Zürich: TURANDOT, 12.12.2015
Oper in drei Akten | Musik: Giacomo Puccini | Text: Giuseppe Adami, Renato Simoni (nach Carlo Gozzi) | Uraufführung: 25. April 1926 in Mailand | Aufführungen dieser Wiederaufnahme in Zürich: 12.12. | 15.12. | 19.12. | 22.12. | 26.12. | 30.12.2015
Kritik:
Optisch ist diese TURANDOT, welche Gancarlo del Monaco in der Ausstattung von Peter Sykora im Jahre 2006 für das Opernhaus Zürich inszeniert hatte, eine Wucht: Der monumentale Palast im eiskalten Jade-Look, die Anordnung des Chors wie in einem griechischen Amphitheater als amorphe Masse, welche ohne jegliche Individualisierung auskommt, sich auf wankelmütiges Kommentieren des Geschehens beschränkt, der (etwas plakativ) herausgearbeitete Kontrast zwischen der archaischen Gesellschaft Pekings mit den unbehausten „Eindringlingen“ Calaf, Liù und Timur. Damit evozierte das Inszenierungsteam eine interessante Art von Endzeitstimmung und umschiffte mit dem Ankommen der eisigen Prinzessin in der Neuzeit Calafs (und dem Gourmetdinner mit Calaf vor der modernen Skyline Shanghais) auch die Klippen des Librettobruchs, welcher in der Fragment gebliebenen Oper durch das Anfügen des hier gespielten und immer noch nicht restlos überzeugenden Alfano-Schlusses angelegt ist.
Diese Wiederaufnahme weist auf der Besetzungsliste einige Rollen- und Hausdebüts auf. Gespannt war man auf die Interpretation der Titelpartie durch Nina Stemme, welche am Opernhaus Zürich schon oft für Sternstunden gesorgt hatte (Isolde, Salome, Marschallin, Aida). Sie gestaltete die Auftrittsarie In questa reggia als packende Erzählung, glänzte mit einer stimmlichen Ausgeglichenheit in allen Lagen, wohl dosiertem Vibrato und vorsichtiger Attacke. Ab und an hatte man des Gefühl, dass sie sich ihrer Fähigkeiten und dem Ansprechen ihrer Stimme nicht ganz sicher sei und deshalb mit etwas wenig Legato sang, doch erwiesen sich die Befürchtungen als unnötig, die fulminanten, schneidenden Höhen waren alle da. Riccardo Massi als Calaf begann im ersten Akt relativ lyrisch, steigerte sich aber zu heldischem Format in der Rätselszene. Die Rätsel löste er mit augenzwinkernder Nonchalence am Laptop, liess sich auch durch einen Computerabsturz (inszeniert!) nicht aus der Ruhe bringen. Schade dass er sein schönes Material manchmal auch etwas nonchalant einsetzte und die Phrasen am Ende etwas zerbröseln liess, die Stimmstütze zu früh abbrach. Mit einer beeindruckend lang gehaltenen Fermate sang er seinen Hit Nessun dorma im dritten Akt. Einen grossen Erfolg beim Publikum ersang sich Alexandra Tarniceru mit ihrem Rollendebüt als Liù. Frau Tarniceru besitzt eine natürlich und frei schwingende, wunderbar leicht ansprechende, kräftige Stimme, kann die berührenden Phrasen in ihren beiden Arien aber auch in betörendem und doch sattem Piano verklingen lassen ohne die Leuchtkraft zu verlieren. Ihre Einwürfe zwischendurch könnte man sich auch mit etwas weniger Druck gesungen vorstellen, doch dieser marginale Einwand liegt vielleicht in der Nervosität vor dem Debüt begründet. Grossartig war Wenwei Zhang als Timur: Welch resonanzreicher, wunderbar sicher geführter und mit herrlichem Timbre ausgestatteter Bass. Die wichtigen Szenen der drei Minister Ping, Pang und Pong waren bei Ivan Thirion, Dmitry Ivanchey und Pavel Petrov sehr zufriedenstellend aufgehoben, sie agierten ohne zu chargieren mit grosser Musikalität. Martin Zysset wirkte bei seinem Auftritt als Kaiser Altoum schon beinahe „päpstlich“.
