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Basel: LA FORZA DEL DESTINO, 22.10.2016

Erstellt von Kaspar Sannemann | | La forza del destino

copyright: Sandra Then, mit freundlicher Genehmigung Theater Basel

Oper in vier Akten | Musik: Giuseppe Verdi | Libretto: Francesco Maria Piave (Urfassung), Antonio Ghislanzoni (Mailänder Fassung), nach Ángel de Saavedras Drama DON ÁLVARO O LA FUERZA DEL SINO | Uraufführung: 10. November 1862 in St.Petersburg, Neufassung: 27. Februar 1869 in Mailand | Aufführungen in Basel: 22.10. | 28.10. | 31.10. | 2.11. | 5.11. | 7.11. | 12.11. | 20.11. | 29.11. | 11.12. | 16.12. | 23.12. | 27.12.2016 | 8.1. | 13.1. | 16.1. | 21.1. | 28.1.2017

Kritik:

Wenn man sich bei einer Aufführung von Verdis Oper LA FORZA DEL DESTINO nicht mehr über die Häufung von Zufällen und Schicksalsschlägen, welche die Protagonisten heimsuchen, ärgert, wundert oder amüsiert, dann ist eine solche Aufführung restlos geglückt. Dieses Glück zu schaffen gelang dem Theater Basel mit dieser umjubelten Premiere von Verdis viel gescholtener (und zu Unrecht oft belächelter) Oper auf eindrückliche, ja bewegende und berührende Art und Weise. Zu verdanken ist dieses Glück der szenischen UND der musikalischen Seite dieser grandiosen Produktion. Dem Team rund um den Regisseur Sebastian Baumgarten ist es gelungen, die tragische Geschichte in ihrem ganzen Ausmass an Fatalität in eindringlichen, Collage-artigen Bildern zu transportieren, sie in grössere, gesellschaftspsychologische und sozialpolitische Zusammenhänge einzubetten. Da ist zuerst mal die überaus funktionale Gestaltung der Bühne durch Barbara Ehnes zu erwähnen. Sie hat einen komplexen dreistöckigen Bau aus verschiedenen Quadern auf die Drehbühne bauen lassen, welcher erstens schnelle Szenenwechsel dieser an Schauplätzen überaus reichhaltigen Oper ermöglicht und zweitens sowohl den intimeren Szenen als auch den gewaltigen Auftritten des ausgezeichnet singenden und agierenden Chors und Extrachors des Theater Basel (Einstudierung: Henryk Polus) die passenden Räume eröffnet. Überblendet und sinngebend weiter gestaltet wurde die Bühnenkonstruktion durch die raffinierten Videoprojektionen von Chris Kondek und das grossartige Lichtdesign von Guido Hölzer. Passend zur Allgemeingültigkeit der zentralen Aussagen der szenischen Interpretation waren die vielfältigen Kostüme von Marysol del Castillo, welche von der grossbürgerlichen Atmosphäre im Hause des Rüstungsindustriellen Marchese di Calatrava über den bunten Mix in der Playmate Ranch an der amerikanisch/mexikanischen Grenze zu den Kutten der Sekte um Padre Guardiano zu den beim Roten Kreuz um Hilfe bettelnden Kriegsversehrten reichte. Denn diese Verortungen hatte sich der Regisseur Sebastian Baumgarten für seine Inszenierung gewählt – und damit ins Schwarze getroffen, weil er eben ganz genau dem Text und der Musik folgte, sie aus heutiger Sicht interpretierte. Das war von A- Z spannend, entwickelte eine unentrinnbare Sogwirkung, nichts wirkte aufgesetzt, auch nicht die archaischen, mit Riesenpenissen ausgestatteten Indio-Figuren an den Wänden der Playmate Ranch, welche bei den kriegstreibenden Gesängen Preziosillas vielversprechend ihre Glieder hoben, wie um die jungen Menschen mit Potenzversprechen zum Kriegshandwerk zu animieren. Im vierten Akt spielt dann die Caritas-Szene ebenfalls in der Playmate-Ranch, von der Dekoration sind nur noch die Indio-Figuren mit den Riesenpenissen übriggeblieben – und sie machen auch hier Sinn, wenn Fra Melitone über die Armen schimpft und wettert, deren einziger Lebenszweck das sexuelle Verlangen zu sein scheine, was sich in entsprechender Fruchtbarkeit äussere. Immer wieder scheint ein Zeigefinger (Gottes?) auf, werden Zitate von Bibeltexten projiziert (Es steht geschrieben ... , die Tage der Vergeltung ... , es werden Zeichen geschehen ... ,), welche eben die Menschen in ihrem fatalistischen Glauben verharren lassen, ihnen so den Weg zur Eigeninitiative (und damit die Flucht aus den Fängen der Macht des Schicksals) verbauen. Baumgarten setzt dies alles mit einer überlegten Detailgenauigkeit und grosser Charakterisierungskunst in der Personenführung und einem stimmigen Einsatz von Requisiten um, so z.B. die Verwendung der kitschigen Madonnenstatue mit ihrem blinkenden Heiligenschein, welche Leonora zur Flucht in ihren Seesack packt und später in der Einsiedelei wieder hervorkramt.

