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Stuttgart: TRISTAN UND ISOLDE, 09.07.2016

Erstellt von Kaspar Sannemann | | Tristan und Isolde

copyright: A. T. Schaefer, mit freundlicher Genehmigung Oper Stuttgart

Handlung in drei Aufzügen | Musik: Richard Wagner | Text : vom Komponisten, nach Gottfried von Strassburg | Uraufführung: 10. Juni 1865, Nationaltheater, München | Aufführungen in Stuttgart: 9.7.2016

Kritik: 

Wie verhält sich ein Liebespaar, wenn es dem totalen Überwachungsstaat ausgeliefert wird? Eine solche Versuchanordnung haben sich Regisseur Jossi Wieler und sein Chefdramaturg Sergio Morabito ausgedacht, um dem hehren Stoff seine romantische Schwere, seine in der Rezeptionsgeschichte zu beobachtende „szenische Schockstarre“ (wie Morabito im Programmheft schreibt) zu nehmen. Auf dem Zwischenvorhahng sieht man Julian Benthams Entwurf des Panopticons von 1791, dieser runde Gefängnisbau mit seinem Turm im Innenhof, von dem aus alle Zellen beobachtet werden können, ohne dass die Beobachteten ihre Wächter erkennen.

Nun, um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Tristan und Isolde haben die Versuchanordnung erkannt und machen sich anscheinend über weite Strecken eine Gaudi daraus, die Wächter an der Nase herumzuführen. Sie gebärden sich kindisch auf den Spielplätzen, die ihnen zur Verfügung stehen. Diese sind, wie von Wagner vorgeschrieben, ein Schiff auf stürmischer See im ersten Akt, eine Parklandschaft im zweiten und der Innenhof der Festung Kareol (mit dem Schiffswrack des ersten Aktes in der Mitte) im dritten Akt. Der vor einem Jahr verstorbene Bühnenbildner Bert Neumann hatte für diese Inszenierung aus dem Jahr 2014 die Szenerie comicartig verfremdet, während im ersten Akt das Schiff bedrohlich auf den Wellen tanzt wie in einer Barockoper, gleicht der Park im zweiten Akt einer popigen Fantasyillustration, mit im Mondschein glitzernden Blättergirlanden vor blutrotem Hintergrund. Dieser blutrote Vorhang wird dann heruntergerissen (Super Effekt), wenn sich die Wächter (König Marke, Morold) nähern und das Liebesspiel ein Ende hat. Hinter dem Vorhang gleisst plötzlich brutales, eiskaltes Licht durch die Lamellen, erhellt die Szenerie und blendet die Zuschauer während der nächsten Stunde (dazwischen gibt es noch eine Pause) äusserst schmerzhaft. Denn das Licht bleibt auch zu Beginn des dritten Aktes da, erst mit Tristans Aushauchen seines Lebens schliessen sich die Lamellan allmählich und man kann wieder schmerzfrei auf die Bühne sehen. Auch die Kostüme (Nina von Mechow) zeigen einen bunten Mix: Im ersten Akt sind Isolde und Brangäne als Magierinnen verkeleidet, mit viel buntem und hässlichem Silbertand, Tristan ähnelt ein bisschen dem jungen Wagner, im zweiten Akt erwartet Isolde ihren Geliebten im luftigen romantischen Nachtgewande, Brangäne ist biedermeierlich streng gekleidet, was zu ihren „Habet Acht“ Rufen passt. Überaus hässlich ist Tristans Outfit für den dritten Akt: Zu einer schwarzen Anzugshose mit Schlag trägt er einen kurzen bordeaux farbenen Morgenrock. Isolde kommt im roten Hosenanzug und Brangäne ist oben biedere Sekretärin und unten wieder Zigeunerin. Weder Tristan noch Isolde habe sich in der Pause das Gesicht gewaschen - noch immer sind alle beide beschmiert mit den Tarnfarben, welche Isolde ihnen im zweiten Akt aufgemalt hat. Ganz schlau wird man aus der Kostümdramaturgie nicht, ebensowenig erschloss sich mir das im wörtlichen Sinne affige gestische Verhalten. So gebärdet sich Tristan im Liebesduett des zweiten Aktes wie ein Riesengorilla, King Kong oder was? Und Isolde ist dann seine Dwan? Der auch im wortwörtlichen Sinne Tristan hündisch ergebene Kurwenal darf im dritten Akt seine Wehrhaftigkeit für seinen Herrn mit einigen Jiu Jitsu Bewegungen untermalen und manchmal wie ein aufgescheuchter Vogel über die Bühne flattern, Tristan muss zu Isoldes finalem Gesang wie ein Zombie auferstehen und seine Qi Gong Übungen absolvieren. Ach ja, Isolde setzt sich zu Beginn und am Ende des Mittelaktes auch noch ans Spinnrad wie weiland Gretchen oder die unglückliche Müllerstochter in Rumpelstilzchen. Nicht immer vermag man den Intentionen des Regisseurs zu folgen, viele Fragen und Brüche bleiben. Alles wohl ganz im Sinne von Brechts Aufruf ans Theaterpublikum: „Glotzt nicht so romantisch!