Zürich: TRISTAN UND ISOLDE, 29.06.2022
Handlung in drei Aufzügen | Musik: Richard Wagner | Text : vom Komponisten, nach Gottfried von Strassburg Uraufführung: 10. Juni 1865, Nationaltheater, München | Aufführungen in Zürich (Wiederaufnahme): 26.6. | 29.6. | 2.7. | 6.7. | 9.7.2022
Kritik:
DIE PHILHARMONIA ZÜRICH UND DER GMD
Das Fundament, auf dem eine fesselnde Aufführung einer Wagner-Oper steht (insbesondere des TRISTAN, ist zweifelsohne das Orchester. Gestern Abend hatte die Philharmonia Zürich unter der Leitung des GMD Gianandrea Noseda einen grossen, ja überwältigenden Abend. Die musikalische Keimzelle von TRISTAN UND ISOLDE stellt das Vorspiel zum ersten Aufzug dar, mit dem berühmten "Tristan-Akkord", diesem unaufgelösten Aufeinanderprallen des Leidens- und des Sehnsuchtsmotivs. Unter der Stabführung von Gianandrea Noseda war dieses Vorspiel (oder diese "Einleitung", wie Wagner es nannte) von exemplarischer Klarheit geprägt, die Philharmonia Zürich intonierte mit einer hoschklassigen Transparenz und blitzsauberer Intonation an allen Pulten. Die Generalpausen zu Beginn waren dermassen spannungsgeladen, dass man es kaum aushielt. Das fieberhafte Crescendo, dass diese Einleitung durchzieht, stimmte hervorragend auf das Hauptthema von Wagners "Handlung" ein: Schmerz, Begehren, Liebeslust und Leid. Noseda und die Philharmonia Zürich setzten uns einem sehrenden, soghaften Rausch aus, einem Strudel, aus dem es kein Entrinnen gab. Fantastisch! Das Vorspiel II brachte die Ungelduld des Wartens, die Vorfreude des Begehrens hervorragend zur Geltung, mit manchmal schon beinahe sarkastischen Akzenten. Wunderbar intonierten die Bläser die verklingende Jagdgesellschaft. In der Einleitung zum dritten Akt evozierten Noseda und das Orchester die schwere Düsternis des Wartens und und der Hoffnungslosigkeit mit kammermusikalischer Durchhörbarkeit. Den Sänger*innen war Noseda eine ausgezeichnete Stütze, da er die mögliche Dynamik zwar voll auskostete (starke Stimmen machten das problemlos möglich), aber die Ausführenden auf der Bühne nie zudeckte. somit kam es in keinem Augenblick zu unschönem (stimmschädigendem) Forcieren.
DIE ROLLENDEBÜTANTIN UND IHR TRISTAN
Die sächsische und Wiener Kammersängerin Camilla Nylund hat bereits viele Wagner- und Straussrollen in ihrem Repertoire. Nun wendet sie sich langsam und klug den hochdramatischen Partien der Isolde und der Brünnhilde zu. An den Bayreuther Festspielen begeisterte sie bereits als Elsa (Lohengrin), Elisabeth (Tannhäuser), Sieglinde (Walküre) und Eva (Meistersinger). Auch die Senta (Holländer) gehört zu ihrem Repertoire. In den kommenden beiden Spielzeiten wird sie in Zürich als Brünnhilde in WALKÜRE, SIEGFRIED und GÖTTERDÄMMERUNG debütieren. Am vergangenen Sonntag sang sie hier im Opernhaus erstmals die Isolde, gestern nun die zweite Vorstellung. Frau Nylund eroberte das Haus im Sturm. Ausgehend von ihrer sicheren Mittellage erreichte sie mühelos und rein leuchtend die hohen Hs und Cs. Ihre Diktion war von herausragender Deutlichkeit geprägt (die wenigen textlichen Abweichungen sieht man ihr angesichts von Wagners verschwurbelten Textfluten gerne nach; wenn nicht Übertitel da wären, hätte man sie kaum bemerkt). Wenn eine Sängerin mit meiner Lieblingsphrase der Isolde ( ... dass hell sie dorten leuchte, 2. Aufzug) meine Nackenhaare aufzurichten vermag, hat sie schon gewonnen. Camilla Nylund verfügte über diese Leuchtkraft. Wunderbar berührend intonierte sie ihren Schlussmonolog Mild und leise, wie er lächelt, entrückt, aber doch sich im herrlichen Crescendo zum Gänsehautmoment aufschwingend. Brava!