Mit imposanter Klangfülle sang der riesige Chor (Chor der Oper Zürich, Chorzuzüger, Zusatzchor, SoprAlti, Kinderchor, Einstudierung: Jürg Hämmerli). Noch nicht ganz überzeugend gelang die Koordination mit den teils eher breiten, fahrigen Tempi durch Alexander Joel am Pult der Philharmonia Zürich. Zwar reizte der Dirigent die in die Moderne weisende Partitur mit ihren Dissonanzen und klanglichen Reibungen durchaus interessant aus, doch fehlte an diesem Abend noch die Rundung des Klangs, der atmende Bogen, so dass vieles etwas patchworkartig wirkte. Grosser, aber nicht übermässig lang anhaltender Applaus, mit standing ovation im Parkett.
Inhalt:
Die eiskalte Prinzessin Turandot wird den ersten fürstlichen Brautwerber ehelichen, dem es gelingt, ihre drei Rätsel zu lösen. Falls er versagt, wird er geköpft. Den Prinzen von Persien zum Beispiel ereilt dieses Schicksal, zur freudig-grausigen Erregung des Volkes. Ein flüchtiger Tatarenkönig, Timur, befindet sich zusammen mit seiner Sklavin Liù auf dem Platz. Als Timur stürzt, kommt ihm ausgerechnet sein verloren geglaubter Sohn Calaf zu Hilfe. Turandot bekräftigt die Hinrichtung des Prinzen von Persien, obwohl das wankelmütige Volk sie um Mitleid angefleht hatte. Calaf ist fasziniert von dieser Frau und schlägt den Gong zum Zeichen seines Anspruchs der nächste Werber sein zu dürfen. Liù offenbart Calaf ihre Gefühle für ihn.
Die Minister Ping, Pang und Pong sinnieren über ein sorgenfreies Leben fern vom Hof, doch müssen erkennen, dass sie wohl nicht von der grausamen Prinzessin loskommen werden. Die Stunde des Quizes naht: Calaf löst die drei Rätsel, die Prinzessin ist entsetzt und bittet den Kaiser darum, sie nicht dem Fremden auszuliefern. Calaf bietet ihr einen Ausweg an: Wenn sie bis zum Morgengrauen seinen Namen herausfinden kann, wird sie über sein Leben bestimmen.
In dieser Nacht darf keiner schlafen. Sämtliche Späher sind ausgeschickt. Timur und Liù werden gefangen genommen. Da Liù befürchtet, der angedrohten Folterung nicht standzuhalten, ersticht sie sich. (Hier endete Puccinis Komposition, aufgrund seiner Erkrankung konnte er die Oper nicht fertigstellen.)
Calaf küsst Turandot und bricht so ihren Widerstand. Er teilt ihr seinen Namen mit und liefert sich damit der Prinzessin aus. Vor dem Kaiser verkündet Turandot den Namen des Prinzen: LIEBE. Unter dem Jubel des Volkes werden die beiden ein Paar.
Werk:
TURANDOT ist Puccinis letzte Oper. Noch während der Komposition verstarb er an Kehlkopfkrebs. Der Dirigent der Uraufführung, Arturo Toscanini, gab Puccinis Schüler Alfano den Auftrag, das Werk zu vollenden. Die Uraufführung beendete Toscanini allerdings noch mit den letzten Takten, die Puccini selbst komponiert hatte, also dem Tode Liùs. Erst in den nachfolgenden Aufführungen wurde das Werk mit dem Alfano-Finale aufgeführt. 2002 schuf der Komponist Luciano Berio einen neuen Schluss, in welchem das Happyend in Frage gestellt wurde. TURANDOT gehört heute zu den beliebtesten Werken Puccinis, nicht zuletzt wegen der Tenorarie Nessun dorma. Die Titelpartie verlangt vor allem in der Auftrittsarie (In questa reggia) und der darauffolgenden Rätselszene eine hochdramatische Stimme mit schneidender Durchschlagskraft vom Kaliber z.B. einer Birgit Nilsson, welche aber auch die expressiven Kantilenen mit grosser Empfindsamkeit bewältigen muss. Als Gegenpol zur eiskalten Prinzessin fügte Puccini die warmherzige Figur der Liù ein, welche mit ihren beiden Arien (Signore alscolta und Tu che di gel sei cinta) über wahre Perlen des lyrischen Sopranrepertoires verfügt.