Berlin, Deutsche Oper: TURANDOT, 24.11.2015
Oper in drei Akten | Musik: Giacomo Puccini | Text: Giuseppe Adami, Renato Simoni (nach Carlo Gozzi) | Uraufführung: 25. April 1926 in Mailand | Aufführungen dieser Wiederaufnahme in Berlin: 24.11. | 27.11.2015
Kritik:
Die Produktion von Puccinis TURANDOT an der Deutschen Oper Berlin stammt aus dem Jahr 2008. Das Publikum kann sich dabei nicht entspannt zurücklehnen und in exotisch üppigen Chinoiserien schwelgen, sondern wird konfrontiert mit einer unentrinnbaren Atmosphäre und Spirale der Gewalt. Der Regisseur Lorenzo Fioroni zeigt uns die Handlung parabelhaft in einer nicht näher bestimmten Gegenwart eines totalitären Regimes. Die Bühne von Paul Zoller ist nüchtern gehalten: Wir befinden uns in einer Art „Palast der Republik“ mit nummerierten Stühlen für das Volk, Suchscheinwerfern, Videoüberwachung. In der Rückwand sieht man die Loge für die Repräsentanten des Regimes, des Politbüros, auf der Vorbühne wird das Volk mit den Staatsschauspielern Ping, Pang und Pong unterhalten, hier wird auch die brutale Rätselszene verhandelt, am einfachen weißen Klapptisch. Sehr gelungen ist die Kostümdramaturgie von Katharina Gault: Das Volk tritt in Straßenkleidern auf, die Schergen des Regimes in Hemden und Krawatten, welche an faschistische Regimes des 20. Jahrhunderts erinnern. Der gestürzte Timur kommt als Obdachloser daher, im langen, schäbig-fleckigen Mantel, mit Plastiktüte und Schnapsflasche. Auf dem Rücken von Liùs Combat-Jacke prangt eine Engelsflügel-Stickerei. Turandot selbst trägt ein ziemlich kalt wirkendes, elegantes Abendkleid. Zu Beginn des dritten Aktes fällt die Rückwand um, gibt den Blick frei auf das billige Gerüst, auf welchem die Macht fußte. Und doch werden Turandot und Calaf sich genau dieser Instrumente wieder bedienen, die Spirale der Gewalt wird sich auch unter ihrer gemeinsamen Herrschaft weiter drehen – hier sind nicht zwei Liebende, die sich gefunden haben, sondern zwei Menschen, die eine Zweckgemeinschaft eingehen, um Macht zu erlangen, Lady und Macbeth lassen grüßen: Anstelle eines lieto fine also Mord an den Vätern, Turandot ersticht Altoum, Calaf Timur. Und während des ganzen dritten Aktes baumelt Liùs Körper am Galgen, ihre engelsgleiche Opferbereitschaft durch ihren Suizid erwies sich als nutzlos. Ja, ich persönlich mag diese stringente Auslegung des Stoffes. Sie zeigt auch die Problematik, mit der Puccini gerungen und die mit ein Grund war, weshalb er das Werk nicht vollendet hatte, über die Komposition des Todes von Liù nicht hinausgekommen war. Der von Franco Alfano auf Wunsch Ricordis hinzukomponierte Schluss mag einfach dramaturgisch nicht restlos zu überzeugen.
Musikalisch war der gestrige Abend die Stunde der Soprane: Catherine Foster sang eine phänomenale eisige Prinzessin, ja sie sang und brüllte nicht! Die Reinheit der Intonation, die Mühe- und Bruchlosigkeit in der stimmlichen Gestaltung, das glasklare, vibratoarme Timbre perfekt passend für diese hochdramatische Rolle. Ihr ebenbürtig die Liù von Martina Welschenbach: Glockenrein, leuchtend, großartig phrasierend, mit traumhaftem morendo am Ende der Phrasen. Roy Cornelius Smith sang den Calaf: Ausgezeichnet gelang ihm die Rätselszene im zweiten Akt, etwas gaumig und in der Artikulation verquollen (vor allem in der Mittellage) klang er im ersten Akt. Das Nessun dorma im dritten Akt wurde gestört durch einen unorganisch laut gesungenen Spitzenton. Ansonsten eine solide Leistung. Sehr gut Albert Pesendorfer als Timur, welcher seinen gewaltigen Bassbariton mit differenzierter Weichheit einzusetzen wusste. Herrlich in Spiel und Harmonie des Gesangs die drei bitterbösen Commedia dell’arte Figuren Ping (Michael Adams), Pang (Jörg Schörner) und Pong (Matthew Newlin), welche auch die bei anderen Aufführungen als zu lang empfundenen Szenen der drei Minister kurzweilig und interessant erscheinen ließen. Immer wieder beeindruckend der unverwüstliche Peter Maus als Altoum.