Für das ekstatisch ausladende (und zu Beginn auch arg geschwätzige ...) Liebesduett im zweiten Aufzug hatte Camilla Nylund einen stimmlich gleichwertigen, exzellenten Partner: Michael Weinius. Der schwedische Tenor, der zu Beginn seiner Karriere noch als Bariton sang, unterdessen aber längst als Heldentenor Triumphe feiert (man lese meine Begeisterung über seinen Siegfried im Genfer RING 2019!) verfügt über eine Stimme, die anscheinend ohne jegliche Kraftanstrengung mit bestechender Sicherheit strömt. Nach dem anstrengenden zweiten Akt hat Tristan ja im dritten Akt noch seine gewaltigen Ausbrüche in den ausladenden Fieberfantasien zu bewältigen. Für Weinius kein Problem, das lodert und glüht nur so vor lang und sicher gehaltenen Tönen und durch Mark und Bein gehenden Phrasen. Eine Intensität der Erregung sondergleichen, die ihm kaum einer nachmacht.
BEKANNTE UND NEUE STIMMEN
Es ist nicht selbstverständlich, dass eine Sängerin und ein Sänger 14 Jahre nach der Premiere dieser Produktion erneut für ihre Partien zur Verfügung stehen. Mit der grossartigen Michelle Breedt als Brangäne und dem überragenden Martin Gantner als Kurwenal ist dies bei dieser Wiederaufnahme 2022 der Fall. Michelle Breedt (in dieser Inszenierung als alter ego Isoldes agierend) sang eine Brangäne von reifer Kraft, präzise und bestechend in den Auseinandersetzungen mit Isolde und Kurwenal und Tristan im ersten und eindringlich das Liebesduett bereichernd mit ihrem Einsam wachend im zweiten Aufzug. Martin Gantner ist wohl DER Kurwenal unserer Tage. Stimmlich besser und darstellerisch eindringlicher interpretiert kann man sich die Rolle kaum vorstellen. Am Ende der Oper nähern sich Brangäne und König Marke zögerlich an, die Hände berühren sich, bevor das Licht erlischt. König Marke wurde mit kraftvollen, profunden, beinahe orgelnden Tönen von Franz Josef Selig interpretiert, der mit seinem Mir dies? Dies, Tristan, mir? bewegenden Eindruck machte. Einen markanten Auftritt als "falscher" Freund Tristans hatte Todd Boyce als Melot im zweiten und kurz im dritten Akt. Gerne würde man den Bariton öfter in Zürich erleben dürfen. Thomas Erlank liess seinen schön timbrierten, sicher geführten Tenor aus dem Off als Seemann erklingen und machte im dritten Akt als Hirt eine gute Figur. Aber warum klaute er dem sterbenden Tristan das Taschentuch aus der Brusttasche? War der "Penner" auf Devotionalien aus? Andrew Moore war der Steuermann (leider hat ihm Wagner nur einen ultrakurzen Einwurf komponiert) und der Männerchor der Oper Zürich hiess am Ende des ersten Aufzugs König Marke stimmgewaltig willkommen.
DIE INSZENIERUNG
In meinen Rezensionen von 2008 und 2010 lobte ich die Inszenierung von Claus Guth in der Ausstattung von Christian Schmidt in den höchsten Tönen. Vor allem der dritte Aufzug mit dem vollkommen abgetörnten, im Alkoho Zuflucht suchenden und mit Zwangshandlungen seine Depressivität ausdrückenden Kurwenal hat immer noch was für sich. Auch die Lichtgestaltung durch Jürgen Hoffmann führt nach wie vor zu bezwingenden, genialen Effekten. Allerdings sind auch szenische Einfälle zu sehen, die eher ungeschickt wirken. Die Liebesszene im zweiten Aufzug auf dem langen Tisch ist nicht nur für die beiden Protagonisten optisch unvorteilhaft, sie wirkt "clumsy" (das englische Wort umschreibt den Eindruck am besten). Es ist schön, dass sich diese Arbeit so lange im Repertoire halten konnte, da anzunehmen ist, dass dies die letzte Wiederaufnahme gewesen sein wird. Das ist dann auch gut so. Was damals noch Begeisterung auslöste, die Verlagerung der Handlung nach innen, in Seelenräume und ins Treibhaus (der Villa Wesendonck), hatte ihre Meriten. Unterdessen aber haben wir im Übermass ausweglose, sich permanent drehende Räume gesehen (wie gerade kürzlich im RHEINGOLD, Bühne ebenfalls von Christian Schmidt), so dass nun Wagners Ruf ertönen soll: Kinder, schafft Neues!
Inhalt:
Vorgeschichte:
Tristan tötet im Befreiungskampf um Cornwall den Iren Morold und schickt seinen Kopf dessen Verlobter Isolde nach Irland. Auch er selbst wird im Kampf schwer verwundet und lässt sich von der in heilenden Künsten bewanderten Isolde behandeln. Diese erkennt in ihm jedoch den Mörder ihres Verlobten, vermag es aber nicht, ihn zu töten. Tristan kommt erneut nach Irland und nimmt Isolde als Friedenspfand für seinen König (Marke) mit.