Unter der vorwärtsdrängenden, ungemein plastisch gestaltenden Leitung von Ainars Rubikis am Pult des Sinfonieorchesters Basel erklingt Verdis geniale Partitur mit Verve und Feuer, aber auch mit wunderschön gespielten, kammermusikalisch transparent gehaltenen Momenten in den intimeren Passagen. So die von der Klarinette herrlich wehmütig gespielte Introduktion zur Arie des Alvaro im dritten Akt (O tu che in seno agl'angeli), oder die Harfen und die Solovioline im Klosterbild, wo auch die (Himmels-)Posaunen einen prominenten und fantastisch intonierten Einsatz im Orchestergraben hatten.

Das Glück des Abends vollkommen machen natürlich die Sängerinnen und Sänger. Allen voran zu nennen ist die Leonora von Elena Stikhina. (Wie schrieb ich doch im März diesen Jahres über ihre Maliella in Freiburg? „Die Besetzung der Maliella mit Elena Stikhina erwies sich als veritabler Glücksfall. Welch eine Stimme! Durchschlagkräftig, dabei stets warm timbriert bleibend und nie ins Schrille abdriftend, darstellerisch ein furioser Wirbelwind..“) Nun, ich kann mich bloss wiederholen. Elena Stikhina ist eine Sängerin (und Darstellerin!), die man unbedingt im Auge behalten muss. Sie verfügt über ein beachtliches Stimmkaliber, kann mühelos über dem geballten Chor schweben (Pilgerszene), vermag mit La vergine degli angeli im eindringlichsten Bild des Abends mit einem Pianoklang zu Tränen zu rühren, der auch Steine erweichen könnte. Fulminant auch der Sopran-Hit der Oper im letzten Bild, die Arie Pace, pace mio Dio mit ihren auf- und abschwellenden Pace-Rufen und dem unter die Haut gehenden Maledizione am Schluss. Ihr nach antiquierter Blutrache dürstender Bruder Don Carlo wird von Vladislav Sulimsky mit kernigem Bariton gesungen. Seinen Gewissensbissen, seinem Schwanken zwischen geschworener Freundschaft und dem quasi mit der Muttermilch eingesaugten, überholten Ehrbegriff zur Verteidigung und Rache der Familienehre verleiht er in der Arie und der Cabaletta (Urna fatal ... è salvo) packenden, intensiven Ausdruck. Der Inka Sprössling und Mulatte Don Alvaro wird von Aquiles Machado gesungen. Sein Tenor verfügt über eine ausdrucksstarke Mittellage, wird allerdings unter Druck in der Höhe leicht instabil, bekommt ab und an einen leicht näselnden und vibratoreichen Charakter. Irgendwie hat man oft das Gefühl, dass es sich bei seinem Tenor um einen Rohdiamanten handelt, der nur noch etwas des Feinschliffes bedarf, um strahlen zu können. Nichtsdestotrotz vollbringt auch er eine beachtliche Leistung. Balsamisch, sonor und rund klingt der prachtvolle Bass von Evgeny Stavinsky als Padre Guardiano. Aufregend und mit sattem Mezzosopran aufwartend begeistert Anaïk Morel als Preziosilla, verführerische Wahrsagerin und aufwiegelnde, die Massen verblendende Kriegstreiberin. Grossartige Charakterstudien erleben wir von Andrew Murphy als Fra Melitone, der mit seiner grandios vorgetragenen Kapuzinerpredigt (Schillers WALLENSTEIN und Shakespeare lassen grüssen) und der bereits erwähnten Caritas-Szene aufrütteln will, und von Karl-Heinz Brandt, der es einmal mehr schafft, mit einer Nebenrolle (Trabuco) erwähnenswerte Akzente und Farbtupfer zu setzen. Auch Maren Favela setzt diese als die Vertraute Leonoras, Curra, im ersten Bild, ebenso wie Pavel Kudinov als Marchese di Calatrava.

