwarzen Humor sagte der Komponist nach einer Aufführung in Rom: „ Bei so vielen Mängeln und so vielen Absurditäten des Librettos ist es ein Wunder, dass nicht wenigstens der Impresario (der Römer Oper) davon getötet worden ist.“

Die Musik zu LA FORZA DEL DESTINO gehört zu Verdis effektvollsten Partituren und bietet den Solisten und dem Chor überaus dankbare Aufgaben.

Karten

 

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