Berlin, Deutsche Oper: LA FORZA DEL DESTINO, 24.09.2019
Oper in vier Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Francesco Maria Piave (Urfassung), Antonio Ghislanzoni (Mailänder Fassung), nach Ángel de Saavedras Drama DON ÁLVARO O LA FUERZA DEL SINO | Uraufführung: 10. November 1862 in St.Petersburg, Neufassung: 27. Februar 1869 in Mailand | Aufführungen in Berlin: 8.9. | 14.9. | 18.9. | 21.9. | 24.9. | 28.9. 2019 |17.6. | 20.6. | 26.6.2020
Kritik:
LA CINEMATOGRAFIA È L’ARMA PIÙ FORTE prangt in Leuchtschrift unter einer überlebensgroßen Pappfigur von Mussolini (der in den Sucher einer Filmkamera blickt und auf einem echten Foto beruht) in Frank Castorfs Neuinszenierung von Verdis LA FORZA DEL DESTINO an der Deutschen Oper Berlin. Dieses Zitat des Duce stammt aus dem Jahre 1922 – und wo er recht hatte, da hat er recht, denn tatsächlich sind die vielen Video-Clips, mit denen Castorf seine Inszenierung anreichert bedeutend stärker als die eigentliche Handlung der Oper, ja sie erdrücken diese gar mit aller Gewalt. Die Oper und ihre Protagonisten, ja selbst der Chor werden zur beiläufig abgehandelten Nebensache, im Vordergrund steht Castorfs Folie, welche er über die eigentliche Oper legt. Dabei bleibt es nicht bloß bei den Einspielungen aus alten Schwarz-Weiß Filmen, Nahaufnahmen von Sänger*innen, teils synchron, teils nicht, den akrobatischen Einlagen eines Transvestiten hinter der Bühne, die auf die beiden großen Leinwände übertragen werden, den blutigen Splatter-Movie Einschüben aus einem Feldlazarett, nein Castorf lässt die Sänger und den Transvestiten auch noch Texte rezitieren, z.B. aus Heiner Müllers DER AUFTRAG (vom Transvestiten einmal in schrecklich akzentuiertem Deutsch, einmal in Portugiesisch) oder längere Passagen aus Curzio Malapartes DIE HAUT, welche Pater Guardian und Curra vortragen. Dies hat anscheinend an der Premiere zu einem Buhsturm und einem beinahe Abbruch der Vorstellung geführt. Gestern Abend gab’s dafür Applaus, ganz vereinzelte Buhs und Zwischenrufe (Schwachsinn ...). Grundsätzlich ist die Folie, welche Castorf über Verdis Oper legt, nicht mal so weit hergeholt oder gar falsch, denn Verdis Oper handelt tatsächlich vom Krieg, von Blutrache, von Diskriminierung. Dies alles versucht Castorf in einer Art Filmkulisse auf der Drehbühne zu zeigen, vollzieht eine filmische Reise von Francos Diktatur in Spanien (mitsamt seinen faschistischen Unterstützernationen) ins Neapel zur Zeit der Befreiung von der Mussolini-Diktatur. Das kann man gut machen, anstatt österreichische Erbfolgekriege, wie bei Verdi, eben den spanischen Bürgerkrieg und den Einmarsch der Amerikaner in Italien. Doch schnell wird es offensichtlich, dass Castorf am Schicksal Leonoras, Don Alvaros keinerlei Interesse hat, dieses Musiktheater bloß als Projektionsfläche für seine eigenen politischen Aussagen benutzen will. Uns so inszeniert er mit den Personen nur ganz wenige Momente, die wirklich als bezwingendes „Theater“ ihre Wirkung entfalten, so z.B. als Melitone den Transvestiten mit Fußtritten die Treppe runter stößt (Ronni Maciel in dieser Rolle als feminisierter Indio durchzieht den gesamten über dreistündigen Abend mit seiner enormen Bühnenpräsenz und seiner akrobatischen Leistung). Interessant ist auch die Zeichnung des Pater Guardian (er darf wie erwähnt oft Texte rezitieren, auch über die Brutalität von Eroberern in Südamerika, ist auch der Star in einer filmischen Nebenhandlung als Spitzel, Dieb von US-Armeevorräten, Kriegsgewinnler) und scheint dem Transvestiten auch körperlich zugetan. Gut gemacht sind auch die Szene zwischen Carlo und Alvaro im dritten und im vierten Akt, wo sie sich im Armeelastwagen gegenübersitzen. (Und dank des omnipräsenten Plakats im Hintergrund der Großbild Aufnahme des kettenrauchenden Carlo wissen wir nun, dass die Amis vor Syphilis und Gonorrhö gewarnt wurden.) Interessante Ansätze, leider eine Überdosis an Ideen für Castorfs politisches Manifest und zu wenige Einfälle für die Charakterisierung der eigentlichen Hauptpersonen der Oper, diese singen nämlich oft im Halbdunkel oder gar offstage. Auch die Chorführung bleibt traditionell und wirkt eher arrangiert als inszeniert. Klangstark allerdings singen der Chor und der Extrachor der Deutschen Oper Berlin (Einstudierung: Jeremy Bines), vor allem die Männer gestalten die große Szene im Kloster im zweiten Akt sehr beeindruckend.