Am Ende, wenn Leonora und ihr Bruder blutüberströmt auf der Bühne liegen, die Seele Leonoras in einer Art Erlösungsschluss gen Himmel schwebt, bricht Alvaro kurz in hysterisches Lachen aus: Auch dies eine vom Regisseur überaus genau beobachtete und hier eingeflochtene menschliche Reaktion auf ein Übermass an Tragik und eine kaum mehr auszuhaltende Häufung von Schicksalsschlägen. Da helfen weder Fatalismus noch der von Guardiano (als Sprecher von God's Lighthouse) gepredigte Sühnegedanke, welcher zum ewigen Frieden führe. Da hilft nur noch, sein Leben endlich in die eigene Hand zu nehmen, proaktiv zu reagieren, der MACHT DES SCHICKSALS und der Fremdbestimmung (Vater, Familie, Armee, Religion) zu entsagen.

Inhalt:

Der Marchese di Calatrava widersetzt sich einer Verbindung seiner Tochter mit dem Inkaspross Don Alvaro. Er überrascht die Liebenden bei ihrer geplanten Flucht. Alvaro will nicht kämpfen und wirft seine Pistole weg. Dabei löst sich ein tödlicher Schuss aus der Waffe, dem Leonoras Vater erliegt. Sterbend verflucht er Leonora. Der Bruder Leonoras, Don Carlo, schwört Rache an seiner Schwester und ihrem Mestizen-Liebhaber. Leonora und Alvaro fliehen und verlieren sich dabei aus den Augen.

In einem Gasthaus treffen wir auf den als Studenten verkleideten Don Carlo. Auch seine Schwester Leonora ist hier, als Mann verkleidet. Sie belauscht eine Unterhaltung Don Carlos und erfährt, dass ihr Geliebter Don Alvaro nicht - wie sie vermutet hatte - tot ist. Leonora macht sich davon, bevor sie entdeckt wird. Preziosilla, eine junge Zigeunerin, tritt auf und wirbt freiwillige für den Krieg in Norditalien an. Auch Don Carlo tritt dieser Freiwilligen Armee bei, da er jegliche Hoffnung aufgegeben hat, seine Schwester jemals wieder zu finden.

Unterdessen hat Leonora Zuflucht in einem Kloster gefunden. Sie will da als Einsiedlerin ihre Schuld büssen. Fra Melitone, der Pförtner, will sie zuerst nicht einlassen. Doch sie klärt den Prior Pater Guardiano über ihre wahre Identität auf. Sie verspricht, diese Einsiedelei nie mehr zu verlassen. Die Mönche schwören, dieses Geheimnis zu bewahren und jeden, der es breche, soll der Fluch des Himmels treffen.