Oper:
Auf dem Schiff überhäuft Isolde Tristan mit bitteren Vorwürfen. Sie weigert sich an Land zu gehen, wenn Tristan nicht mit ihr den Sühnetrunk zu sich nehmen werde. Isoldes Vertraute, Brangäne hat jedoch den Todestrunk mit dem Liebestrank vertauscht. Tristan und Isolde gestehen einander ihre Liebe.
Isolde, unterdessen König Markes Gemahlin, erwartet Tristan voller Ungelduld im Garten. Die beiden Liebenden vereinigen sich in einem ekstatischen Rausch und hören nicht auf Brangänes Warnrufe. Von Melot, einem alten Kampfgefährten Tristans, herbeigrufen, erscheint Marke, der sich bitter enttäuscht zeigt über den vermeintlichen Treuebruch seines Helden Tristan. Mit einem letzten Kuss für Isolde provoziert Tristan Melot. Dieser verwundet ihn schwer.
Tristan wird von seinem Getreuen Kurwenal auf die Burg seiner Väter gebracht. In Fieberfantasien sehnt er seine Heilerin und Erlöserin Isolde herbei. Kurwenal hat nach Isolde geschickt, ihr Schiff legt endlich an, doch zu spät. In Isoldes Armen stirbt Tristan. In einem zweiten Schiff erreichen auch König Marke, Melot und Brangäne die Burg. Kurwenal erschlägt Melot, wird aber selbst auch tödlich verwundet. Marke, nun von Brangäne über die Zusammenhänge aufgeklärt, beklagt die Toten.
Isolde sinkt in visionärem Wahn über Tristans Leiche: „Ertrinken, versinken, unbewusst – höchste Lust!“ lauten ihre letzten Worte.
Werk:
Fünf Jahre dauerte es nach der Fertigstellung der Komposition bis zur Uraufführung in München. Wien brach die Produktion nach 77 Proben ab, das Werk galt als unspielbar. Die immensen Anforderungen, welche an die beiden Interpreten der Titelpartien gestellt werden, erfordern Sänger allergrössten Formats.
Wagner hat in seinem wohl schönsten Werk private Konflikte (seine Beziehung zur Frau seines Mäzens Wesendonck) verarbeitet und auf wunderbare Weise sublimiert. Ausgehend vom berühmtesten Akkord der Musikgeschichte, dem Tristan-Akkord F-H-Dis-Gis entwickelt er eine Musik voller Trugschlüsse, chromatischen Wendungen, raffinierten Übergängen, angepeilten und doch nie erreichten Auflösungen, welche ein wahrhaftes Versinken in der Musik ermöglichen. Diese unendliche Melodie voll aufgebauter Spannung, die sich selten löst, übt auf das Ohr eine ungeheure Sogwirkung mit Suchtpotential aus.
Höhepunkte:
Vorspiel mit Tristan Akkord
O sink hernieder, Nacht der Liebe, grosse Szene Isolde-Tristan, Aufzug II
Mild und leise, wie er lächelt, Schlussszene der Isolde, Aufzug III
Von mir besuchte Vorstellungen im Opernhaus Zürich:
14.6.1972: Dirigent: Ferdinand Leitner, Inszenierung: Hans Peter Lehmann, Isolde: Ingrid Bjoner, Tristan: Jess Thomas
15.6.1980 Heinz Fricke/ Claus Helmut Drese, I: Hildegard Behrens, T. René Kollo,Brangäne: Glenys Linos, Kurwenal: Jozsef Dene, Marke: Matti Salminen
28.6.1980 wie oben, Tristan: Wolfgan Neumann, Kurwenal: Kiener, Marke: Harald Stamm
4.4.1981 wie oben, D. Ferdinand Leitner, I: Janis Martin, Marke: Thomaschek
21.12.1997 Franz Welser-Möst/Werner Düggelin, I. Gabriele Schnaut, T. Heikki Siukola, B: Cornelia Kallisch, K: Alfred Muff, Marke: Matti Salminen
11.9.99 wie oben, Tristan: Gösta Winbergh
10.12.2008 Ingo Metzmacher/Claus Guth, I: Nina Stemme, T: Ian Storey,B: Michelle Breedt, K: Martin Gantner, M: Alfred Muff, Seemann: Javier Camarena
5.10.2010 wie oben, Dirigent: Bernhard Haitink, I: Barbara Schneider - Hofstetter, T: Peter Seiffert, Marke: Matti Salminen