Gesungen wurde auch sonst auf sehr gutem Niveau, herausragend Marko Mimica mit seinem prachtvollen, wunderbar sauber geführten, warmen Bassbariton als Pater Guardian und Misha Kiria als überwältigend kämpferischer Fra Melitone, der mit seinem stimmgewaltigen Bass herrlich auftrumpfte in der Kapuzinerpredigt und bei der Essensausgabe im letzten Akt (die aber mit der Spagetti-Schlacht ziemlich geschmacklos inszeniert war, wir haben doch schon als Kinder gelernt, dass mit dem Essen nicht gespielt wird). Maria José Siri als Leonora di Vargas wurde von Akt zu Akt besser und sang sich mit der großen Pace, pace Arie im Schlussakt in den Sopranhimmel, welch wunderbare Bögen, welch herrliche Tiefe und schlanke Höhen! Brava!!!! Russell Thomas war ein wunderbar sauber, unforciert und ausgeglichen singender Alvaro, mit einer Klangfarbe, die manchmal an den jungen Carreras erinnerte. Markus Brück spielte und sang einen herrlich fiesen Carlo. Judit Kutasi glänzte als wunderbar pralle Preziosilla. Stephen Bronk hatte einen bezwingenden Auftritt als Marchese di Calatrava (inklusive einer pantomimischen Rede unter der mit einem Porträt des Caudillo versehenen spanischen Flagge). Durch ihre Rezitationen bis zum Ende erhielt die Rolle der Curra viel Gewicht – und blieb trotzdem amorph. Amber Fasquelle machte das sehr gut. Michael Kim ließ als Trabuco mit schöner Stimmführung aufhorchen. Padraic Rowan (Alkalde) und Byung Gil Kim (Chirurgus) ergänzten das ansprechend gut besetzte Ensemble. Im Graben spielte das Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Jordi Bernàcer mit viel Beachtung der feinen Farbakzente in Verdis Partitur (Klarinette, Harfe, fein und zart intonierte, filigrane Streicherpassagen).
Fazit:
Verdis LA FORZA DEL DESTINO stellt zugegebenermaßen eine immense Herausforderung für einen Regisseur dar, sie wurde lange Zeit eher selten inszeniert, erscheint nun aber zu Recht wieder häufiger und in ganz unterschiedlichen Interpretationen auf den Spielplänen (z.B. bei Homoki in Zürich in gepflegten Arrangements mit Betonung des Grotesken). Castorf nun hat das Schwergewicht richtigerweise (und leider überfrachtet) auf den Schrecken des Krieges und die damit einhergehende Verrohung der Menschen gezeigt. Auch die der Sieger: „Es ist eine Schande, im Krieg zu siegen!“ lässt Frank Castorf durch eine Zitat Malapartes rezitieren. Stimmt, aber es ist auch nicht so toll, die Handlung einer Oper dermaßen hinter politischen Aussagen in den Hintergrund zu rücken. Trotz aller Einwände: Die Auseinandersetzung mit dieser Inszenierung lohnt sich, auch musikalisch mehr als befriedigend.
Inhalt:
Der Marchese di Calatrava widersetzt sich einer Verbindung seiner Tochter mit dem Inkaspross Don Alvaro. Er überrascht die Liebenden bei ihrer geplanten Flucht. Alvaro will nicht kämpfen und wirft seine Pistole weg. Dabei löst sich ein tödlicher Schuss aus der Waffe, dem Leonoras Vater erliegt. Sterbend verflucht er Leonora. Der Bruder Leonoras, Don Carlo, schwört Rache an seiner Schwester und ihrem Mestizen-Liebhaber. Leonora und Alvaro fliehen und verlieren sich dabei aus den Augen.
In einem Gasthaus treffen wir auf den als Studenten verkleideten Don Carlo. Auch seine Schwester Leonora ist hier, als Mann verkleidet. Sie belauscht eine Unterhaltung Don Carlos und erfährt, dass ihr Geliebter Don Alvaro nicht - wie sie vermutet hatte - tot ist. Leonora macht sich davon, bevor sie entdeckt wird. Preziosilla, eine junge Zigeunerin, tritt auf und wirbt freiwillige für den Krieg in Norditalien an. Auch Don Carlo tritt dieser Freiwilligen Armee bei, da er jegliche Hoffnung aufgegeben hat, seine Schwester jemals wieder zu finden.