“ Aber - und das muss ich dem Inszenierungsteam zugestehen - langfädig wurde es nie, viele Aktionen waren dann auch wieder erstaunlich genau auf den Punkt gebracht. Zum Beispiel wenn sich Isolde im ersten Akt übergeben muss, wenn sie Tristans Gesäusel nicht mehr länger ertragen kann (und nicht nur weil das Schiff so bedrohlich auf den Wellen schwankt). Auch die Symbolkraft des Schiffswracks für die gescheiterte Anordnung des Liebesversuchs ist klug gewählt. Aber warum bleibt Isolde oben auf dem Wrack stehen und eilt nicht zu ihrem Geliebten? Im Verlauf des Abends distanziert man sich als Zuschauer emotional zusehends von Wagners Handlung und konzentriert sich auf die Musik. Mit Gewinn: Vor allem der erste Akt ist eine musikalische Offenbarung. Sylvain Cambreling und das Staatsorchester Stuttgart erschliessen schon im Vorspiel die ekstatische Leuchtkraft von Wagners wunderbarem, soghaftem Klangkosmos. Das Staatsorchester setzt sich immer wieder mit der sinfonischen Kraft der Komposition prominent in Szene, doch der Dirigent deckt die Gesangsstimmen nie zu, weiss die Dynamik intelligent zu disponieren. Fantastisch die Streicher, welche mit überirdischem Schmelz spielen, zupackend und mitreissend das Blech, filigran die Holzbläser (natürlich vor allem im dritten Akt, für diese Leistung wurden die beiden Musiker zu Recht zum Schlussapplaus auf die Bühne geholt). Die Szene Isolde-Brangäne ist von einer grandiosen Intensität geprägt, die beiden Sängerinnen Rachel Nicholls (Isolde) und Katarina Karnéus (Brangäne) durchdringen den Text mit einer sagenhaften Eindringlichkeit. Rachel Nicholls brilliert mit ungefährdeten, fulminanten Spitzentönen und geheimnisvoller Tiefe, setzt ihr üppiges Volumen auch im zweiten Akt effektvoll ein („... dass hell sie dorten leuchte“). Für den Schlussgesang verfügt sie zwar über die notwendige Kraft, öffnet die Resonanzräume aber manchmal etwas zu schnell und zu stark, so dass die Töne einen leichten Zug ins Schrille, Hässliche bekommen, was dem „Mild und leise“ viel von seinem entrückten Zauber nimmt. Insgesamt aber interpretiert Rachel Nicholls eine hervorragende irische Maid. Katerina Karnéus gestaltet eine warmstimmige Brangäne, wunderschön intonierend im „Einsam wachend“ des zweiten Aktes. Der Tristan von Erin Caves klingt herrlich sexy und jungenhaft hochnäsig im ersten Akt, innig, fast liedhaft in der grossen Liebesszene des zweiten Aktes, fiebrig sich in brennenden Wahn steigernd im dritten Akt, ohne Rücksicht auf Verluste stürzt er sich in den uferlosen Monolog – und verliert am Ende leider total die Stimme. Die verbleibenden Takte sind für ihn, den sterbenden Tristan, wohl nur noch eine einzige Qual, und die Zuschauer leiden mit. Gerade hatte ich in mein Notizbuch geschrieben, dass ich ein solch hochkarätiges stimmliches Feuer noch selten live gehört hätte, da verglühte es vorzeitig. Eine Extraklasse an Durchschlagskraft und baritonalem Wohllaut gepaart mit exzellenter Ditktion offenbart der Japaner Shigeo Ishino als Kurwenal. Wunderbar!!! Liang Li durchdringt die lange Klage von König Marke mit sonorer Eindringlichkeit, fantastischer Präsenz und bewegender Tiefe. Aufhorchen liess die wunderbar sauber geführte Stimme von Daniel Kluge als Stimme eines jungen Seemanns. Sehr gut auch Ashley David Prewett als Melot und Torsten Hofmann als Hirte.

