Berlin, Philharmonie: TRISTAN UND ISOLDE, 31.03.2016
Handlung in drei Aufzügen | Musik: Richard Wagner | Text : vom Komponisten, nach Gottfried von Strassburg | Uraufführung: 10. Juni 1865, Nationaltheater, München | onzertante Aufführungen in Berlin: 31.3. | 3.4.2016
Kritik:
„Soll ich atmen, soll ich lauschen?“ fragt sich Isolde in ihrem Schlussgesang von Wagners epochalem Meisterwerk TRISTAN UND ISOLDE. „Lauschen“ war angesagt an diesem exzeptionellen Abend in der Philharmonie, ja man lauschte so intensiv, dass man darob schon mal das Atmen vergessen konnte. Ein herausragendes Ensemble an Sängerinnen und Sängern hatten da Sir Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker von ihrem österlichen Ausflug nach Baden-Baden zurück in die Heimstatt in der Philharmonie gebracht, um das Berliner Stammpublikum wenigstens in den konzertanten Genuss dieses wunderbaren Werks kommen zu lassen. Und ein Genuss wurde es in jeder Beziehung: Für einmal musste man sich nicht mit mehr oder weniger zu hinterfragenden Ideen eines Regisseurs auseinandersetzen, sondern konnte sich voll und ganz auf die Musik, das Orchester, die Stimmen konzentrieren. Die Sängerinnen und Sänger traten allesamt in Schwarz auf, beschränkten sich auf wenige Gesten, dezente Mimik – und dies reichte vollkommen aus, um einer der bekanntesten und traurigsten aller Liebesgeschichten folgen zu können.
Mit bis zum Zerreißen gespannten Tristan-Akkorden und relativ lange gehaltenen Generalpausen stieg Sir Simon mit seinen für den langen Abend bestens disponierten Philharmonikern in die Oper ein, bevorzugte insgesamt (z.B. gegenüber Böhms Aufnahme von 1966) eher gemäßigte Tempi. Doch der unendliche Fluss der Melodie, der Leitmotive und Themen brach nie ab, der große Bogen, die Spannung blieben den fünfstündigen Abend hindurch gewahrt. Glanzlichter setzten die Soli der Musikerinnen und Musiker der Berliner Philharmoniker, so Dominik Wollenweber (Englischhorn im dritten Akt), Albrecht Mayer und Jonathan Kelly (Oboe), die Soloviolinen, die Solobratsche, die gleißend schmerzenden Trompeten, die bedrohlichen Einwürfe der Posaunen. Darin liegt natürlich auch ein Vorteil einer konzertanten Wiedergabe: Man sieht das Orchester, wird auf vieles aufmerksam, was bei einer szenischen Aufführung unterzugehen droht: Ein kurzes Arpeggio der Harfe über präzise tremolierenden Streichern, die orchestrale Spannung, welche die Einnahme des Trankes auslöst. Rattle ist mit ungeheurer Konzentration und Engagement am Werk, lenkt den Blick und die Konzentration auf Details ohne den Gesamtklang aus den Augen zu verlieren. Nur ganz am Ende, bei Isoldes Schlussgesang, lässt er sich an einer Stelle von Wagners genialer Instrumentationskunst zu stark mitreißen, der Orchesterklang wird zu dick und Isoldes „in des Weltatems wehendem All“ ertrinkt nicht in höchster Lust, sondern in den Orchesterfluten – die allerdings sind natürlich von Gänsehaut erregender Kraft und Schönheit. Ansonsten haben die vor dem Orchester positionierten Sängerinnen und Sänger keinerlei Mühe zum Ohr der Zuhörerinnen und Zuhörer im großen (erstaunlicherweise nicht restlos voll besetzten) Saal der Philharmonie durchzudringen.
Stuart Skelton singt einen fantastischen Tristan, mit einer exemplarischen Intonationssicherheit, wunderbar tragenden Piani, dunkler Kraft, ohne jegliche Ermüdungserscheinungen auch den kräfteraubenden dritten Akt meisternd. Besonders hier macht er das Leiden zum Erlebnis: Mit fahler Stimme erwacht er aus seiner wunden Ohnmacht, steigert sich zu stets kontrolliertem fiebrigem Wahn – alles ist von einem grandiosen musikalischen Geschmack geprägt, nichts Forciertes, kein Brüllen – wahrlich eine „Lust ohne Maßen“. Für mich hat sich Skelton an diesem Abend definitiv in den Himmel der Heldentenöre gesungen.
Eva-Maria Westbroek singt die Isolde mit leuchtender Kraft, blühender Stimme und intelligenter Gestaltung, von der trotzig stolzen irischen Maid zur rückhaltlos Liebenden allen Stimmungen den treffenden Ausdruck verleihend. „Dass hell sie dorten leuchte“, dieser (neben Sieglindes „oh hehrstes Wunder“ aus der WALKÜRE) wohl schönsten Phrase aus Wagners Feder, verleiht sie einen Ausdruck der sehrenden Emphase sondergleichen. Wunderbar dann die Harmonie der beiden so traumhaft schön geführten Stimmen von Westbroek und Skelton in „O sink hernieder Nacht der Liebe“ – zum Niederknien.