Unterdessen hat Leonora Zuflucht in einem Kloster gefunden. Sie will da als Einsiedlerin ihre Schuld büssen. Fra Melitone, der Pförtner, will sie zuerst nicht einlassen. Doch sie klärt den Prior Pater Guardiano über ihre wahre Identität auf. Sie verspricht, diese Einsiedelei nie mehr zu verlassen. Die Mönche schwören, dieses Geheimnis zu bewahren und jeden, der es breche, soll der Fluch des Himmels treffen.
Auch Don Alvaro hat sich aus Verzweiflung über die Trennung von Leonora als Soldat verdingt. Bei einem Angriff rettet er ausgerechnet Don Carlo das Leben – er ist sich nicht bewusst, dass es sich dabei um Leonoras Bruder handelt. Beide schwören sich ewige Freundschaft. In der Schlacht wird Alvaro verwundet. Er übergibt Don Carlo ein Päckchen mit Briefen, das dieser verbrennen solle. Dabei fällt ein Bild Leonoras aus dem Päckchen. Nun erkennt Don Calo die Identität seines Freundes – er fordert ihn nach dessen Genesung zum Duell. Sie werden von den Wachen jedoch getrennt und Alvaro, der immer friedliebend war, beschliesst ins Kloster zu gehen. Fra Melitone predigt auf dem Schlachtfeld über die Sünden der Menschen. Preziosilla stimmt den kriegerischen Rataplan-Chor an.
Vor dem Kloster streitet sich Fra Melitone mit den hungrigen Bettlern. Alvaro lebt unterdessen in diesem Kloster als Bruder Raffaele. Carlo stürmt bewaffnet ins Kloster und will Alvaro (Raffaele zum Kampf herausfordern. Doch dieser weigert sich. Daraufhin haut ihm Carlo eine runter. Nun kann sich auch Alvaro nicht mehr zurückhalten. Kämpfend nähern sich die beiden Leonoras Einsiedelei. Alvaro verwundet Carlo tödlich. Er klopft an die Tür von Leonoras Klause um einen priesterlichen Beistand für den sterbenden Carlo zu finden. Er kann seinen Augen nicht glauben, als er im Einsiedler Leonora erkennt. Sie beugt sich über den verletzten Bruder. Der nimmt seine letzte Kraft zusammen und ersticht seine Schwester. Schwer verletzt liegt sie in den Armen ihres Geliebten Alvaro. Pater Guardiano ist unterdessen auch herbeigeeilt. Alvaro verflucht die Macht des Schicksals, doch Guardiano und die sterbende Leonora versprechen ihm Gottes Vergebung. (In der Urfassung stürzt sich Alvaro von einem Felsen in den Tod.)
Werk:
LA FORZA DEL DESTINO steht am Übergang von Verdis erfolgreichen Opern aus der mittleren Schaffensperiode (RIGOLETTO, LA TRAVIATA, IL TROVATORE, UN BALLO IN MASCHERA) zu den reifen Spätwerken AIDA, OTELLO und FALSTAFF. Oft hat man sich über die „Zufälle“ und Ungereimtheiten des Librettos lustig gemacht, dabei beinhaltet es eine geradezu shakespearsch anmutende Konfrontation von tragischen, grotesken und komischen Elementen. Zudem beinhalten die Vorlage des spanischen Dichters und ihre Umsetzung durch Verdi nicht nur Anklänge an die Schauerromantik, sondern auch Strömungen anti-klerikaler und anti-legalistischer Art und unverhohlener Kritik an kriegerischer Art der Problemlösung. Die wechselnden Schauplätze (Schlafzimmer Leonoras, Wirtshaus, Schlachtfeld, Kloster) boten Verdi vielfältige Möglichkeiten zur kontrastreichen Zeichnung von individuellem Schicksal und grossflächigen Chor- und Volksszenen. Wichtige Themen wie Rassendiskriminierung, Standesdünkel, Blutfehde, Familienehre, Kriegslust und – elend stellen die Pfeiler dieser nur auf den ersten Blick abstrusen Oper dar. Zudem hat Verdi mit der Überarbeitung für die Aufführung in Mailand eine etwas abgemildetere Fassung erstellt, die sich schliesslich erfolgreich durchsetzte. Mit seinem berühmten trocken-schwarzen Humor sagte der Komponist nach einer Aufführung in Rom: „ Bei so vielen Mängeln und so vielen Absurditäten des Librettos ist es ein Wunder, dass nicht wenigstens der Impresario (der Römer Oper) davon getötet worden ist.“
Die Musik zu LA FORZA DEL DESTINO gehört zu Verdis effektvollsten Partituren und bietet den Solisten und dem Chor überaus dankbare Aufgaben.