Fazit: Musikalisch über weite Strecken ganz wunderbar, szenisch doch einige Fragen aufwerfend. Persönlich glotze ich manchmal ganz gerne ein wenig romantisch ... .

Inhalt:
Vorgeschichte:
Tristan tötet im Befreiungskampf um Cornwall den Iren Morold und schickt seinen Kopf dessen Verlobter Isolde nach Irland. Auch er selbst wird im Kampf schwer verwundet und lässt sich von der in heilenden Künsten bewanderten Isolde behandeln. Diese erkennt in ihm jedoch den Mörder ihres Verlobten, vermag es aber nicht, ihn zu töten. Tristan kommt erneut nach Irland und nimmt Isolde als Friedenspfand für seinen König (Marke) mit.

Oper:


Auf dem Schiff überhäuft Isolde Tristan mit bitteren Vorwürfen. Sie weigert sich an Land zu gehen, wenn Tristan nicht mit ihr den Sühnetrunk zu sich nehmen werde. Isoldes Vertraute, Brangäne hat jedoch den Todestrunk mit dem Liebestrank vertauscht. Tristan und Isolde gestehen einander ihre Liebe.
Isolde, unterdessen König Markes Gemahlin, erwartet Tristan voller Ungelduld im Garten. Die beiden Liebenden vereinigen sich in einem ekstatischen Rausch und hören nicht auf Brangänes Warnrufe. Von Melot, einem alten Kampfgefährten Tristans, herbeigrufen, erscheint Marke, der sich bitter enttäuscht zeigt über den vermeintlichen Treuebruch seines Helden Tristan. Mit einem letzten Kuss für Isolde provoziert Tristan Melot. Dieser verwundet ihn schwer.
Tristan wird von seinem Getreuen Kurwenal auf die Burg seiner Väter gebracht. In Fieberfantasien sehnt er seine Heilerin und Erlöserin Isolde herbei. Kurwenal hat nach Isolde geschickt, ihr Schiff legt endlich an, doch zu spät. In Isoldes Armen stirbt Tristan. In einem zweiten Schiff erreichen auch König Marke, Melot und Brangäne die Burg. Kurwenal erschlägt Melot, wird aber selbst auch tödlich verwundet. Marke, nun von Brangäne über die Zusammenhänge aufgeklärt, beklagt die Toten.
Isolde sinkt in visionärem Wahn über Tristans Leiche: „Ertrinken, versinken, unbewusst – höchste Lust!“ lauten ihre letzten Worte.

Werk:
Fünf Jahre dauerte es nach der Fertigstellung der Komposition bis zur Uraufführung in München. Wien brach die Produktion nach 77 Proben ab, das Werk galt als unspielbar. Die immensen Anforderungen, welche an die beiden Interpreten der Titelpartien gestellt werden, erfordern Sänger allergrössten Formats.
Wagner hat in seinem wohl schönsten Werk private Konflikte (seine Beziehung zur Frau seines Mäzens Wesendonck) verarbeitet und auf wunderbare Weise sublimiert. Ausgehend vom berühmtesten Akkord der Musikgeschichte, dem Tristan-Akkord F-H-Dis-Gis entwickelt er ein Musik voller Trugschlüsse, chromatischen Wendungen, raffinierten Übergängen, angepeilten und doch nie erreichten Auflösungen, welche ein wahrhaftes Versinken in der Musik ermöglichen. Diese unendliche Melodie voll aufgebauter Spannung, die sich selten löst, übt auf das Ohr eine ungeheure Sogwirkung mit Suchtpotential aus.

Höhepunkte:
Vorspiel mit Tristan Akkord
O sink hernieder, Nacht der Liebe, grosse Szene Isolde-Tristan, Aufzug II
Mild und leise, wie er lächelt, Schlussszene der Isolde, Aufzug III

Karten

 

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