Der Abend stand unter der Leitung von Alexander Verdernikov, welcher mit dem Orchester der Deutschen Oper Berlin Puccinis farbenreicher Partitur nichts an pentatonischer Exotik und Italianità schuldig blieb. Mit herausragender Präsenz und Kraft sang einmal mehr der fabelhafte Chor der Deutschen Oper (Einstudierung: William Spaulding).
Inhalt:
Die eiskalte Prinzessin Turandot wird den ersten fürstlichen Brautwerber ehelichen, dem es gelingt, ihre drei Rätsel zu lösen. Falls er versagt, wird er geköpft. Den Prinzen von Persien zum Beispiel ereilt dieses Schicksal, zur freudig-grausigen Erregung des Volkes. Ein flüchtiger Tatarenkönig, Timur, befindet sich zusammen mit seiner Sklavin Liù auf dem Platz. Als Timur stürzt, kommt ihm ausgerechnet sein verloren geglaubter Sohn Calaf zu Hilfe. Turandot bekräftigt die Hinrichtung des Prinzen von Persien, obwohl das wankelmütige Volk sie um Mitleid angefleht hatte. Calaf ist fasziniert von dieser Frau und schlägt den Gong zum Zeichen seines Anspruchs der nächste Werber sein zu dürfen. Liù offenbart Calaf ihre Gefühle für ihn.
Die Minister Ping, Pang und Pong sinnieren über ein sorgenfreies Leben fern vom Hof, doch müssen erkennen, dass sie wohl nicht von der grausamen Prinzessin loskommen werden. Die Stunde des Quizes naht: Calaf löst die drei Rätsel, die Prinzessin ist entsetzt und bittet den Kaiser darum, sie nicht dem Fremden auszuliefern. Calaf bietet ihr einen Ausweg an: Wenn sie bis zum Morgengrauen seinen Namen herausfinden kann, wird sie über sein Leben bestimmen.
In dieser Nacht darf keiner schlafen. Sämtliche Späher sind ausgeschickt. Timur und Liù werden gefangen genommen. Da Liù befürchtet, der angedrohten Folterung nicht standzuhalten, ersticht sie sich. (Hier endete Puccinis Komposition, aufgrund seiner Erkrankung konnte er die Oper nicht fertigstellen.)
Calaf küsst Turandot und bricht so ihren Widerstand. Er teilt ihr seinen Namen mit und liefert sich damit der Prinzessin aus. Vor dem Kaiser verkündet Turandot den Namen des Prinzen: LIEBE. Unter dem Jubel des Volkes werden die beiden ein Paar.
Werk:
TURANDOT ist Puccinis letzte Oper. Noch während der Komposition verstarb er an Kehlkopfkrebs. Der Dirigent der Uraufführung, Arturo Toscanini, gab Puccinis Schüler Alfano den Auftrag, das Werk zu vollenden. Die Uraufführung beendete Toscanini allerdings noch mit den letzten Takten, die Puccini selbst komponiert hatte, also dem Tode Liùs. Erst in den nachfolgenden Aufführungen wurde das Werk mit dem Alfano-Finale aufgeführt. 2002 schuf der Komponist Luciano Berio einen neuen Schluss, in welchem das Happyend in Frage gestellt wurde. TURANDOT gehört heute zu den beliebtesten Werken Puccinis, nicht zuletzt wegen der Tenorarie Nessun dorma. Die Titelpartie verlangt vor allem in der Auftrittsarie (In questa reggia) und der darauffolgenden Rätselszene eine hochdramatische Stimme mit schneidender Durchschlagskraft vom Kaliber z.B. einer Birgit Nilsson, welche aber auch die expressiven Kantilenen mit grosser Empfindsamkeit bewältigen muss. Als Gegenpol zur eiskalten Prinzessin fügte Puccini die warmherzige Figur der Liù ein, welche mit ihren beiden Arien (Signore alscolta und Tu che di gel sei cinta) über wahre Perlen des lyrischen Sopranrepertoires verfügt.