Auch Don Alvaro hat sich aus Verzweiflung über die Trennung von Leonora als Soldat verdingt. Bei einem Angriff rettet er ausgerechnet Don Carlo das Leben – er ist sich nicht bewusst, dass es sich dabei um Leonoras Bruder handelt. Beide schwören sich ewige Freundschaft. In der Schlacht wird Alvaro verwundet. Er übergibt Don Carlo ein Päckchen mit Briefen, das dieser verbrennen solle. Dabei fällt ein Bild Leonoras aus dem Päckchen. Nun erkennt Don Calo die Identität seines Freundes – er fordert ihn nach dessen Genesung zum Duell. Sie werden von den Wachen jedoch getrennt und Alvaro, der immer friedliebend war, beschliesst ins Kloster zu gehen. Fra Melitone predigt auf dem Schlachtfeld über die Sünden der Menschen. Preziosilla stimmt den kriegerischen Rataplan-Chor an.

Vor dem Kloster streitet sich Fra Melitone mit den hungrigen Bettlern. Alvaro lebt unterdessen in diesem Kloster als Bruder Raffaele. Carlo stürmt bewaffnet ins Kloster und will Alvaro (Raffaele zum Kampf herausfordern. Doch dieser weigert sich. Daraufhin haut ihm Carlo eine runter. Nun kann sich auch Alvaro nicht mehr zurückhalten. Kämpfend nähern sich die beiden Leonoras Einsiedelei. Alvaro verwundet Carlo tödlich. Er klopft an die Tür von Leonoras Klause um einen priesterlichen Beistand für den sterbenden Carlo zu finden. Er kann seinen Augen nicht glauben, als er im Einsiedler Leonora erkennt. Sie beugt sich über den verletzten Bruder. Der nimmt seine letzte Kraft zusammen und ersticht seine Schwester. Schwer verletzt liegt sie in den Armen ihres Geliebten Alvaro. Pater Guardiano ist unterdessen auch herbeigeeilt. Alvaro verflucht die Macht des Schicksals, doch Guardiano und die sterbende Leonora versprechen ihm Gottes Vergebung. (In der Urfassung stürzt sich Alvaro von einem Felsen in den Tod.)

Werk:

LA FORZA DEL DESTINO steht am Übergang von Verdis erfolgreichen Opern aus der mittleren Schaffensperiode (RIGOLETTO, LA TRAVIATA, IL TROVATORE, UN BALLO IN MASCHERA) zu den reifen Spätwerken AIDA, OTELLO und FALSTAFF. Oft hat man sich über die „Zufälle“ und Ungereimtheiten des Librettos lustig gemacht, dabei beinhaltet es eine geradezu shakespearsch anmutende Konfrontation von tragischen, grotesken und komischen Elementen. Zudem beinhalten die Vorlage des spanischen Dichters und ihre Umsetzung durch Verdi nicht nur Anklänge an die Schauerromantik, sondern auch Strömungen anti-klerikaler und anti-legalistischer Art und unverhohlener Kritik an kriegerischer Art der Problemlösung. Die wechselnden Schauplätze (Schlafzimmer Leonoras, Wirtshaus, Schlachtfeld, Kloster) boten Verdi vielfältige Möglichkeiten zur kontrastreichen Zeichnung von individuellem Schicksal und grossflächigen Chor- und Volksszenen. Wichtige Themen wie Rassendiskriminierung, Standesdünkel, Blutfehde, Familienehre, Kriegslust und – elend stellen die Pfeiler dieser nur auf den ersten Blick abstrusen Oper dar. Zudem hat Verdi mit der Überarbeitung für die Aufführung in Mailand eine etwas abgemildetere Fassung erstellt, die sich schliesslich erfolgreich durchsetzte. Mit seinem berühmten trocken-schwarzen Humor sagte der Komponist nach einer Aufführung in Rom: „ Bei so vielen Mängeln und so vielen Absurditäten des Librettos ist es ein Wunder, dass nicht wenigstens der Impresario (der Römer Oper) davon getötet worden ist.“

Die Musik zu LA FORZA DEL DESTINO gehört zu Verdis effektvollsten Partituren und bietet den Solisten und dem Chor überaus dankbare Aufgaben.

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