Dazu tragen auch Brangänes Warnrufe und ihr „Einsam wachend“ bei, welche Sarah Connolly so wundersam einnehmend singt und gestaltet. Sie ist eine überaus präsente Freundin, singt mit deutlicher Artikulation, bruchlos geführter, schlanker Stimme, ohne „brustige“ Töne. Auch der Tristan hat mit Michael Nagy als Kurwenal einen großartigen Freund und Sänger an seiner Seite: Mit seinem wohlklingenden, über eine ausgezeichnete Stütze verfügenden Bariton gestaltet er das Spottlied im ersten Akt, besorgt und warmstimmig vermag er die tiefe Männerfreundschaft zu Tristan im dritten Akt auszuloten. Der König Marke ist Stephen Milling anvertraut: Mit seinem wunderbar warm timbrierten, resonanzreichen Bass gibt er seiner Trauer und Enttäuschung über den (vermeintlichen) Verrat seines Freundes Tristan Ausdruck in der langen, packend vorgetragenen Klage Markes „Mir dies? Dies Tristan mir?“, einer erst ganz nach innen gewandten Trauer, die sich dann allmählich in wutentbranntes Selbstmitleid und Schmach steigert.
Mit hell leuchtender Stimme singt Thomas Ebenstein den Seemann und den Hirten (einzig bei den lang gehaltenen Tönen schleicht sich für meinen Geschmack etwas viel Vibrato ein). Roman Sadnik (Melot) und Simon Stricker (Steuermann), sowie die Herren des Rundfunkchors Berlin (Einstudierung: Simon Halsey) komplettieren das exzellente Gesamtensemble. Eine verdiente standing ovation beschließt einen hochkarätigen Abend, der noch lange mit „wogendem Schwall und tönendem Schall, wundervoll und leise“ (Isoldes Schlussgesang) nachhallen wird.
Inhalt:
Vorgeschichte:
Tristan tötet im Befreiungskampf um Cornwall den Iren Morold und schickt seinen Kopf dessen Verlobter Isolde nach Irland. Auch er selbst wird im Kampf schwer verwundet und lässt sich von der in heilenden Künsten bewanderten Isolde behandeln. Diese erkennt in ihm jedoch den Mörder ihres Verlobten, vermag es aber nicht, ihn zu töten. Tristan kommt erneut nach Irland und nimmt Isolde als Friedenspfand für seinen König (Marke) mit.
Oper:
Auf dem Schiff überhäuft Isolde Tristan mit bitteren Vorwürfen. Sie weigert sich an Land zu gehen, wenn Tristan nicht mit ihr den Sühnetrunk zu sich nehmen werde. Isoldes Vertraute, Brangäne hat jedoch den Todestrunk mit dem Liebestrank vertauscht. Tristan und Isolde gestehen einander ihre Liebe.
Isolde, unterdessen König Markes Gemahlin, erwartet Tristan voller Ungelduld im Garten. Die beiden Liebenden vereinigen sich in einem ekstatischen Rausch und hören nicht auf Brangänes Warnrufe. Von Melot, einem alten Kampfgefährten Tristans, herbeigrufen, erscheint Marke, der sich bitter enttäuscht zeigt über den vermeintlichen Treuebruch seines Helden Tristan. Mit einem letzten Kuss für Isolde provoziert Tristan Melot. Dieser verwundet ihn schwer.
Tristan wird von seinem Getreuen Kurwenal auf die Burg seiner Väter gebracht. In Fieberfantasien sehnt er seine Heilerin und Erlöserin Isolde herbei. Kurwenal hat nach Isolde geschickt, ihr Schiff legt endlich an, doch zu spät. In Isoldes Armen stirbt Tristan. In einem zweiten Schiff erreichen auch König Marke, Melot und Brangäne die Burg. Kurwenal erschlägt Melot, wird aber selbst auch tödlich verwundet. Marke, nun von Brangäne über die Zusammenhänge aufgeklärt, beklagt die Toten.
Isolde sinkt in visionärem Wahn über Tristans Leiche: „Ertrinken, versinken, unbewusst – höchste Lust!“ lauten ihre letzten Worte.
Werk:
Fünf Jahre dauerte es nach der Fertigstellung der Komposition bis zur Uraufführung in München. Wien brach die Produktion nach 77 Proben ab, das Werk galt als unspielbar. Die immensen Anforderungen, welche an die beiden Interpreten der Titelpartien gestellt werden, erfordern Sänger allergrössten Formats.
Wagner hat in seinem wohl schönsten Werk private Konflikte (seine Beziehung zur Frau seines Mäzens Wesendonck) verarbeitet und auf wunderbare Weise sublimiert. Ausgehend vom berühmtesten Akkord der Musikgeschichte, dem Tristan-Akkord F-H-Dis-Gis entwickelt er eine Musik voller Trugschlüsse, chromatischen Wendungen, raffinierten Übergängen, angepeilten und doch nie erreichten Auflösungen, welche ein wahrhaftes Versinken in der Musik ermöglichen. Diese unendliche Melodie voll aufgebauter Spannung, die sich selten löst, übt auf das Ohr eine ungeheure Sogwirkung mit Suchtpotential aus.
Höhepunkte:
Vorspiel mit Tristan Akkord
O sink hernieder, Nacht der Liebe, grosse Szene Isolde-Tristan, Aufzug II
Mild und leise, wie er lächelt, Schlussszene der Isolde, Aufzug III